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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 11.10.2005
Aktenzeichen: X ZR 76/04
Rechtsgebiete: PatG 1968, PatG (1981)


Vorschriften:

PatG 1968 § 6
PatG (1981) vor § 143
a) Der Tatrichter hat das Klagepatent eigenständig auszulegen und darf die Auslegung nicht dem gerichtlichen Sachverständigen überlassen.

b) Da das Verständnis des Fachmanns von den im Patentanspruch verwendeten Begriffen und vom Gesamtzusammenhang des Patentanspruchs die Grundlage der Auslegung bildet, muss sich der Tatrichter erforderlichenfalls sachverständiger Hilfe bedienen. Das kommt etwa dann in Betracht, wenn zu ermitteln ist, welche objektiven technischen Gegebenheiten, welches Vorverständnis der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Sachkundigen, welche Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen und welche methodische Herangehensweise dieser Fachleute das Verständnis des Patentanspruchs und der in ihm verwendeten Begriffe bestimmen oder beeinflussen können.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

X ZR 76/04

Verkündet am: 11. Oktober 2005

Seitenspiegel

in dem Rechtsstreit

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Prof. Dr. Meier-Beck und Asendorf

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 29. April 2004 aufgehoben.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 29. November 2000 teilweise abgeändert:

Die Klägerin wird verurteilt, der Beklagten darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie in der Zeit vom 1. Januar 1986 bis zum 29. Juli 1988

a) Seitenrückblickspiegelanordnungen mit den folgenden Merkmalen

(1) der Rückblickspiegel ist im vorderen Bereich einer Seitentüre angebracht;

(2) die Seitentüre ist mit einer in Führungsschienen geführten versenkbaren Seitenscheibe ausgerüstet;

(3) die Tür weist einen von der Türoberkante und dem Fensterrahmen begrenzten Fensterausschnitt auf;

(4) die versenkbare Seitenscheibe deckt nur einen Teilbereich des Fensterausschnitts ab;

(5) die - ein- oder zweiteilige - vordere Führungsschiene für die Seitenscheibe ragt aus der Türoberkante heraus;

(6) die vordere Führungsschiene ist - unmittelbar oder über ein einstückig mit dem Türblech ausgebildetes Blechteil - mit dem schräg nach oben hinten verlaufenden vorderen Teil des Fensterrahmens verbunden;

(7) die vor der vorderen Führungsschiene befindliche, von der versenkbaren Seitenscheibe nicht bedeckte fensterfreie Fläche des Fensterausschnitts ist durch ein entsprechend ausgebildetes Halteteil des Rückblickspiegels abgedeckt und weist ein Blechteil zum Durchführen und Abstützen von Befestigungsschrauben für den Rückblickspiegel auf durch Einbau entsprechender Rückblickspiegel in Kraftfahrzeuge der Modellreihen X, Y und Z verwirklicht hat, und zwar unter Angabe der Anzahl der Spiegel und des kalkulierten Anteils am Werksabgabepreis (Verkaufspreis abzüglich Händlerrabatt), wobei auch solche Rückblickspiegel zu berücksichtigen sind, die von Deutschland nach Belgien geliefert, dort mit einer von Deutschland nach Belgien versandten Seitentüre zu der bezeichneten Seitenrückblickspiegelanordnung verbunden und nach Deutschland zur Fahrzeugendmontage zurückgeliefert worden sind,

b) Rückblickspiegel für Seitenrückblickspiegelanordnungen, wie sie zu a bezeichnet sind, in der Bundesrepublik Deutschland als Ersatzteile in den Verkehr gebracht hat, und zwar unter Angabe der Anzahl der Spiegel und der Werksabgabepreise (Verkaufspreise abzüglich Händlerrabatt).

