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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 16.10.2001
Aktenzeichen: X ZR 56/99
Rechtsgebiete: PatG, ZPO


Vorschriften:

PatG § 121 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 97 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

X ZR 56/99

Verkündet am: 16. Oktober 2001

in der Patentnichtigkeitssache

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. Oktober 2001 durch den Vorsitzenden Richter Rogge, die Richter Prof. Dr. Jestaedt und Scharen, die Richterin Mühlens und den Richter Dr. Meier-Beck

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung gegen das Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 13. Oktober 1998 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des deutschen Teils des am 8. November 1989 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung 38 39 647 vom 24. November 1988 angemeldeten europäischen Patents 370 307 (Streitpatents). Die Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung ist am 3. Februar 1993 erfolgt.

Die Ansprüche 1 und 12 des Streitpatents lauten in der Verfahrenssprache Deutsch:

"1. Palettenbehälter mit einer Flachpalette, einem austauschbaren Innenbehälter aus Kunststoff mit einer oberen Einfüllöffnung und einer unteren Entleerungseinrichtung sowie einem den Innenbehälter umgebenden Außenmantel aus einem Gitterwerk mit senkrechten und waagerechten Gitterstäben aus Metall, dadurch gekennzeichnet, daß der Außenmantel (3) durch als Rohre ausgebildete Gitterstäbe (4, 5) gebildet wird, die eng an der Außenwand (14) des Kunststoff-Innenbehälters (2) anliegen, daß an den Kreuzungsstellen (15) die senkrechten und waagerechten Gitterstäbe (4, 5) zur Bildung muldenartiger, in Längsrichtung der Gitterstäbe verlaufender, doppelwandiger Vertiefungen (16) eingezogen sind, derart, daß die beiden gekrümmten Längsränder (18, 19) der Wandung (17) der Vertiefungen (16) jedes Gitterstabes (4, 5) zwischen einer Tangentialebene (20-20) und einer zu dieser parallelen Sekantenebene (21-21) des Gitterstabes (4, 5) verlaufen und an jeder Kreuzungsstelle (15) zwischen den Längsrändern (18, 19) der Vertiefungen (16) zweier rechtwinklig übereinander liegender Gitterstäbe (4, 5) vier in einer Ebene (21-21) gelegene Berührungsstellen (22) mit jeweils einer der vierfachen Gitterstabwandstärke (23) entsprechenden Materialanhäufung entstehen, und daß die Gitterstäbe (4, 5) durch eine Widerstandspreßschweißung der vier Berührungsstellen (22) an jeder Kreuzungsstelle (15) derart miteinander verbunden sind, daß die Stäbe (4, 5) innen und außen gemeinsame Tangentialebenen (20-20, 25-25) aufweisen.

12. Palettenbehälter nach einem der Ansprüche 1 bis 11, dadurch gekennzeichnet, daß der Gittermantel (3) nach dem Verschweißen der Gitterstäbe (4, 5) miteinander und mit den umlaufenden oberen und unteren Profilen (31, 27) in seine Gebrauchsform gebogen und an der Stoßstelle verschweißt ist."

Wegen des Wortlauts der weiteren Ansprüche wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.

Mit der Nichtigkeitsklage hat die Klägerin Patentanspruch 1 sowie Patentanspruch 12 in seiner unmittelbaren Rückbeziehung auf Patentanspruch 1 angegriffen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Streitpatentschrift offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann sie ausführen könne. Dem Gegenstand der angegriffenen Ansprüche - die die Priorität der deutschen Patentanmeldung 38 39 647 nicht in Anspruch nehmen könnten, weil diese nicht die erste Anmeldung der Erfindung darstelle - fehle die Patentfähigkeit. Er sei gegenüber einer offenkundigen Vorbenutzung im Prioritätsintervall nicht neu und beruhe gegenüber dem druckschriftlichen Stand der Technik nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Das Bundespatentgericht hat die Nichtigkeitsklage abgewiesen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin sie im Umfang ihres erstinstanzlichen Angriffs weiter.

Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Als gerichtlicher Sachverständiger hat Professor Dr.-Ing. D. S. ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Klägerin hat ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten des Professors Dr.-Ing. K. Se., Fachhochschule K., vorgelegt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Wie das Bundespatentgericht hat auch der Senat sich nach dem Ergebnis der Verhandlung und der Beweisaufnahme nicht davon überzeugen können, daß dem Gegenstand des Streitpatents die Patentfähigkeit fehlt.

I. Das Streitpatent betrifft einen Palettenbehälter mit einer Flachpalette, einem austauschbaren Innenbehälter und einem Außenmantel. Der Innenbehälter besteht aus Kunststoff und weist eine obere Einfüllöffnung und eine untere Entleerungseinrichtung auf. Der den Innenbehälter umgebende Außenmantel besteht aus einem Gitterwerk mit senkrechten und waagerechten Gitterstäben aus Metall. Derartige Behälter werden, wie die Streitpatentschrift erläutert, als Mehrwegbehälter zur Lagerung und zum Transport von Flüssigkeiten aller Art in der Chemischen, Pharma-, Mineralöl- und Nahrungsmittelindustrie eingesetzt.

Bei den als Stand der Technik erörterten, etwa aus der deutschen Offenlegungsschrift 30 39 635 bekannten Palettenbehältern besteht der Außenmantel aus einem Drahtgitter mit sich kreuzenden vertikalen und horizontalen Vollstäben. Demgegenüber wird das Gitterwerk erfindungsgemäß durch als Rohre ausgebildete Gitterstäbe gebildet, die an den Kreuzungsstellen in der in Anspruch 1 näher beschriebener Weise durch Verformung und Widerstandspreßschweißung miteinander verbunden werden.

Nach Merkmalen gegliedert läßt sich die technische Lehre dieses Anspruchs wie folgt umschreiben:

1. Der Palettenbehälter besteht aus einer Flachpalette, einem austauschbaren Innenbehälter und einem Außenmantel.

2. Der Innenbehälter besteht aus Kunststoff und weist eine obere Einfüllöffnung und eine untere Entleerungseinrichtung auf.

3. Der den Innenbehälter umgebende Außenmantel besteht aus einem Gitterwerk mit senkrechten und waagerechten Gitterstäben aus Metall, die

3.1 als Rohre ausgebildet sind,

3.2 eng an der Außenwand des Kunststoffinnenbehälters anliegen und

3.3 an den Kreuzungsstellen zur Bildung muldenartiger, in Längsrichtung der Gitterstäbe verlaufender Vertiefungen eingezogen sind.

4. Die Gitterstäbe sind in den Vertiefungen doppelwandig derart ausgebildet, daß

4.1 die beiden gekrümmten Längsränder der Wandung der Vertiefungen jedes Gitterstabes zwischen einer Tangentialebene und einer zu dieser parallelen Sekantenebene des Gitterstabes verlaufen und

4.2 an jeder Kreuzungsstelle zwischen den Längsrändern der Vertiefungen zweier rechtwinklig übereinander liegender Gitterstäbe vier Berührungsstellen entstehen,

4.2.1 die in einer Ebene gelegen sind,

4.2.2 mit jeweils einer der vierfachen Gitterstabwandstärke entsprechenden Materialanhäufung.

5. Die Gitterstäbe sind an jeder Kreuzungsstelle durch eine Widerstandspreßschweißung der vier Berührungsstellen miteinander verbunden.

6. Die Verbindung erfolgt derart, daß die Gitterstäbe innen und außen gemeinsame Tangentialebenen aufweisen.

Die nachfolgenden Figuren 7 bis 9 der Streitpatentschrift zeigen ein Ausführungsbeispiel einer erfindungsgemäßen Vertiefung und Kreuzungsstelle.

Die Vorteile dieser Ausgestaltung liegen, wie die Streitpatentschrift erläutert, in der Einsparung von Gewicht bei wesentlich höherer Stabilität. Die besondere Ausbildung der Kreuzverbindungen (Merkmale 3.3 - 6) ermöglicht eine optimale Schweißverbindung im Rahmen einer automatisierten Massenfertigung und zeichnet sich durch ein großes Widerstandsmoment gegen äußere und innere (durch das Füllgut bewirkte) Krafteinwirkungen aus. Das Streitpatent löst damit das technische Problem, einen Palettenbehälter zur Verfügung zu stellen, der bei möglichst geringem Gewicht hohe Stabilität aufweist und sich konstruktiv gut für eine automatisierte Fertigung eignet.

