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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 07.12.1999
Aktenzeichen: VI ZB 30/99
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 212 a
ZPO § 284
ZPO § 212 a; § 284

Reichen im Wege des Freibeweises zu berücksichtigende eidesstattliche Versicherungen nicht aus, um den zur Feststellung der Zulässigkeit eines Rechtsmittels erforderlichen vollen Beweis zur Überzeugung des Gerichts zu erbringen, so muß auf die Vernehmung der Beweispersonen als Zeugen oder auf anderweite Beweismittel zurückgegriffen werden; das Gericht hat der beweisbelasteten Partei insoweit Gelegenheit zum Beweisantritt zu geben.

BGH, Beschluß vom 7. Dezember 1999 - VI ZB 30/99 - OLG Hamm LG Münster


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VI ZB 30/99

vom

7. Dezember 1999

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Groß und die Richter Dr. v. Gerlach, Dr. Müller, Dr. Dressler und Wellner am 7. Dezember 1999

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluß des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 8. September 1999 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdefahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 123.808,44 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beklagten wurden durch Urteil des Landgerichts M. vom 26. November 1998 zur Leistung von Schadensersatz wegen ärztlichen Behandlungsfehlers an die Klägerin verurteilt. Die Zustellung dieses Urteils an den erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, Rechtsanwalt B., erfolgte mittels Empfangsbekenntnisses gemäß § 212 a ZPO. Das von Rechtsanwalt B. unterzeichnete, zu den Akten zurückgelangte Empfangsbekenntnis trägt das aufgestempelte Eingangsdatum der Anwaltskanzlei vom 4. Januar 1999. Die Berufung der Beklagten ist am Freitag, dem 5. Februar 1999 beim Berufungsgericht eingegangen und - nach mehrmaliger Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist - mit am 17. Juni 1999 vorgelegtem Schriftsatz begründet worden. Auf den Hinweis des Berufungsgerichts vom 19. Juli 1999, die Berufung sei verspätet eingelegt worden, hat der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Beklagten am 4. August 1999 vorgetragen, eine Verspätung liege nicht vor, da die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils tatsächlich erst am 5. Januar 1999 erfolgt sei; hilfsweise hat er Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt.

Die Beklagten haben im einzelnen - unter Vorlage einer anwaltlichen Versicherung des Rechtsanwalts B. und einer eidesstattlichen Versicherung der in dessen Kanzlei tätigen Anwaltsgehilfin K. - ausgeführt, der Eingangsstempel auf dem Empfangsbekenntnis sei unrichtig. Das Landgerichtsurteil sei am 5. Januar 1999 eingegangen. Dieses Datum sei auch auf der Ausfertigung des Urteils vermerkt worden; dementsprechend seien die Fristen im Kalender eingetragen worden. Der fehlerhafte Eingangsstempel auf dem Empfangsbekenntnis könne nur damit erklärt werden, daß die - ansonsten stets zuverlässige - Kanzleiangestellte K. am Morgen des 5. Januar 1999 den Datumsstempel zunächst nicht zutreffend eingestellt und später eine Korrektur des unrichtigen Datums auf dem Empfangsbekenntnis versäumt habe.

Das Berufungsgericht hat im angefochtenen Beschluß die Berufung als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Den Beklagten sei der Nachweis nicht gelungen, daß das aus dem Empfangsbekenntnis ersichtliche Zustellungsdatum unrichtig sei. Der nachgesuchten Wiedereinsetzung stehe bereits entgegen, daß der Wiedereinsetzungsantrag nicht binnen zwei Wochen nach Unterzeichnung der Berufungsbegründung gestellt worden sei; zu diesem Zeitpunkt habe der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten bei gehöriger Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen die Fristversäumung erkennen müssen.

Gegen diesen am 23. September 1999 zugestellten Beschluß richtet sich die am 1. Oktober 1999 eingegangene sofortige Beschwerde der Beklagten. Diese machen unter Vorlage weiterer eidesstattlicher Versicherungen des Rechtsanwalts B. und der Anwaltsgehilfin K. geltend, das Berufungsgericht sei zu Unrecht von dem Zustellungsdatum 4. Januar 1999 - statt 5. Januar 1999 - ausgegangen; der hilfsweise gestellte Wiedereinsetzungsantrag sei nicht verfristet, da das der rechtzeitigen Berufungseinlegung entgegenstehende Hindernis nicht bereits im Zeitpunkt der Berufungsbegründung, sondern erst mit der Mitteilung des Berufungsgerichts über den verspäteten Berufungseingang behoben gewesen sei.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Die Ausführungen des Berufungsgerichts und die bisher getroffenen Feststellungen rechtfertigen weder die Beurteilung, die Berufung sei verspätet eingelegt, noch die Zurückweisung des hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrags.