Im Übrigen wird der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil des Berufungsgerichts vorbehalten.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagte ist Inhaberin des am 29. Juli 1970 angemeldeten und schon vor Beginn des Rechtsstreits am 29. Juli 1988 durch Zeitablauf erloschenen deutschen Patents 20 37 555 (Anl. B 1). Mit der allein in die Revisionsinstanz gelangten (Stufen-)Widerklage nimmt die Beklagte die Klägerin wegen Verletzung dieses Patents (im Folgenden: Klagepatents) auf Auskunft und Zahlung einer Lizenzgebühr von 3 % in Anspruch. Die Parteien sind ferner in einem Zwischenvergleich übereingekommen, ursprünglich daneben geltend gemachte, auf ein (bis zum 22. Juli bzw. 24. Juni 1991 laufendes) italienisches und ein schweizerisches Parallelpatent gestützte Ansprüche der Beklagten entsprechend der gerichtlichen Entscheidung über die auf das Klagepatent gestützten Ansprüche zu behandeln. Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet:

"Ausbildung und Anordnung eines außerhalb des Inneren von Kraftfahrzeugen, insbesondere von Personenkraftwagen, vorgesehenen Rückblickspiegels im vorderen Bereich einer Seitentüre, die mit einer in Führungsschienen geführten, versenkbaren Seitenscheibe ausgerüstet ist und einen von der Türoberkante und dem Fensterrahmen begrenzten Fensterausschnitt aufweist, wobei die vordere Führungsschiene für die nur einen Teilbereich des Fensterausschnittes abdeckende versenkbare Seitenscheibe aus der Türoberkante herausragt und mit dem schräg nach oben hinten verlaufenden vorderen Teil des Fensterrahmens verbunden ist, dadurch gekennzeichnet, dass die vor der vorderen Führungsschiene (50) befindliche, von der versenkbaren Seitenscheibe (2) nicht bedeckte fensterfreie Fläche des Fensterausschnitts (6) durch ein entsprechend ausgebildetes Halteteil des Rückblickspiegels (9) abgedeckt ist."

Gegen das Klagepatent, an dem zahlreiche Unternehmen der Automobilindustrie Lizenzen genommen haben, sind zwei Nichtigkeitsverfahren geführt worden, von denen die erste, von der A. AG erhobene Nichtigkeitsklage durch vor dem Senat geschlossenen Vergleich erledigt worden ist (Anl. B 7) und die zweite, von P. erhobene Nichtigkeitsklage durch Urteil des Senats vom 28. Januar 1997 (X ZR 43/94, bei Bausch 1994-1998, 348) abgewiesen worden ist.

Mit der Widerklage werden zwei Ausführungsformen einer Seitenrückspiegelanordnung angegriffen, von denen die erste in den 1988er X- und Y-Modellen (im Folgenden: Ausführungsform X) und die zweite in den 1988er Z-Modellen (im Folgenden: Ausführungsform Z) der Klägerin verwendet worden ist und die in den nachfolgenden, den Anlagen B 9a und 9b entnommenen Photographien sowie den nachfolgenden, dem Gutachten des Privatgutachters der Beklagten, Prof. Dr.-Ing. P. , vom 4. März 2003 (Anl. B 41) entnommenen Schnittzeichnungen dargestellt sind:

Ausführungsform X:

Ausführungsform Z:

Das Landgericht hat die Widerklage abgewiesen; die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte die Widerklageanträge weiter. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und auf die Widerklage zur antragsgemäßen Verurteilung der Klägerin zur Erteilung der Auskunft, die die Beklagte zur Bezifferung ihres Zahlungsbegehrens benötigt.

I. Das Klagepatent betrifft Ausbildung und Anordnung eines Seitenrückspiegels für ein Kraftfahrzeug. Die erfindungsgemäße Lehre hat der Senat in seinem Urteil vom 28. Januar 1997 wie folgt erläutert:

"Gegenstand der Lehre des Streitpatents sind Ausbildung und Anordnung eines Rückblickspiegels für Seitentüren von Kraftfahrzeugen, insbesondere Personenkraftwagen. Einen solchen Spiegel schildert die Streitpatentschrift einleitend als aus der deutschen Auslegeschrift 1 232 844 bekannt. Dieser sei teilweise in einem aus der Fahrzeugkontur nach außen ragenden Gehäuse untergebracht, das seinerseits unter einer ausstellbaren, vor der vorderen, bis zum horizontalen oberen Teil des Fensterrahmens verlaufenden Führungsschiene angeordnet ist. An dieser Konstruktion bemängelt sie, dass der Rückblickspiegel zwar weitgehend vor Witterungseinflüssen geschützt werde, seine Konstruktion und sein Einbau jedoch aufwendig und damit teuer und er selbst ästhetisch störend sei.

