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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 30.05.2003
Aktenzeichen: V ZR 370/02
Rechtsgebiete: SachenRBerG


Vorschriften:

SachenRBerG § 9 Abs. 2 Nr. 3
Ist eine Genossenschaft mit gewerblichem oder handwerklichem Geschäftsgegenstand zwar nicht formell als Investitionsauftraggeberin aufgetreten, oblag ihr aber von Anfang an gegenüber der bauausführenden Stelle die Finanzierung des Bauprojekts und erhielt sie nach Bauausführung die Nutzung ohne die Einschränkungen der Anordnung für die Übertragung volkseigener unbeweglicher Grundmittel an sozialistische Genossenschaften vom 11. Oktober 1974 übertragen, so kann sie in entsprechender Anwendung des § 9 Abs. 2 Nr. 3 SachenRBerG als Rechtsnachfolgerin des Nutzers angesehen werden.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

V ZR 370/02

Verkündet am: 30. Mai 2003

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. Mai 2003 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes Dr. Wenzel und die Richter Tropf, Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein und Dr. Gaier

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 10. Oktober 2002 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist aufgrund Zuordnungsbescheids der Oberfinanzdirektion Cottbus vom 11. Februar 1994 Eigentümerin eines ehemals in Volkseigentum stehenden Grundstücks in S. , dessen Rechtsträger seit Beginn der achtziger Jahre der Rat der Gemeinde S. war. Dieser billigte im März 1985 die Errichtung einer Verkaufseinrichtung auf dem Grundstück. Dazu schloß er am 27. Juni 1985 mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Vereinbarung über die "Ablösung einer zentralen Verkaufseinrichtung". Danach übernahm der Rat der Gemeinde als Investitionsauftraggeber den Bau der Verkaufseinrichtung, während sich die Rechtsvorgängerin der Beklagten verpflichtete, das Geschäftsgebäude gegen Zahlung von 965.000 Mark/DDR zu übernehmen. Der Ministerrat der DDR erteilte die erforderliche Standortgenehmigung.

Das Projekt wurde 1986/87 verwirklicht. Der Jahresabschluß der Rechtsvorgängerin der Beklagten weist zum 31. Dezember 1986 u.a. eine Verbindlichkeit in Höhe von 1.099.260 Mark/DDR gegenüber dem bauausführenden volkseigenen Betrieb aus. Nach Fertigstellung übernahm die Rechtsvorgängerin der Beklagten den Besitz an dem Gebäude und betrieb dort, über den 3. Oktober 1990 hinaus, eine Konsumverkaufsstelle. Im Dezember 1989 wurde ihr auch die Rechtsträgerschaft an dem Grundstück übertragen.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Herausgabe von Grundstück und Gebäude. Diese beruft sich auf ein Besitzrecht nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz. Das Landgericht hat der Klage auf Räumung und Herausgabe stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der - zugelassenen - Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht bejaht ein Recht der Beklagten zum Besitz nach Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 1 b Satz 3 EGBGB in Verbindung mit §§ 4 Nr. 3, 7 Abs. 2 Nr. 2, 9 Abs. 2 Nr. 3 SachenRBerG. Zwar habe die Rechtsvorgängerin der Beklagten die Bebauung nicht als Rechtsträgerin des Grundstücks vorgenommen, so daß die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 SachenRBerG nicht vorlägen. Sie sei aber in entsprechender Anwendung des § 9 Abs. 2 Nr. 3 SachenRBerG als Nutzerin anzusehen, da sie, wenngleich nicht formell Investitionsauftraggeberin, aufgrund der Vereinbarung vom 27. Juni 1985, die als Kommunalvertrag im Sinne der Verordnung vom 17. Juli 1968 (GBl.-DDR II, 661) zu werten sei, von Anfang an in die Planungen einbezogen gewesen sei und die Kosten des Bauvorhabens getragen habe. Wolle man hingegen eine entsprechende Anwendung des § 9 Abs. 2 Nr. 3 SachenRBerG verneinen, so sei angesichts der wirtschaftlichen Konstellation, die einen Schutz der Rechtsvorgängerin der Beklagten rechtfertige, zumindest der Auffangtatbestand des § 7 Abs. 1 SachenRBerG anzuwenden.

II.

Die Revision ist nicht begründet.

1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß der Beklagten ein Recht zum Besitz zusteht, soweit sie einen Anspruch auf Sachenrechtsbereinigung hat. Dies folgt aus Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 3 EGBGB, wonach in den Fällen des § 3 Abs. 3 und der §§ 4 und 121 SachenRBerG das Moratorium bis zur Bereinigung fortgilt. Damit hat der Gesetzgeber die Moratoriumstatbestände authentisch interpretiert. In dem Umfang, in dem der Besitzer von dem Eigentümer nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz die Übertragung des Eigentums oder die Belastung des Grundstücks verlangen kann, ist er auch, bis zum Abschluß der Bereinigung, zum Besitz berechtigt (Senat, Urt. v. 4. Juli 1997, V ZR 54/96, NJW 1997, 3313).

