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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 24.09.2003
Aktenzeichen: X ZR 30/00
Rechtsgebiete: PatG, ZPO


Vorschriften:

PatG § 121 Abs. 2
ZPO § 91
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

X ZR 30/00

Verkündet am: 24. September 2003

in der Patentnichtigkeitssache

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. September 2003 durch die Richter Prof. Dr. Jestaedt, Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Dr. Meier-Beck und Asendorf

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 20. Oktober 1999 abgeändert.

Das europäische Patent 0 431 673 wird im Umfang seiner Patentansprüche 1, 2, 4 und 5 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagte ist Inhaberin des am 23. November 1990 unter Inanspruchnahme der Priorität der niederländischen Patentanmeldung 8 902 995 vom 5. Dezember 1989 angemeldeten, unter anderem mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 431 673 (Streitpatents), das vom Deutschen Patentamt unter der Nummer 69 002 308 geführt wird, eine Achshebevorrichtung für ein Fahrzeug betrifft und dessen Patentanspruch 1 wie folgt lautet:

"Axle lifting device for a vehicle, having a bearing arm (3) for the axle running from a spring carrier bracket (1) to the axle (5) and a gas spring system (6) between axle (5) or bearing arm (3) and frame, in which a fixed support (12) is fitted under said bearing arm (3) on the spring carrier bracket (1), on which support (12) a gas bellows (13) is arranged, which at the other side presses from below onto the bearing arm (3) or a part firmly fixed thereto, in order to lift the axle (5) when gas pressure is supplied to said gas bellows (13) and the above-mentioned gas spring system (6) is released, characterized in that there is a restraining arm (14, 24) connecting the upper end of the gas bellows (13) to the bearing arm (3), the axle (5) or the spring carrier bracket (1) in a point at a horizontal distance from said bellows (13) so as to allow extension of the gas bellows (13) while limiting horizontal movements of the upper end of the gas bellows."

Die deutsche Übersetzung des Patentanspruchs 1 lautet wie folgt:

"Achshebevorrichtung für ein Fahrzeug, mit einem sich von einem Federaufnahmebock (1) zu einer Achse (5) erstreckenden Tragarm (3) für die Achse und mit einem Gasfedersystem (6) zwischen Achse (5) oder Tragarm (3) und Rahmen, wobei unter dem Tragarm (3) an dem Federaufnahmebock (1) eine Halterung (12) ortsfest angeordnet ist, auf der ein Gasfaltenbalg (13) vorgesehen ist, der auf der anderen Seite von unten gegen den Tragarm (3) oder ein fest daran angebrachtes Teil drückt, um die Achse (5) anzuheben, wenn der Gasfaltenbalg (13) mit Gasdruck beaufschlagt und das obengenannte Gasfedersystem (6) entspannt ist, gekennzeichnet durch einen Haltearm (14, 24), der das obere Ende des Gasfaltenbalgs (13) mit dem Tragarm (3), der Achse (5) oder dem Federaufnahmebock (1) an einem von dem Faltenbalg (13) horizontal beabstandeten Punkt verbindet, um die Ausdehnung des Gasfaltenbalgs bei gleichzeitiger Beschränkung von horizontalen Bewegungen des oberen Endes des Gasfaltenbalgs (13) zuzulassen."

Wegen der Patentansprüche 2 bis 6 wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen. Ausführungsbeispiele der Achshebevorrichtung sind in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1 des Streitpatents dargestellt.

Fig. 1:

Die Klägerin hat mit der Nichtigkeitsklage geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Hierzu hat sie sich auf folgende Druckschriften berufen: US-Patentschrift 4 773 670, Prospekt "Achsanhebevorrichtung Baureihen OA/OMA/OTA", nicht veröffentlichte interne Zeichnung C-0400049697, europäische Patentschriften 0 332 037 und 0 284 572. Der Prospekt "Achsanhebevorrichtung Baureihen OA/OMA/OTA" (Anlage K 4) ist nach ihren unter Beweis gestellten Behauptungen in der ersten Hälfte des Jahres 1989 verteilt worden.

Die Klägerin hat beantragt, das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1, 2, 4 und 5 für nichtig zu erklären. Die Beklagte ist dem entgegengetreten.

