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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 30.05.2000
Aktenzeichen: VI ZR 300/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 197
BGB § 197

Für Schadensersatzansprüche auf rückständige Rententeile, die den Mehrbedarf des Verletzten betreffen, gilt ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund die vierjährige Verjährungsfrist des § 197 BGB.

BGH, Urteil vom 30. Mai 2000 - VI ZR 300/99 - OLG Brandenburg LG Neuruppin


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VI ZR 300/99

Verkündet am 30. Mai 2000

Böhringer-Mangold, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. Mai 2000 durch den Vorsitzenden Richter Groß und die Richter Dr. von Gerlach, Dr. Müller, Dr. Dressler und Wellner

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 11. August 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von mehr als 6.000 DM nebst Zinsen verurteilt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 20. Januar 1999 zurückgewiesen.

Die weitergehende Revision der Beklagten wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 7/10, die Beklagte 3/10 zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der 1981 geborene Kläger erlitt infolge eines Behandlungsfehlers bei seiner Geburt im damaligen Bezirkskrankenhaus N. einen frühkindlichen Hirnschaden (infantile Cerebralparese), in deren Folge er zu 100% behindert ist. Er begehrt deshalb von der Beklagten als Rechtsnachfolgerin des Krankenhauses den Ersatz des seinem Vater wegen seiner Betreuung entstandenen Verdienstausfalls für die Zeit vom 1. Januar 1991 bis 31. März 1995.

Die Staatliche Versicherung der DDR als Haftpflichtversicherer des Krankenhauses erkannte mit Schreiben vom 4. November 1986 ihre Einstandspflicht hinsichtlich der Schadensersatzansprüche des Klägers im allgemeinen und sodann auch bezüglich des auf seine Betreuung zurückzuführenden Verdienstausfalls seines Vaters dem Grunde nach an. Nach Abrechnung vom 19. September 1989 vergütete sie zunächst einen durchschnittlichen monatlichen Nettoverdienstausfall von 877,90 Mark der DDR. In deren Rechtsnachfolge erstattete die Deutsche Versicherungs AG seit September 1990 einen Nettoverdienstausfall von 906,90 DM.

Für die Zeit ab 1. August 1991 errechnete letztere mit Schreiben vom 3. Juli 1991 einen erstattungsfähigen Verdienstausfall des Vaters des Klägers von 905,96 DM, zog hiervon jedoch das seit dem 1. Januar 1991 von der AOK B. an den Kläger zur Sicherstellung der häuslichen Pflegehilfe gewährte monatliche Pflegegeld in Höhe von 400 DM ab. Sie verrechnete dieses mit den von ihr erbrachten Leistungen rückwirkend ab 1. Januar 1991, bis die Leistungen der AOK zum 31. März 1995 eingestellt wurden. Seitdem erhält der Kläger als Schwerstpflegebedürftiger Leistungen der sozialen Pflegeversicherung sowie zur Abdeckung seiner gesamten Mehraufwendungen Zahlungen von der Rechtsnachfolgerin der Haftpflichtversicherung des Schädigers.

Das Landgericht hat die am 5. Oktober 1998 eingereichte und alsbald zugestellte Klage wegen Verjährung des geltend gemachten Anspruchs abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die zugelassene Revision der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, daß dem Kläger nach dem Recht der DDR der geltend gemachte Schadensersatzanspruch auf vertraglicher und deliktischer Grundlage zustehe. Es hält den deliktischen Anspruch indessen für verjährt, weil die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 BGB, die seit dem 1. August 1991 erneut zu laufen begonnen habe, bereits im Jahre 1994 abgelaufen sei. Die vertraglichen Ansprüche, für die die 30jährige Verjährungsfrist gelte, seien hingegen noch nicht verjährt.

