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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 26.11.1997
Aktenzeichen: VIII ZR 322/96
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 315
BGB § 138 (Bb)
BGB § 433
ZPO § 315

Ein Urteil ist auch dann wirksam, wenn es von einem Richter unterschrieben ist, der ausweislich des Protokolls und des Urteilseingangs bei der Entscheidung nicht mitgewirkt hat.

BGB § 138 (Bb)

Zur Frage der Sittenwidrigkeit eines Automaten-Kaufvertrages wegen groben Mißverhältnisses von Leistung und Gegenleistung.

BGB § 433

Die in einem schriftlichen Kaufvertrag ohne weiteren Zusatz getroffene Kaufpreisvereinbarung begründet die Vermutung, daß der Kaufpreis die Gegenleistung nur für die Veräußerung der Kaufgegenstände, nicht auch für sonstige im Vertrag nicht erwähnte Leistungen des Verkäufers sein soll.

BGH, Urteil vom 26. November 1997 - VIII ZR 322/96 OLG Naumburg LG Dessau


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VERSÄUMNISURTEIL

VIII ZR 322/96

Verkündet am: 26. November 1997

M a y e r Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 26. November 1997 durch die Richter Dr. Zülch, Dr. Beyer, Dr. Leimert, Wiechers und Dr. Wolst

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 4. September 1996 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dessau vom 5. Oktober 1995 wegen eines den Betrag von 17.000 DM nebst 15 % Zinsen hieraus seit dem 1. Januar 1993 übersteigenden Teils der Klageforderung zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger hatte mit dem Beklagten zu 1) am 18. Oktober 1991 einen Automatenaufstellvertrag über mehrere in der vom Beklagten zu 1) betriebenen Spielhalle aufzustellende Geräte abgeschlossen. Aus diesem Vertrag errechnete er sich eine Forderung von 17.000 DM. In einem weiteren schriftlichen Vertrag vom 24. Dezember 1992 erkannte der Beklagte zu 1) unter Nr. 1 an, dem Kläger 17.000 DM nebst 15 % Zinsen hieraus seit dem 1. Januar 1993 zu schulden; die Beklagten zu 2) und 3) traten dieser Verpflichtung "als Gesamtschuldner" bei. Unter Nr. 2 des Vertrages verkaufte der Kläger dem Beklagten zu 1) die in dessen Spielhalle aufgestellten Spielgeräte für 80.000 DM. Der Kaufpreis war in monatlichen Raten von 3.000 DM ab 1. Januar 1993 zu tilgen; der jeweils restliche Kaufpreis war vom Beklagten seit dem gleichen Datum mit 15 % zu verzinsen. Bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung behielt sich der Kläger das Eigentum an den Spielgeräten vor. Bei Zahlungsverzug mit mindestens zwei Teilzahlungen sollte der Kläger berechtigt sein, entweder den gesamten Kaufpreisrest auf einmal zu verlangen oder vom Vertrag zurückzutreten. Ebenfalls in dem Vertrag vom 24. Dezember 1992 übernahmen die Beklagten zu 2) und 3) die selbstschuldnerische Bürgschaft für die Verpflichtungen des Beklagten zu 1) aus dem Kaufvertrag gemäß Nr. 2 des Vertrages. Der Beklagte zu 1) zahlte auf die Kaufpreisschuld nur die in den Monaten Januar, Februar und März 1993 fälligen Raten von je 3.000 DM.

Am 7. September 1993 kam es zum Abschluß eines weiteren schriftlichen Vertrages zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits und der Firma St. . Darin verkaufte der Kläger an den Inhaber der Firma St. die in der Spielhalle des Beklagten zu 1) befindlichen Spielgeräte zum Preis von 15.000 DM netto (= 17.250 DM einschl. MwSt.). Nach Nr. 4 dieses Vertrages sollte der vom Käufer an den Kläger zu zahlende Kaufpreis auf die Verbindlichkeiten des Beklagten zu 1) gegenüber dem Kläger angerechnet werden. Am gleichen Tage schloß der Beklagte zu 1) mit der Firma St. einen neuen Automatenaufstellvertrag, wonach die Spielgeräte in den vom Beklagten genutzten Räumlichkeiten verbleiben sollten. Der Inhaber der Firma St. zahlte den vereinbarten Kaufpreis von 17.250 DM sofort an den Kläger.