Das Bundespatentgericht hat die Klage abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie das Klagebegehren weiterverfolgt und ergänzend zu ihrem Vorbringen ein Gutachten des Prof. Dr.-Ing. W. vorlegt. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat ein schriftliches Gutachten des Prof. Dr.-Ing. H. J. F. , ... , eingeholt, das der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Ferner ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat durch Vernehmung der Zeugin B. K. über die Frage, ob und wann der Prospekt Anlage K 4 an die Kunden der Klägerin gelangt ist, Beweis erhoben worden.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Streitpatent ist im Umfang seiner Patentansprüche 1, 2, 4 und 5 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären, da sein Gegenstand nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht und mithin nicht patentfähig ist (Art. 56, 138 Abs. 1 Buchst. a EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG).

I. 1. Das Streitpatent betrifft eine Achshebevorrichtung für ein Fahrzeug. Derartige Vorrichtungen finden nach den Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen bei schweren Nutzkraftwagen, Sattelschleppern oder Anhängern Anwendung, bei denen die Last oft auf mehrere Achsen verteilt wird. Fährt ein solches Fahrzeug schwach- oder unbelastet, werden mit Rücksicht auf Verschleiß und Ermüdung nicht angetriebene Achsen angehoben, um Lager- und Reifenverschleiß und die ermüdenden Wechselbeanspruchungen der einfedernden Achse zu vermeiden. Zu den üblichen Lösungen für derartige Achshebevorrichtungen gehören Gasfedern, die in ihrer Kraftwirkung der belasteten Fahrzeugfeder entgegenwirken, was zu einer einfachen Steuerung führt, indem das Belüften ("Spannen") der "Liftfeder" mit dem Entlüften ("Entspannen") der Fahrzeugfeder gekoppelt wird.

Der Beschreibung des Streitpatents zufolge war am Prioritätstag aus der US-Patentschrift 4 773 670 bekannt, einen Gasfaltenbalg mit seiner Bodenplatte fest an einer ortsfesten Halterung und mit seiner oberen Platte mit einem Teil des Tragarms zu verbinden (deutsche Übersetzung S. 1, Zeilen 11 - 15). Daran bemängelt die Beschreibung des Streitpatents, eine solche Gestaltung sei für die Verwendung mit Tragarmen, die wie beispielsweise Parabelfedern ihrerseits bei der Federung mitwirken, unbrauchbar, weil Gasfaltenbälge kaum eine Querfestigkeit aufweisen würden, so daß ihre Ober- und Unterseite mit Teilen verbunden werden müßten, die diese Flächen in horizontaler Richtung ausreichend fixierten. Werde der Tragarm in Form einer Parabelfeder ausgebildet, dann sei es demgegenüber wünschenswert, Beschädigungen der Oberfläche des Tragarms durch Bohrlöcher oder dergleichen, wie sie durch die Befestigung eines Gasfaltenbalgs am Tragarm entstehen, zu vermeiden. In diesen Fällen stelle die Verbindung des Gasfaltenbalgs mit dem Tragarm ein Problem dar (deutsche Übersetzung Seite 1, Zeilen 12 - 29).

2. Dieses Problem soll nach den Angaben der Beschreibung des Streitpatents durch eine Konstruktion gelöst werden, die einfach und im Betrieb zuverlässig ist (deutsche Übersetzung Seite 1, Zeilen 31 - 33).

3. Nach Patentanspruch 1 des Streitpatents ist hierzu die Achshebevorrichtung für ein Fahrzeug wie folgt auszubilden:

1. Die Achshebevorrichtung weist einen sich von einem Federaufnahmebock zu einer Achse erstreckenden Tragarm für die Achse auf.

2. Sie verfügt ferner über ein Gasfedersystem, das

2.1 zwischen Achse und Rahmen

2.2 oder zwischen Tragarm und Rahmen angeordnet ist.

3. Unter dem Tragarm ist eine Halterung an einem Federaufnahmebock ortsfest angeordnet, wobei

3.1 auf der Halterung ein Gasfaltenbalg vorgesehen ist,

3.2 der auf der anderen Seite von unten gegen

a) den Tragarm

b) oder ein fest daran angebrachtes Teil drückt,

3.3 um die Achse anzuheben, wenn der Gasfaltenbalg mit Gasdruck beaufschlagt und das Gasfedersystem entspannt ist.