Einer näheren Erläuterung bedürfen die Merkmale 4 und 4.2.2:

Nach dem Wortlaut des Anspruchs sind die Gitterstäbe "zur Bildung doppelwandiger Vertiefungen eingezogen". Der Fachmann - bei dem es sich, wie der Sachverständige zur Überzeugung des Senats ausgeführt hat, um den Absolventen einer Technischen Fachhochschule oder Technikerschule der Fachrichtung Maschinenbau handelt, der eine mindestens zweijährige Erfahrung auf dem Gebiet der Konstruktion und Fertigung von geschweißten rahmenförmigen Tragelementen besitzt und Kenntnisse über den Umgang mit Paletten in der Verpackungs- und Transporttechnik hat - erkennt jedoch unschwer, daß nicht die Einziehung oder Vertiefung selbst doppelwandig sein soll, sondern daß sich durch die Einziehung ein doppelwandähnlicher, relativ eng nebeneinanderliegender Verlauf des eingezogenen und des nicht eingezogenen Teils der Rohrwandung ergeben soll, wie er in den Figuren 8 und 9 der Streitpatentschrift dargestellt ist. Entsprechend ist Merkmal 4 formuliert.

Die vierfache Materialanhäufung entsprechend Merkmal 4.2.2 sieht der Fachmann, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, in den vier Wänden im Bereich der Berührungsstelle der beiden sich kreuzenden Rohre, die sich nach Einbringen der muldenartigen Vertiefung in die Rohre ergeben. Es handelt sich um eine bloße Wirkungsangabe, die der Sachverständige zu Recht als insofern eindeutig und klar bezeichnet hat. Zwar hat er in seinem schriftlichen Gutachten weiter bemerkt, unsicher werde der Fachmann, wenn er über die Bedeutung dieses Merkmals für die technische Lösung des Streitpatents nachdenke, da er mit der vierfachen Materialanhäufung eine vierfache Festigkeitssteigerung assoziiere. Der Fachmann erkennt jedoch, wie der Sachverständige weiter ausführt, daß eine solche Festigkeitssteigerung nicht möglich ist. Die Patentschrift belehrt ihn darüber, daß sie auch nicht gemeint ist, denn sie erläutert das Merkmal dahin, daß durch die Materialanhäufung einer vierfachen Gitterwandstärke an jeder der vier Berührungsstellen an allen Kreuzungsstellen erreicht werde, daß bei einer entsprechenden Steuerung des Schweißstroms und des Druckes der Schweißpresse ein Strom über die Berührungsstellen fließe, der auf die Berührungsstellen beschränkte, gleichmäßige Schmelzbäder erzeuge, die homogene Schweißverbindungen an den Kreuzungsstellen zwischen den Gitterstäben gewährleisteten (Sp. 3 Z. 39 - 50). Ob der betroffene Verbindungsbereich tatsächlich annähernd einer vierfachen Materialanhäufung entspricht, ist hierbei für den Fachmann erkennbar ohne Belang.

II. Aus den vorstehenden Erläuterungen ergibt sich, daß die von der Klägerin vorgebrachten Einwände gegen die Ausführbarkeit der technischen Lehre des Streitpatents (Artt. 83, 138 Abs. 1 lit. b EPÜ) gegenstandslos sind. Sie beruhen auf einem unzutreffenden Verständnis der Merkmale 4 und 4.2.2 im Sinne einer Doppelwandigkeit der Einziehung bzw. einer Materialanhäufung mit dem vierfachen Durchmesser des Gitterstabes.

III. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents ist gegenüber dem Stand der Technik neu (Artt. 52 Abs. 1, 54, 138 Abs. 1 lit. a EPÜ).