2. Auch die Annahme des Berufungsgerichts, daß die Beklagte in entsprechender Anwendung des § 9 Abs. 2 Nr. 3 in Verbindung mit § 7 Abs. 2 Nr. 2 SachenRBerG anspruchsberechtigt ist, hält einer rechtlichen Prüfung stand. Es kommt daher auf die Gegenrüge der Revisionserwiderung nicht an, das Berufungsgericht habe übersehen, daß aus den in den Tatsacheninstanzen überreichten Anlagen zu ersehen sei, daß die Rechtsvorgängerin der Beklagten von Anfang an als Rechtsträgerin vorgesehen gewesen sei, was die Anwendung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 SachenRBerG rechtfertige.

a) Soweit die Revision meint, es fehle an einer die entsprechende Anwendung des § 9 Abs. 2 Nr. 3 SachenRBerG rechtfertigenden planwidrigen Regelungslücke, ist ihr nicht zu folgen. Zuzugeben ist allerdings, daß der Gesetzgeber in Kenntnis der Problematik nicht alle Fälle der Bereinigung unterworfen hat, für deren Einbeziehung Sachgründe angeführt werden können. So gibt es Konstellationen, in denen staatliche Stellen der DDR Gebäude errichtet und dann auf vertraglicher Basis Genossenschaften mit gewerblichem oder handwerklichem Geschäftsgegenstand zur Nutzung übertragen haben. Hier bestand nach der Anordnung für die Übertragung volkseigener unbeweglicher Grundmittel an sozialistische Genossenschaften vom 11. Oktober 1974 (im folgenden: Anordnung vom 11. Oktober 1974; GBl.-DDR I, 489) für den Staat die Möglichkeit, sich von den Kosten der Bauinvestition zu entlasten. Die Übertragung der Grundmittel erfolgte nämlich gegen ein sog. Nutzungsentgelt in Höhe des Zeitwertes. Obwohl es sich somit letztlich um Investitionen der Genossenschaften gehandelt hat, hat der Gesetzgeber diese Fälle bewußt nicht in den Katalog der zu bereinigenden Sachverhalte (§ 7 Abs. 2 SachenRBerG) aufgenommen (vgl. BT-Drucks. 12/5992, S. 56 ff.; Czub, in: Czub/Schmidt-Räntsch/Frenz, Sachenrechtsbereinigungsgesetz, § 7 Rdn. 142 ff.). Ihre Rechtfertigung findet diese Ausgrenzung in dem Umstand, daß die Rechtsposition der Genossenschaft in den unter die Anordnung vom 11. Oktober 1974 fallenden Sachverhalten lediglich vertraglich abgesichert war und unter dem Vorbehalt stand, daß die Grundmittel für staatliche Aufgaben dringend benötigt wurden oder wegen Veränderung in der Produktion oder Aufgabenstellung der Genossenschaft nicht mehr effektiv genutzt werden konnten (§ 6 Abs. 2 der Anordnung). Eine Absicherung durch die Verleihung eines Nutzungsrechts mit dinglichem Charakter sah das Recht nicht vor (vgl. Czub aaO Rdn. 148).

b) Dies hat das Berufungsgericht aber auch nicht verkannt. Es hält den vorliegenden Fall für anders strukturiert und meint, er sei entgegen dem in den §§ 7 Abs. 2, 9 Abs. 2 Nr. 3 SachenRBerG zum Ausdruck gekommenen Regelungsplan nicht erfaßt worden und müsse daher gleichbehandelt werden. Dem tritt der Senat bei.

aa) § 9 Abs. 2 Nr. 3 SachenRBerG erweitert die Bestimmung des durch § 7 SachenRBerG geschützten Nutzers durch eine Fiktion der Rechtsnachfolge (vgl. Czub aaO § 9 Rdn. 134). Dabei geht es bei der Einbeziehung der Genossenschaften als Investitionsauftraggeber nicht vorrangig um die Anerkennung eines sachenrechtsähnlichen Nutzungsverhältnisses. Denn die Norm setzt nicht voraus, daß die Nutzung zu DDR-Zeiten auf einer dinglich abgesicherten Rechtsgrundlage beruhte oder eine solche Absicherung jedenfalls angestrebt wurde. Vielmehr knüpft die Unterstellung dieser Sachverhalte unter das Sachenrechtsbereinigungsgesetz an der Investition der Genossenschaft an, die diese, verbunden mit der Übertragung der Nutzung, als wirtschaftliche Eigentümerin der Grundmittel erscheinen läßt. Dabei bestehen zu den von der Anordnung vom 11. Oktober 1974 erfaßten Fällen, die nicht der Sachenrechtsbereinigung unterliegen (s. oben), nur graduelle, für die Bewertung aber entscheidende Unterschiede.