Gestützt auf den Vertrag vom 24. Dezember 1992 hat der Kläger von den Beklagten Zahlung aufgrund des Schuldanerkenntnisses des Beklagten zu 1) gemäß Nr. 1 des Vertrages sowie des Kaufpreises gemäß Nr. 2 des Vertrages verlangt. Das Landgericht hat unter Klageabweisung im übrigen die Beklagten zur Zahlung von 70.750 DM nebst Zinsen verurteilt. Es hat ausgeführt, in Höhe von 17.000 DM nebst 15 % Zinsen seit dem 1. Januar 1993 ergebe sich die Zahlungspflicht des Beklagten zu 1) aus dem Anerkenntnis in Nr. 1 des Vertrages vom 24. Dezember 1992; die Verpflichtung der Beklagten zu 2) und 3) folge aus deren dort vereinbarten Schuldbeitritt. Auf den Kaufpreis von 80.000 DM gemäß Nr. 2.3 des Vertrages vom 24. Dezember 1992 schulde der Beklagte zu 1) unter Berücksichtigung seiner Teilzahlungen im Januar, Februar und März 1993 von je 3.000 DM sowie der ebenfalls auf den Kaufpreis anzurechnenden Zahlung des Inhabers der Firma St. vom 6. September 1993 an den Kläger in Höhe von 17.250 DM noch einen Restbetrag von 53.750 DM sowie 15 Zinsen auf 77.000 DM für den Monat Januar 1993, 74.000 DM für den Monat Februar 1993, 71.000 DM für die Zeit vom 1. März bis 6. September 1993 sowie auf 53.750 DM seit dem 7. September 1993. Die Zahlungspflichten der Beklagten zu 2 ) und 3 ) in entsprechender Höhe ergäben sich aus der von ihnen übernommenen selbstschuldnerischen Bürgschaft.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision nimmt die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 17.000 DM nebst 15 % Zinsen seit dem 1. Januar 1993 hin. Im übrigen - d.h. in Höhe von 53.750 DM sowie der von den Vorinstanzen auf den jeweils noch offenen Kaufpreisrest zugesprochenen Zinsen - begehren die Beklagten mit der Revision weiterhin die Abweisung der Klage; der Kläger war in der Revisionsverhandlung nicht vertreten; die Beklagten haben den Erlaß eines Versäumnisurteils beantragt.

Entscheidungsgründe:

I. Die Revision ist zulässig. Sie richtet sich gegen ein wirksam erlassenes Urteil. Zwar ist das Berufungsurteil ausweislich der bei den Akten befindlichen Ausfertigung auch von dem Richter Dr. F. unterzeichnet, während nach dem Protokoll über die Berufungsverhandlung und der Eingangsformel im Kopf des Urteils statt seiner die Richterin T. bei der Entscheidung mitgewirkt hat. Der hierin liegende Verstoß gegen § 315 Abs. 1 ZPO - eine Protokollfälschung (vgl. § 165 ZPO) ist nicht geltend gemacht - ändert aber nichts daran, daß die Verkündung des Berufungsurteils wirksam und dieses damit existent geworden ist (BGH, Beschluß vom 6. Dezember 1988 - VI ZB 27/88 - NJW 1989, 1156, 1157; vgl. auch RGZ 150, 147, 148). Ob auch die Zustellung dieses fehlerhaft unterzeichneten Urteils wirksam war und die Revisionsfrist in Lauf gesetzt hat (vgl. dazu RGZ 58, 118, 122; 82, 422 ff; 90, 173, 174 f; 142, 197, 199; 159, 25, 26; BGH, Beschluß vom 27. Januar 1977 - IX ZR 147/72 = NJW 1977, 765; Urteil vom 21. Mai 1980 - VIII ZR 296/79 = NJW 1980, 1849, 1850; zur Unterscheidung von wirksamer Verkündung und Zustellung vgl. MünchKomm-ZPO/Musielak § 315 Rdnr. 12 u. 13; Zöller/Vollkommer, ZPO, 20. Aufl., § 315 Rdnr. 3; Thomas/Putzo, ZPO, 20. Aufl., § 315 Rdnr. 2 u. 3), bedarf keiner Entscheidung, da die Revision innerhalb eines Monats nach der Zustellung und damit erst recht innerhalb der Sechs-Monatsfrist des § 516 ZPO eingelegt worden ist.