1. Die in der Streitpatentschrift erörterte deutsche Patentschrift 30 39 635 betrifft Palettenbehälter nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 des Streitpatents (Merkmale 1 bis 3). Der Außenmantel besteht aus einem Drahtgitter, bei dem die Behälterwände durch Biegung einer einzigen Drahtgitterplatte erhalten sind, deren vertikale Enden durch ein Verschweißen der Gitterstäbe oder durch Haken oder Klemmen fest miteinander verbunden sind. Dies soll die preisgünstige Herstellung eines Außenmantels mit einer Steifheit ermöglichen, wie sie - herstellungstechnisch aufwendiger - durch (einzelne) Drahtgitterplatten erzielt wird, die durch einen aus Profilabschnitten gebildeten Rahmen eingefaßt werden.

2. Das Gebrauchsmuster 84 33 960 beschreibt einen Palettenbehälter aus Kunststoff für flüssige, pastöse und pulverige Füllgüter mit oberer Einfüllöffnung und unterem Auslauf, bei dem ein punktgeschweißtes Drahtgitter, das eng an dem Kunststoffinnenbehälter anliegt, je einen oberen und unteren umlaufenden Rohrrahmen besitzt, welcher mit dem Drahtgitter kraftschlüssig verbunden ist. Diese Rohrrahmen sollen so gestaltet sein, daß die von dem relativ flexiblen Innenbehälter ausgehenden Verformungskräfte aufgrund ihrer hohen Biege- und Verwindungssteifigkeit aufgefangen werden können. Die oberen und unteren Rohrrahmen können alternativ oder zusätzlich zu dem Drahtgitter durch Vertikalstreben miteinander verbunden werden, die zur Aufnahme von Druckbelastungen, Biegebeanspruchungen und Querkräften vorzugsweise ebenfalls rohrförmig ausgeführt werden sollen. Offenbart sind damit nur die Merkmale 1 bis 3 und 3.2 sowie Merkmal 3.1 hinsichtlich der rohrförmigen Vertikalstreben.

3. Die deutsche Offenlegungsschrift 26 55 268 betrifft einen Chargierkorb aus hitzebeständigem Material, der, wie der Sachverständige erläutert hat, zum Transport von heißen Werkstücken in der Keramik- und Porzellanindustrie dient. Die von dem gegossenen Boden des Korbes ausgehenden Seitenwände bestehen aus Rohren, die netzartig durch Kreuzverbindungen miteinander verschweißt sind. Dazu werden rechtwinklig zueinander angeordnete, in ihren gestreckten Abschnitten im Querschnitt unverformte Rohre in Kröpfkreuzbereichen einseitig und gegensinnig bis auf Radiushöhe abgeflacht. Die aufeinanderliegenden Kröpfungsbereiche werden durch rechtwinklig aufeinanderstehende Längs- und Querschweißnähte verbunden, deren Abstand voneinander dem Durchmesser der unverformten Rohre entspricht und seinerseits durch Schweißnähte überbrückt wird, so daß sich eine endlose bandagenartige Naht ergibt. Das entspricht den Merkmalen 3.1, 3.3 und 6, während es an einem Palettenbehälter nach den Merkmalen 1 bis 3 und 3.2 und an einer Verbindung der Stäbe des Rohrgitters nach den Merkmalen 4 bis 5 fehlt.

4. Die Veröffentlichungen von Janssen in "Bänder, Bleche, Rohre" 1974, 249 ff. (Anl. N 6) und "Der Praktiker" 1977, 36 ff. (Anl. N 7) befassen sich nicht mit Palettenbehältern, sondern allgemein mit dem Widerstandsschweißen von Stahlrohren im Kreuzstoß. Es wird darauf hingewiesen, daß Rohrkonstruktionen, wie sie vom Stahlbau über den Maschinenbau, die Stahlmöbelindustrie und Haushaltsgeräte bis zum Kinderauto weit verbreitet seien, konstruktiv und fertigungstechnisch durch das Punktschweißen im Kreuzstoß vereinfacht werden könnten, wenn man das günstige Verfahren des Widerstandsschweißens nutze. Den gezeigten Rohrverbindungen wird eine gute Festigkeit bescheinigt. Werde eine Eindringtiefe (des Längsrohres in das Querrohr) von 50 % gewünscht, damit die Schweißverbindung nur die Höhe eines Rohrdurchmessers erhalte, seien beide Rohre vor dem Schweißen entsprechend zu verformen. Die Schweißfläche nach der Verformung solle möglichst vier kleine Auflageflächen für die Schweißverbindung bieten. Dazu sei, wie in Bild 9 der Anlage N 6 und Bild 7 der Anlage N 7 gezeigt, parallel zur Rohrachse je Rohr eine Längssicke einzudrücken, so daß die sich ergebenden Wulste an ihrer höchsten Stelle die Berührungsflächen am Kreuzstoß bildeten. Die Verbindung der Rohre im Kreuzstoß entspricht damit den Merkmalen 3.3 bis 6.

