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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 08.07.2004
Aktenzeichen: VII ZR 24/03
Rechtsgebiete: AGBG


Vorschriften:

AGBG § 9 Abs. 1 Ch
a) Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftraggebers enthaltene Vertragsstrafenklausel mit einer Obergrenze von 10 % in einem Bauvertrag mit einer für die Vertragsstrafe maßgeblichen Abrechnungssumme ab 15 Millionen DM ist auch dann unwirksam, wenn der Vertrag vor dem Bekanntwerden der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23. Januar 2003 - VII ZR 210/01, BGHZ 153, 311 geschlossen worden ist.

b) Bei Verträgen unterhalb einer Abrechnungsumme von 15 Millionen DM kann Vertrauensschutz nur für Verträge in Anspruch genommen werden, die bis zum 30. Juni 2003 geschlossen worden sind.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VII ZR 24/03

Verkündet am: 8. Juli 2004

in dem Rechtsstreit

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juli 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler und die Richter Hausmann, Dr. Wiebel, Prof. Dr. Kniffka und Bauner

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 16. Dezember 2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt die Herausgabe einer Bürgschaft über 2.084.000 DM Zug um Zug gegen Übergabe einer Bürgschaft über 193.200 DM.

Die Rechtsvorgängerin der Klägerin, die B. GmbH, schloß als Auftraggeberin mit der Beklagten einen Generalunternehmervertrag über die Errichtung eines Geschäftshauses in D. zum Pauschalfestpreis von 18.908.000 DM. Der Vertrag enthielt folgende Regelung zur Vertragsstrafe:

Vertragsstrafe gemäß den "Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen - VOB -" wird vereinbart und beträgt bei Überschreitung des Fertigstellungstermins 0,2 % der Bruttoabrechnungssumme pro Arbeitstag (Montag bis Freitag), bei Überschreitung der vertraglichen Zwischentermine (vgl. Ziffer 5.3) 0,2 % der bis zum Zeitpunkt des Zwischentermins zu erbringenden Leistungen pro Arbeitstag (Montag bis Freitag), insgesamt jedoch max. 10 % der Bruttoabrechnungssumme.

Die Beklagte erhielt Bürgschaften nach § 648 a BGB über insgesamt 5.084.000 DM, eine davon über 2.084.000 DM.

Die B. GmbH hat die Herausgabe der Bürgschaft über 2.084.000 DM Zug um Zug gegen Übergabe einer Bürgschaft über 193.200 DM verlangt, weil die durch die Bürgschaft gesicherte Vergütungsforderung in Höhe von 1.890.800 DM durch Aufrechnung mit einem Vertragsstrafenanspruch erloschen sei. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die B. GmbH hat ihre Ansprüche an die Klägerin abgetreten. Diese hat den Rechtsstreit mit deren Einverständnis fortgeführt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Auf das Schuldverhältnis finden die Gesetze in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung Anwendung (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).

I.

Das Berufungsgericht bejaht einen Vertragsstrafenanspruch in Höhe von 1.890.800 DM. Es erkennt deshalb nach Antrag der Klägerin. Das Berufungsgericht führt aus, es könne dahin stehen, ob die Vertragsstrafenklausel unter das AGB-Gesetz falle oder ob es sich um eine zwischen den Parteien individuell ausgehandelte Klausel handele. Ein Verstoß gegen § 9 AGBG liege jedenfalls nicht vor. Die Vertragsstrafe sei nicht verschuldensunabhängig vereinbart, weil die Klausel einen unmißverständlichen Hinweis auf die VOB/B und damit auf § 11 VOB/B enthalte. Die Höhe der vereinbarten Vertragsstrafe begegne mit 0,2 % der Auftragssumme pro Arbeitstag und maximal 10 % der Auftragssumme keinen Bedenken. Die Voraussetzungen für den Vertragsstrafenanspruch lägen vor. Die Beklagte habe jedenfalls den für die Obergeschosse 2 bis 4 vereinbarten Fertigstellungstermin nicht eingehalten und sei mit ihren Leistungen in Verzug geraten.

II.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. In der Revision ist davon auszugehen, daß die Vertragsstrafenklausel eine von der B. GmbH gestellte Allgemeine Geschäftsbedingung ist. Die Revision wendet sich allein gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, diese Klausel halte im Hinblick auf die Obergrenze von 10 % der Inhaltskontrolle stand. Diese Rüge hat Erfolg. Die Klausel ist gemäß § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam.

1. Soweit das Berufungsgericht annimmt, die Klausel begründe keinen verschuldensunabhängigen Vertragsstrafenanspruch, steht das in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2001 - VII ZR 432/00, BGHZ 149, 283, 287).