4. Die Achshebevorrichtung besitzt einen Haltearm,

4.1 der das obere Ende des Gasfaltenbalgs

a) entweder mit dem Tragarm

b) oder der Achse

c) oder dem Federaufnahmebock an einem von dem Faltenbalg horizontal beabstandeten Punkt verbindet,

4.2 um die Ausdehnung des Gasfaltenbalgs bei gleichzeitiger Beschränkung von horizontalen Bewegungen des oberen Endes des Gasfaltenbalgs zuzulassen.

Auf diese Weise kann der an dem Federaufnahmebock befestigte Gasfaltenbalg mittels des Haltearms an seiner Oberseite geführt und über Gummipuffer an den Tragarm angelegt werden, ohne daß der Tragarm durch Maßnahmen zur Befestigung des Gasfaltenbalgs beschädigt wird.

Nach den überzeugenden Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten und in der mündlichen Verhandlung hat der Fachmann, bei dem es sich um einen im Fachbereich Maschinenbau mit Schwerpunkt im Bereich des Fahrzeugbaus an einer technischen Universität oder einer Fachhochschule ausgebildeten Diplomingenieur handelt, der in analytischen und systematischen Arbeitsmethoden im Bereich der Entwicklung und Konstruktion von Kraftfahrzeugen geschult ist und über praktische Erfahrungen in diesem Bereich von etwa zwei Jahren verfügt, am Prioritätstag des Streitpatents aus diesen Angaben erkannt, daß unter Tragarm im Sinne des Streitpatents ein Bauteil mit Federungs- und Lenkerfunktion zu verstehen ist, das die Räder der anzuhebenden Achse in Querrichtung festhält und damit Kräfte sowohl vertikal als auch transversal und damit quer zur Fahrtrichtung des Fahrzeugs in dessen Karosserie einleitet. Wie der gerichtliche Sachverständige weiter überzeugend dargelegt hat, wußte der Fachmann am Prioritätstag des Streitpatents, daß dann, wenn ein Federlenker zum Einsatz kommt, Verletzungen des Lenkers, beispielsweise durch Kerben oder Bohrlöcher, zu vermeiden sind und ein kerbfreies Gestalten der Lenker auch dann sinnvoll ist, wenn der Lenker nicht als Feder, sondern starr ausgebildet ist, wobei der Fachmann ein kerbfreies Gestalten des Lenkers bei der Verwendung starrer Tragarme nicht in gleichem Maße geboten hielt wie bei Federlenkern. Darauf wurde der Fachmann nach den Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen zudem mit den Angaben der Beschreibung des Streitpatents, die Erfindung sei auch nützlich, wenn der Tragarm starr sei (deutsche Übersetzung S. 2, Zeile 34 - Seite 3, Zeile 2), hingewiesen.

Der Fachmann hat dem Streitpatent nach den überzeugenden Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen schließlich auch entnommen, daß die Lehre nach Patentanspruch 1 weder auf eine bestimmte Ausbildung noch auf eine Festlegung des Haltearms an einer bestimmten Stelle der Achshebeanordnung oder eine bestimmte Art seiner Befestigung beschränkt ist, so daß der Fachmann verschiedene Möglichkeiten für die Ausbildung des Haltearms in Betracht gezogen hat. Denn die Beschreibung des Streitpatents weist den Fachmann ausdrücklich darauf hin, daß der Haltearm als an der Achse verschraubte Blattfeder (Fig. 1, Bezugszeichen 14), aber auch als schwenkbeweglich gelagerter starrer Haltearm (Fig. 1, Bezugszeichen 24) ausgebildet werden kann. Wie der gerichtliche Sachverständige dargelegt hat, hat der Fachmann am Prioritätstag weitere Möglichkeiten der Befestigung des Haltearms in Betracht gezogen, etwa die Festlegung des Haltearms an Teilen des Federlenkers, sofern der Haltearm als ein vom Federlenker getrenntes Bauteil ausgebildet ist, und die Befestigung des Haltearms in räumlicher Entfernung vom Gasfaltenbalg (Bauteil 13, Fig. 1; nachfolgend Hebebalg), beispielsweise durch Gleitschuhe erfolgt, wie sie dem Fachmann am Prioritätstag seit langem von Federlenkern für Kraftwagen bekannt waren. Die Befestigung in räumlicher Entfernung vom Hebebalg hat der Fachmann nach den Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen als wesentlich für die Ausbildung der Achshebeanordnung im Sinne des Patentanspruchs 1 des Streitpatents erkannt, weil dadurch sichergestellt wird, daß der Hebebalg nicht nur mit einer seiner beiden Platten (obere oder untere Platte), sondern mit beiden Platten gegenüber transversal wirkenden Kräften festgelegt wird, ohne daß der Federlenker an der Stelle seiner Beaufschlagung mit Druck durch Einkerbungen geschwächt wird.

