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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 02.02.2001
Aktenzeichen: V ZR 429/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 138 Aa
BGB § 138 Aa

Die guten Sitten legen es dem Gläubiger nicht auf, bei einer Vereinbarung über die Folgen des Leistungsunvermögens des Schuldners mit diesem unter Zurückstellung eigener Interessen einen Ausgleich zu suchen.

BGH, Urt. v. 2. Februar 2001 - V ZR 429/99 - Brandenb. OLG LG Potsdam


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VERSÄUMNISURTEIL

V ZR 429/99

Verkündet am: 2. Februar 2001

Kanik, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 2. Februar 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die Richter Tropf, Schneider, Dr. Klein und Dr. Lemke

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 21. Oktober 1999 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Kläger zu 1 und 2 sowie die I. R. G. GmbH (I. R. ), die sich zur BGB-Gesellschaft Ärztehaus B. -M. zusammengeschlossen hatten, kauften mit notariellem Vertrag vom 17. November 1994 von der Beklagten, der P. I. gesellschaft mbH, die Teilfläche eines Grundstücks in B. -M. . Die Zahlung des Kaufpreises von 1,5 Mio. DM war von der Vorlage einer Bankbürgschaft für die Rückzahlungsverpflichtung der Beklagten bei Scheitern des Vertrags abhängig gemacht, zu der sich die Beklagte verpflichtet hatte. Mit Generalübernehmervertrag vom 9. Dezember 1994 übertrug die BGB-Gesellschaft der MVI M. und V. von i. V. GmbH (MVI) die Errichtung des Ärztehauses. Diese schloß am 1. Dezember 1994 mit der P. S. GmbH (P. S. ) einen notariellen Generalunternehmervertrag über die Erstellung und Vermarktung des Objektes. Die P. S. gewährleistete die Fertigstellung innerhalb von 9 Monaten ab Vorliegen einer vollziehbaren Baugenehmigung und die MVI war zum Rücktritt berechtigt, wenn das Bauvorhaben nicht bis 31. Dezember 1995 fertiggestellt war. Das Entgelt des Generalunternehmers von 4,9 Mio. DM war von der Vorlage einer Fertigstellungsbürgschaft in gleicher Höhe abhängig, die die P. S. zu erbringen hatte. Die MVI war zu einer Kürzung um 135.000 DM berechtigt, wenn das Entgelt noch 1994 gegen Bankbürgschaft ausgezahlt wurde. Bemessungsgrundlage der Kürzung war eine Bauzeit von 6 Monaten. Für jeden weiteren Monat erhöhte sich der Preisabschlag um 22.500 DM. Die Baugenehmigung lag am 22. Februar 1995 vollziehbar vor. Am 2. August 1995 ließen die BGB-Gesellschaft und die MVI einerseits, die Beklagte und die P. S. andererseits einen "Nachtrag zum Grundstückskaufvertrag sowie zum Generalunternehmervertrag" notariell beurkunden. Darin hielten sie fest, daß die BGB-Gesellschaft 415.000 DM an den Notar (zur Befriedigung des früheren Eigentümers) und weitere 170.000 DM zur Begleichung von Verbindlichkeiten gezahlt hatten, die Beklagte dagegen ihrer Pflicht zur Bürgengestellung nicht nachgekommen war. Weiter wurde die Feststellung getroffen, daß aus dem Generalunternehmervertrag noch kein Entgelt gezahlt worden sei, da die P. S. die Fertigstellungsbürgschaft nicht erbracht habe. Die verpflichteten Gesellschaften hätten die Finanzierung des Gesamtobjektes nicht bewerkstelligen können. Mit dem Bau sei noch nicht begonnen worden, es lägen jedoch Verträge über Einzelgewerke vor. "Um zu erreichen, daß die ... Gesellschafter bürgerlichen Rechts und MVI ... nicht von den jeweiligen Verträgen zurücktreten, sondern die geschlossenen Verträge abgewickelt werden können und der bereits entstandene Schaden ... möglichst gering gehalten wird, und (daß) das Bauwerk erstellt werden kann", trafen die Beteiligten folgende Vereinbarungen: Als "Nachtrag zum Grundstückskaufvertrag" wurde der Kaufpreisrest von 910.000 DM zinslos gestundet, der vertragliche Ausschluß der Aufrechnung gegenüber der Kaufpreisforderung wurde gestrichen. Als "Änderung des Generalübernehmervertrags" wurde die Zahlung des Unternehmerentgelts nach Baufortschritt vereinbart, die Verpflichtung zur Bürgengestellung fiel weg, die Beklagte trat, "um der ... P. S. ... die Ausführung des Generalunternehmervertrags zu ermöglichen", die Kaufpreisrestforderung an diese ab, welche zugleich die Abtretung an die MVI erklärte. Am 27. Dezember 1996 kündigte die MVI den Generalunternehmervertrag fristlos wegen Bauverzögerung. Zwischenzeitlich ist das Objekt fertiggestellt und im wesentlichen vermietet. Die Beklagte ist als Eigentümerin der Trennfläche im Grundbuch eingetragen.