2. Der Senat hat nach Erlaß des Berufungsurteils entschieden, daß eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftraggebers enthaltene Vertragsstrafenklausel in einem Bauvertrag den Auftragnehmer unangemessen benachteiligt, wenn sie eine Höchstgrenze von über 5 % der Auftragssumme vorsieht (BGH, Urteil vom 23. Januar 2003 - VII ZR 210/01, BGHZ 153, 311, 324). Eine vor dem Bekanntwerden dieser Entscheidung vereinbarte Vertragsstrafenklausel ist allerdings nicht allein deshalb unwirksam, weil sie eine Obergrenze von 10 % enthält. Das verbietet der Vertrauensschutz. Dieser Vertrauensschutz ist durch Entscheidungen des Senats begründet, die eine Obergrenze von 10 % für Verträge mit einem Auftragsvolumen mit bis zu ca. 13 Millionen DM in der Vergangenheit unbeanstandet hingenommen haben (BGH, Urteil vom 23. Januar 2003, aaO).

3. Vertrauensschutz ist einem Auftraggeber hingegen zu versagen, soweit sich aus den früheren Urteilen des Bundesgerichtshofs ergibt, daß die Vertragsstrafenobergrenze von 10 % für bedenklich gehalten wird. Aus der Entscheidung des Senats vom 25. September 1986 (VII ZR 276/84, BauR 1987, 92, 93 = ZfBR 1987, 35) ergeben sich Hinweise darauf, daß auch auf der Grundlage der damaligen Rechtsauffassung eine Obergrenze von 10 % der Bruttoauftragssumme bei deutlich höheren Auftragssummen als ca. 13 Millionen DM nicht mehr hinnehmbar ist. Dem liegt erkennbar die Erwägung zugrunde, daß bei einem hohen Auftragsvolumen die Vertragsstrafe von 10 % der Auftragssumme den Unternehmer erheblich härter treffen kann als bei niedrigen Auftragsvolumen, teilweise hin bis zur Gefährdung seiner Existenz.

4. Der Senat hat bisher nicht entschieden, ab welcher der Vertragsstrafe zugrunde zu legenden Abrechnungssumme Vertrauensschutz nicht in Anspruch genommen werden kann. Im Urteil vom 23. Januar 2003 (aaO) hat er dargelegt, daß jedenfalls bei einem Abrechnungsvolumen von 28 Millionen DM kein Vertrauensschutz mehr zu gewähren ist. Der Senat nimmt den vorliegenden Fall zum Anlaß, die Grenze festzulegen, ab der Vertrauensschutz nicht mehr in Anspruch genommen werden kann. Auszugehen ist davon, daß insbesondere die Entscheidung des Senats vom 25. September 1986 (aaO) ein Vertrauen darauf entwickelt hat, daß bei Abrechnungssummen von bis zu ca. 13 Millionen DM die Obergrenze von 10 % unbedenklich ist. Dieser Entscheidung lag ein Auftrag mit einer Abrechnungssumme von 13.202.203,90 DM zugrunde. Der Senat hat entschieden, daß sich der auf 10 % der dort maßgeblichen Angebotssumme festgesetzte Höchstbetrag der Vertragsstrafe unter Berücksichtigung der Zwecke einer derartigen Strafe in einem noch vertretbaren Rahmen hält. Damit hat er zum Ausdruck gebracht, daß der Rahmen zwar noch nicht erreicht, jedoch nahezu ausgeschöpft ist. Unter Berücksichtigung dieses engen Spielraums und auch des Umstandes, daß sich die wirtschaftliche Situation bei der Vergabe von Bauaufträgen nicht so entwickelt hat, daß eine Erhöhung des Rahmens ernsthaft in Betracht gekommen wäre, hält der Senat einen Vertrauensschutz ab einem Abrechnungsvolumen von 15 Millionen DM für nicht mehr gerechtfertigt. Maßgebend ist die für die Berechnung der Vertragsstrafe vertraglich zugrunde zu legende Abrechnungssumme.

5. Danach kann die Klägerin den Vertrauensschutz nicht in Anspruch nehmen. Die von ihr verwendete Klausel hält der Inhaltskontrolle nach § 9 Abs. 1 AGBG nicht stand.

6. Der Senat weist auf folgendes hin: Nach seinem Urteil vom 23. Januar 2003 (aaO) kann Vertrauensschutz ohnehin nur bis zum Bekanntwerden dieser Entscheidung in Anspruch genommen werden. Der Senat hat seinen Hinweis dahin verstanden, daß seit der Verkündung des Urteils ein angemessener Zeitraum vergehen kann, in dem die betroffenen Verkehrskreise durch Medien oder auf andere Weise über die Änderung der Rechtsprechung informiert werden oder es ihnen zumutbar ist, sich selbst zu informieren. Dieser Zeitraum ist mit dem 30. Juni 2003 abgelaufen.

III.

Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses hat zu klären, ob die Klausel individuell vereinbart ist. Der Senat weist darauf hin, daß das nach dem von der Revisionserwiderung in Bezug genommenen Vortrag nicht der Fall sein dürfte.

Ende der Entscheidung

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