5. Ähnliches gilt für die von der Klägerin durch das Privatgutachten in das Verfahren eingeführte Abhandlung von Belotte in "Maschinenwelt und Elektrotechnik" 1960, 169 ff., die französische Patentschrift 1 247 439 (Anl. Brä 3a) und die Darstellung des Widerstandsschweißens in dem 1965 erschienenen Werk "Le soudage par résistance" (Anl. Brä 4). Auch in diesen Veröffentlichungen werden wie bei Janssen verformte, kreuzweise durch Widerstandspreßschweißung ("Buckelschweißen") verbundene Rohre dargestellt. Belotte weist darauf hin, daß sich beim Aufeinanderlegen der verformten Rohre vier Kontaktstellen und mithin auch vier Schweißpunkte in einem einzigen Arbeitgang ergäben; diese Methode liefere Verbindungen großer Starrheit (S. 171, lk. Sp.). Dieser Vorteil der vier Schweißpunkte wird auch in der französischen Patentschrift hervorgehoben (Anl. Brä 3a, S. 2, re. Sp., Abs. 4).

6. Die offenkundige Vorbenutzung eines erfindungsgemäßen Palettenbehälters vor dem 8. November 1989 gehört nicht zum Stand der Technik, da nach Art. 89 EPÜ der Prioritätstag für die Anwendung des Art. 54 Abs. 2 EPÜ als Tag der europäischen Patentanmeldung gilt. Das Streitpatent nimmt die Priorität der deutschen Patentanmeldung 38 39 647 zu Recht in Anspruch.

Die Patentanmeldung betrifft, wie außer Streit steht, dieselbe Erfindung. Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich aber auch um die erste Anmeldung dieser Erfindung im Sinne des Art. 87 Abs. 1, 4 EPÜ. Die vorangegangene deutsche Patentanmeldung 38 19 911 der Beklagten betrifft zwar auch einen Palettenbehälter mit den Merkmalen 1 bis 3.3 und 6. Die Ausgestaltung der muldenartigen Vertiefungen an den Berührungsstellen nach den Merkmalen 4 bis 4.2.2 und deren Verbindung durch eine Widerstandspreßschweißung gemäß Merkmal 5 sind jedoch in der Voranmeldung nicht offenbart. Die Beschreibung verhält sich dazu nicht und in den Zeichnungen sind nur in den Mulden flächig aufeinanderliegende gekreuzte Rohrteile dargestellt. Es kann auch keine Rede davon sein, daß, wie der Privatgutachter der Klägerin meint, alle Schweißverfahren offenbart wären, weil die Offenlegungsschrift das Verfahren offenläßt und der Fachmann, die Möglichkeit, die Gitterstäbe entsprechend den Merkmalen 4 bis 5 miteinander zu verbinden, in der älteren Anmeldung im Sinne der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 128, 270, 276 f. - elektrische Steckverbindung) gleichsam mitlesen würde. Denn eine solche Verbindung war, wie nachstehend zu IV. noch näher erläutert, im Stand der Technik bei Palettenbehältern der erfindungsgemäßen Art nicht bekannt.

