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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.02.2004
Aktenzeichen: VIII ZB 77/03 (1)
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4
ZPO § 574 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 520 Abs. 3 Satz 1
ZPO § 520 Abs. 3
ZPO § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2
ZPO § 234
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VIII ZB 77/03

vom 4. Februar 2004

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Februar 2004 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Hübsch, Dr. Leimert, Wiechers und Dr. Wolst beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 1 wird der Beschluß des Landgerichts Frankfurt am Main - 11. Zivilkammer - vom 24. Juni 2003 aufgehoben.

Dem Beklagten zu 1 wird gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die Berufung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens vorbehalten bleibt; jedoch werden Gerichtskosten insoweit nicht erhoben (§ 8 GKG).

Beschwerdewert: 2.676,72 €.

Gründe:

I.

Der Beklagte zu 1 ist durch Schlußurteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 19. November 2002 zur Räumung und Herausgabe seiner Wohnung an die Klägerin verurteilt worden. Nach Zustellung des Urteils am 29. November 2002 hat der Beklagte zu 1 mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2002, bei Gericht eingegangen am 13. Dezember 2002, Prozeßkostenhilfe für die von ihm beabsichtigte Berufung eingereicht sowie eine Berufungsschrift im Entwurf mit darin enthaltener Begründung beigefügt. Nachdem durch Beschluß des Landgerichts vom 7. März 2003 dem Beklagten zu 1 Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren bewilligt worden ist, hat dieser mit Schriftsatz vom 10. März 2003 Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts eingelegt und zugleich wegen Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, die ihm durch Beschluß vom 14. März 2003 gewährt wurde; in dem letztgenannten Beschluß ist der Beklagte zu 1 darauf hingewiesen worden, "daß damit nicht zugleich die Frage der Rechtzeitigkeit der Berufungsbegründung mitentschieden ist, auch wenn die Berufungsbegründung in der Berufungsschrift enthalten ist". Nach Hinweis des Vorsitzenden vom 14. April 2003, daß die Berufungsbegründungsfrist am 29. Januar 2003 abgelaufen und ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gestellt worden sei, hat das Landgericht durch Beschluß vom 24. Juni 2003 die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen; gleichzeitig hat es den Antrag des Beklagten zu 1 vom 12. Mai 2003 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist abgelehnt.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Berufung sei als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der Frist von zwei Monaten ab Zustellung des erstinstanzlichen Urteils, also bis zum 29. Januar 2003 begründet worden sei (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Dem Beklagten zu 1 sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist (gemeint: der Berufungsbegründungsfrist) zu gewähren, da der Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt worden sei. Jedenfalls nachdem dem Beklagten zu 1 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt worden sei, hätte bis zum 28. März 2003 der Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt werden müssen. Der Schriftsatz vom 10. März 2003 lasse sich nicht als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auslegen, da zu diesem Zeitpunkt die Berufungsbegründungsfrist bereits abgelaufen gewesen sei. Es habe auch kein Anlaß bestanden, von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen.

Gegen diesen Beschluß wendet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 1, mit der er sein Berufungsbegehren weiterverfolgt.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 1 ist nach § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig.

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch sachlich begründet.

a) Zwar hat der Beklagte zu 1 die Frist zur Begründung der Berufung versäumt. Diese Frist begann mit Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils vom 29. November 2002 und endete damit am 29. Januar 2003 (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Innerhalb dieser Frist hat der Beklagte zu 1 weder Berufung eingelegt noch eine solche begründet; mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2002 hat der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten zu 1 lediglich Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren beantragt und eine von ihm unterzeichnete "Berufungsschrift im Entwurf" vorgelegt.

b) Zu Unrecht hat das Landgericht jedoch dem Beklagten zu 1 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt.

Nachdem dem Beklagten zu 1 durch Beschluß des Landgerichts vom 7. März 2003 unter Beiordnung von Rechtsanwalt K. Prozeßkostenhilfe für den zweiten Rechtszug bewilligt worden war, hat dieser mit Schriftsatz vom 10. März 2003 Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt sowie wegen Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zugleich hat er den Antrag angekündigt, das Urteil des Amtsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen, hilfsweise dem Beklagten zu 1 eine angemessene Räumungsfrist zu gewähren. Zur Begründung dieses Antrags ist auf die Schriftsätze des Beklagten zu 1 vom 12. Dezember 2002 und 3. März 2003 im Prozeßkostenhilfeprüfungsverfahren verwiesen worden. Damit hat der Beklagte zu 1 mit Schriftsatz vom 10. März 2003 nicht nur Berufung eingelegt, sondern diese auch begründet. Es ist anerkannt, daß eine Berufungsbegründung, die nach § 520 Abs. 3 Satz 1 ZPO entweder bereits in der Berufungsschrift selbst oder in einem weiteren Schriftsatz beim Berufungsgericht einzureichen ist, auch dadurch erfolgen kann, daß auf andere, bereits früher eingereichte Schriftsätze Bezug genommen wird, die von einem beim Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sind und inhaltlich den Anforderungen einer Berufungsbegründung genügen; dabei kann auch die Bezugnahme auf ein bereits bei den Akten befindliches Prozeßkostenhilfegesuch ausreichen. Da im allgemeinen keine Partei die mit der Fristversäumung verbundenen Nachteile in Kauf nehmen will, ist anzunehmen, daß ein inhaltlich den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO entsprechendes Prozeßkostenhilfegesuch auch als Berufungsbegründung dienen soll, sofern nicht ein anderer Wille des Rechtsmittelführers zu erkennen ist (vgl. BGH, Beschluß vom 9. November 1988 - IVb ZB 154/88, NJW-RR 1989, 184 unter II 2; BGH, Urteil vom 5. Mai 1993 - XII ZR 124/92, NJW-RR 1993, 1091 unter 2 b aa). Im gegebenen Fall hat der Beklagte zu 1 seinen Willen, seine Schriftsätze im Prozeßkostenhilfeverfahren in die Berufungsbegründung einzubeziehen, sogar ausdrücklich geäußert.

Hatte somit der Beklagte zu 1 mit Schriftsatz vom 10. März 2003 die eingelegte Berufung zugleich begründet, war ihm entgegen der Ansicht des Landgerichts gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung von Amts wegen zu gewähren, da der Grund der unverschuldeten Versäumung auch der Berufungsbegründungsfrist - nämlich seine Mittellosigkeit - offenkundig war (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 1993 aaO). Daß der Beklagte zu 1 auf den nicht eindeutig zu verstehenden Hinweis des Landgerichts im Beschluß vom 14. März 2003, wonach "nicht zugleich über die Frage der Rechtzeitigkeit der Berufungsbegründung mitentschieden" sei, insoweit nicht innerhalb der Frist des § 234 ZPO einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat, ist daher unschädlich.

c) Auf die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, innerhalb welcher Frist eine versäumte Berufungsbegründung nach Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nachzuholen ist (BGH, Beschluß vom 9. Juli 2003 - XII ZB 147/02, NJW 2003, 3275 ff.), kommt es daher nicht an.

III.

War danach dem Beklagten zu 1 Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren, ist der die Berufung des Beklagten zu 1 gegen das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 19. November 2002 verwerfende Beschluß des Landgerichts gegenstandslos (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 238 Rdnr. 3 m.w.Nachw.).

Ende der Entscheidung

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