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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 05.10.2005
Aktenzeichen: VIII ZB 52/04
Rechtsgebiete: BRAGO


Vorschriften:

BRAGO § 6 Abs. 1
Vertritt ein Rechtsanwalt mehrere Mieter gegen eine Klage auf Räumung und Herausgabe einer Mietwohnung, ist der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit derselbe im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO. In diesem Fall erhöht sich die Prozessgebühr des Rechtsanwalts für jeden Mitmieter um 3/10.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VIII ZB 52/04

vom 5. Oktober 2005

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Oktober 2005 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Beyer, Wiechers, Dr. Wolst sowie die Richterin Hermanns

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsmittel der Beklagten zu 2) als Erbin des Beklagten zu 1) werden der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Hagen vom 29. April 2004 insgesamt und der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Hagen vom 5. Mai 2003 insoweit aufgehoben, als der Antrag auf Festsetzung von erhöhten Prozessgebühren gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO abgelehnt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache an das Amtsgericht Hagen zurückverwiesen. Der Rechtspfleger wird angewiesen, einen Kostenfestsetzungsbeschluss unter Berücksichtigung der beantragten Gebühren zu erlassen.

Die Kosten der Beschwerdeverfahren hat die Klägerin zu tragen.

Beschwerdewert: 329,65 €.

Gründe:

I.

Der Beklagte zu 1 und seine Ehefrau, die Beklagte zu 2, mieteten mit schriftlichem Mietvertrag vom 15. Juli 1976 eine Wohnung in H. . Die Klägerin erwarb das Hausgrundstück und kündigte das Mietverhältnis mit den Beklagten. Ihre auf Räumung und Herausgabe gerichtete Klage hat das Amtsgericht Hagen abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht Hagen die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils mangels Nachweises der Prozessfähigkeit des Beklagten zu 1 insgesamt als unzulässig abgewiesen und der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.

Das Amtsgericht Hagen hat durch Kostenfestsetzungsbeschluss die von der Klägerin der Beklagten zu 2 zu erstattenden Kosten auf 3.314,69 € nebst Zinsen festgesetzt und dabei die für beide Instanzen nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO beantragte Erhöhung der Prozessgebühr um 3/10 (160,70 € und 123,48 € nebst Umsatzsteuer, insgesamt 329,65 €) unberücksichtigt gelassen. Hiergegen hat der Beklagte zu 1 sofortige Beschwerde eingelegt, die das Landgericht zurückgewiesen hat. Gegen diese Entscheidung hat sich der Beklagte zu 1 mit der vom Beschwerdegericht als "weitere Beschwerde" zugelassenen Rechtsbeschwerde gewandt. Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist der Beklagte zu 1 verstorben und von seiner Ehefrau, der Beklagten zu 2, beerbt worden.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und im Übrigen nach § 575 ZPO zulässig. Soweit das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss die "weitere" Beschwerde zugelassen hat, meint es ersichtlich die Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO, die an die Stelle der weiteren Beschwerde nach § 568 ZPO in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung der Zivilprozessordnung getreten ist.

2. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.

a) Das Landgericht hat ausgeführt, eine Mehrvertretungsgebühr nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO sei weder in erster noch in zweiter Instanz entstanden. Zwar stehe auch einem Rechtsanwalt, der einen geschäftsunfähigen Beklagten vertrete, nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag und der ungerechtfertigten Bereicherung die übliche Vergütung nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung zu, wenn die Vertretung wie hier dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Beklagten entsprochen habe. Die zur Abwehr der Räumungs- und Herausgabeklage entfaltete Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten beider Beklagten habe sich jedoch nicht auf denselben Gegenstand im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO bezogen. Daran fehle es, wenn ein gegen mehrere Personen gerichtetes Rechtsschutzbegehren jeden Streitgenossen selbständig betreffende - wenn auch inhaltsgleiche - Leistungen zum Gegenstand habe, die jeder der in Anspruch genommenen Streitgenossen nur für sich selbst erbringen könne. So verhalte es sich auch bei der den Gegenstand der Klage bildenden Räumungs- und Herausgabeverpflichtung. Träfe diese Verpflichtung jeden Mitmieter als von der des anderen unabhängige, eigenständige Verpflichtung, sei der Gegenstand der Tätigkeit des Anwalts für mehrere Beklagte eines Räumungsprozesses nicht "derselbe" im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO.

b) Diese Ausführungen halten in dem entscheidenden Punkt einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Ansicht des Landgerichts steht dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten eine Erhöhungsgebühr gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO zu.

aa) Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BRAGO, der nach § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG hier noch anzuwenden ist, erhält der Rechtsanwalt, der in derselben Angelegenheit für mehrere Auftraggeber tätig ist, die Gebühren nur einmal. Ist der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit derselbe, so erhöht sich nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO die Prozessgebühr durch jeden weiteren Auftraggeber um 3/10. So verhält es sich hier.