An weiter als bekannt dargestellten Anordnungen, bei denen der Rückblickspiegel auf die äußere Seite des Türaußenblechs geschraubt werde, beanstandet die Patentschrift, dass hierfür Bohrungen und besondere Befestigungselemente erforderlich seien. Das bedinge nicht nur einen erhöhten Fertigungsaufwand, sondern sei auch hinsichtlich der Stabilität der Befestigung unbefriedigend. Hinzu komme, dass bei dieser Befestigung wegen der Bohrungen im Türblech und insbesondere aufgrund der schon bei geringen Stößen gegen den Spiegel auftretenden Verbiegungen des Blechs die Gefahr vorzeitiger Korrosion bestehe. Schließlich erwähnt die Streitpatentschrift die britische Patentschrift 1 098 723, die die Verwendung von Führungsschienen zur Führung einer versenkbaren Seitenscheibe lehre, über die Anordnung von Rückblickspiegeln jedoch keine Aussage treffe.

Ausgehend von diesem Stand der Technik bezeichnet die Streitpatentschrift es als das zu lösende technische Problem, einen Rückblickspiegel zu schaffen, der mehrere Vorteile aufweisen soll. Als ein zu lösendes technisches Problem gibt die Streitpatentschrift eine sichere Führung der Fensterscheibe an. Hierfür werden - als solche im Stand der Technik bekannte - vertikal in die Fensteröffnung hineinreichende Führungsschienen verwendet, von denen die hintere die Fensteröffnung begrenzt und die vordere so verläuft, dass in Richtung auf die vordere Seitenkante der Tür eine dreieckige Öffnung verbleibt, die von der bei geschlossenem Fenster auf den Raum zwischen den Führungsschienen beschränkten Fensterscheibe nicht bedeckt wird. Weiter wird eine organische Verbindung von Tür und Spiegel angestrebt, die dadurch erreicht werden soll, dass seine Halterung nach Form und Größe an die Dreiecksfläche angepasst ist, die zwischen der vertikal verlaufenden vorderen Führungsschiene für die versenkbare Seitenscheibe und den in diesem Bereich schräg nach oben verlaufenden Rahmen entsteht, und so befestigt wird, dass sie diese Fläche dichtend abdeckt. Darüber hinaus will die Lehre des Streitpatents nach der in der Schrift formulierten Aufgabenstellung die von dem Spiegel ausgehende Unfallgefahr verringern. Dem dient eine glatte Form des Spiegels und seines Gehäuses sowie dessen dichte Anbringung an der Fahrzeugtür.

Durch die Lehre des Streitpatents gelöst werden soll darüber hinaus ein weiteres, in der in der Schrift genannten Aufgabenstellung nicht ausdrücklich erwähntes technisches Problem, das sich aus der Kritik der Schrift im Stand der Technik ergibt. Durch die gewählte Konstruktion soll eine Befestigung des Spiegels an der Türaußenwand vermieden werden, die nach den Angaben der Streitpatentschrift eine Ursache für eine verstärkte Korrosionsgefahr bildet."

Daran ist festzuhalten; tatsächliche Umstände, die ein anderes Verständnis gebieten könnten, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.

Zur Lösung dieser Probleme schlägt das Klagepatent eine Ausbildung und Anordnung eines außerhalb des Inneren von Kraftfahrzeugen vorgesehenen Rückblickspiegels mit folgenden Merkmalen vor:

(1) Der Rückblickspiegel ist im vorderen Bereich einer Seitentüre angebracht.

(2) Die Seitentüre ist mit einer in Führungsschienen geführten versenkbaren Seitenscheibe ausgerüstet.

(3) Die Tür weist einen von der Türoberkante und dem Fensterrahmen begrenzten Fensterausschnitt auf.

(4) Die versenkbare Seitenscheibe deckt nur einen Teilbereich des Fensterausschnitts ab.

(5) Die vordere Führungsschiene für die Seitenscheibe ragt aus der Türoberkante heraus.

(6) Die vordere Führungsschiene ist mit dem schräg nach oben hinten verlaufenden vorderen Teil des Fensterrahmens verbunden.

(7) Die vor der vorderen Führungsschiene befindliche, von der versenkbaren Seitenscheibe nicht bedeckte fensterfreie Fläche des Fensterausschnitts ist durch ein entsprechend ausgebildetes Halteteil des Rückblickspiegels abgedeckt.

Diese vom Berufungsgericht verwendete Merkmalsgliederung entspricht derjenigen des Senatsurteils vom 28. Januar 1997 mit der Maßgabe, dass die Merkmale 7 und 8 aus der Gliederung des Senats zusammengezogen worden sind; dagegen ist nichts zu erinnern.