Die Kläger, die Kläger zu 3 und 4 als Inhaber des Anteils der I. R. an der BGB-Gesellschaft, haben mit Schreiben vom 23. April 1997 mit einer behaupteten Schadensersatzforderung gegen die MVI wegen verspäteter Bauerstellung in Höhe von 1.135.045 DM gegen den Kaufpreisrestanspruch aufgerechnet. Sie haben die Beklagte auf Auflassung und Bewilligung ihrer Eintragung in das Grundbuch als Eigentümer in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen. Die Berufung der Kläger und die Anschlußberufung der Beklagten blieben ohne Erfolg.

Mit der Revision verfolgen die Kläger ihre Anträge weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte war trotz ordnungsgemäßer Ladung im Verhandlungstermin nicht vertreten. Deshalb ist über die Revision durch Versäumnisurteil zu befinden, obwohl das Urteil inhaltlich nicht auf der Säumnisfolge beruht (vgl. BGHZ 37, 79,81 ff; Senatsurt. v. 6. Juni 1986, V ZR 96/85, NJW 1996, 3086).

I.

Das Berufungsgericht meint, die Kläger seien mit der Kaufpreisrestzahlung vorleistungspflichtig. Die Vorleistung sei nicht erbracht, denn die Aufrechnung gegenüber der an MVI abgetretenen Kaufpreisrestforderung sei ins Leere gegangen. Die Nachtragsvereinbarung vom 2. August 1995, die die Aufrechnungslage geschaffen habe, sei nämlich wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Die BGB-Gesellschafter hätten durch sie einseitig eine Übersicherung und Minimierung ihrer Schäden zu Lasten der Beklagten herbeigeführt. Ihnen sei bewußt gewesen, daß der Fertigstellungstermin vom 31. Dezember 1995 nicht mehr zu halten gewesen sei. Gleichwohl machten sie auf der Grundlage der Nachtragsvereinbarung in Verbindung mit dem Generalunternehmervertrag einen monatlichen Preisabschlag von 22.500 DM für die Zeit vom 1. September 1995 bis 30. April 1997 geltend. Hierbei handele es sich um ein verdecktes Vertragsstrafenversprechen, das zur Aufzehrung des halben Grundstückskaufpreises führe, obwohl jeder denkbare Schaden nach der Nachtragsvereinbarung ohnehin zu ersetzen sei. Die P. S. habe sich nämlich zur Freistellung der MVI von allen Schadensersatzansprüchen verpflichtet, die auf von ihr zu vertretende Umstände zurückgingen. Die BGB-Gesellschafter hätten sich durch die Abtretungen neben ihrer Möglichkeit, gegenüber Entgeltsansprüchen der MVI aufzurechnen, eine weitere Zugriffsmöglichkeit verschafft. Ein Rücktrittsrecht habe ihnen, entgegen ihrem Vortrag, nicht "abgekauft" werden können, denn die vertraglichen Rücktrittsfristen seien abgelaufen gewesen, ein gesetzliches Rücktrittsrecht sei nicht "abzukaufen". Zudem habe das Recht der MVI, den Generalunternehmervertrag zu kündigen, fortbestanden.

Dies hält den Angriffen der Revision nicht stand.

II.