Die falsche Unterschrift unter dem Berufungsurteil kann nach § 319 ZPO nachträglich durch die richtige ersetzt werden (BGHZ 18, 350, 354 f; BGH, Beschluß vom 6. Dezember 1988 aaO); dem Berufungsgericht wird anheim gegeben, dies nach der Zurückverweisung der Sache (vgl. nachfolgend unter IV) zu veranlassen.

II. Da der Kläger vor dem Revisionsgericht nicht vertreten war, ist auf Antrag der Beklagten durch Versäumnisurteil, jedoch aufgrund umfassender Sachprüfung (BGHZ 37, 79, 81 ff), zu entscheiden.

III. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung - soweit im Revisionsrechtszug noch von Belang - folgendermaßen begründet:

Dem Kläger stünden gegen den Beklagten zu 1) von dem in Nr. 2.3 des Vertrages vom 24. Dezember 1992 vereinbarten Kaufpreis für die Spielgeräte von 80.000 DM nach Abzug der Teilzahlungen des Beklagten zu 1) von dreimal 3.000 DM sowie der ebenfalls anzurechnenden Zahlung des Inhabers der Firma St. von 17.250 DM noch ein Restbetrag von 53.750 DM sowie die zuerkannten Zinsen zu. Die Beklagten zu 2) und 3) hafteten hierfür als Bürgen.

Der Kaufvertrag sei nicht nach § 138 BGB nichtig. Das dahingehende Vorbringen der Beklagten sei ohne jegliche Substanz. Daß der Kläger die geschäftliche Unerfahrenheit der Beklagten ausgenutzt hätte, sei von diesen nicht dargetan, zumal jedenfalls der Beklagte zu 1) bei Abschluß des Vertrages vom 24. Dezember 1992 im Spielautomatengeschäft nicht unerfahren gewesen sei. Auch aus der Höhe des vereinbarten Kaufpreises ergebe sich kein Anhalt für eine Sittenwidrigkeit des Kaufs, da die Beklagten das Vorbringen des Klägers nicht widerlegt hätten, in dem vereinbarten Kaufpreis sei auch eine Abstandszahlung für den Verlust der Aufstellplätze enthalten gewesen.

Der Vertrag vom 24. Dezember 1992 sei auch nicht nachträglich aufgehoben worden. Eine stillschweigende Aufhebung dieses Vertrages liege insbesondere nicht in dem Weiterverkauf der Spielgeräte an die Firma St. durch den Vertrag vom 7. September 1993. Die in Nr. 4 dieses Vertrages vereinbarte Anrechnung der Kaufpreiszahlung der Firma St. auf die Kaufpreisschuld des Beklagten zu. 1) aus Nr. 2 des Vertrages vom 24. Dezember 1992 zeige vielmehr, daß die Vertragsschließenden am 7. September 1993 eine Aufrechterhaltung der von den Beklagten zu 2) und 3) verbürgten Rest-Kaufpreisschuld des Beklagten zu 1) aus dem Vertrag vom 24. Dezember 1992 gewollt hätten. Daß der Kläger sich durch die Übereignung der Spielgeräte an den Inhaber der Firma St. der Möglichkeit begeben habe, dem Beklagten zu 2) nach Erfüllung von dessen Kaufpreis-Restschuld das Voll-Eigentum an den Geräten zu verschaffen, stehe dieser Auslegung nicht entgegen, weil sämtliche Beklagten der Weiterveräußerung an die Firma St. durch Mitunterzeichnung des Vertrages vom 7. September 1993 zugestimmt hätten.

IV. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Funkten stand. Nach dem im Revisionsrechtszug zugrunde zu legenden Sachverhalt kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Verkauf der Spielgeräte an den Beklagten zu 1) gemäß Nr. 2 des Vertrages vom 24. Dezember 1992 wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist.

1. Ohne Rechtsfehler führt das Berufungsgericht freilich aus, daß die Voraussetzungen eines wucherischen Rechtsgeschäftes (§ 138 Abs. 2 BGB) von den Beklagten nicht dargetan sind; dies beanstandet auch die Revision nicht.