Der Kläger sei auch berechtigt, den vertraglichen Schadensersatzanspruch für den hier fraglichen Zeitraum geltend zu machen. Ein Forderungsübergang auf die AOK wegen des von dieser gezahlten Pflegegeldes habe mangels Gleichartigkeit nicht stattgefunden. Ebensowenig komme eine Kürzung unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung in Betracht. Das Pflegegeld habe dem Zweck gedient, die Bereitschaft nahestehender Personen zu erhalten und zu fördern, den Betroffenen in dessen gewohnter häuslicher Umgebung zu pflegen. Es habe weder als Entgelt für erbrachte Pflegeleistungen noch als Ausgleich entstandener Aufwendungen gelten sollen.

II.

Die dagegen gerichtete Revision der Beklagten hat zum Teil Erfolg.

Der Kläger kann Zahlung der Rückstände auf den zu ersetzenden Verdienstausfallschaden seines Vaters nur für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis 31. März 1995 verlangen. Für die davor liegenden Jahre 1991 bis 1993 ist hingegen Verjährung eingetreten.

1. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, daß die Beklagte auch für die Zeit nach der Wiedervereinigung verpflichtet ist, im Hinblick auf die Betreuungsbedürftigkeit des Klägers den Verdienstausfall seines Vaters zu ersetzen. Diese Verpflichtung ist zunächst von der Staatlichen Versicherung der DDR und sodann von deren Rechtsnachfolgerin unter der Geltung bundesdeutschen Rechts nach dem Schreiben vom 3. Juli 1991 mit Rechtsbindungswillen anerkannt worden. Ob der diesem Anerkenntnis zugrundeliegende Anspruch des Klägers deliktischer oder auch vertraglicher Natur ist, kann hier offen bleiben, da es darauf im Streitfall nicht ankommt. Denn für die hier allein entscheidungserhebliche Frage der Verjährung macht es keinen Unterschied, ob der Kläger seine Ersatzansprüche wegen fehlerhafter Behandlung bei seiner Geburt nicht nur auf Delikt, sondern auch noch auf Vertragsverletzung stützen kann.

2. Die Ansprüche des Klägers, die gemäß § 474 Abs. 1 Nr. 3 ZGB einheitlich der vierjährigen Verjährungsfrist unterlagen, waren bis zum Ende der DDR nicht verjährt. Nach den unangegriffen gebliebenen Feststellungen des Berufungsgerichts wurde mit dem Anerkenntnis der Ersatzpflicht durch die staatliche Versicherung der DDR am 4. November 1986 und nochmals mit Schreiben vom 19. September 1989 die Verjährung unterbrochen (§ 476 Abs. 1 Nr. 1 ZGB); sie begann am 1. Oktober 1989 erneut zu laufen (§ 476 Abs. 2 ZGB).

Seit dem 3. Oktober 1990 richtet sich die Verjährung hingegen nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGHZ 126, 87, 91). Demgemäß gilt für vertragliche Ansprüche nunmehr die 30jährige und für deliktische Ansprüche die dreijährige Verjährungsfrist (§§ 195, 852 BGB). Diese Fristen begannen am 1. August 1991 erneut zu laufen, nachdem die Verjährung aufgrund der bis zum Juli 1991 erfolgten uneingeschränkten Zahlung und des darin liegenden Anerkenntnisses gemäß § 208 BGB unterbrochen worden war (Senatsurteil vom 12. Juli 1960 - VI ZR 92/59 - VersR 1960, 949; vom 3. Oktober 1967 - VI ZR 7/66 - VersR 1967, 1182).

3. a) Eine Verjährung des dem Kläger zustehenden Stammrechts ist auch danach bis zur Erhebung der Klage im Oktober 1998 nicht eingetreten. Das ist hinsichtlich eines etwaigen Vertragsanspruchs unproblematisch. Aber auch der deliktische Stammanspruch des Klägers war bis zu diesem Zeitpunkt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht verjährt, denn durch die bis heute fortdauernden monatlichen Zahlungen auf das Stammrecht ist die Verjährung jeweils erneut unterbrochen worden. Zwar hat die Deutsche Versicherungs AG seit 1991 monatlich nur einen um 400 DM reduzierten Betrag überwiesen. Gleichwohl hat sie mit der jeweiligen Zahlung stets den Anspruch als solchen dem Grunde nach uneingeschränkt anerkannt. Sie hat sich lediglich für berechtigt gehalten, von dem Gesamtanspruch aus anderem Rechtsgrund einen bestimmten Abzug vorzunehmen. Deshalb erstreckt sich die Unterbrechungswirkung des § 208 BGB auf den Gesamtanspruch und nicht etwa nur auf einen Teil desselben (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 1960 - VI ZR 163/59 - VersR 1960, 831, 832).