II. Der Gegenstand nach Patentanspruch 1 des Streitpatents ist neu (Art. 54 EPÜ), da keine der Entgegenhaltungen eine Achshebevorrichtung mit sämtlichen Merkmalen der Vorrichtung nach Patentanspruch 1 des Streitpatents offenbart. 1. Die Achshebevorrichtung nach der US-Patentschrift 4 773 670 unterscheidet sich vom Gegenstand nach Patentanspruch 1 des Streitpatents bereits dadurch, daß bei dieser Vorrichtung der zum Heben des Tragarms erforderliche Hebebalg mit dem Tragarm fest verschraubt ist, so daß der Tragarm nicht kerbfrei ausgebildet ist. Derartige, die Belastbarkeit des Tragarms beschränkende Maßnahmen sollen mit der erfindungsgemäßen Vorrichtung gerade vermieden werden.

2. Daneben waren im Stand der Technik verschiedene Achshebevorrichtungen für Nutzfahrzeuge bekannt, die zwar bereits vorsahen, den Tragarm durch einen Hebebalg mit Druck zu beaufschlagen, ohne den Tragarm durch Bohrungen oder Kerben in seiner Tragfähigkeit zu beeinträchtigen (europäische Patentschriften 0 332 037 und 0 284 572). Die in den beiden Druckschriften offenbarten Achshebevorrichtungen unterscheiden sich aber bereits dadurch von der Achshebevorrichtung nach Patentanspruch 1 des Streitpatents, daß der Hebebalg nicht wie nach dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents unter dem Tragarm für die Achse (Merkmal 3; 3.1), sondern gegenüber diesem seitlich versetzt angeordnet ist.

3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 wird auch nicht durch die Achsanhebevorrichtung nach dem Prospekt der Klägerin "Baureihen OA/OMA/OTA" vorweggenommen. Die Anordnung der Bauteile nach dem Prospekt unterscheidet sich u.a. dadurch von der Anordnung nach Patentanspruch 1 des Streitpatents, daß der Hebebalg nicht unter dem Tragarm (Merkmal 3.2) angebracht ist. Der Hebebalg beaufschlagt den Tragarm mithin nicht unmittelbar mit Druck, wie dies bei seiner Anordnung unter dem Tragarm nach Patentanspruch 1 des Streitpatents der Fall ist, sondern über das als Hebel wirkende Halteteil.

III. Der Gegenstand nach Patentanspruch 1 des Streitpatents beruht jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit (Art. 56 EPÜ). Die Beweisaufnahme hat zur Überzeugung des Senats ergeben, daß er dem Fachmann durch die Zusammenschau der US-Patentschrift 4 773 670 mit der Achsanhebevorrichtung der Baureihe OA/OMA/OTA der Klägerin gemäß Prospekt Anlage K 4 nahegelegt war.

1. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, daß der genannte Prospekt der Klägerin vor dem Prioritätstag des Streitpatents veröffentlicht worden ist und daher zum Stand der Technik gehört.

Die Zeugin K. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat glaubhaft bekundet, daß die als Anlagen K 4 vorgelegten Kopien den unter der Ordnungsnummer 9 im Prospekt 1989 der Klägerin abgebildeten Baureihen entsprechen, dieser Prospekt im Juli 1989 an Kunden der Klägerin versandt worden ist und zudem während der Internationalen Automobilmesse im September 1989 in Frankfurt am Main auslag.