Der Umstand, daß sich der Gegenstand des Streitpatents als Ausführungsform des in der älteren Anmeldung offenbarten Palettenbehälters darstellt, ist für die Inanspruchnahme des Prioritätsrechts ohne Belang. Denn eine Anmeldung zum europäischen Patent betrifft, wie der Senat im Anschluß an die Stellungnahme G 2/98 der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom 31.5.2001 bereits entschieden hat (Urt. v. 11.9.2001 - X ZR 168/98 - Luftverteiler; zur Veröffentlichung bestimmt) nur dann im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EPÜ dieselbe Erfindung wie eine Voranmeldung, wenn die mit der europäischen Patentanmeldung beanspruchte Merkmalskombination dem Fachmann in der Voranmeldung in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten Erfindung gehörig offenbart ist.

IV. Nach dem Ergebnis der Verhandlung und Beweisaufnahme hat der Senat auch nicht die Überzeugung gewinnen können, daß sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergab (Artt. 52 Abs. 1, 56, 138 Abs. 1 lit. a EPÜ).

1. Der Stand der Technik enthält bereits kein Vorbild für einen Palettenbehälter aus Flachpalette, austauschbarem Innenbehälter und Außenmantel (Merkmal 1), bei dem der Außenmantel aus einem Gitterwerk aus sich kreuzenden senkrechten und waagerechten Rohren im Sinne des Streitpatents besteht. Das Gitterwerk des Außenmantels wird vielmehr sowohl bei der deutschen Patentschrift 30 39 635 als auch bei dem Gebrauchsmuster 84 33 960 durch ein Drahtgitter gebildet. Als Alternative ist in dem Gebrauchsmuster zwar auch eine Lösung beschrieben, bei der rohrförmige obere und untere Umrandungen durch gleichfalls rohrförmige Vertikalstreben miteinander verbunden sind. Entsprechende, mit den Vertikalstreben ein Gitterwerk im Sinne des Streitpatents bildende Horizontalstreben sind jedoch nicht vorgesehen. Das Gebrauchsmuster weist dem Fachmann vielmehr einen anderen Weg, indem es zur Optimierung des Materialeinsatzes vorschlägt, die Anzahl der über den Umfang angeordneten Vertikalstreben soweit zu reduzieren, wie dies die in der Praxis auf den Gitterrahmen wirkende Stapeldruckbelastung zuläßt. Da dies zu einer erhöhten Ausbeulung des Innenbehälters führt, soll ein zusätzlich zwischen Behälter und Gitterrahmen kraftschlüssig mit der oberen und unteren Umrandung und den Vertikalstreben verbundenes dünnmaschiges punktgeschweißtes Drahtgitter die Verbundstabilität erhöhen und der Ausbeulung des Innenbehälters entgegenwirken (Anl. N 5, S. 6, Abs. 1 und 2). Die Schrift hält den Fachmann damit eher davon ab, das Drahtgitterwerk durch ein Gitterwerk aus sich kreuzenden Rohren zu ersetzen.

Eine Anregung dazu konnte dem Fachmann auch die deutsche Offenlegungsschrift 26 55 268 nicht geben. Sie beschreibt zwar ein Rohrgitterwerk, betrifft jedoch einen ganz anders aufgebauten Gegenstand, nämlich einen Chargierkorb aus hitzebeständigem Material mit einem gegossenen Boden, der somit weder eine Flachpalette noch einen austauschbaren Kunststoffinnenbehälter aufweist. Dieser Innenbehälter ist es jedoch, der bei den Palettenbehältern des Standes der Technik von einem Drahtgitter eingefaßt worden ist, um seine Formstabilität zu sichern. Diese Funktion entfällt bei dem Chargierkorb. Dadurch, daß die Rohrgitterstäbe innen und außen gemeinsame Tangentialebenen aufweisen (Merkmal 6), ergibt sich zwar objektiv seine Eignung, einen Innenbehälter in der Weise netzartig zu umgeben, daß sowohl die Vertikal- wie die Horizontalrohre für den Innenbehälter stützend wirken. Das ist jedoch nichts, was bei dem Chargierkorb technische Bedeutung hätte. Es ist deshalb nicht erkennbar, was den Fachmann hätte veranlassen sollen, für die Ausgestaltung eines Palettenbehälters der erfindungsgemäßen Art auf das außerhalb seines Fachgebietes liegende Vorbild des Chargierkorbes zurückzugreifen.

