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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 11.07.2006
Aktenzeichen: VI ZR 23/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 531 Abs. 2
ZPO § 544 Abs. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VI ZR 23/06

vom 11. Juli 2006

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Juli 2006 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, die Richter Dr. Greiner und Wellner, die Richterin Diederichsen und den Richter Pauge

beschlossen:

Tenor:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 7. Dezember 2005 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 75.793,44 €

Gründe:

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.

2. Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, das Berufungsgericht habe Vortrag der Klägerin in deren Schriftsatz vom 18. November 2005 verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts handelte es sich bei der Behauptung der Klägerin, der Beklagte habe das beanstandete Schreiben auch an das Finanzamt S. und die Schule der Tochter des Geschäftsführers der Klägerin gerichtet, nicht um neuen Vortrag im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO. Der Beklagte hat diese Behauptungen nämlich nicht bestritten. § 531 Abs. 2 ZPO ist aber auf solche Tatsachen nicht anwendbar, die im Berufungsrechtszug zwar erstmals vorgetragen werden, aber unstreitig bleiben (BGHZ 161, 138, 141 ff.; BGH, Urteile vom 6. Dezember 2004 - II ZR 394/02 - NJW-RR 2005, 437 und vom 13. Juli 2005 - IV ZR 47/04 - FamRZ 2005, 1555, 1557).

Hinzu kommt, dass der Vortrag der Klägerin auch deshalb hätte berücksichtigt werden müssen, weil es sich um eine - stets zulässige - Konkretisierung ihres erstinstanzlichen Vorbringens gehandelt hat (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juni 1991 - VIII ZR 129/90 - NJW-RR 1991, 1214, 1215 und vom 26. Juni 2003 - VII ZR 281/02 - NJW-RR 2003, 1321, 1322). Die Klägerin hat in der Berufungsbegründung zu ihrem erstinstanzlichen Vortrag, der Beklagte habe das Schreiben flächendeckend verbreitet, behauptet, er habe das Schreiben an Kunden und Nichtkunden der Klägerin gesandt. Dazu hat sie 39 Empfänger genannt, darunter u.a. den örtlichen Fußballverein, das Finanzamt S. und die T.-H.-Schule. Der Beklagte hat sich in seiner Berufungserwiderung lediglich auf den Standpunkt gestellt, die Versendung des Schreibens an die genannten 39 Adressaten könne man nicht als "flächendeckend" bezeichnen. Er hat sogar "knapp 100" Faxschreiben eingeräumt und gemeint, dies sei keine "flächendeckende Verbreitung". Dass unter den Adressaten auch Finanzbeamte und Lehrer gewesen seien, sei nicht zu beanstanden, da auch diese ordentlich verdienten und deswegen als Käufer von Eigentumswohnungen in Betracht kämen.

3. Das Berufungsurteil beruht auf dem Verfahrensfehler. Das Berufungsgericht hat die Klageansprüche als unbegründet erachtet, weil das beanstandete Schreiben keine unwahren Tatsachenbehauptungen enthalte, eine Meinungsäußerung im Vordergrund stehe und die eingeschränkten Voraussetzungen, unter denen die Unterlassung der Behauptung einer wahren Tatsache unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in das Recht am Unternehmen verlangt werden könne, im Streitfall nicht vorlägen, weil sich der Beklagte hier mit Erfolg auf Wahrnehmung berechtigter Interessen (Rechtsgedanke des § 193 StGB) berufen könne. Die dabei vorzunehmende Abwägung ergebe, dass das von ihm wahrgenommene Interesse seiner Auftraggeber an der Verbreitung des Schreibens überwiege.

Nicht auszuschließen ist, dass das Ergebnis dieser Abwägung anders ausgefallen wäre, wenn das Berufungsgericht den vermeintlich als neu angesehenen und deshalb nicht berücksichtigten Tatsachenvortrag der Klägerin in seine Beurteilung einbezogen hätte. Das Berufungsgericht hat sich nämlich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die mit der Versendung des Faxschreibens erfolgte Information über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Geschäftsführer der Klägerin unter dem Blickwinkel der Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt war, obwohl die Versendung u.a. auch an das Finanzamt S., den örtlichen Fußballverein und die Schule der Tochter des Geschäftsführers der Klägerin erfolgt ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für die Beurteilung der Frage der Zulässigkeit der Verbreitung wahrer Tatsachen, die einen ungünstigen Schluss auf die Kreditwürdigkeit eines Kaufmanns zulassen, eine gewissenhafte Abwägung der konkurrierenden Interessen vorzunehmen, wobei insbesondere zu prüfen ist, ob die Verbreitung an einen mehr oder weniger großen Personenkreis unbedingt notwendig war und mit der größtmöglichen Schonung der berechtigten Interessen des Betroffenen erfolgte (BGHZ 8, 142, 145 f.; vgl. auch Senatsurteil BGHZ 161, 266, 269 f. ["Prangerwirkung"]). Dies wird das Berufungsgericht bei erneuter Befassung zu berücksichtigen haben.

Ende der Entscheidung

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