Die Zeugin hat widerspruchsfrei und glaubwürdig bekundet, daß sie als bei der Klägerin zuständige Fachkraft für Übersetzungen den dreisprachigen Prospekt der Klägerin angefertigt und im Januar und Februar 1989 die erforderlichen Korrekturen gelesen hat. Sie hat weiter bekundet, daß der Vorauflage des Prospekts Registerkarten beilagen, die von den Kunden der Klägerin ausgefüllt zurückgesendet werden konnten. Aus den Rücksendungen ist bei der Klägerin eine Datenbank für die Versendung des folgenden, hier streitgegenständlichen Prospekts aufgebaut worden. Dieser ist im Juli 1989 fertig gewesen und wurde Mitte Juli 1989 an diejenigen Kunden verschickt, die in die Datenbank aufgenommen worden waren. Ferner wurde der Prospekt den Bekundungen der Zeugin zufolge auf der Internationalen Automobilausstellung im September 1989 ausgelegt. Die Zeugin hat die Ablichtungen der Anlage K 4 mit dem von ihr zum Senatstermin mitgebrachten Originalprospekt verglichen; der Senat hat den vorgelegten Originalsprosoekt eingesehen und seinerseits die entsprechenden Seiten miteinander verglichen, wobei sich ergab, daß die Ablichtungen der Anlage K 4 mit dem Katalog der Klägerin übereinstimmen. Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin haben sich bei deren Vernehmung nicht ergeben; die Beklagte hat die Glaubwürdigkeit der Zeugin auch nicht in Zweifel gezogen.

2. Der gerichtliche Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im einzelnen und überzeugend dargelegt, daß die nachfolgend wiedergegebene Achsanhebevorrichtung der Baureihen OA/OMA/OTA der Klägerin gemäß Anlage K 4 nebst der nachfolgend wiedergegebenen Explosionszeichnung eine Achsanhebevorrichtung darstellt, bei der ein als Rollbalg ausgebildeter Hebebalg, der mit seiner Oberseite am Fahrzeugrahmen befestigt ist, ein Halteteil (Bauteil 510) von oben mit Druck beaufschlagt. Der Rollbalg ist mit seiner Unterseite mit dem Halteteil verschraubt.

Das Halteteil ist mittels der Schraube (Bauteil 515) schwenkbeweglich in dem mit dem Fahrzeugrahmen fest verbundenen Bauteil 8 E gelagert. Mit Hilfe der Schraube ist ferner ein Lenker (in der Explosionszeichnung ohne Bezugsnummer) am Bauteil 8 E schwenkbeweglich und ortsfest angelenkt, den der Fachmann aus der Art seiner Darstellung als kerbfrei ausgebildeten Federlenker ohne weiteres erkennt. Wird der Rollbalg belüftet ("gespannt"), dann beaufschlagt er das Halteteil mit Druck, so daß das Halteteil um die Schraube schwenkt und den ebenfalls an der Schraube gelagerten Federlenker anhebt, der seinerseits die an ihm angelenkte Achse anhebt. An der Stelle, an der das Halteteil den Federlenker mit Druck beaufschlagt, ist ein Anschlagpuffer (Bauteil 512 a) auf dem Halteteil befestigt.

Diese Anordnung der Bauteile hat dem Fachmann am Prioritätstag nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen ohne weiteres offenbart, daß mit ihr ein Federlenker zum Einsatz kommt, dessen Oberseite kerbfrei gehalten ist. Der Fachmann hat dieser Anordnung ferner ohne weiteres entnommen, daß das Halteteil über seine schwenkbewegliche Lagerung in einem mit dem Rahmen ortsfest verbundenen Bauteil (8 E) und mittels seiner Verschraubung mit der Bodenplatte des Hebebalgs diesen gegen transversal wirkende Kräfte schützt, indem es den Hebebalg in einem horizontal beabstandeten Punkt an dem ortsfest mit dem Rahmen verbundenen Bauteil 8 E festlegt (Merkmal 4, 4.1 nach Patentanspruch 1 des Streitpatents). Der Fachmann hat nach den Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen daraus zugleich und ohne weiteres entnommen, daß die schwenkbewegliche Lagerung des Halteteils (510) die vertikale Ausdehnung des Hebebalgs ermöglicht und gleichzeitig eine Beschränkung seiner horizontalen (transversalen) Bewegungen bewirkt (Merkmal 4.2 nach Patentanspruch 1 des Streitpatents).