1. Rechtlich unzutreffend ist bereits der Ausgangspunkt des Berufungsurteils, die Kläger seien mit der Kaufpreiszahlung vorleistungspflichtig. Zwar konnte das Berufungsgericht aus § 11 des Kaufvertrags der Parteien herleiten, daß die Auflassung der Hinterlegung eines Kaufpreisteils von 415.000 DM an den Notar und der ursprünglich vorgesehenen Zahlung des Restes von 1.085.000 DM direkt an die Beklagte folgen sollte. Das Berufungsgericht übersieht aber, daß die Beklagte mit der Erbringung der Bankbürgschaft in Höhe des Gesamtkaufpreises nach § 3 Abs. 1 des Vertrags ihrerseits gegenüber den Käufern zur Vorleistung verpflichtet war. Mit dem Unvermögen der Beklagten, vorweg die Sicherheit für den Kaufpreisrückzahlungsanspruch zu erbringen, entfiel für sie auch das Recht, Zahlung vor Auflassung zu verlangen (§ 323 BGB); denn die Vorleistungspflicht der Käufer war mit der Pflicht der Beklagten zur Sicherheitsleistung synallagmatisch verknüpft. Die Leistungen waren nunmehr Zug um Zug auszutauschen.

2. Nicht zu folgen ist auch der Beurteilung der Nachtragsvereinbarung als sittenwidrig. Das Berufungsurteil trägt dem Zweck des Vereinbarten nicht Rechnung, verkennt die eingesetzten Mittel und legt den Klägern Pflichten zur Zurückstellung eigener Interessen auf, die sich aus § 138 BGB nicht herleiten lassen.

Die Nachtragsvereinbarung trägt von ihrem Konzept her nicht die Züge einer anstößigen Einschnürung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit der Beklagten oder der mißbilligenswerten Ausnutzung ihrer wirtschaftlichen Lage. Sie stellte vielmehr den Versuch dar, angesichts des Unvermögens der Beklagten und der mit ihr durch den gemeinsamen Gesellschafter-Geschäftsführer E. G. verbundenen Generalunternehmerin die in Kauf- und Generalunternehmervertrag vorgesehene Sicherheit zu erbringen, das Bauvorhaben auf anderer Grundlage in Angriff zu nehmen. Der gewählte Weg, die Entgeltleistung an die Generalunternehmerin nach Baufortschritt, war sachgerecht. Dem (auch) angesichts der Finanzierungsprobleme der Generalunternehmerin aufgetretenen Erfordernis, für die bereits beauftragten und für künftige Bauunternehmer Werklohnbürgschaften zu verschaffen, unterzogen sich die MVI "bzw." die BGB-Gesellschafter, die mit den Gesellschaftern der Generalübernehmerin zum Teil personengleich waren. Die Bereitstellung der liquiden Mittel zum Anschub des Bauvorhabens wurde nach dem Vortrag der Kläger, von dem in der Revisionsinstanz auszugehen ist, dadurch erschwert, daß den BGB-Gesellschaftern wegen der von der Generalunternehmerin zu vertretenden Verzögerung des Baubeginns Schadensersatzforderungen in erheblicher Höhe, zuletzt einschließlich Mietausfällen auf 1.135.045 DM beziffert, gegen die MVI zustanden. Nach dem unstreitigen Vortrag der Kläger, dessen Nichtbeachtung die Revision zu Recht rügt, wurde das Problem in der Weise gelöst, daß die BGB-Gesellschaft der MVI das Generalübernehmerentgelt ungekürzt zukommen ließ. Das Gegenstück dazu stellte die Kette der Abtretungsvereinbarungen über den Restkaufpreisanspruch der Beklagten in Höhe von 910.000 DM dar, die den Klägern die Aufrechnung ermöglichte. Zu Unrecht wertet das Berufungsgericht die Verlagerung des Vermögensstückes der Beklagten in eine der Aufrechnung durch die BGB-Gesellschaft zugängliche Position als anstößige Übersicherung. Abgesehen davon, daß das Geschäft nicht der Sicherung, sondern der Befriedigung der BGB-Gesellschaft diente, waren die Gesellschafter und die gleiche Interessen verfolgende MVI nicht gehalten, zu Lasten der Generalübernehmerin einen für die Beklagte schonenderen Weg zu suchen, es etwa der Generalübernehmerin zu überlassen, die Kürzung der für den Anschub des Vorhabens erforderlichen Mittel durch Einsatz eigenen Vermögens oder durch Kreditaufnahme auszugleichen. § 138 BGB will Mißbräuchen der Privatautonomie Einhalt gebieten, nicht aber den Partner des in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Teils anhalten, unter Zurückstellung eigener Interessen mit diesem einen beiderseits befriedigenden Ausgleich zu suchen.