II. Das Berufungsgericht verneint eine Verletzung des Klagepatents. Bei beiden angegriffenen Ausführungsformen seien die Merkmale 3, 6 und 7 nicht verwirklicht; bei der Ausführungsform X fehle es außerdem an Merkmal 5. Den Kern der Argumentation des Berufungsgerichts bildet dabei die an den Anfang der Begründung gestellte Verneinung des Merkmals 7; dass auch Merkmal 3 nicht verwirklicht werde, leitet das Berufungsgericht hieraus ab. Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg.

1. Warum Merkmal 7 nicht verwirklicht werde, hat das Berufungsgericht wie folgt begründet: Aus Sicht des Sachverständigen, der als Durchschnittsfachmann das Patent auslege, fehle bei den angegriffenen Ausführungsformen jeweils eine nicht bedeckte fensterfreie Fläche eines Fensterausschnitts. Zu Recht habe der gerichtliche Sachverständige ausgeführt, dass der Auffassung des Privatgutachters der Klägerin nicht gefolgt werden könne, Blechteile, die über der Türoberkante nach oben gezogen seien und zugleich keine Außenhaut mehr darstellten, seien nicht als Türaußenblech im Sprachgebrauch des Klagepatents anzusprechen. In Fortführung seiner Darstellung zum Türaußenblech komme der gerichtliche Sachverständige daher folgerichtig zu dem Ergebnis, dass der Durchschnittsfachmann eine von einer Seitenscheibe nicht bedeckte fensterfreie Fläche des Fensterausschnitts als werkstoff- bzw. blechfrei ansehe. Für eine ohnehin mit Außenblech abgedeckte Fläche benötige der Fachmann kein entsprechend ausgebildetes Halteteil zu deren Abdeckung. Zu Recht weise der gerichtliche Sachverständige darauf hin, dass sich in der Klagepatentschrift kein Hinweis befinde, dass die fensterfreie Fläche mit Türaußen- und/oder Türinnenblechteilen überdeckt sein solle. Nachdem die Frage, inwieweit der bei den angegriffenen Ausführungsformen vorhandene Blechzwickel dem Türinnen- oder Türaußenblech zuzurechnen sei, maßgebliche Grundlage auch für die Beurteilung des Privatgutachters zur Frage der fensterfreien Fläche sei, schließe sich der Senat insgesamt den tatsächlichen Feststellungen und der Auslegungshilfe des gerichtlichen Sachverständigen an und komme zu dem Ergebnis, dass die angegriffenen Ausführungsformen weder eine fensterfreie Fläche enthielten, noch dass durch ein entsprechend ausgebildetes Halteteil des Rückblickspiegels eine Abdeckung dieser fensterfreien Fläche erfolge.

2. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Verneinung der Verletzungsfrage liegt eine unzutreffende Auslegung des Patentanspruchs zugrunde.

a) Da einer der Schwerpunkte des Streits der Parteien in der Frage lag, ob die in Merkmal 7 erwähnte von der Seitenscheibe nicht bedeckte Fläche des Fensterausschnitts erfindungsgemäß nicht nur, wie der Patentanspruch sagt, "fensterfrei", sondern überhaupt materialfrei sein muss, hätte das Berufungsgericht sich zunächst Klarheit darüber verschaffen müssen, wie in dieser Hinsicht der Patentanspruch zu verstehen ist. Da in Merkmal 7 eine Aussage über eine Teilfläche des Fensterausschnitts getroffen wird, war es zudem unerlässlich, den Gesamtinhalt des Patentanspruchs zumindest insoweit zu klären, als er hierfür relevant ist. Das erforderte jedenfalls zu ermitteln, was in Merkmal 3 des Patentanspruchs als Fensterausschnitt definiert wird.