bb) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass Eheleute - wie hier der verstorbene Beklagte zu 1 und die Beklagte zu 2 - als mehrere Auftraggeber im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 BRAGO anzusehen sind (BVerwG, Urteil vom 10. April 2000 - 6 C 3/99, NJW 2000, 2288 unter II; OLG Celle, JurBüro 1979, 1005). Ohne Bedeutung für den Gebührenanspruch des Prozessbevollmächtigten ist, wie das Beschwerdegericht zu Recht ausgeführt hat, ferner der Umstand, dass der Beklagte zu 1 bei der Erteilung des Auftrags an seinen Rechtsanwalt möglicherweise schon geschäftsunfähig gewesen ist. In diesem Fall stehen dem Prozessbevollmächtigten die üblichen Gebühren aus dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag und der ungerechtfertigen Bereicherung zu (HansOLG Hamburg, MDR 1998, 1123; Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl., §§ 103, 104 Rdnr. 21 "Prozessfähigkeit"; Gerold/Schmidt/Madert, BRAGO, 15. Aufl., § 1 Rdnrn. 13, 14).

cc) Das Landgericht hat jedoch zu Unrecht die beantragte Erhöhung der Prozessgebühr um 3/10 mit der Begründung abgelehnt, die zur Abwehr des Räumungs- und Herausgabeverlangens entfaltete Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Beklagten habe sich nicht auf denselben Gegenstand im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO bezogen.

Nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur ist der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit derselbe, wenn der Rechtsanwalt mehrere Mieter gegen eine Klage des Vermieters auf Räumung und Herausgabe der gemieteten Wohnung vertritt. Danach steht dem Rechtsanwalt ein Mehrvertretungszuschlag nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO zu (OLG Hamm, Rpfleger 2000, 40; OLG Düsseldorf, Rpfleger 1998, 372; Schnapp in Gebauer/Schneider, BRAGO, § 6 Rdnr. 33). Das Oberlandesgericht Köln lehnt dagegen eine Erhöhung der Prozessgebühr mit der Begründung ab, in einem solchen Fall sei der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit nicht derselbe (AnwBl. 2000, 375; JurBüro 1992, 318). Die erstgenannte Ansicht ist richtig.

Der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit ist dann derselbe im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO, wenn der Rechtsanwalt für mehrere Auftraggeber wegen desselben Rechts oder Rechtsverhältnisses tätig wird (Gerold/Schmidt/von Eicken, BRAGO, 15. Aufl., § 6 Rdnr. 25). Ob dasselbe Recht oder Rechtsverhältnis betroffen ist, bestimmt sich auch dann nach dem klägerischen Begehren, wenn der Rechtsanwalt für die Beklagten tätig wird (Gerold/Schmidt/Madert aaO). In dem hier zugrunde liegenden Rechtsstreit hatte die Klägerin beantragt, die Beklagten zur Räumung und Herausgabe der Mietsache nach § 546 Abs. 1 BGB zu verurteilen. Dieser Anspruch auf Rückgabe der Mietsache ist auf Einräumung des unmittelbaren Besitzes an den Vermieter gerichtet. Mehrere Mieter schulden die Rückgabe als gleiche unteilbare Leistung und haften dafür gemäß § 431 BGB als Gesamtschuldner (Senat, BGHZ 131, 176, 183; 65, 226, 227). Durch bloße Besitzaufgabe eines der Mieter tritt keine Erfüllung des Rückgabeanspruchs im Sinne von § 362 Abs. 1 BGB ein (Senat, BGHZ 131, aaO). Vielmehr müssen alle Mieter diese Leistung erbringen. Deshalb hat jeder Mitmieter im Innenverhältnis einen Anspruch aus § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB darauf, dass seine Mitschuldner ihrem Anteil entsprechend zur Befriedigung des Gläubigers mitwirken (Senat, BGHZ 131, aaO). Die enge Verknüpfung dieser zwar selbständigen, aber unteilbaren und inhaltsgleichen Verpflichtungen eines jeden Mitmieters gegenüber dem Vermieter zeigt sich ferner daran, dass sämtliche Mitmieter bereits dann nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen können, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses lediglich für einen der Mitmieter eine nicht zu rechtfertigende Härte bedeuten würde (Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 8. Aufl., § 574 Rdnr. 19). Diese unmittelbare Verbindung der Haftung mehrerer Mitmieter für die Rückgabe der Mietsache rechtfertigt es, denselben Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO anzunehmen, wenn der Anwalt mehrere Mitmieter in einem gegen sie gerichteten Prozess auf Räumung und Herausgabe der Mietwohnung vertritt.

Soweit das Berufungsgericht seine abweichende Auffassung in Anlehnung an das Oberlandesgericht Köln (aaO) damit begründet hat, es handele sich bei den Verpflichtungen der Mitmieter um eigenständige, wenn auch inhaltsgleiche Leistungen, kann dies nicht zu einer Versagung des Mehrvertretungszuschlags nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO führen. Die oben aufgezeigten engen Zusammenhänge im Rahmen der gesamtschuldnerischen Haftung mehrerer Mitmieter für die Erfüllung der Rückgabeverpflichtung aus § 546 Abs. 1 BGB prägen deren Verpflichtung ungleich stärker als der Umstand, dass jeder Mieter eine ihn selbständig betreffende Leistung zu erbringen hat.

III.

Der angefochtene Beschluss kann somit keinen Bestand haben. Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts ist insoweit aufzuheben, als die Festsetzung von erhöhten Prozessgebühren gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO abgelehnt worden ist. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache an das Amtsgericht zurückzuweisen; der Rechtspfleger ist anzuweisen, einen Kostenfestsetzungsbeschluss unter Berücksichtigung der beantragten Gebühren zu erlassen.

Ende der Entscheidung

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