Das Sittenwidrigkeitsurteil kann auch nicht auf die Aufrechterhaltung der vertraglichen Bauzeiten, von der das Berufungsgericht ausgeht, gestützt werden. Die Überlegung, die Kürzung des Generalunternehmerlohns wegen Überschreitung der Bauzeiten zehre (zugleich) den Kaufpreisanspruch der Beklagten auf, geht ins Leere; denn der Anspruch ist aus dem Vermögen der Beklagten ausgeschieden. Angesichts der Verknüpfung der Interessen der vier Vertragsbeteiligten der Nachtragsvereinbarung ist es nicht verfehlt, nachteilige Folgen des Vereinbarten für die Generalunternehmerin bei der Bewertung der Gesamtregelung zu berücksichtigen. Indessen ist das Sittenwidrigkeitsurteil des Berufungsgerichts auch unter diesem Gesichtspunkt rechtlich nicht haltbar. Zwar war bei Abschluß der Vereinbarung am 2. August 1995 die Bauausführungsfrist von neun Monaten, für die die Generalunternehmerin einzustehen hatte, nach Erteilung der Baugenehmigung am 22. Februar 1995 schon zum Teil verstrichen. Dies war aber weder von der BGB-Gesellschaft noch von der MVI, sondern von der Generalunternehmerin zu vertreten, die die vereinbarte Bürgschaft nicht beschaffen konnte. Darüber hinaus verkennt das Berufungsgericht, daß als Bemessungsgrundlage des endgültigen Generalunternehmerlohns eine Bauzeit von sechs Monaten gewählt, diese von den Vertragsbeteiligten mithin als möglich angesehen worden war. Sie konnte bis Ablauf der vertraglichen Fertigstellungsfrist (9 Monate, gerechnet ab 22. Februar 1995) zum überwiegenden Teil eingehalten werden. Abzüge hatte die Generalunternehmerin in überschaubarem Umfang (mindestens für zwei Monate; 6 Monate, gerechnet ab August 1995) zu erwarten. Das Berufungsgericht möchte der Nachtragsvereinbarung allerdings zusätzlich entnehmen, daß dem Baubeginn das Ausstehen des Veränderungsnachweises über die von der Beklagten verkauften Trennflächen entgegen stand. Abgesehen von dem Umstand, daß dies von der Beklagten als Verkäuferin zu vertreten war, stellt das Berufungsgericht, worauf die Revision zu Recht hinweist, zugleich fest, daß die Generalunternehmerin den Baubeginn am 31. August 1995 angezeigt hatte. Rechtlich nicht tragfähig ist schließlich die Folgerung, die das Berufungsgericht aus dem Umstand zieht, daß "die Kläger" das Generalunternehmerentgelt für 20 Monate um den Pauschalbetrag von jeweils 22.500 DM zu kürzen suchten. Maßgeblich für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Geschäfts sind die bei dessen Abschluß zutage getretenen Umstände (BGHZ 100, 353, 359 f), nicht die Folgen, zu denen es nach dem Ablauf der Dinge nachträglich führt. Daß der Generalunternehmerin durch die Bedingungen der Nachtragsvereinbarung die Möglichkeit entzogen worden wäre, das Bauvorhaben ordnungsgemäß durchzuführen, läßt sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen.

Auf die weiteren Überlegungen des Berufungsurteils kommt es danach nicht mehr an. Der Senat beschränkt sich insoweit auf den Hinweis, daß der Verzicht auf die Ausübung eines gesetzlichen Rücktrittsrechts in gleicher Weise Gegenstand einer vertraglichen Vereinbarung ("Abkauf") sein kann wie der Verzicht auf ein Recht, das eigens durch Vertrag begründet worden ist. Der Hinweis auf vertragliche Ersatzpflichten der P. S. als Äquivalent für Einbußen der Generalübernehmerin oder der BGB-Gesellschafter geht angesichts der in der Nachtragsvereinbarung eingestandenen Finanzierungsprobleme ins Leere.

3. Die Sache ist zur Feststellung der tatsächlichen Grundlagen der von den Klägern gegen die MVI geltend gemachten Schadensersatzforderungen zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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