Um zum Gegenstand des Streitpatents zu gelangen, mußte der Fachmann daher zunächst den durch den Stand der Technik auf seinem Fachgebiet nicht vorgezeichneten Schritt tun, ein Gitterwerk aus sich kreuzenden Horizontal- und Vertikalrohren überhaupt in Erwägung zu ziehen.

2. Tat er dies, wurde ihm alsbald deutlich, daß ein Gitterwerk, bei dem aufeinanderliegende, sich kreuzende Rohre miteinander verschweißt wurden, für seine Zwecke ungeeignet sein würde, weil hierbei nur eine Rohrebene an der Stützung des Innenbehälters teilnehmen würde. Die notwendige Abstützung des Innenbehälters durch Vertikal- und Horizontalrohre ließ sich jedoch erreichen, wenn die Rohre an der Kreuzungsstelle abgeplattet und mittels einer umlaufenden Schweißnaht miteinander verbunden wurden. Eine solche Lösung beschreibt - für den dargestellten Chargierkorb - die deutsche Offenlegungsschrift 26 55 268, deren ausdrückliches Anliegen es ist, bei einem hinreichend steifen Gitterkäfig den Fertigungsaufwand zu vermindern, der bei Chargierkörben des in der Offenlegungsschrift erörterten Standes der Technik dadurch entstanden war, daß zwischen durchlaufende Rohre im Kreuzstoß jeweils Rohrabschnitte eingeschweißt wurden, wobei sowohl die durchgehenden Rohre als auch die kurzen Rohrstücke zu einem flachovalen Querschnitt verformt wurden.

Um zum Gegenstand des Streitpatents zu finden, mußte der Fachmann diese Lösung als - insbesondere für eine automatisierte Fertigung - unzulänglich erkennen. Dagegen, daß er dies getan haben würde, spricht schon, daß außer der Offenlegungsschrift 26 55 268 auch die - nachveröffentlichte - Offenlegungsschrift 38 19 911 solche Bedenken nicht erkennen läßt. In der letzteren wird nur angegeben, daß bei dem Palettenbehälter ein Kreuzverbund der Rohrgitterstäbe dadurch gebildet wird, daß die waagerechten Gitterrohrstäbe des Gittermantels die senkrechten Gitterstäbe in Mulden aufnehmen, deren Tiefe dem Außendurchmessser der senkrechten Gitterrohrstäbe entspricht, oder dadurch, daß waagerechte und senkrechte Gitterrohrstäbe Mulden mit einer ungefähr dem halben Außendurchmesser der Stäbe entsprechenden Tiefe aufweisen, und daß die Gitterstäbe sodann an den Kreuzungsstellen miteinander verschweißt werden. Auch das Gebrauchsmuster 84 33 960 verbindet die von ihm verwendeten Vertikalrohre mit dem oberen und unteren Rahmen durch Verformung zu flanschartigen Enden, die mit auf den Rahmen verlaufenden Stegen verschweißt werden können.

Selbst wenn der Fachmann eine Verbindung durch eine Schweißnaht als nachteilig ansah, führte ihn dies indes noch nicht zu einer Verbindung durch Widerstandspreßschweißen nach den Merkmalen 4 und 5. Dieser Nachteil konnte ihn vielmehr davon abhalten, sich überhaupt weiter mit einem Gitterwerk aus Horizontal- und Vertikalrohren zu befassen. Dazu konnte auch der Umstand beitragen, daß er bei einem solchen Gitterwerk in geringerem Umfang auf vorgefertigte Teile zurückgreifen konnte, wie sie ihm im Stand der Technik in Gestalt einer herkömmlichen Drahtgittermatte zur Verfügung standen.

