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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 15.10.2003
Aktenzeichen: VIII ZB 39/03
Rechtsgebiete: ZPO, EGZPO, GG


Vorschriften:

ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4
ZPO § 574 Abs. 2
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 234 Abs. 1
EGZPO § 26 Nr. 8
GG Art. 103 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VIII ZB 39/03

vom 15. Oktober 2003

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Oktober 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Hübsch, Dr. Leimert, Wiechers und Dr. Wolst beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluß des 13. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 21. Februar 2003 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 6.083,79 €.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten aufgrund eines Leasingvertrages eine Restzahlung von 6.083,79 €. Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 1. November 2002 abgewiesen. Gegen das ihr am 12. November 2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit am 9. Dezember 2002 beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Am 27. Januar 2003 hat sie die Berufungsbegründung beim Berufungsgericht eingereicht. Mit Verfügung vom 29. Januar 2003 hat der Vorsitzende des Berufungsgerichts der Berufungsbeklagten eine Frist zur Berufungserwiderung bis zum 15. April 2003 gesetzt. Mit Schreiben vom 2. Februar 2003, bei der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 7. Februar 2003 eingegangen, ist diese vom Vorsitzenden des Berufungsgerichts darauf hingewiesen worden, daß die Frist zur Begründung der Berufung am 13. Januar 2003 abgelaufen sei. Daraufhin hat die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 17. Februar 2003, beim Berufungsgericht eingegangen am 18. Februar 2003, unter anderem mitgeteilt:

"In der Anlage übersenden wir das hiesige Schreiben vom 10. Januar 2003, mit welchem wir um stillschweigende Fristverlängerung zur Vorlage der Berufungsbegründung um 14 Tage gebeten haben. Da auch nach telefonischer Rücksprache mit dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main Zivilsenaten in Darmstadt am 13. Januar 2003 einer Fristverlängerung nichts im Raume stand, wurde die Berufungsbegründungsschrift im guten Glauben am 23. Januar 2003 verfaßt. Unser entsprechendes Schreiben vom 10. Januar 2003 fügen wir bei. Auch das Schreiben des Oberlandesgerichts vom 28. Januar 2003, mit welchem der Gegenseite Frist zum 15. April 2003 gesetzt wurde, ließ uns im Glauben, daß die Frist stillschweigend verlängert wurde."

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin durch Beschluß vom 21. Februar 2003 als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Berufung sei erst am 27. Januar 2003 und damit nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist begründet worden. Die Berufungsbegründungsfrist sei entgegen der Auffassung der Berufungsklägerin nicht stillschweigend verlängert worden. Abgesehen davon, daß der Schriftsatz vom 10. Januar 2003, mit dem die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin um 14-tägige stillschweigende Fristverlängerung gebeten habe, nicht zu den Akten gelangt sei, sei grundsätzlich eine schriftliche Verfügung des Vorsitzenden für eine wirksame Fristverlängerung erforderlich. Auch durch die vorgetragene telefonische Rücksprache mit dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Zivilsenaten in Darmstadt, vom 13. Januar 2003, bei der erklärt worden sei, einer Fristverlängerung stehe nichts im Raume, sei die Berufungsbegründungsfrist nicht verlängert worden.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin. Sie meint, die Beschwerde sei zulässig, da sie der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung diene und der Beschluß die Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf ein faires und objektiv willkürfreies Verfahren und in ihrem Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletze.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist zwar nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft (vgl. BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02, NJW 2002, 3029 unter II); daß die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO nicht erreicht ist, ist unschädlich (BGH, Beschluß vom 4. September 2002 - VIII ZB 23/02, NJW 2002, 3783 unter II 1; BGH, Beschluß vom 19. September 2002 - V ZB 31/02, NJW-RR 2003, 132 unter II 1).

