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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 08.02.2006
Aktenzeichen: VIII ZR 304/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 313
Zur Störung der Geschäftsgrundlage bei Aufnahme einer Konkurrenztätigkeit nach Verkauf eines Geschäftsanteils.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

VIII ZR 304/04

Verkündet am: 8. Februar 2006

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. Februar 2006 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Beyer, Ball, Dr. Wolst sowie die Richterin Hermanns

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 16. September 2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien waren Gesellschafter und Geschäftsführer der G. Spedition GmbH (künftig: G. GmbH). Deren Hauptkunde war die S. AG, die auch Aufträge an die konkurrierende Spedition M. GmbH (künftig: M GmbH) vergab.

Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien - der Beklagte lehnte unter anderem eine vom Kläger angestrebte Kooperation mit der M. GmbH ab -, entschlossen sie sich, dass der Kläger aus der Gesellschaft ausscheiden sollte. In einem von beiden Parteien unterzeichneten Rundschreiben vom 25. Juni 2002 teilten sie der Belegschaft der G. GmbH unter anderem mit:

"T. T. hat in den Gesprächen über die Trennung deutlich gemacht, dass er keine Absicht hat, der Firma durch sein Ausscheiden zu schaden. Er sagte sehr deutlich, dass er sein Leben und seine Familie vorerst an die erste Stelle seiner Planung stellen wird und erst an dritter Stelle seine berufliche Zukunft stehen wird.

Gegenüber H. G. hat T. T. ausdrücklich betont, dass er nicht die Absicht hat, selbst ein Unternehmen zu gründen, das in den Wettbewerb zur G. Spedition treten soll.

Auch die Gerüchte, er werde zu einer anderen Firma gehen, die im Wettbewerb zur G. Spedition steht, hat er ausdrücklich verneint."

Durch notariell beurkundeten Kauf- und Abtretungsvertrag vom 9. Juli 2002 erwarb der Beklagte für 51.129,19 € (100.000,- DM) den Gesellschaftsanteil des Klägers. Dessen Geschäftsführervertrag endete zum 31. August 2002. Seit dem 1. September 2002 ist der Kläger für die M. GmbH tätig, nach wenigen Wochen wurde er Leiter der Niederlassung in H. . Am 20. September 2002 beendete die S. AG die Zusammenarbeit mit der G. GmbH und setzte diese ausschließlich mit der M. GmbH fort.

Der Kläger hat den Kaufpreis nebst Verzugszinsen im Urkundenprozess geltend gemacht. Das Landgericht hat den Beklagten durch Vorbehaltsurteil antragsgemäß verurteilt. Im Nachverfahren hat das Landgericht das Vorbehaltsurteil in Höhe von 21.474,26 € (42.000,- DM) aufrechterhalten. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht das Vorbehaltsurteil in vollem Umfang für vorbehaltlos erklärt; die Berufung des Beklagten hat es zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein auf Aufhebung des Vorbehaltsurteils und Klageabweisung gerichtetes Begehren in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Dem Kaufpreisanspruch des Klägers stehe seine Tätigkeit für das Konkurrenzunternehmen M. GmbH nicht entgegen. Der Beklagte habe nicht bewiesen, dass der Kläger ihn bei Vertragsschluss arglistig getäuscht habe (§ 123 BGB). Der Beklagte habe nicht bewiesen, dass der Kläger sich schon am 9. Juli 2002 für einen Wechsel zum Hauptkonkurrenten entschieden habe; es stehe auch nicht fest, dass der Kläger den früheren Großkunden S. AG zur weiteren Zusammenarbeit mit der M. GmbH veranlasst habe. Eine weitere Beweisaufnahme, insbesondere eine Vernehmung des Zeugen L. , sei entbehrlich, weil der Beklagte nicht dargelegt habe, aus welchem Grund dieser Zeuge etwas Erhebliches über die Entscheidungsfindung bei der S. AG bekunden könne. Eine Herabsetzung des Kaufpreises nach den Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) könne der Beklagte ebenfalls nicht verlangen. Ein Verzicht des Klägers auf jegliche Tätigkeit in der Speditionsbranche sei nicht Geschäftsgrundlage des Kaufvertrages gewesen.