Wie ein Patent auszulegen ist, ist eine Rechtsfrage, weshalb die Auslegung vom Revisionsgericht auch in vollem Umfang nachprüfbar ist (st. Rspr.; s. nur BGHZ 142, 7, 15 - Räumschild; Sen.Urt. v. 26.9.1996 - X ZR 72/94, GRUR 1997, 116 - Prospekthalter; Sen.Urt. v. 27.10.1998 - X ZR 56/96, Mitt. 1999, 365 - Sammelförderer). Der Tatrichter darf daher die richterliche Aufgabe der Auslegung des Patentanspruchs nicht dem gerichtlichen Sachverständigen überlassen, indem er wie das Berufungsgericht von der Annahme ausgeht, dass der gerichtliche Sachverständige "als Durchschnittsfachmann das Patent ausleg(e)". Zwar bildet das Verständnis des Fachmanns von den im Patentanspruch verwendeten Begriffen und vom Gesamtzusammenhang des Patentanspruchs die Grundlage der Auslegung. Das bedeutet jedoch nur, dass sich der Tatrichter gegebenenfalls sachverständiger Hilfe bedienen muss, wenn es um die Frage geht, welche objektiven technischen Gegebenheiten, welches Vorverständnis der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Sachkundigen, welche Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen und welche methodische Herangehensweise dieser Fachleute das Verständnis des Patentanspruchs und der in ihm verwendeten Begriffe bestimmen oder jedenfalls beeinflussen können. Denn der gerichtliche Sachverständige hat insbesondere die Aufgabe, dem Gericht Kenntnisse und Fähigkeiten des Fachmanns sowie die Arbeitsweise zu vermitteln, mit der dieser technische Probleme seines Fachgebiets zu bewältigen trachtet (Sen.Urt. v. 25.11.2003 - X ZR 162/00, GRUR 2004, 411 - Diabehältnis; dort für das Patentnichtigkeitsverfahren). Das Verständnis des Patentanspruchs selbst durch den Durchschnittsfachmann ist hingegen unmittelbarer Feststellung regelmäßig entzogen (BGHZ 160, 204, 213 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung). Erst recht dürfen die Ausführungen des Sachverständigen zu seinem Verständnis des Patentanspruchs nicht als "Feststellungen" zum Inhalt des Patentanspruchs behandelt werden - wie dies im Berufungsurteil wiederholt und daher ersichtlich nicht nur im Sinne eines Vergreifens im Ausdruck geschieht -, die wie tatrichterliche Feststellungen nur noch einer Kontrolle auf Rechtsfehler unterzogen werden. Das Gericht darf die Ergebnisse eines Sachverständigengutachtens nicht ohne weiteres übernehmen; sachverständige Äußerungen sind vom Tatrichter vielmehr eigenverantwortlich daraufhin zu untersuchen, ob und inwieweit sie Angaben enthalten, die Aufklärung im Hinblick auf entscheidungserhebliche und allein von dem erkennenden Gericht zu beantwortende Fragen zu bieten vermögen (Sen.Urt. v. 7.3.2001 - X ZR 176/99, GRUR 2001, 770 - Kabeldurchführung II). Dem wird das Berufungsurteil nicht gerecht, zumal das Berufungsgericht nicht beachtet, dass der gerichtliche Sachverständige das Klagepatent nicht - wie geboten - aus sich heraus auslegt, sondern sich mit der Einbeziehung der angegriffenen Ausführungsformen den unbefangenen Blick auf den Inhalt des Patentanspruchs verstellt.

b) Erfindungsgemäß weist die Seitentür des Kraftfahrzeugs einen von der Türoberkante und dem Fensterrahmen begrenzten Fensterausschnitt auf (Merkmal 3). Dieser Fensterausschnitt ist nicht mit dem Bereich der Seitentür gleichzusetzen, der bei nicht-versenkter Seitenscheibe von dieser eingenommen wird. Denn die versenkbare Seitenscheibe deckt nur einen Teilbereich des Fensterausschnitts ab (Merkmal 4), während ein durch die vordere Führungsschiene abgetrennter anderer Teilbereich des Fensterausschnitts durch das Halteteil des Rückspiegels abgedeckt wird (Merkmale 5 - 7).