bb) In beiden Fällen trägt die Genossenschaft letztlich die Kosten der Baumaßnahme. In den von der Anordnung vom 11. Oktober 1974 geregelten Fällen geschieht dies aber nicht in der Weise, daß die Genossenschaft als Investorin auftritt und wie eine Eigentümerin nutzt. Vielmehr wird die Finanzierung der Baumaßnahme, die an sich der handelnden staatlichen Stelle obliegt, durch die Vereinbarung eines Nutzungsentgelts (§ 5 der Anordnung) sichergestellt. Die Genossenschaft erhält die Nutzung auch nicht generell übertragen, sondern unter dem Vorbehalt, daß die Erfüllung staatlicher Aufgaben Vorrang genießt oder eine effektive Nutzung durch die Genossenschaft nicht mehr gewährleistet ist (§ 6 Abs. 2 der Anordnung). Die Genossenschaft ist darauf verwiesen, daß im Regelfall die Vertragsdauer eine Amortisation der Investition ermöglicht (vgl. Czub aaO § 7 Rdn. 150).

cc) Im vorliegenden Fall ist die Investition der Rechtsvorgängerin der Beklagten strukturell anders, nämlich in einer Weise geregelt, wie sie dem in § 9 Abs. 2 Nr. 3 SachenRBerG enthaltenen Grundmuster entspricht. Sie war zwar formell nicht Investitionsauftraggeberin, wie an sich von der Norm vorausgesetzt. Sie erfüllte aber in materieller Hinsicht alle Kriterien, die für den Gesetzgeber Grund waren, eine bereinigungsrechtliche Lösung zu wählen. Es wäre plan- und sachwidrig, den vorliegenden Fall aus formalen Gründen hiervon auszuschließen. Es ist - anders als bei den Fällen der Anordnung vom 11. Oktober 1974 - nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber in Kenntnis der Problematik den vorliegenden Fall von der sachenrechtlichen Bereinigung hat ausschließen wollen, obwohl sich eine Gleichbehandlung bei wertender Betrachtung anbot. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Rechtsvorgängerin der Beklagten nur deswegen nicht selbst als Investitionsauftraggeberin aufgetreten, weil der Rat der Gemeinde über die für die Verwirklichung des Bauprojekts planungsrechtlich notwendigen Investitions- oder materiellen Kennziffern verfügte, nicht aber sie selbst. Dem Rat der Gemeinde fehlten demgegenüber die für die Durchführung des Projekts erforderlichen finanziellen Mittel, die wiederum der Rechtsvorgängerin der Beklagten zur Verfügung standen. Danach war der Rat der Gemeinde nicht derjenige, der materiell als Investor anzusehen war und der wirtschaftlich das Projekt in Händen hielt. Dies war vielmehr die Rechtsvorgängerin der Beklagten. Entsprechend der nur formalen Stellung des Rates der Gemeinde oblag ihr von Anfang an die Finanzierung. Diese wurde nicht durch die Vereinbarung eines Nutzungsentgelts mit dem Rat der Gemeinde dargestellt, sondern die Rechtsvorgängerin der Beklagten war von Beginn des Bauvorhabens an diejenige, die der bauausführenden Stelle die Kosten für das Bauvorhaben schuldete, die Verbindlichkeit in ihrem Jahresabschluß 1986 auch einstellte und die Forderung mit ihren Mitteln beglich. Sie war damit, materiell betrachtet, Investitionsauftraggeberin und erhielt dementsprechend, ohne die Einschränkungen des § 6 der Anordnung vom 11. Oktober 1974, die Nutzung des Objekts übertragen, später folgerichtig auch die Rechtsträgerschaft an dem Grundstück. Aus wirtschaftlicher Sicht kam ihr eine eigentümerähnliche Stellung zu, wie sie dem Regelungsmuster des § 9 Abs. 2 Nr. 3 SachenRBerG entspricht. Dies rechtfertigt die analoge Anwendung dieser Norm.

Dieser Bewertung ist nicht dadurch die Grundlage entzogen, daß die Revision die zugrundeliegenden Feststellungen mit einer Verfahrensrüge bekämpft. Diese Rüge ist nicht begründet. Die Revision verkennt selbst nicht, daß die Feststellungen auf der Aussage des Zeugen W. beruhen. Ihre Annahme, es sei nicht erkennbar, ob die Einbeziehung des Rates der Gemeinde aus formellen Gründen sowohl der Vorstellung der Rechtsvorgängerin der Beklagten als auch der des Rates der Gemeinde entsprochen habe oder möglicherweise nur einseitig, und daher unbeachtlich, der der Rechtsvorgängerin der Gemeinde, ist fernliegend. Aus dem Zusammenhang, insbesondere dem Umstand, daß der Rat der Gemeinde das Bauvorhaben selbst nicht finanzieren konnte, drängt sich der von dem Berufungsgericht bei unbefangenem Verständnis seiner Ausführungen gezogene Schluß auf, daß auch und gerade dem Rat der Gemeinde Sinn und Zweck der gewählten Konstruktion bewußt war.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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