II.

Die Revision des Beklagten ist begründet und führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Zu Unrecht ist das Berufungsgericht zu der Auffassung gelangt, dass der Beklagte nicht aufgrund der kurz nach Vertragsschluss aufgenommenen Konkurrenztätigkeit des Klägers Herabsetzung des Kaufpreises (§ 433 Abs. 2 BGB) nach den Grundsätzen über die Anpassung eines Vertrages wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage verlangen kann (§ 313 BGB).

a) Geschäftsgrundlage sind die bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut (st. Rspr.; so BGHZ 120, 10, 23; Senatsurteil vom 15. November 2000 - VIII ZR 324/99, NJW 2001, 1204 = WM 2001, 523, unter II 1 a, jew. m.w.Nachw.). Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts war es bei Abschluss des notariellen Vertrages vom 9. Juli 2002 die dem Kläger erkennbare Vorstellung des Beklagten, der der Kläger nicht entgegen getreten ist, dass er, der Kläger, keine Konkurrenztätigkeit in der Speditionsbranche aufnehmen sollte. Ob ein bestimmter Umstand Geschäftsgrundlage ist, unterliegt der tatrichterlichen Beurteilung und ist für das Revisionsgericht bindend (§ 559 Abs. 2 ZPO). Diese Bindung entfällt jedoch, wenn gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze durch das Tatgericht verletzt worden sind oder wesentliche Umstände des Sachverhalts unberücksichtigt geblieben sind (Senatsurteil vom 15. November 2000, aaO, unter II 2 b). Das ist hier der Fall.

Die Revision rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht den ihm unterbreiteten Sachverhalt nicht umfassend gewürdigt hat (§ 286 Abs. 1 ZPO). In dem kurz vor Vertragsabschluss verfassten, von beiden Parteien unterzeichneten Rundschreiben vom 25. Juni 2002, welches das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang außer Acht gelassen hat, hat der Kläger beteuert, nicht in Wettbewerb zur G. GmbH treten zu wollen. Dieses war - anders als das Berufungsgericht meint -, für den Kläger erkennbar, von erheblicher Bedeutung für den Beklagten und war auch Grundlage des wenige Tage später geschlossenen notariellen Vertrages, insbesondere für die Festsetzung der Höhe des Kaufpreises. Aus den Begleitumständen ergibt sich entgegen der Meinung des Berufungsgerichts nichts anderes. Der Umstand, dass kein Konkurrenzverbot in die notarielle Urkunde aufgenommen wurde, besagt lediglich, dass dieses nicht Vertragsinhalt geworden ist. Die Erklärung des Beklagten, die Einhaltung eines Konkurrenzverbotes nicht kontrollieren zu können, bedeutete nicht, dass er keinen Wert mehr auf die Einhaltung der Zusage gelegt hätte, die der Kläger in dem Rundschreiben abgegeben hat, und dass dies entgegen den vom Berufungsgericht nicht beachteten Feststellungen des Landgerichts bei der Kaufpreisfestsetzung keine Rolle gespielt hätte. Das Landgericht hat dazu festgestellt, der Beklagte habe, für den Kläger erkennbar, zur Zeit des Vertragsschlusses darauf vertraut, dass der Kläger später keine Konkurrenztätigkeit aufnehmen werde. Abweichende Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen.

b) Die dem Kläger erkennbare Vorstellung des Beklagten hat sich nicht verwirklicht. Die unmittelbar nach dem Ausscheiden des Klägers aus der G. GmbH erfolgte Aufnahme einer leitenden Tätigkeit bei der konkurrierenden M. GmbH ist eine schwerwiegende Änderung der Vertragsgrundlage. Sie fällt nicht in den Risikobereich des Beklagten und lässt ein Festhalten am unveränderten Vertrag als nicht zumutbar erscheinen. Diese Feststellung kann der Senat selbst treffen. Dazu bedarf es keiner weiteren Zeugenvernehmung, denn es kommt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts insoweit nicht darauf an, ob der Kläger zusätzlich noch für den Wechsel des Hauptkunden, der S. AG, zur Konkurrentin M. GmbH verantwortlich ist.

c) Unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen ist der notarielle Vertrag der Parteien den veränderten Umständen in der Weise anzupassen, dass der Kaufpreis des Geschäftsanteils auf den Betrag herabzusetzen ist, den der Beklagte zu zahlen bereit gewesen wäre, wenn er die Übernahme einer Konkurrenztätigkeit durch den Kläger vorhergesehen hätte. Die hiernach gebotene Anpassung des Vertrages kann der Senat nicht selbst vornehmen, weil das Berufungsgericht dazu - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen hat.

Eine weitere Herabsetzung des Kaufpreises kommt in Betracht, wenn der Kläger den Wechsel der S. AG entscheidend beeinflusst haben sollte. Wie die Revision mit Recht rügt, hätte das Berufungsgericht dazu den vom Beklagten benannten Zeugen L. vernehmen müssen. Es handelt sich entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht um einen Beweisantritt "ins Ungewisse hinein", denn der ebenfalls für die S. AG tätige Zeuge Le. hat bekundet: "...die Entscheidung angetrieben hat Herr L. , der hat dann die Entscheidung auch selbst gefällt". Nähere Begleitumstände brauchte der Beklagte nicht darzulegen, weil es sich bei einer etwaigen Einflussnahme des Klägers auf Entscheidungsträger der S. AG um einen rechtserheblichen Umstand handelt, der sich außerhalb der eigenen Sphäre des Beklagten zugetragen haben soll (vgl. Senatsurteil vom 13. März 1996 - VIII ZR 36/95, NJW 1996, 1826 = WM 1996, 1013, unter II 2 c bb), zumal das Berufungsgericht selbst annimmt, dass der Geschehensablauf eine Abwerbung nahe legt.

2. Für den Fall, dass nach alledem ein Kaufpreisanspruch des Klägers verbleibt, wird das Berufungsgericht weitere Feststellungen zu der vom Beklagten hilfsweise erklärten Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung zu treffen haben (§ 142 Abs. 1 BGB i.V. mit §§ 123 Abs. 1, 124 BGB; zur Zulässigkeit der Eventualanfechtung vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 1991 - V ZR 299/89, NJW 1991, 1673, unter II 2 a; Senatsurteil vom 15. Mai 1968 - VIII ZR 29/66, NJW 1968, 2099, unter B III). Das Berufungsgericht hat verkannt, dass der Tatbestand der arglistigen Täuschung bereits dann erfüllt ist, wenn der Kläger bei Vertragsschluss am 9. Juli 2002 entgegen seiner in dem Rundschreiben vom 25. Juni 2002 enthaltenen ausdrücklichen Erklärung eine Konkurrenztätigkeit anstrebte. Dem trägt die rechtliche Würdigung des Berufungsgerichts nicht Rechnung. Für die Arglistanfechtung ist es nicht erforderlich, dass der Kläger um diese Zeit zusätzlich plante, auch den Hauptkunden der G. GmbH abzuwerben. Bei der erneuten Würdigung wird das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang, wie die Revision zutreffend geltend macht, auch die Aussagen der Zeugen C. , S. und B. zu berücksichtigen haben. Dabei kann ferner die durch Vernehmung des Zeugen R. unter Beweis gestellte Behauptung des Beklagten Bedeutung gewinnen, dass der Kläger bereits am 26. Juni 2002 erklärt habe, er werde zur M. GmbH wechseln.

III.

Auf die Revision des Beklagten ist daher das Berufungsurteil aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist und, wie ausgeführt, weiterer tatrichterlicher Feststellungen bedarf (§ 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO).

Ende der Entscheidung

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