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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 04.07.2000
Aktenzeichen: VI ZR 192/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 826 B, Ge
BGB § 826 B, Ge

Eine nach den Vorschriften des Anfechtungsgesetzes anfechtbare Rechtshandlung kann eine Schadensersatzpflicht nach § 826 BGB auslösen, wenn über den Anfechtungstatbestand hinaus Umstände vorliegen, die den Vorwurf der Sittenwidrigkeit rechtfertigen.

BGH, Urteil vom 4. Juli 2000 - VI ZR 192/99 - OLG Koblenz LG Mainz


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VI ZR 192/99

Verkündet am: 4. Juli 2000

Holmes, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2000 durch den Vorsitzenden Richter Groß und die Richter Dr. Lepa, Dr. Müller, Dr. Dressler und Dr. Greiner

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 11. Dezember 1998 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin lebt seit 1990 von ihrem Ehemann getrennt, dessen Lebensgefährtin die Beklagte ist. 1991/1992 wurde ein erster Prozeß über Trennungsunterhalt geführt und 1992 das Scheidungsverfahren anhängig gemacht. In einem weiteren Prozeß wegen Trennungsunterhalts ist der Ehemann der Klägerin durch rechtskräftiges Urteil vom 11. Januar 1996 zur Zahlung von Rückständen sowie von laufendem Trennungsunterhalt in Höhe von monatlich 3.900 DM verurteilt worden. Weil die Vollstreckung nur in Höhe von 1.247,64 DM monatlich gelingt, nimmt die Klägerin die Beklagte gemäß § 826 BGB auf Schadensersatz in Anspruch und stützt sich hierzu auf folgenden unstreitigen Sachverhalt:

Ihr Ehemann war Inhaber einer als KG geführten Bauunternehmung, die ihm in der Vergangenheit Privatentnahmen in der Größenordnung von jährlich etwa 150.000 DM ermöglichte. 1994 löste der Ehemann der Klägerin die KG auf, übertrug deren Anlagevermögen auf eine von der Beklagten als Alleingesellschafterin übernommene GmbH und setzte seine Tätigkeit als deren Angestellter fort. Von seinem Nettomonatseinkommen in Höhe von 4.647,64 DM verbleiben nach Abzug eines vorab der Beklagten zur Bedienung eines mit dieser abgeschlossenen Darlehensvertrags verpfändeten Teilbetrags von 1.800 DM noch 1.247,64 DM für den Vollstreckungszugriff der Klägerin.

Die Klägerin hat behauptet, die Übertragung des wirtschaftlich gesunden und ertragreichen Baugeschäfts auf die Beklagte und der Übertritt ihres Ehemannes in ein Anstellungsverhältnis seien allein zu dem Zweck erfolgt, die Durchsetzung ihrer Unterhaltsansprüche zu verhindern. Sie hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie als Schadensersatz für entgangenen Unterhalt Rückstände von 39.402,12 DM nebst 4 % Zinsen sowie ab 1. Oktober 1996 monatlich 2.652,36 DM zu zahlen. Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und hierzu geltend gemacht, die "Umgründung" sei wirtschaftlich erforderlich gewesen, weil die KG überschuldet gewesen sei. Sie selbst habe durch Einbringung eigener Mittel erreicht, daß der Geschäftsbetrieb im Rahmen der GmbH habe fortgesetzt werden können. Der Ehemann der Klägerin sei aus persönlichen Gründen zur selbständigen Fortführung der KG nicht mehr imstande gewesen und habe sich deshalb auf die Angestelltentätigkeit beschränkt, die angemessen entlohnt werde.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht meint, der von der Klägerin dargelegte und beweisbare Sachverhalt erschöpfe sich allenfalls in einem möglichen Anfechtungstatbestand gegenüber der GmbH, möglicherweise verknüpft mit einem Durchgriff auf die Beklagte gemäß § 11 AnfG, reiche jedoch für einen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB nicht aus. Soweit der Sachverhalt dem Anfechtungsgesetz unterfalle, sei der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zunächst als Voraussetzung für eine deliktische Schadensersatzpflicht aus Gründen der Gesetzeskonkurrenz das weitere Erfordernis zu entnehmen, daß über den Nachweis der Anfechtungsvoraussetzungen hinaus der Nachweis besonderer sittlich anstößiger Unrechtsmomente konkret möglich sei, die es innerlich rechtfertigten, über die bloße einzelne Vermögensverschiebung hinaus eine umfassende, sogar auch fortlaufende schadensersatzrechtliche Restitutionsverpflichtung zu statuieren. Allerdings verstehe der Senat die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht dahin, daß für den Gläubiger eines Anfechtungssachverhalts, der zugleich Unterhaltsgläubiger sei, bereits ohne weiteres der Weg zu § 826 BGB eröffnet sei. Nach der rechtsdogmatischen Konzeption entfalte das Anfechtungsgesetz für seinen Anwendungsbereich eine grundsätzliche Sperrwirkung für das Eingreifen von Deliktstatbeständen, so daß auch in den Fällen mit Unterhaltsbezug nicht etwa ein allgemeiner Satz gelte, daß dann, wenn denn ein Sachverhalt überhaupt und für sich gesehen als vorsätzlich sittenwidrige Schädigung im Sinne von § 826 BGB beurteilt werden könne, schon immer und ohne weiteres die Schadensersatzsanktion der Bestimmung einzutreten hätte. Dies bedeute, daß über die tatbestandlichen Anforderungen von § 826 BGB hinaus zur "Verdrängung" des Vorrangs des Anfechtungsgesetzes weitere spezifische Voraussetzungen gegeben sein müßten, für die der Senat freilich der bisherigen Rechtsprechung keine klaren Anhaltspunkte zu entnehmen vermöge.