3. Bei dieser Sachlage war dem Fachmann der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents nahegelegt.

a) Der Fachmann, der sich am Prioritätstag vor die Aufgabe gestellt sah, eine Achshebevorrichtung für Nutzfahrzeuge zu konstruieren, hat im Stand der Technik neben der US-Patentschrift 4 773 670 nicht nur die europäischen Patentschriften 0 332 037 und 0 284 572 vorgefunden, sondern auch den Prospekt der Klägerin zu den Baureihen OA/OMA/OTA. Er hat diesen Druckschriften entnommen, daß die zur Anhebung der Achse erforderlichen Roll- oder Gasfaltenbälge an unterschiedlichen Stellen der Gesamtkonstruktion angeordnet werden können. Die US-Patentschrift 4 773 670 zeigt eine unmittelbare Beaufschlagung des Lenkers mittels unter dem Lenker angeordneter Hebebälge. Die Baureihe OA/OMA/OTA der Klägerin zeigt eine mittelbare Beaufschlagung des Lenkers über einen zweiarmigen Hebel, wobei der Hebebalg hinter der Anlenkung des Lenkers an den Fahrzeugrahmen angeordnet ist. Die europäische Patentschrift 0 332 037 zeigt eine Anordnung, bei der die Achse mittels eines mittig zwischen den Tragarmen angeordneten Hebebalgs angehoben wird, so daß der zur Anhebung der Achse erforderliche Druck nicht auf die Lenker selbst wirkt (Fig. 3, 4). Gleiches gilt für die europäische Patentschrift 0 284 572 (Fig. 3).

Wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend dargelegt hat, beruhten diese unterschiedlichen Anordnungen auf dem Umstand, daß es für die Frage, wo ein oder mehrere Hebebälge innerhalb der Achshebevorrichtung anzuordnen sind, unter anderem darauf ankommt, welchen Zwecken das Fahrzeug, das mit einer Achshebevorrichtung ausgestattet wird, dienen soll und welcher Raum angesichts der Verwendungsweise des Fahrzeugs für die Ausgestaltung der Achshebevorrichtung zur Verfügung steht. Wird der Raum vor oder hinter der Achshebevorrichtung etwa als Stauraum für Paletten benötigt, wird vorzugsweise eine kompakte Bauform gewählt, bei der es zweckmäßig sein kann, den Hebebalg unter dem Tragarm anzuordnen, wie dies bei der Achshebevorrichtung nach der US-Patentschrift 4 773 670 der Fall ist. Steht mehr Raum zur Verfügung, kann es zweckmäßig sein, den Hebebalg hinter der Achshebevorrichtung anzuordnen, wie dies bei der Baureihe OA/OMA/OTA der Klägerin geschehen ist. Soll das Fahrzeug einen hinreichenden Bodenabstand aufweisen, kann es zweckmäßig sein, den Hebebalg möglichst hoch am Rahmen anzuordnen, während der Hebebalg unter den Federlenkern angeordnet werden kann, wenn der Bodenabstand des Fahrzeugs als unkritisch betrachtet wird.

Die konstruktiven Mittel zur Lösung derartiger Anpassungen der bekannten Vorrichtungen an die jeweils spezifischen Zwecke des Fahrzeugs hatte der Fachmann am Prioritätstag des Streitpatents zur Hand. Wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend dargelegt hat, halten sie sich im Rahmen der dem Fachmann geläufigen Variationsregeln wie Vertauschung von Innen- und Außenanordnung von Bauteilen, Änderung der relativen Lage von Anlenkpunkten und Krafteinleitungen und Funktionsintegration. Danach lag es im Bereich des Könnens des Fachmanns, die zum Anheben der Achse erforderlichen Mittel wie Gasfalten- oder Rollbälge an der Stelle vorzusehen, an der sie je nach Einsatzzweck des Fahrzeugs am wenigsten hinderlich sind.

Wie der gerichtliche Sachverständige weiter überzeugend dargelegt hat, standen dem Fachmann am Prioritätstag sowohl Gasfalten- als auch Rollbälge zur Verfügung, um einen Tragarm in Achshebevorrichtungen mit Druck zu beaufschlagen. Gasfalten- und Rollbälge waren dem Fachmann als austauschbare Mittel bekannt, sie wurden von ihm gleichermaßen als Mittel zur Konstruktion von Achshebevorrichtungen in Betracht gezogen. Der Umstand, daß die Achsanhebevorrichtung nach der Baureihe OA/OMA/OTA der Klägerin einen Rollbalg als Hebebalg verwendet, hat den Fachmann daher nicht davon abgehalten, auch den Prospekt der Klägerin als eine zu berücksichtigende Druckschrift in Betracht zu ziehen.

b) Angesichts des Offenbarungsgehalts des vorveröffentlichten Prospekts der Klägerin ergab sich der Gegenstand nach Patentanspruch 1 des Streitpatents am Prioritätstag für den Fachmann in naheliegender Weise unter Berücksichtigung von Anregungen, die ihm die US-Patentschrift 4 773 670 vermittelte.

