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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 10.11.2005
Aktenzeichen: VII ZR 137/04
Rechtsgebiete: BGB, VOB/B


Vorschriften:

BGB § 633 Abs. 2 Satz 3 a.F.
VOB/B § 13 Nr. 6 C
a) Birgt die Mangelhaftigkeit eines Straßenbelags das Risiko einer nachhaltigen Funktionsbeeinträchtigung, besteht grundsätzlich ein objektiv berechtigtes Interesse des Auftraggebers an der Mängelbeseitigung.

b) Etwas anderes kann gelten, wenn der Auftragnehmer nachweist, dass sich dieses Risiko aller Voraussicht nach nicht vor einem Zeitpunkt verwirklichen wird, der kurz vor dem Ende der üblichen Nutzungsdauer liegt.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VII ZR 137/04

Verkündet am: 10. November 2005

in dem Rechtsstreit

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. November 2005 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler, die Richter Dr. Kuffer, Prof. Dr. Kniffka, Bauner und die Richterin Safari Chabestari

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision der Streithelferin der Beklagten wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 12. Mai 2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Zahlung eines Kostenvorschusses für die Beseitigung von Mängeln.

Die Klägerin beauftragte die Beklagte unter Geltung der VOB/B mit der Aufbringung der Asphaltdecke an einer Bundesstraße. Lieferantin des bituminösen Gemischs war die Streithelferin der Beklagten. Die Leistung wurde am 30. Oktober 1998 unter Vorbehalt von im Abnahmeprotokoll bezeichneten Mängeln abgenommen. Beanstandet wurden unter anderem vereinzelte raue Stellen in der Fahrbahnoberfläche.

Im März und im Juni 1999 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass es auf der aufgebrachten Asphaltdecke zu Kornverletzungen und Zersetzungen gekommen sei und forderte die Beklagte zur Beseitigung der Mängel auf. Die Beklagte lehnte die Mängelbeseitigung ab.

Die Klägerin begehrt die Zahlung eines Kostenvorschusses in Höhe von 160.668,56 € sowie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, weitere, diesen Betrag übersteigende, erforderliche Nachbesserungskosten zu bezahlen.

Das Landgericht hat dem Feststellungsbegehren und dem Zahlungsantrag unter Berücksichtigung eines von der Beklagten in Abzug gebrachten Minderungsbetrages wegen Nichteinhaltung der Grenzwerte von Einbaudicke und Ebenheit des Asphalts in Höhe von 145.476,61 € stattgegeben.

Auf die Berufung der Streithelferin hat das Berufungsgericht das Urteil abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Kosten der Mängelbeseitigung eine unwiderrufliche, unbedingte Bürgschaft auf erstes Anfordern für die Jahre 2004 bis 2015 mit einer in Höhe von 117.356,90 € beginnenden und jährlich bis auf den Betrag von 50.000 € abnehmenden Bürgschaftsschuld zu stellen.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Streithelferin der Beklagten fort. Die Streithelferin der Beklagten begehrt mit ihrer Anschlussrevision, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision und die Anschlussrevision sind begründet. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Auf das Schuldverhältnis sind die bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Rechtsvorschriften anwendbar (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).

I.

Das Berufungsgericht teilt die Ansicht des Landgerichts, dass die hergestellte Straße mangelhaft ist. Die Mängel seien "an sich unstreitig". Sie führten dazu, dass die übliche Nutzungsdauer von 16 Jahren deutlich unterschritten werde. Jedoch sei die Beseitigung der Mängel derzeit unzumutbar, so dass die Beklagte die Mängelbeseitigung gemäß § 13 Nr. 6 Satz 1 VOB/B verweigern könne. Die beabsichtigte vertragliche Nutzung mache die Mängelbeseitigung nicht unausweichlich. Die Funktionsfähigkeit des Werkes sei erst dann spürbar beeinträchtigt, wenn die "Warnwerte" erreicht seien. Erst ab dem Zeitpunkt, bei dem es unbedingt wirtschaftlich notwendig sei, Erhaltungsmaßnahmen durchzuführen ("Warnwert"), sei die Neuherstellung verhältnismäßig. Der Beklagten zumutbar sei allerdings die Absicherung der Kosten der Neuherstellung durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern. Unter Berücksichtigung der Vollherstellungskosten inklusive Planungskosten von insgesamt 175.668,65 € ./. 16 errechne sich linear ein Betrag von 10.979,29 € je Nutzungsjahr, woraus sich die jeweilige Bürgschaftsschuld ergebe.

II.

1. Die Verurteilung der Beklagten zur Bürgschaftsbestellung hält den Angriffen der Anschlussrevision nicht stand.

a) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings die Beurteilung des Berufungsgerichts, der hergestellte Straßenbelag sei mangelhaft.

aa) Welche Mängel vorliegen, hat das Berufungsgericht durch Bezugnahme (§ 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO) auf die tatsächlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils ausgewiesen. Dort ist festgestellt, dass der aufgebrachte Asphalt nicht den nach den anerkannten Regeln der Technik vorgegebenen Qualitätsanforderungen entspricht. Die tatsächliche Einbaudicke von 3,3 cm im Mittelwert weicht 0,7 cm von der geschuldeten Solldicke von 4 cm ab. Der Bitumengehalt weist statt eines Sollwerts von 6,6 Masseprozent nur einen Mittelwert von 6,0 auf. Der Hohlraumgehalt der Deckschicht überschreitet die zulässige Obergrenze von 6,0 Volumenprozent im Mittel um 1,8 Volumenprozent. Der Verdichtungsgrad des Asphalts beträgt im Mittelwert 95,1 % statt der erforderlichen 97 %. Ferner ist der vorgegebene Splittgehalt, der Grobkörneranteil und der Fremdfülleranteil unterschritten. Diesen konkreten Feststellungen tritt die Anschlussrevision nicht entgegen.