Vorliegend könne die Klägerin nach der gegebenen Beweissituation konkrete Tatsachenbehauptungen objektiver Natur zunächst lediglich durch sachverständige Auswertung vorliegender Unterlagen beweisen. Soweit sie Zeugenbeweis antrete oder sich auf ihre eigene Parteivernehmung berufe, handele es sich teils um unerhebliche Nebenpunkte, teils um derart allgemein gehaltene Behauptungen, daß eine Beweiserhebung Ausforschung sei. Für die zahlreichen Anträge der Klägerin auf Vorlegung weiterer Unterlagen fehle es durchweg an den Voraussetzungen einer Vorlegungspflicht der Beklagten gemäß § 422 oder § 423 ZPO. Deshalb bleibe allein die Möglichkeit von Rückschlüssen aufgrund sachverständiger Beratung aus vorliegenden Unterlagen über die geschäftliche Situation der KG vor der Übertragung des Baugeschäfts auf die GmbH. Insofern gehe der Senat davon aus, daß eine zwingende Notwendigkeit zu der erfolgten "Umgründung" aus den Geschäftsdaten nicht ableitbar sei und sehr wohl in Betracht komme, daß die KG im Hinblick auf ihre laufende Tätigkeit wirtschaftlich solide und lebensfähig gewesen sei, was die Klägerin wohl auch durch Sachverständigengutachten nachweisen könne. Dennoch sei letztendlich von einem Scheitern der der Klägerin möglichen Beweisführung auszugehen und könne die Klage keinen Erfolg haben. Es möge zwar nachweisbar sein, daß ein effektiver Substanzwert der KG ohne hinreichende Gegenleistung auf die GmbH übertragen worden sei, möglicherweise auch ein entsprechend anfechtbarer Abfluß an die Beklagte. Eine besondere sittliche Beanstandung dieser Vorgänge im Rahmen von § 826 BGB vermöge der Senat demgegenüber allein aufgrund des Umstands, daß es sich bei den Ansprüchen der Klägerin um Unterhaltsansprüche handele und weil die Beklagte ggf. als Lebensgefährtin des Ehemanns der Klägerin an deren Beeinträchtigung vorsätzlich mitgewirkt hätte, nicht festzustellen.

II.

Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.

1. Mit Recht rügt die Revision, daß das Berufungsgericht bei seinen Ausführungen zur Gesetzeskonkurrenz zwischen Anfechtungsgesetz und § 826 BGB schon im Ansatz die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB im Fall einer Beeinträchtigung von Unterhaltsansprüchen verkannt hat.