3. Eine andere Beurteilung läge freilich nahe, wenn dem Fachmann die Kreuzstoßverbindung von Rohren durch Widerstandspreßschweißen bekannt gewesen wäre. Davon kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedoch nicht ausgegangen werden. Der Sachverständige hat überzeugend dargestellt, daß dem praktisch orientierten, mit der Konstruktion und Fertigung von geschweißten rahmenförmigen Tragelementen der in Rede stehenden Art befaßten Fachmann zwar die Technik des Punkt- oder Buckelschweißens als solche bekannt war, nicht jedoch deren Anwendung auf die Kreuzstoßverbindung von Rohren, wie sie mit der hierfür erforderlichen Zurichtung der Rohre etwa Janssen beschreibt. Der Sachverständige hat dies dadurch untermauert, daß er bekundet hat, auch ihm seien derartige Verbindungen trotz seiner praktischen Befassung mit Rohrgittern nicht geläufig gewesen. Er hat zudem darauf hingewiesen, daß das Buckelschweißen eher auf nicht hoch belastete Teile angewandt worden ist, nicht jedoch auf Tragkonstruktionen wie diejenige des Streitpatents, die sowohl den aus dem Fülldruck der Flüssigkeit und den dynamischen Belastungen beim Transport des Behälters resultierenden inneren Kräften als auch den auf den Behälter etwa einwirkenden äußeren Kräften standhalten soll. Eine zusätzliche Bestätigung findet dieser Befund des Sachverständigen in dem Umstand, daß die Kreuzstoßverbindung von Rohren durch Widerstandspreßschweißen, obwohl sie als solche seit mindestens drei Jahrzehnten bekannt war, wie etwa die Abhandlung von Belotte in "Maschinenwelt und Elektrotechnik" 1960, 169 ff., zeigt, gleichwohl jedoch weder für Palettenbehälter noch für Chargierkörbe angewandt worden ist, die bereits aus einem Rohrgitter mit durchgehenden Längs- und Querrohren bestanden.

4. Um zum Gegenstand der Erfindung zu gelangen, mußte der Fachmann nach alledem nicht nur dazu finden, den Kunststoffinnenbehälter mit einem Rohrgitterwerk zu versehen, bei dem die Gitterstäbe innen und außen gemeinsame Tangentialebenen bilden und dadurch wie das tradierte Drahtgitter ein eng an der Außenwand des Innenbehälters anliegendes Netz bilden, bei dem alle Stäbe an der Stützung des Innenbehälters mitwirken. Er mußte auch den Gedanken entwickeln, die Elemente eines solchen Rohrgitterwerks nicht in konventioneller Weise miteinander zu verschweißen, sondern ein Rohrgitterwerk mittels Widerstandspreßschweißens nach Vorbehandlung der Rohre im Kreuzungsbereich unter Bildung von längs verlaufenden Mulden mit zwei gekrümmten Längsrändern herzustellen und auf diese Weise sowohl eine einfache und damit auch automatisierbare Fertigung zu ermöglichen als auch gleichzeitig eine hinreichend steife Gitterbox mit einer durch jeweils vier verschweißte Berührungspunkte an jeder Kreuzungsstelle gewährleisteten hohen Widerstandsfähigkeit gegen eine Drehbelastung wie gegen eine Druckbelastung zu erzielen. Da dem Stand der Technik für diese Maßnahmen keine dem einschlägigen Fachmann bekannte konkrete Anregung zu entnehmen ist, kann nicht festgestellt werden, daß sie in ihrer Kombination dem Fachmann nahegelegt waren.

Dies stimmt im Ergebnis sowohl mit der Beurteilung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts und des mit fachkundigen Richtern besetzten Bundespatentgerichts als auch mit der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen überein. Die von der Klägerin vorgelegte Entscheidung des Tribunal de Grande Instance de Paris vom 15. Mai 2001 gelangt im wesentlichen deshalb zu einer anderen Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit, weil das Gericht annimmt, daß dem Fachmann das Widerstandspreßschweißen von Rohren im Kreuzstoß mit der patentgemäßen Vorbehandlung und seine Vorteile bekannt waren; im übrigen scheint das Gericht die materielle Beweislast für die erfinderische Tätigkeit beim Patentinhaber zu sehen.

V. Durch die Patentfähigkeit des Anspruchs 1 wird auch der weiterhin im Umfang seiner unmittelbaren Rückbeziehung auf Anspruch 1 angegriffene Anspruch 12 des Streitpatents getragen. Dieser Anspruch hat daher ebenfalls Bestand.

VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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