bb) Rechtsfehlerfrei ist auch die Feststellung, dass diese Mängel zu einer Verkürzung der Nutzungsdauer der Deckschicht führen, wodurch die übliche Zeit der Nutzbarkeit eines solchen Straßenbelags von im Schnitt 16 Jahren unterschritten werde. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Anschlussrevision sind nicht begründet. Dem steht nicht entgegen, dass der Sachverständige die verringerte Nutzungsdauer nicht berechnen konnte und nur Vermutungen darüber anzustellen vermochte, wann der "Warnwert" überschritten sein und Erhaltungsmaßnahmen unabdingbar werden würden. Die Verkürzung der Nutzungsdauer steht nicht in Frage, sondern nur deren Ausmaß. Die Asphaltdecke ist mangelhaft und ihre Gebrauchstauglichkeit gemindert.

b) Dieser Mangel rechtfertigt nicht die ausgesprochene Verurteilung zur Stellung einer Sicherheit.

aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin kein Anspruch auf Bürgschaftsbestellung für möglicherweise später entstehende Kosten einer Mangelbeseitigung zu. Weder das Gewährleistungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch die vertraglichen Vereinbarungen auf der Grundlage der VOB/B kennen einen derartigen Anspruch, auch nicht für den hier vom Berufungsgericht angenommenen Fall einer Unzumutbarkeit der sofortigen Mängelbeseitigung.

bb) Im Übrigen hat die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Stellung einer Bürgschaft nicht beantragt. Gegenüber ihrem Zahlungs- und Feststellungsantrag stellt sich der Verurteilungsausspruch als ein aliud dar, das die dem Berufungsgericht in § 308 ZPO gesetzten Schranken überschreitet. Dieser Verfahrensverstoß ist im Revisionsrechtszug von Amts wegen zu beachten.

2. Auch die Revision der Klägerin hat Erfolg. Die getroffenen Feststellungen tragen die Abweisung ihres Zahlungs- und Feststellungsantrags nicht.

Der Ansicht des Berufungsgerichts, die Beseitigung des Mangels sei derzeit unzumutbar, so dass die Beklagte die Mängelbeseitigung verweigern könne, kann nicht gefolgt werden.

a) Nach § 633 Abs. 2 Satz 3 BGB, § 13 Nr. 6 VOB/B kann der Unternehmer die Beseitigung eines Mangels verweigern, wenn sie einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert. Unverhältnismäßigkeit in diesem Sinne liegt in aller Regel nur dann vor, wenn einem objektiv geringen Interesse des Bestellers an einer mangelfreien Vertragsleistung ein ganz erheblicher und deshalb vergleichsweise unangemessener Aufwand gegenübersteht. Hat der Besteller objektiv ein berechtigtes Interesse an einer ordnungsgemäßen Vertragserfüllung, kann ihm der Unternehmer regelmäßig die Nachbesserung nicht wegen hoher Kosten der Mängelbeseitigung verweigern (BGH, Urteile vom 4. Juli 1996 - VII ZR 24/95, BauR 1996, 858 = ZfBR 1996, 313; vom 24. April 1997 - VII ZR 110/96, BauR 1997, 638 = ZfBR 1997, 249; vom 6. Dezember 2001 - VII ZR 241/00, BauR 2002, 613 = ZfBR 2002, 345 = NZBau 2002, 338).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze durfte das Berufungsgericht der Klägerin den Anspruch auf die Mängelbeseitigungskosten nicht deshalb versagen, weil der "Warnwert", jenseits dessen der Straßenbelag ersetzt werden muss, noch nicht überschritten ist und der Zeitpunkt nicht feststeht, zu dem er überschritten werden wird. Die Klägerin hat nicht erst ab diesem Zeitpunkt ein objektiv berechtigtes Interesse an der Mängelbeseitigung. Dieses hat sie vielmehr grundsätzlich bereits von vornherein wegen des in der Mangelhaftigkeit des Belags liegenden Risikos einer nachhaltigen Funktionsbeeinträchtigung. Das hieraus resultierende berechtigte Interesse an der ordnungsgemäßen Vertragserfüllung steht einer Berufung auf einen unverhältnismäßig hohen Mängelbeseitigungsaufwand grundsätzlich entgegen.

Etwas anderes könnte gelten, wenn die Beklagte nachweisen könnte, dass sich das genannte Risiko der Überschreitung des "Warnwerts" aller Voraussicht nach nicht vor einem Zeitpunkt verwirklichen wird, der kurz vor dem Ende der üblichen Nutzungsdauer liegt. In diesem Fall könnte es nahe liegen, dass der Aufwand einer sofortigen Mängelbeseitigung in keinem angemessenen Verhältnis zu dem damit erzielten Erfolg steht. Bei einem geringen Unterschied zwischen mangelbedingter und vertraglicher Nutzungsdauer kann es gerechtfertigt sein, den Auftraggeber auf die Möglichkeit einer Minderung zu verweisen. Angesichts der Feststellungen des Berufungsgerichts dürfte ein solcher Fall hier eher fern liegen.

Bei der erneut vom Berufungsgericht vorzunehmenden Bewertung wird es zudem berücksichtigen müssen, welche weiteren Auswirkungen die Mängel auf die Nutzung der Straße haben. Je größer der laufende mangelbedingte Erhaltungsaufwand der Klägerin ist, umso weniger kommt die Berufung auf die Unverhältnismäßigkeit des Mängelbeseitigungsaufwands in Betracht.

III.

Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, sich mit den in der Anschlussrevision vorgebrachten Rügen zu befassen, die die Verantwortlichkeit der Beklagten für die Mängel betreffen.

Ende der Entscheidung

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