Zutreffend ist zwar der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß § 826 BGB in einem Fall, in dem die Anfechtung des zur Unterhaltsbeeinträchtigung führenden Rechtsgeschäfts nach dem Anfechtungsgesetz in Betracht kommt, nur dann Anwendung finden kann, wenn über den Anfechtungstatbestand hinausgehende besondere Umstände das Urteil der Sittenwidrigkeit tragen (Senatsurteil vom 2. Dezember 1969 - VI ZR 259/67 - WM 1970, 404; BGHZ 130, 314, 330 f.; BGH, Urteil vom 12. Februar 1996 - II ZR 279/94 - VersR 1996, 1287 = NJW 1996, 1283). Soweit jedoch das Berufungsgericht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und insbesondere das letztgenannte Urteil dahin verstehen will, daß zur Verdrängung des Vorrangs des Anfechtungsgesetzes über die tatbestandlichen Anforderungen von § 826 BGB hinaus weitere spezifische Voraussetzungen gegeben sein müßten, um eine Haftung nach dieser Vorschrift zu begründen, liegt dem ein Mißverständnis zugrunde. Wie die genannten Urteile mit Deutlichkeit ergeben und wie dies auch dem jeweiligen Normzweck entspricht, müssen vielmehr die das Sittenwidrigkeitsurteil tragenden besonderen Umstände gegenüber dem Tatbestand des Anfechtungsgesetzes hinzutreten, nicht aber zusätzlich zu den Voraussetzungen des § 826 BGB. Bezeichnenderweise vermag das Berufungsgericht denn auch nicht anzugeben, worin die von ihm angenommenen zusätzlichen Erfordernisse bestehen könnten. Jedenfalls erweist sich seine Auffassung zu den Voraussetzungen einer Haftung nach § 826 BGB bei gleichzeitigem Vorliegen eines Anfechtungstatbestandes als rechtsirrig, weil es hierfür keiner "besonderen" sittlichen Beanstandungen über die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 826 BGB hinaus bedarf. Vielmehr kommt es darauf an, ob der beanstandete Vorgang über einen bloßen Anfechtungstatbestand hinaus noch besondere Umstände aufweist, die den Vorwurf der Sittenwidrigkeit im Sinn von § 826 BGB rechtfertigen.

2. Durch seine unzutreffende Rechtsauffassung hat sich das Berufungsgericht den Blick darauf verstellt, daß unter den Umständen des Streitfalls eine Haftung aus § 826 BGB nicht schon aus Rechtsgründen ausgeschlossen werden kann. In dem schon erwähnten Urteil vom 2. Dezember 1969 (aaO) hat der erkennende Senat nämlich nicht nur ausgeführt, daß eine nach dem Anfechtungsgesetz anfechtbare Rechtshandlung zugleich die Merkmale einer unerlaubten Handlung nach § 826 BGB erfüllen könne, wenn über den bloßen Anfechtungstatbestand hinaus Umstände vorlägen, die der Verhaltensweise der Beteiligten den Stempel der Sittenwidrigkeit aufdrückten; er hat vielmehr diese Voraussetzungen für den damaligen Fall bejaht, in dem ein Unterhaltspflichtiger mit einem Dritten zu dessen Gunsten zusammengewirkt hatte, um die Unterhaltsansprüche des Berechtigten zu vereiteln, so daß sich eine Schadensersatzpflicht des Dritten gemäß § 826 BGB ergibt.

Nach diesen Grundsätzen kann im Streitfall eine Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB aufgrund des bisherigen Sach- und Streitstandes nicht ohne weiteres verneint werden, zumal das Berufungsgericht selbst unterstellt, daß die KG ohne hinreichende Gegenleistung zugunsten der Beklagten auf diese übertragen worden sei und die Beklagte hierdurch vorsätzlich an der Beeinträchtigung von Unterhaltsansprüchen der Klägerin mitgewirkt habe. Angesichts dieser Unterstellung, die im Hinblick auf die vom Berufungsgericht übergangenen Beweisanträge der Klägerin auch aus revisionsrechtlicher Sicht geboten ist, kommt nach den dargelegten Grundsätzen eine Haftung der Beklagten nach § 826 BGB in Betracht (zu einem vergleichbaren Sachverhalt auch Senatsurteil vom 24. März 1964 - VI ZR 244/62 - WM 1964, 642 m.w.N.).

III.

Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Bei der erneuten Behandlung der Sache wird das Berufungsgericht unter Beachtung der oben dargelegten Rechtsauffassung die Beweisantritte der Klägerin im einzelnen darauf zu prüfen haben, ob sie den geltend gemachten Anspruch aus § 826 BGB stützen. Schon jetzt ist darauf hinzuweisen, daß das vom Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil geübte Verfahren, die Beweisantritte pauschal teils als auf unerhebliche Nebenpunkte bezogen, teils als unzulässigen Ausforschungsbeweis anzusehen, durchgreifenden verfahrensrechtlichen Bedenken begegnet, wie sie von der Revision auch geltend gemacht werden. Diese weist ferner mit Recht darauf hin, daß es sich bei den Anträgen der Klägerin auf Parteivernehmung entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts durchweg um den Antrag auf Vernehmung der Beklagten als Partei, nicht jedoch auf eigene Parteivernehmung der Klägerin handelt. Auch dies wird das Berufungsgericht zu beachten haben.



Ende der Entscheidung

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