b) Von diesem Stammanspruch zu unterscheiden sind dagegen die Ansprüche auf Rückstände von regelmäßig wiederkehrenden Leistungen. Für solche Einzelansprüche gilt, was das Berufungsgericht verkannt hat, die vierjährige Verjährungsfrist gemäß § 197 BGB (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 1960 aaO; vom 3. Juli 1973 - VI ZR 38/72 - VersR 1973, 1066, 1067; vom 24. Juni 1980 - VI ZR 188/78 - VersR 1980, 927), und zwar ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund (vgl. BGHZ 28, 144, 148 f.). Zu den wiederkehrenden Leistungen im Sinne des § 197 BGB gehören auch Rückstände auf monatliche Renten nach § 843 BGB (Senatsurteil vom 24. Juni 1980 aaO; BGH Urteil vom 3. November 1988 - IX ZR 203/87 - NJW-RR 1989, 215). Für diejenigen, die ihre Grundlage in § 338 ZGB haben oder nach dem Recht der DDR auf vertraglicher Schadensersatzpflicht beruhen, kann nichts anderes gelten. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung handelt es sich nicht um den Ersatz von Heilungskosten, sondern um den von Mehraufwendungen.

Gemäß § 201 BGB beginnt die vierjährige Verjährungsfrist des § 197 BGB mit dem Schluß des Jahres, in dem die Ansprüche hätten geltend gemacht werden können. Das bedeutet hier, daß hinsichtlich der Einzelansprüche auf die rückständigen monatlichen Rententeile in Höhe von je 400 DM aus den Jahren 1991 bis 1993 Verjährung mit Ablauf der Jahre 1995, 1996 und 1997 eingetreten ist. Lediglich die Rückstände für die anschließende Zeit vom 1. Januar 1994 bis 31. März 1995 waren bei Erhebung der Klage im Oktober 1998 noch nicht verjährt. Der Kläger kann deshalb von der Beklagten nur die Zahlung von 6.000 DM (15 Monate x 400 DM) verlangen.

c) Hinsichtlich dieses Betrages hat ein Forderungsübergang auf die AOK, die in diesem Zeitraum an den Kläger ein Pflegegeld von monatlich 400 DM gezahlt hat, nicht stattgefunden. Denn bei der aufgrund der §§ 53 ff. SGB V a.F. und § 69 BSHG gewährten häuslichen Pflegehilfe handelte es sich um eine dem Schadensersatz sachlich nicht kongruente soziale Leistung im Sinne des § 116 Abs. 1 SGB X. Das nach diesen Vorschriften gewährte Pflegegeld stellt weder ein Entgelt für schadensbedingt erbrachte Pflegeleistungen dar, noch bezweckt es den Ausgleich entstandener Aufwendungen; vielmehr dient es in erster Linie der Erhaltung der Pflegebereitschaft (vgl. Knopp/Fichtner, BSHG, Kommentar 7. Aufl., § 69 Rdn. 15 und 6). Deshalb kommt auch eine Anrechnung unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung nicht in Betracht (vgl. BGHZ 77, 151, 154; 91, 206, 210; 136, 52, 54 f.). Dagegen wendet sich die Revision auch nicht.

III.

Danach ist das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit die Beklagte zur Zahlung von mehr als 6.000 DM nebst Zinsen verurteilt worden ist. Da es weiterer Feststellungen nicht bedarf, macht der Senat von der Möglichkeit einer abschließenden Entscheidung durch Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils im Umfang der Aufhebung Gebrauch.

Ende der Entscheidung

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