2. Sie rügt jedoch zutreffend, daß das Oberlandesgericht das Vorliegen eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts gemäß § 138 Abs. 1 BGB zu Unrecht verneint hat.

a) Nach ständiger Rechtsprechung sind Rechtsgeschäfte, die durch ein auffälliges Mißverhältnis zwischen der Höhe der versprochenen Vergütung und dem Wert der dafür zu erbringenden Leistung gekennzeichnet sind, dann nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn weitere sittenwidrige Umstände hinzutreten, wie etwa eine verwerfliche Gesinnung oder die Ausnutzung der schwierigen Lage oder auch Unerfahrenheit des Partners für das eigene unangemessene Gewinnstreben. Liegt ein grobes, besonders krasses Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor, so rechtfertigt allein dieser Umstand den Schluß auf eine verwerfliche Gesinnung des begünstigten Vertragsteils und damit auf einen sittenwidrigen Charakter des Rechtsgeschäfts (vgl. z.B. RGZ 150, 1, 6; BGH, Urteile vom 6. Juli 1966 - VIII ZR 92/94 = WM 1966, 832, 835; vom 24. Januar 1979 - VIII ZR 16/78 = WM 1979, 491, 492; vom 30. Januar 1981 - V ZR 7/80 = WM 1981, 404 f; vom 12. Dezember 1986 - V ZR 100/85 = WM 1987, 353, 354; vom 18. Januar 1991 - V ZR 171/89 = NJW-RR 1991, 589 = BGHR § 138 Abs. 1 "Mißverhältnis" 3 und vom 23. Juni 1995 - V ZR 265/93 = WM 1995, 1575, 1577, insoweit in BGHZ 130, 101 nicht abgedruckt).

Nach dem derzeitigen Sachstand kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Verkauf der Spielgeräte an den Beklagten zu 1) vom 24. Dezember 1992 ein derartiges wucherähnliches Geschäft ist.

Die Beklagten haben, worauf die Revision zutreffend hinweist, behauptet und unter Beweis gestellt, daß der Verkehrswert der verkauften Geräte bei Abschluß des Kaufvertrages höchstens 30.000 DM betrug. Das Berufungsgericht ist diesem Vorbringen nicht nachgegangen. Im Revisionsrechtszug ist daher zugunsten der Beklagten zu unterstellen, daß ihre Angaben zutreffen. Für die Richtigkeit des Vorbringens der Beklagten spricht auch, daß der Kläger dieselben Geräte wenige Monate später für nur 15.000 DM netto an die Firma St. weiterveräußert hat.

Als Kaufpreis wurde nach Nr. 2.3 des Vertrages vom 24. Dezember 1992 ein Betrag von 80.000 DM vereinbart.

Die Auffassung der Revision, dieser Betrag erhöhe sich noch um die von dem Beklagten zu 1) bis zur Tilgung des in Jahresraten von 3.000 DM zu entrichtenden Kaufpreises zu zahlenden Zinsen von 15 % jährlich auf die jeweiligen Restbeträge, so daß der Wert der Gegenleistung des Beklagten zu 1) insgesamt 93.333 DM betrage, ist freilich mit dem Wortlaut und Sinn des Vertrages vom 24. Dezember 1992 nicht zu vereinbaren. Da die unter Eigentumsvorbehalt verkauften Geräte schon am 1. Januar 1993 übergeben werden sollten und von da ab vom Beklagten zu 1) genutzt werden konnten, waren die Zinsen die Gegenleistung für die Berechtigung, den Kaufpreis nicht sofort, sondern in monatlichen Raten zu entrichten und gleichwohl die Geräte schon unmittelbar nach Kaufabschluß, also vor Zahlung des vollen Kaufpreises und Erwerb des Eigentums, benutzen zu dürfen.