Ausgehend von der Achsanhebevorrichtung nach dem Prospekt der Klägerin konnte der Fachmann, der eine kompaktere Bauweise vorsehen wollte, etwa um im Bereich außerhalb der Vorrichtung Paletten transportieren zu können, aus der US-Patentschrift 4 773 670 die Anregung erhalten, den Hebebalg auf einer ortsfest mit dem Rahmen verbundenen Bodenplatte (US-Patentschrift 4 773 670, Fig. 1 Bezugszeichen 12) festzuschrauben, so daß der Hebebalg den Lenker unmittelbar von unten mit Druck beaufschlagt. Ausgehend von der US-Patentschrift 4 773 670 konnte der Fachmann, dem am Prioritätstag bekannt war, daß Achslenker vorzugsweise mit kerbfreien Oberflächen ausgebildet werden und Gasfaltenbälge zum Schutz gegen transversale Beanspruchung mit ihrer Ober- und Unterseite geführt werden, aus dem Prospekt der Klägerin die Anregung entnehmen, den Hebebalg mittels eines am Fahrzeugrahmen schwenkbeweglich angelenkten Halteteils zu führen und den durch Spannen des Hebebalgs ausgeübten Druck mittels eines Hebels auf einen Federlenker zu übertragen. Als konstruktive Mittel bedurfte es nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen dazu lediglich einer Verschwenkung des mit dem ortsfest aber schwenkbeweglich am Fahrzeugrahmen angelenkten und mit dem Hebebalg verschraubten Halteteils nach der im Katalog der Klägerin offenbarten Achshebevorrichtung um 180 Grad.

Bei dieser Maßnahme handelt es sich nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung um eine einfache Umkehrung des Einbaus des mit dem Halteteil verbundenen Hebebalgs nach dem Prospekt OA/OMA/OTA der Klägerin, die der Fachmann mit üblichen Regeln der Variation bekannter Konstruktionen auffinden und bewältigen konnte und die ihn vor keine Schwierigkeiten gestellt hat. Denn der Fachmann hat nach den Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen erkannt, daß die Umkehrung des Einbaus ohne weiteres möglich ist. Sie hat nicht nur keine Eingriffe in das Zusammenwirken von Hebebalg und Halteteil erfordert, vielmehr hat der Fachmann erkannt, daß eine einfache Umkehrung ohne weitere Eingriffe das Zusammenwirken von Hebebalg und Halteteil geboten war. Denn dem Fachmann war aus seinem allgemeinen Fachwissen bekannt, daß ein Gasfaltenbalg gegen transversale Beanspruchungen festzulegen ist und insbesondere Federlenker kerbfrei auszubilden sind. Da der Fachmann nach den überzeugenden Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen aus dem Prospekt der Klägerin ohne weiteres entnehmen konnte, daß die Verschraubung des Hebebalgs mit dem ortsfest, aber schwenkbeweglich am Fahrzeugrahmen gelagerten Halteteil sowohl das Problem einer Festlegung des Hebebalgs gegen transversale Kräfte als auch das Problem einer kerbfreien Ausbildung des Lenkers löst, konnte er auch erkennen, daß bei einer Verschwenkung der miteinander verbundenen Teile um 180 Grad diese ihm bekannten Probleme auftreten, wenn er in das durch die Achsanhebevorrichtung nach dem Katalog der Klägerin offenbarte Zusammenwirken von Hebebalg und Halteteil eingreift und die Teile voneinander löst, um sie anderweitig in Eingriff mit dem Federlenker zu bringen. Da dem Fachmann die Vorteile des Zusammenwirkens der beiden Teile durch die Achsanhebevorrichtung nach dem Katalog der Klägerin ohne weiteres offenbart worden sind und da für ihn erkennbar war, daß er diese Vorteile bei einer Auflösung ihres Zusammenwirkens aufgeben und hinnehmen muß, daß entweder der Faltenbalg nicht gegen transversale Beanspruchung festgelegt oder der Lenker nicht kerbfrei ausgebildet werden kann, weil er mit dem Hebebalg zu dessen Schutz gegen transversale Beanspruchung zu verschrauben ist, war der verschwenkte und im übrigen unveränderte Einbau des mit dem Halteteil verschraubten Hebebalgs ein naheliegender Weg, eine Achsanhebevorrichtung so auszubilden, daß der Federlenker in kompakter Weise von unten mit Druck beaufschlagt, der Hebebalg gegen transversale Beanspruchung festgelegt und die Oberfläche des Federlenkers kerbfrei gehalten werden kann. Dem Fachmann standen nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen keine Schwierigkeiten im Wege, die ihn daran gehindert hätten, diese im Rahmen seines Fachkönnens liegende Umkehrung des Einbaus der aus dem Katalog der Klägerin bekannten Teile vorzunehmen. Die einzige Anpassung, die durch eine solche Maßnahme erfordert wird, liegt nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen darin, daß das nach dem Katalog der Klägerin als zweiarmiger Hebel ausgebildete Halteteil als einarmiger Hebel auszubilden ist. Wie der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, handelt es sich bei dieser Maßnahme um eine im Können des Fachmanns liegende einfache Variation.