Der in Merkmal 3 definierte Fensterausschnitt ist auch nicht im Sinne eines Fensters zu verstehen, das aus den Türblechen ausgeschnitten worden ist. Das ist lediglich eine mögliche - und durchaus naheliegende - Methode der Bereitstellung eines Fensterausschnitts. Das Klagepatent beansprucht indes nicht Schutz für ein bestimmtes Herstellungsverfahren, sondern für eine bestimmte Anordnung des Rückspiegels, der an dem Kraftfahrzeug bzw. seiner Seitentür angebracht ist, und damit für ein fertiges Erzeugnis. Mit Fensterausschnitt im Sinne des Merkmals 3 wird derjenige räumliche Bereich der Seitentür definiert, der (nach außen) nicht vom Türblech abgedeckt ist, sondern einerseits in einem hinteren Teilbereich von der versenkbaren Seitenscheibe abgedeckt wird und andererseits in einem durch die vordere Führungsschiene für die Seitenscheibe von dem hinteren Teilbereich abgetrennten vorderen Teilbereich zur Anordnung des Rückspiegels mittels seines Halteteils dient, der seinerseits diesen Teilbereich abdeckt. Der Fensterausschnitt wird demgemäß in Merkmal 3 räumlich-körperlich durch die Rahmenelemente definiert, die einerseits (zusammen mit der vorderen Führungsschiene) die Führung für die versenkbare Seitenscheibe erzeugen, andererseits (wiederum unter Einschluss der vorderen Führungsschiene für die Seitenscheibe) eine Dreiecksstruktur bilden, die zur Aufnahme des Halteteils des Rückspiegels dient.

Das bedeutet wiederum, dass die "vor der vorderen Führungsschiene befindliche, von der versenkbaren Seitenscheibe nicht bedeckte fensterfreie Fläche des Fensterausschnitts" (Dreiecksfläche) im Sinne des Merkmals 7 nichts anderes als der "andere" Teilbereich des so definierten Fensterausschnitts ist. Das Teilmerkmal "fensterfrei" stellt lediglich klar, dass sich in diesem Teilbereich nicht ein eine Durchsicht ermöglichendes Fenster wie etwa das im Stand der Technik bekannte Ausstellfenster befindet. Hingegen ist dem Patentanspruch nichts darüber zu entnehmen, dass die Dreiecksfläche überhaupt materialfrei sein müsse oder solle. Dazu gibt es auch keinen sachlichen Grund. Insbesondere liegt ein solcher nicht darin, dass etwa ein Durchblick durch die Dreiecksfläche möglich sein soll, denn das wird bereits dadurch ausgeschlossen, dass diese Fläche durch das Halteteil des Rückspiegels abgedeckt wird. Im Übrigen enthält der Patentanspruch keine Festlegung auf bestimmte Gehäuse- oder Befestigungsformen des Rückspiegels und stellt die nähere Ausgestaltung des Spiegels und seines Halteteils in das Belieben des Fachmanns (Sen.Urt. v. 28.1.1997 - X ZR 43/94, S. 17). Die Klagepatentschrift weist ausdrücklich darauf hin, dass die Dreiecksfläche günstig und in unauffälliger Weise zur Befestigung des Außenspiegels genutzt werden kann (Sp. 2 Z. 32 - 37). Die Art und Weise, wie er das Halteteil des Spiegels im Bereich der Dreiecksfläche befestigt, bleibt dem Fachmann überlassen, dem hierfür nach seinem Fachwissen vielfältige Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die mangels abweichender Festlegungen durch das Klagepatent auch ein Verschrauben mit einem an dieser Stelle angeordneten Blech einschließen.

c) Danach kann die Beurteilung des Berufungsgerichts, die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichten die Merkmale 3 und 7 nicht, keinen Bestand haben.

Das Berufungsgericht hat dies ausschließlich damit begründet, dass die erfindungsgemäße Dreiecksfläche bei den angegriffenen Ausführungsformen nicht blechfrei sei und dass das dort angeordnete, einstückig mit dem Türblech ausgeführte, der Aufnahme und Befestigung des Spiegels dienende Blechteil einen Bestandteil des Türblechs bilde.

Das ist jedoch unerheblich. Die zwischen dem Sachverständigen und dem von der Beklagten beauftragten Privatgutachter in mehreren Gutachten diskutierte Frage, ob das in der Dreiecksfläche angeordnete Blechteil aus fachmännischer Sicht als Bestandteil des Tür(innen-, bei der Ausführungsform X auch -außen)blechs anzusehen sei oder nicht, stellt sich nach dem vorstehend zu b Ausgeführten nicht. Dem steht auch nicht entgegen, dass das Klagepatent bei verschiedenen bekannten Bauarten die Befestigung des Spiegelfußes mittels einer Schraubverbindung auf dem Türaußenblech aus mehreren Gründen als nachteilig ansieht. Denn durch die Anordnung des Halteteils des Rückspiegels in der erfindungsgemäßen Dreiecksfläche können - wegen der durch das Dreieck gebildeten Rahmenstruktur und weil das sichtbare Außenblech nicht mehr durchbohrt wird, das Blech vielmehr innen angeordnet ist und nach außen durch das Halteteil des Spiegels abgedeckt wird - diese Nachteile unabhängig davon vermieden werden, ob zur Befestigung des Halteteils ein materialeinheitlich und einstückig mit einem Türblech ausgeführtes Blechteil verwendet wird oder nicht.