Andererseits wird die Auffassung des Oberlandesgerichts, der Kaufpreis für die Geräte sei niedriger als 80.000 DM, von der Revision mit Erfolg beanstandet. Die Begründung des Berufungsgerichts, die Beklagten hätten das Vorbringen des Klägers nicht widerlegt, daß in dem Betrag von 80.000 DM auch eine Abstandszahlung für den Verlust der Aufstellplätze enthalten sei, ist rechtsfehlerhaft. Das Vorbringen des Klägers ist schon als solches schwer nachvollziehbar, weil er sich mit dem Verkauf der Geräte selbst der Möglichkeit begeben hatte, noch an ihren Einspielerlösen beteiligt zu werden; daß er etwa den Beklagten zu 1) entgegenkommenderweise vorzeitig aus einem längerfristigen Aufstellvertrag entlassen hätte, ist nicht festgestellt. Vor allem aber beruht die Auffassung der Vorinstanz auf einer Verkennung der Darlegungs- und Beweislast. In dem schriftlichen Vertrag vom 24. Dezember 1992 ist von einer Abstandszahlung in dem vom Kläger behaupteten Sinn an keiner Stelle die Rede. Vielmehr können die in der maßgeblichen Nr. 2 des Vertrages getroffenen Regelungen nach Wortlaut und Aufbau nur dahin verstanden werden, daß der in Nr. 2.3 vereinbarte "Kaufpreis" von 80.000 DM die Gegenleistung nur für die Verschaffung von Besitz und Eigentum an den Spielgeräten sein sollte. Nach gefestigter Rechtsprechung begründet eine Vertragsurkunde die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der beurkundeten Vereinbarungen (z.B. BGH, Urteil vom 19. März 1980 - VIII ZR 183/79 = WM 1980, 547, 548; Baumgärtel/Laumen, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, 2. Aufl., Bd. 1, § 125 Rdnr. 2; Palandt/Heinrichs, BGB, 56. Aufl., § 125 Rdnr. 15 - jew. m.w.Nachw. aus der Rechtsprechung). Die Beklagten hatten das Vorbringen des Klägers bestritten. Es wäre daher dessen Sache gewesen, im einzelnen unter Beweisantritt darzulegen, daß die Vertragsparteien den Betrag von 80.000 DM entgegen dem Vertragswortlaut nicht nur als Kaufpreis für die Geräte, sondern auch als Gegenleistung für den Verlust der entsprechenden Aufstellplätze vereinbaren wollten, und wie hoch diese Gegenleistung sein sollte.

Im Revisionsrechtszug ist somit davon auszugehen, daß im Vertrag vom 24. Dezember 1992 Spielgeräte mit einem Verkehrswert von höchstens 30.000 DM für 80.000 DM an den Beklagten zu 1) verkauft wurden.

c) Bei einer derartigen Diskrepanz zwischen objektivem Wert und vereinbartem Kaufpreis liegt die Annahme der Nichtigkeit des Kaufvertrages nach § 138 Abs. 1 BGB nahe. Nach der neuesten, mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Grundstückskauf ist ein besonders auffälliges, grobes Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, welches den Schluß auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten rechtfertigt, regelmäßig schon dann anzunehmen, wenn der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie derjenige der Gegenleistung (BGH, Urteile vom 18. Januar 1980 - V ZR 34/78 = WM 1980, 597 f [Kaufpreis 45.000 DM, Grundstückswert 80.000 DM]; vom 30. März 1984 - V ZR 61/83 = WM 1984, 874, 875 [164.000 DM zu 300.000 DM]; vom 18. Januar 1991 - V ZR 171/89 = NJW-RR 1991, 589 = BGHR BGB § 138 Abs. 1 "Mißverhältnis" 3 [220.000 DM zu 400.000 DM]; vom 8. November 1991 - V ZR 260/90 = WM 1992, 441, 442 [85.000 DM zu 160.000 DM]; vom 23. Juni 1995 - V ZR 265/93 = WM 1995, 1575, 1577 und vom 21. März 1997 - V ZR 355/95 = WM 1997, 1155 f = LM BGB § 138 (Ba) Nr. 15). In der neueren Rechtsprechung zur Wirksamkeit von Ratenkreditverträgen zeigt sich eine vergleichbare Entwicklung; danach indiziert - unter anderem - eine relative Zinsdifferenz zwischen Markt- und Vertragszins von 100 % regelmäßig die Anwendung von § 138 Abs. 1 BGB (vgl. z.B. BGHZ 104, 102, 105; 110, 336, 338; Gundlach/Halstenberg, Bankrechts-Handbuch, Bd. II [1997] § 82 Rdnr. 29). Dem schließt sich der Senat für Fälle des Verkaufs beweglicher Sachen jedenfalls dann an, wenn es - wie hier - um ähnlich hohe absolute Beträge geht wie üblicherweise beim Verkauf von Grundstücken.