Danach beruht der Gegenstand nach Patentanspruch 1 des Streitpatents nicht auf erfinderischer Tätigkeit, sondern war dem Fachmann aus der Zusammenschau der US-Patentschrift 4 773 670 mit dem Prospekt OA/OMA/OTA der Klägerin nahegelegt. Das Streitpatent ist daher bezüglich seines Patentanspruchs 1 für nichtig zu erklären.

IV. Die Patentansprüche 2, 4 und 5 haben mit Patentanspruch 1 des Streitpatents keinen Bestand.

Nach Patentanspruch 2 des Streitpatents soll die Oberseite des Gasfaltenbalgs eine starre Platte sein, die ein oder mehrere elastische Polster trägt, über die der Gasfaltenbalg von unten gegen den Tragarm drückt, wobei der Haltearm (14) starr mit der starren Platte verbunden ist oder einen Teil dieser Platte bildet. Wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend dargelegt hat, ist die Verwendung eines den Tragarm bei der Druckbeaufschlagung schützenden elastischen Polsters eine dem Fachmann naheliegende Maßnahme, die ihm darüber hinaus bereits von den Achsanhebevorrichtungen der Baureihen OA/OMA/OTA der Klägerin bekannt ist, bei denen der Haltearm im Bereich der Druckbeaufschlagung mit einem Anschlagpuffer versehen ist. Der Anschlagpuffer ist bei diesen Baureihen mit dem Haltearm und dieser mit dem Roll- oder Faltenbalg verschraubt, so daß er eine starre Platte bildet, über die das Polster und der Gasfaltenbalg miteinander fest verbunden sind.

Patentanspruch 4 des Streitpatents betrifft eine Achsanhebevorrichtung nach Patentanspruch 1, bei der der Haltearm schwenkbar an dem Federaufnahmeblock angelenkt ist. Die schwenkbare Anlenkung des Haltearms am Federaufnahmeblock ist aus den Baureihen OA/OMA/OTA der Klägerin bekannt, bei denen der Haltearm (Zeichnungen Bauteil 510) schwenkbar am Federaufnahmeblock angelenkt ist. Patentanspruch 4 weist daher weder für sich noch in Zusammenschau mit Patentanspruch 1 erfinderischen Gehalt auf. Gleiches gilt für Patentanspruch 5, demzufolge sich der Haltearm nach Patentanspruch 4 um dieselbe Drehachse wie der Tragarm in dem Federaufnahmeblock dreht.

Danach weisen die Patentansprüche 2, 4, und 5 weder für sich noch in der Zusammenschau mit Patentanspruch 1 erfinderischen Gehalt auf. Gegenteiliges wird von der Beklagten auch nicht geltend gemacht. Sie sind daher mit dem Patentanspruch 1 für nichtig zu erklären.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 91 ZPO.

Ende der Entscheidung

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