1. Auf das Rechtsmittel der Beklagten gemäß § 519 b Abs. 2 ZPO hat der Senat die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Berufung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in vollem Umfang von Amts wegen zu prüfen. Feststellungen, die demgemäß eine zutreffende Beurteilung des vorliegend relevanten Zustellungsdatums des erstinstanzlichen Urteils ermöglichen könnten, sind jedoch im bisherigen Verfahren nicht in prozeßordnungsgemäßer Weise getroffen worden.

2. Das Berufungsgericht hat das Vorbringen der Beklagten zum Zustellungsdatum und zu den Vorgängen, die zu einer fehlerhaften Datierung auf dem Empfangsbekenntnis geführt haben sollen, beweismäßig allein anhand der vorgelegten anwaltlichen und eidesstattlichen Versicherungen geprüft. Das war bei der hier gegebenen Sachlage verfahrensrechtlich nicht ausreichend.

Zwar gilt für die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels, auch soweit es um die Rechtzeitigkeit der Einlegung und in diesem Rahmen um die Entkräftung des aus einem Empfangsbekenntnis ersichtlichen Zustellungsdatums geht, der sogenannte Freibeweis (vgl. z.B. BGH, Beschlüsse vom 9. Juli 1987 - VII ZB 10/86 - NJW 1987, 2875, 2876 und vom 30. Oktober 1997 - VII ZB 19/97 - VersR 1998, 1439 m.w.N.). Dadurch werden aber die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung nicht herabgesetzt; zur Beweisführung hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen ist voller Beweis zu erbringen (vgl. BGH, Beschluß vom 26. Juni 1997 - V ZB 10/97 - NJW 1997, 3319). Eidesstattliche Versicherungen können zwar im Rahmen des Freibeweises berücksichtigt werden (vgl. BGH, Beschluß vom 16. Mai 1991 - IX ZB 81/90 - NJW 1992, 627, 628); ihr Beweiswert, der lediglich auf Glaubhaftmachung angelegt ist, wird aber zum Nachweis der Fristwahrung regelmäßig nicht ausreichen (vgl. BGH, Beschluß vom 26. Juni 1997 - V ZB 10/97 - NJW 1997, 3319, 3320). Insoweit muß dann vielmehr auf die Vernehmung der Beweispersonen - etwa des Rechtsanwalts oder seines Personals - als Zeugen oder auf andere Beweismittel zurückgegriffen werden.

3. Demgemäß konnte das Berufungsgericht, wenn es den Inhalt der vorgelegten Erklärungen nicht für zur Beweisführung hinreichend aussagekräftig erachtete, die streitige Frage des Datums der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils nicht allein unter Würdigung der vorgelegten anwaltlichen und eidesstattlichen Versicherungen abschließend klären; auch im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erachtet der Senat die insoweit gebotene Prüfung lediglich unter Heranziehung der weiter vorgelegten Versicherungen für nicht möglich. Vielmehr könnte eine abschließende prozeßordnungsgemäße Klärung des Zustellungsdatums nur nach einer die volle Überzeugungsbildung ermöglichenden Beweiserhebung, etwa einer Vernehmung des Rechtsanwalts B. und der Anwaltsgehilfin K. als Zeugen, erfolgen. Zwar haben sich die Beklagten im bisherigen Verfahren - wegen ihres Irrtums, die vorgelegten Versicherungen seien ausreichend - nicht auf die Vernehmung dieser Zeugen berufen. Indessen wäre bereits das Berufungsgericht, hätte es die aufgezeigten verfahrensrechtlichen Erfordernisse erkannt, gehalten gewesen, die Parteien darauf hinzuweisen, daß zur Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsmittels die vorgelegten Glaubhaftmachungsmittel nicht ausreichen. Es hätte daher schon im Berufungsverfahren den Beklagten Gelegenheit gegeben werden müssen, Zeugenbeweis anzutreten.

4. Bei dieser Sachlage sieht der Senat davon ab, das gegebenenfalls erforderlich werdende weitere Beweisverfahren zur Klärung des Zustellungsdatums im Beschwerderechtszug durchzuführen. Vielmehr erscheint es angebracht, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, der auch im Ergebnis auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler beruhen kann, die Sache zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

5. Sollte das Berufungsgericht auch im weiteren Verfahrensgang zu der Beurteilung gelangen, die Berufungseinlegung sei verspätet erfolgt, so wird hinsichtlich des hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrags zu bedenken sein:

Der bisherigen Beurteilung des Berufungsgerichts, die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 ZPO für den Wiedereinsetzungsantrag sei nicht eingehalten, kann nicht gefolgt werden. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß das der rechtzeitigen Berufungseinlegung entgegenstehende Hindernis spätestens im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Rechtsmittelbegründung behoben gewesen sei. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß dem zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, als er die Revisionsbegründung fertigte, aus den ihm zu dieser Zeit vorliegenden Unterlagen bei gehöriger Prüfung die verspätete Berufungseinlegung erkennbar gewesen wäre.

Ende der Entscheidung

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