Der Senat hat allerdings im Urteil vom 24. Januar 1979 - VIII ZR 16/78 = WM 1979, 491, 492, welches den Mietkauf eines Pool-Billard-Geräts betraf, wobei die Gegenleistungen des Erwerbers den objektiven Wert des Billard-Geräts um etwa das zweieinhalbfache überstiegen, die Bewertung des Berufungsgerichts, daß damit die Schwelle der Sittenwidrigkeit noch nicht überschritten sei, als vom tatrichterlichen Ermessen noch gedeckt bezeichnet. Ob der Senat angesichts der Rechtsentwicklung der letzten Jahre, die im Bereich von § 138 Abs. 1 BGB zu strengeren Maßstäben tendiert, eine derartige Bewertung auch heute noch vornehmen würde, mag dahinstehen. Ohnedies kann es bei einer Diskrepanz zwischen den Werten von Leistung und Gegenleistung keine starre Grenze geben, jenseits derer die Sittenwidrigkeit beginnt. Daher handelt es sich bei dem dargestellten Wertmißverhältnis von etwa 100% jedenfalls bei Austauschgeschäften größeren Umfangs auch nur um einen für die Bedürfnisse der Praxis geschaffenen Richtwert. Maßgeblich sind immer die Gegebenheiten des Einzelfalles, dessen besondere Umstände dem Rückschluß von einem besonders auffälligen, groben Mißverhältnis der Werte der beiderseitigen Leistungen auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten auch entgegenstehen können (vgl. neuestens BGH, Urteil vom 21. März 1997 aaO). Im Falle des Senatsurteils vom 24. Januar 1979 aaO ging es um vergleichsweise geringe Beträge (einem in 42 Monatsraten zu erbringenden Mietkaufpreis von 13.286,70 DM standen Leistungen im Wert von 5.252,30 DM gegenüber), bei denen der Schluß auf eine verwerfliche Gesinnung ferner lag als im Bereich von Beträgen der hier in Rede stehenden Größenordnung.

V. Die Sache bedarf daher noch weiterer Aufklärung hinsichtlich des Wertes der Spielgeräte bei Vertragsschluß und der Höhe des Kaufpreises sowie, darauf aufbauend, einer erneuten tatrichterlichen Bewertung mit Blick auf § 138 Abs. 1 BGB. Da das Berufungsurteil im angefochtenen Umfang somit von seiner Begründung nicht getragen wird, war es aufzuheben (§ 564 ZPO), und zwar auch soweit die Beklagten zu 2) und 3) verurteilt wurden, weil deren Haftung als Bürgen von dem Bestand der verbürgten Hauptverbindlichkeit des Beklagten zu 1) abhängt (§§ 765 Abs. 1, 767 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Eine Zurückweisung an das Berufungsgericht gemäß § 565 Abs. 1 ZPO käme nur dann nicht in Betracht, wenn die Sache aus anderen Gründen entscheidungsreif wäre (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Dies wäre der Fall, wenn die Parteien, wie die Revision geltend macht, mit Abschluß des Vertrages vom 7. September 1993, durch den die Spielgeräte an die Firma St. weiterverkauft wurden, stillschweigend den kaufvertraglichen Teil des Vertrages vom 24. Dezember 1992 aufgehoben hätten; in diesem Falle könnte die Frage des wirksamen Zustandekommens des letztgenannten Vertrages offenbleiben.

1. Das Oberlandesgericht verneint eine stillschweigende Aufhebung des Kaufvertrages vom 24. Dezember 1992 insbesondere wegen der Verrechnungsbestimmung unter Nr. 4 des Vertrages vom 7. September 1993. Diese Klausel lautet:

Der von der Firma St. zu zahlende o.g. Kaufpreis an die Firma Automaten-K. (= Kläger) mindert die Verbindlichkeiten des Herrn P. F. (= Beklagter zu 1) gegenüber der Firma Automaten-K. um den gezahlten Betrag.