3. Soweit das Berufungsgericht die Verwirklichung des Merkmals 6 und bei der Ausführungsform X auch des Merkmals 5 verneint hat, hält dies gleichfalls der Nachprüfung nicht stand.

Nach diesen Merkmalen ragt die vordere Führungsschiene für die Seitenscheibe aus der Türoberkante heraus und ist mit dem schräg nach oben hinten verlaufenden vorderen Teil des Fensterrahmens verbunden.

Das Berufungsgericht hat unter Berufung auf den gerichtlichen Sachverständigen gemeint, von einem Herausragen der vorderen Führungsschiene aus der Türoberkante im Sinne des Merkmals 5 könne bei der Ausführungsform X nicht gesprochen werden, weil die vordere Führungsschiene nicht einteilig, sondern zweiteilig realisiert sei und obere und untere Führungsschiene nur "relativ lose" miteinander verbunden seien und zwischen den Schienenteilen keine Kräfte übertragen werden könnten. Damit wird jedoch weder das Vorhandensein einer vorderen Führungsschiene, noch deren Herausragen aus der Türoberkante in Frage gestellt.

Entsprechendes gilt für die Verbindung zwischen vorderer Führungsschiene und dem schräg nach oben hinten verlaufenden vorderen Teil des Fensterrahmens. Das Berufungsgericht hat seine Auffassung, das Merkmal 6 werde nicht benutzt, bei der Ausführungsform X wiederum mit der Zweiteiligkeit der vorderen Führungsschiene begründet, die der dem Patentanspruch zu entnehmenden Forderung nach einer möglichst stabilen Verbindung widerspreche. Bei der Ausführungsform Z hat es die gleiche Beurteilung damit begründet, dass die vordere Führungsschiene nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar (nämlich über das Blechteil) mit dem Fensterrahmen verbunden sei. Auch insoweit gilt, dass mit diesen Erwägungen die unmittelbar gegenständliche Verwirklichung des Merkmals 6 nicht verneint werden kann, denn sie ändern bei beiden Ausführungsformen nichts an der bestehenden Verbindung zwischen Führungsschiene und Fensterrahmen.

Sowohl hinsichtlich des Merkmals 5 als auch hinsichtlich des Merkmals 6 steht hinter der Erwägung des Berufungsgerichts letztlich die Überlegung des gerichtlichen Sachverständigen, der Patentanspruch umschreibe mit den Merkmalen 5 und 6 eine stabile Rahmenstruktur für die Dreiecksfläche, während die angegriffenen Ausführungsformen mittels Blechteilen eine Kastenstruktur verwirklichten. Dabei beachtet das Berufungsgericht jedoch nicht, dass es sich, wenn eine Ausführungsform von den Merkmalen eines Patentanspruchs in deren räumlich-körperlicher Ausgestaltung identisch Gebrauch macht, bei der Prüfung der Patentverletzung grundsätzlich erübrigt, Erwägungen darüber anzustellen, ob die identisch vorhandenen Merkmale demselben Zweck dienen und dieselbe Wirkung und Funktion haben wie diejenigen des Klagepatents (Sen.Urt. v. 12.7.1990 - X ZR 121/88, GRUR 1991, 436 - Befestigungsvorrichtung II). Im Übrigen umfasst die Kastenstruktur die in ihr enthaltene und sie aussteifende Rahmenstruktur und versteht es sich für den Fachmann, dass er die Rahmenbestandteile einer Struktur nur für diejenigen Kräfte auslegen muss, die der Rahmen nach der Ausbildung der gesamten Struktur tatsächlich aufnehmen muss. Für weitergehende Anforderungen bieten weder der Wortlaut des Patentanspruchs noch die zu seiner Auslegung heranzuziehende Beschreibung einen Anhalt.

III. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben. Einer Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht bedarf es jedoch nicht, da alle erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen sind und der Senat daher in der Sache selbst entscheiden kann (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Klägerin ist der Beklagten nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zur Erteilung der begehrten Auskunft verpflichtet, da die mit der Widerklage angegriffenen Seitenrückspiegelanordnungen dem unmittelbaren Gegenstand des Klagepatents im Sinne des § 6 PatG 1968 entsprechen.

1. Die Benutzung der Merkmale 1 und 2 ist außer Streit und ergibt sich ohne weiteres aus der durch Bezugnahme auf die Anlagen B 9a und 9b festgestellten (BU 4) Beschaffenheit der angegriffenen Ausführungsformen.

2. Aus den Anlagen B 9a und 9b und der Feststellung, dass bei den angegriffenen Ausführungsformen in dem Bereich, der früher bei vielen Fahrzeugen für ein dreieckiges Ausstellfenster genutzt wurde und der durch Fensterrahmen und vordere Führungsschiene des Fensters begrenzt wird, ein Blechteil stehengelassen ist (BU 4 unten; s. auch Sachverständigengutachten 1, S. 16 [GA VI 833]: "Fensterrahmen entsprechend verbreitert"), ergibt sich gleichfalls die Verwirklichung des Merkmals 3: Es ist ein Fensterausschnitt vorhanden, der durch die Türoberkante und einen umlaufenden bis an das vordere Ende der Türoberkante reichenden (Fenster-)Rahmen begrenzt wird.

3. Nur der hintere Teilbereich dieses Fensterausschnitts wird von der versenkbaren Seitenscheibe abgedeckt (Merkmal 4).

4. Wie bereits ausgeführt, ragt die vordere Führungsschiene für die Seitenscheibe aus der Türoberkante heraus und ist mit dem schräg nach oben hinten verlaufenden vorderen Teil des Fensterrahmens verbunden (Merkmale 5 und 6).

5. Die Dreiecksfläche vor der vorderen Führungsschiene ist durch ein entsprechend ausgebildetes Halteteil des Rückspiegels abgedeckt, wie sich gleichfalls unmittelbar aus den Anlagen B 9a und 9b und damit aus den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt (Merkmal 7). Damit sind sämtliche Merkmale der erfindungsgemäßen Lehre unmittelbar gegenständlich verwirklicht.

6. Der Senat hat die Urteilsformel stärker an den Streitgegenstand angepasst, indem er die Anordnung des Blechteils in der vor der vorderen Führungsschiene befindlichen, von der versenkbaren Seitenscheibe nicht bedeckten fensterfreien Fläche des Fensterausschnitts, über dessen Bedeutung die Parteien streiten, berücksichtigt hat (vgl. Sen.Urt. v. 30.3.2005 - X ZR 126/01, GRUR 2005, 569 - Blasfolienherstellung [für BGHZ 162, 365 vorgesehen]). Bei der Formulierung der Urteilsformel hat der Senat ferner dem Umstand Rechnung getragen, dass die Lieferung von Rückspiegeln, die zum Einbau in entsprechend ausgebildete Seitentüren bestimmt sind, die Lieferung von Mitteln darstellt, die an den Erfindungsgedanken angepasst (erfindungsfunktionell individualisiert) sind. Schließlich hat der Senat berücksichtigt, dass es Werksabgabepreise für in Neufahrzeuge eingebaute Rückspiegel nicht gibt. Er hat daher den Klageantrag dahin verstanden, dass sich das Auskunftsverlangen der Beklagten insoweit auf den kalkulatorischen Anteil der für erfindungsgemäße Rückblickspiegelanordnungen verwendeten Rückspiegel am Werksabgabepreis des jeweiligen Fahrzeugs bezieht.

IV. Die Kostenentscheidung ist dem vom Berufungsgericht - nach Aufnahme des Verfahrens in der zweiten Stufe der Widerklage - zu fällenden Schlussurteil vorzubehalten. Bei dieser Entscheidung wird das Berufungsgericht zu beachten haben, dass es seine mit diesem Urteil - notwendigerweise insgesamt - aufgehobene Kostenentscheidung insoweit zu wiederholen haben wird, als sie nach § 91a ZPO getroffen worden ist und daher der Nachprüfung im Revisionsverfahren nicht unterliegt (Sen.Urt. v. 7.3.2001 - X ZR 176/99, GRUR 2001, 770, 771 - Kabeldurchführung II; BGH, Beschl. v. 19.10.2000 - I ZR 176/00, BGHRep. 2001, 98).

Ende der Entscheidung

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