2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt.

a) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die Klägerin hat keine rechtliche Divergenz aufzuzeigen vermocht. Eine solche ist nur dann in Betracht zu ziehen, wenn nach den Darlegungen des Beschwerdeführers der angefochtenen Entscheidung ein Rechtssatz zugrunde liegt, der von einem die Entscheidung tragenden Rechtssatz eines höherrangigen Gerichts, eines anderen Spruchkörpers desselben Gerichts oder eines anderen gleichgeordneten Gerichts abweicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. Mai 2002 - V ZB 11/02, VersR 2002, 1257 und vom 4. Juli 2002 - V ZB 75/02, NJW 2002, 2957).

Die Auffassung des Berufungsgerichts, unverzichtbare Voraussetzung für einen Vertrauensschutz im Hinblick auf eine Fristverlängerung sei, daß eine schon erlassene richterliche Entscheidung mitgeteilt worden sei, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 93, 300, 305; Senat, Urteil vom 22. Oktober 1997 - VIII ZB 32/97, NJW 1998, 1155 unter II 1 a aa). Auch die Würdigung des Berufungsgerichts, aus der behaupteten Erklärung, "einer Fristverlängerung stehe nichts im Raum", ergebe sich nicht, daß eine richterliche Entscheidung mitgeteilt worden sei, ist nicht zu beanstanden. Im übrigen ist diese Auskunft nach dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vom 5. Juni 2003 von der Geschäftsstelle erteilt worden.

b) Eine Entscheidung ist - entgegen der Auffassung der Klägerin - auch nicht wegen Verletzung von Verfahrensgrundrechten (Art. 2 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG) geboten. Eine solche Verletzung ist nicht dargelegt. Das Berufungsgericht hat den Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 17. Februar 2003 unter Berücksichtigung der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung gewürdigt. Das Grundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sind gewahrt. Für eine offenkundige Verletzung des Grundrechts auf ein objektiv willkürfreies Verfahren (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.

c) Das Berufungsgericht hat zu Recht davon abgesehen, der Klägerin von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Voraussetzung für eine hierauf gestützte Rechtsbeschwerde ist, daß nach den Darlegungen des Beschwerdeführers ein Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte im Einzelfall klar zutage tritt, also offenkundig ist, und die angefochtene Entscheidung hierauf beruht (BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 aaO unter II 3 b aa). Das Vorbringen der Beschwerdeführerin räumt ein Verschulden ihrer Prozeßbevollmächtigten an der Fristversäumung (§ 233 ZPO) nicht aus. Dieses Verschulden muß sich die Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO anrechnen lassen. Die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat im Schriftsatz vom 17. Februar 2003 nichts dazu vorgetragen, woraus sich ergeben soll, daß der Schriftsatz vom 10. Januar 2003 tatsächlich an das Gericht abgesandt worden ist. In der Begründung der Rechtsbeschwerde wird vorgetragen, daß der Schriftsatz die "Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ordnungsgemäß verlassen habe" und daß die Klägerin den Schriftsatz "ordnungsgemäß zur Post gereicht habe". In der eidesstattlichen Versicherung der Mitarbeiterin der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin heißt es, daß diese den Schriftsatz "auf den Postweg gebracht habe". Es mag offenbleiben, ob es sich bei diesem Beschwerdevorbringen nur um eine zulässige Ergänzung der Begründung des im Schriftsatz vom 17. Februar 2003 grundsätzlich konkludent gestellten Wiedereinsetzungsantrages oder um einen neuen, erst nach Ablauf der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO vorgetragenen und damit nicht zu berücksichtigenden Sachverhalt handelt (vgl. dazu BGH, Beschluß vom 27. September 1989 - IVb ZB 73/89, VersR 1989, 1316). Denn selbst auf der Grundlage des jetzigen Vorbringens sind die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht hinreichend dargetan. Schließlich durfte die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin auch auf die Auskunft der Geschäftsstelle, einer Fristverlängerung stünde nichts im Wege, nicht vertrauen.



Ende der Entscheidung

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