Die Revision meint, die Auslegung des Berufungsgerichts sei nicht zwingend, weil mit den "Verbindlichkeiten" des Beklagten zu 1) gemäß Nr. 4 des Vertrages vom 7. September 1993 auch der von ihm in Nr. 1 des Vertrages vom 24. Dezember 1992 anerkannte Betrag von 17.000 DM nebst Zinsen oder aber die von ihm im Falle der Aufhebung des Kaufvertrages vom 24. Dezember 1992 zu zahlende Nutzungsentschädigung sowie sonstige Unkosten gemeint sein könnten. Eine an Treu und Glauben sowie der Interessenlage der Parteien orientierte Vertragsauslegung müsse zu dem Ergebnis führen, daß die Parteien mit dem Weiterverkauf der unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Geräte seitens des Klägers an die Firma St. am 7. September 1993 stillschweigend. den vorangegangenen Kaufvertrag vom 24. Dezember 1992 aufgehoben hätten. Nach der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 54, 214, 219 f) könne der Vorbehaltsverkäufer auch bei Zahlungsverzug des Vorbehaltskäufers die Herausgabe des Vorbehaltsgutes nur dadurch erreichen, daß er entweder gemäß § 455 BGB vom Vertrag zurücktrete oder nach § 326 BGB vorgehe; er sei dagegen nicht berechtigt, das Vorbehaltsgut wieder an sich zu nehmen und gleichzeitig weiterhin auf Vertragserfüllung zu bestehen. Es sei davon auszugehen, daß die Parteien des Vertrages vom 7. September 1993 diese Regelung vor Augen gehabt und ein entsprechendes Ergebnis hätten erreichen wollen. Die Verfügung des Klägers über das Vorbehaltsgut zugunsten der Firma St. stehe wirtschaftlich gesehen der Rücknahme der Sachen gleich. Die sachgerechte Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen müsse zu dem Ergebnis führen, daß damit beide Parteien auch ihre Erfüllungsansprüche aus dem Kaufvertrag vom 24. Dezember 1992 hätten aufgeben wollen.

Durch diese Ausführungen wird indessen die Auslegung des Berufungsgerichts nicht in Frage gestellt. Die Auslegung individualvertraglicher Willenserklärungen ist in erster Linie Sache des Tatrichters und vom Revisionsgericht nur insoweit überprüfbar, als es sich um die Verletzung von Verfahrensvorschriften, gesetzlicher oder allgemeiner Auslegungsregeln sowie der Denk- und Erfahrungssätze handelt. Ist eine von Verfahrensfehlern unbeeinflußte Auslegung durch den Tatrichter in der Sache jedenfalls vertretbar, so bindet sie das Revisionsgericht. So liegt es hier.

Da das Berufungsgericht davon spricht, daß der Kläger infolge des Vertrages vom 7. September 1993 dem Beklagten zu 1) nicht mehr das Eigentum an den Spielgeräten übertragen könne, geht es offensichtlich davon aus, daß der Kläger als Vorbehaltsverkäufer durch diesen Vertrag mit Zustimmung des Beklagten zu 1) als Vorbehaltskäufer die Geräte an die Firma St. weiterverkaufte und dieser gleichzeitig ihr Voll-Eigentum unter Aufhebung des Anwartschaftsrechts des Beklagten zu 1) übertragen hat. Diese Auslegung liegt nahe, und eine derartige Eigentumsübertragung ist mit der - hier erfolgten - Zustimmung des Vorbehaltskäufers auch rechtlich möglich (BGHZ 92, 280, 288 f; Palandt/Bassenge, BGB, 56. Aufl., § 929 Rdnr. 35 unter g bb). Der mit der Firma St. vereinbarte Kaufpreis war, wie in Nr. 1 und 4 des Vertrages vom 7. September 1993 ausdrücklich bestimmt, an den Kläger als Verkäufer zu zahlen. Daher erscheint es in der Tat geboten, die Vertragsbestimmung unter Nr. 4, wonach die Zahlung der Firma St. auf die "Verbindlichkeit" des Beklagten zu 1) anzurechnen war, dahingehend aufzufassen, daß nach dem Willen der Parteien die restliche Kaufpreisforderung des Klägers gegen den Beklagten zu 1) aus dem Vertrag vom 24. Dezember 1992 durch den Weiterverkauf der Geräte an die Firma St. unberührt bleiben sollte. Entgegen der Ansicht der Revision ist die tatrichterliche Auslegung jedenfalls vertretbar, mit der "Verbindlichkeit" des Beklagten zu 1) sei dessen Kaufpreisrestschuld aus dem vorangegangenen Vertrag vom 24. Dezember 1992 gemeint, dessen wirksames Zustandekommen in diesem Zusammenhang unterstellt wird. Dies spricht gleichzeitig gegen die - auch nicht weiter begründete - These der Revision, die Parteien hätten durch den Abschluß des Vertrages vom 7. September 1993 diejenige Rechtssituation schaffen wollen, in der - ohne besondere Vereinbarung - eine wirksame Rücknahme der unter Eigentumsvorbehalt verkauften Geräte durch den Kläger möglich gewesen wäre (vgl. BGHZ 54, 214, 219 f). In jener Entscheidung ist weiter ausgeführt (aaO S. 221), daß eine Rücknahme des Vorbehaltsguts ohne Rücktritt des Vorbehaltsverkäufers oder dessen Vorgehen nach § 326 BGB bei gleichzeitigem Bestehenbleiben des Kaufpreisanspruches nur möglich sei, wenn dies "besonders vereinbart" sei. Eine derartige Vereinbarung haben die Parteien dieses Rechtsstreits mit dem Vertrag vom 7. September 1993 in dessen Auslegung durch das Berufungsgericht gerade getroffen. Diese Auslegung kann entgegen der Ansicht der Revision auch nicht als interessenwidrig bezeichnet werden, weil der Beklagte zu 1) zwar sein Anwartschaftsrecht aufgab, dafür aber immerhin eine Reduzierung seiner restlichen Kaufpreisschuld um die Zahlung der Firma St. erreichte, während andererseits der Kläger sein Vorbehaltseigentum an den Geräten als Sicherungsmittel aufgab.

Die Vertragsauslegung des Berufungsgerichts ist daher aus revisionsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Zur Klarstellung sei aber bemerkt., daß das Oberlandesgericht dadurch nicht gehindert ist, seine bisherige Auslegung unter umfassender Berücksichtigung aller Gesichtspunkte zu überprüfen.

2. Da somit Entscheidungsreife i.S.v. § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO nicht besteht, war die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Kommt das Berufungsgericht aufgrund der erneuten Verhandlung wiederum zu dem Ergebnis, daß der Kaufvertrag als Teil des Vertrages vom 24. Dezember 1992 wirksam zustande gekommen und auch nicht nachträglich wieder aufgehoben ist, bestehen nach dem derzeitigen Sachstand auch gegen die Bürgenhaftung der Beklagten zu 2) und 3) keine rechtlichen Bedenken. Zwar haben nach Abschluß des Bürgschaftsvertrages durch den Vertrag vom 7. September 1993 der Beklagte zu 1) sein Anwartschaftsrecht und der Kläger als Gläubiger der verbürgten Forderung sein Vorbehaltseigentum als Sicherungsmittel aufgegeben und dadurch ihre Rechtsposition verschlechtert. Dem haben jedoch die Beklagten zu 2) und 3) als Bürgen durch Mitunterzeichnung jenes Vertrages ausdrücklich zugestimmt, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei und ohne Angriffe der Revision feststellt. Damit bleibt ihre Bürgenhaftung durch den Vertrag vom 7. September 1993 auf jeden Fall unberührt (Palandt/Thomas aaO § 767 Rdnr. 3 a.E.; MünchKomm/Habersack, BGB, 3. Aufl., § 776 Rdnr. 3 f), ohne daß es darauf ankommt, ob die nachträglichen Rechtsgeschäfte des Gläubigers der verbürgten Forderung und des Hauptschuldners als solche überhaupt geeignet waren, den Umfang der Bürgenhaftung zu verändern (§§ 767 Abs. 1 Satz 3, 776 S. 1 BGB).

Dr. Zülch Dr. Beyer Dr. Leimert Wiechers Dr. Wolst

Ende der Entscheidung

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