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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 09.05.2000
Aktenzeichen: XI ZR 276/99
Rechtsgebiete: ÜberweisungsAbk 1996


Vorschriften:

ÜberweisungsAbk 1996 Nr. 3 Abs. 1
ÜberweisungsAbk 1996 Nr. 3 Abs. 1

Nr. 3 Abs. 1 des Bankenabkommens zum Überweisungsverkehr ist eine bloße Sollvorschrift, die für die beteiligten Kreditinstitute keine Rechtspflicht begründet.

BGH, Urteil vom 9. Mai 2000 - XI ZR 276/99 - Kammergericht Berlin LG Berlin


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

XI ZR 276/99

Verkündet am: 9. Mai 2000

Weber Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. Mai 2000 durch den Vorsitzenden Richter Nobbe und die Richter Dr. Schramm, Dr. Bungeroth, Dr. van Gelder und Dr. Joeres

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 25. August 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 1. Februar 1999 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Rückerstattung eines Überweisungsbetrages, den die Beklagte auf ein debitorisches Konto gutschrieben hat.

Die Klägerin erhielt im September 1997 eine Rechnung der A. GmbH, die in ihrer Buchhaltung unter der Kreditoren-Nr. ...1736 geführt wurde, über einen Betrag von 22.908 DM. Unter der Kreditoren-Nr. ...7136 wurde bei der Klägerin die T. GmbH geführt, zu der früher Geschäftsbeziehungen bestanden hatten, die aber inzwischen wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht worden und geschäftlich nicht mehr tätig war. Ein Mitarbeiter der Klägerin verwechselte die Kreditoren-Nummern und erteilte deshalb ihrer Hausbank, der D. V.bank, den Auftrag, 22.908 DM auf das Konto der T. GmbH bei der Beklagten zu überweisen.

Die Beklagte schrieb den Betrag am 26. September 1997 dem in der Überweisung genannten Konto gut und verrechnete ihn mit einem entsprechenden Teil ihrer Forderungen gegen die T. GmbH. Mit Schreiben vom 13. November 1997 teilte die Beklagte der D. V.bank die Gutschrift mit und fuhr fort: "Wir bitten um Überprüfung der Überweisung, da die Gutschrift derzeit nicht in den üblichen Rahmen der Geschäftsverbindung paßt.". Die D. V.bank antwortete der Beklagten nach Rückfrage bei der Klägerin, die Überweisung sei irrtümlich erfolgt. Die Beklagte lehnte die Rückzahlung des Betrages unter Hinweis darauf ab, daß Kontoinhaber und Kontonummer übereinstimmten.

Das Landgericht hat die Klage auf Zahlung von 22.908 DM nebst Zinsen abgewiesen. Das Kammergericht hat ihr bis auf einen Teil der Zinsen stattgegeben. Mit der - zugelassenen - Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet; sie führt zur Abweisung der Klage.

I.

Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Der Klägerin stünden gegen die Beklagte keine Bereicherungsansprüche zu, da sie unmittelbare Rechtsbeziehungen lediglich zu ihrer Hausbank einerseits und der T. GmbH andererseits begründet habe. Die Beklagte sei bloß Zahlstelle der Überweisungsempfängerin gewesen. An diese habe die Klägerin, wenn auch irrtümlich, leisten wollen, so daß auch nur ihr gegenüber Bereicherungsansprüche bestehen könnten.

Die Beklagte schulde der Klägerin jedoch Schadensersatz in Höhe des gegen die vermögenslose T. GmbH nicht durchsetzbaren Rückforderungsanspruchs unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer Schutzpflicht, die sich zugunsten der Klägerin aus dem Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen der Beklagten und der D. V.bank ergebe. Nach Nr. 3 Abs. 1 des Bankenabkommens zum Überweisungsverkehr von 1996 sei die Beklagte verpflichtet gewesen, vor einer Gutschrift bei der Klägerin zurückzufragen. Zwar spreche die Regelung ihrem Wortlaut nach lediglich von einer entsprechenden "Erwartung", jedoch ergebe die Auslegung des Abkommens aus der Sicht eines objektiven Betrachters eine verbindliche Pflicht der Empfängerbank, die unmittelbar das Rechts- und Haftungsverhältnis der Banken untereinander sowie das Verhältnis der erstbeauftragten Bank zum Überweisenden berühre und haftungsrechtliche Konsequenzen habe, weil sie anderenfalls praktisch leer liefe. Weil bei dem Überweisenden selbst - wenn auch über seine Bank - nachgefragt werden solle, sei deutlich, daß die Rückfrage jedenfalls auch seinen Interessen diene. Diese lägen darin, nicht durch unzutreffende Überweisungsaufträge finanzielle Verluste zu erleiden. Damit habe die Regelung drittschützende Wirkung, wie sie vom Bundesgerichtshof bereits der im Lastschriftabkommen der Banken enthaltenen Verpflichtung der Schuldnerbank zur fristgerechten Rückgabe von nicht eingelösten Lastschriften beigemessen worden sei (BGHZ 69, 82).

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung im entscheidenden Punkt nicht stand.

1. Das Berufungsgericht hat allerdings zu Recht einen Bereicherungsanspruch der Klägerin verneint. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, daß in der Überweisung auf ein Bankkonto eine Leistung des Überweisenden nur an den Überweisungsempfänger, nicht an dessen Bank, liegt (Senatsurteil BGHZ 128, 135, 137 m.w.Nachw.). Im Falle der Rechtsgrundlosigkeit der Überweisung kommen deshalb Bereicherungsansprüche nur gegen den Empfänger in Betracht.

2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht dagegen aus einem Verstoß gegen Nr. 3 Abs. 1 des Abkommens zum Überweisungsverkehr eine Schadensersatzpflicht der Beklagten hergeleitet.

a) Eine solche Schadensersatzpflicht besteht schon deshalb nicht, weil die Regelung in Nr. 3 Abs. 1 des Abkommens zum Überweisungsverkehr lediglich eine Sollvorschrift und nicht eine für die beteiligten Kreditinstitute verbindliche Bestimmung, deren Mißachtung Haftungsfolgen auslösen könnte, darstellt.

aa) Der erkennende Senat kann das am 16. April 1996 in Kraft getretene Abkommen zum Überweisungsverkehr, das von den Spitzenverbänden des deutschen Kreditgewerbes namens der ihnen angeschlossenen Kreditinstitute und von der Deutschen Bundesbank vereinbart worden ist (abgedruckt in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, Anh. 6 zu §§ 52-55), selbständig und ohne Bindung an die Auslegung des Berufungsgerichts auslegen.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß das Revisionsgericht in der Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen, deren Anwendungsbereich über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinausgeht, frei ist (BGHZ 105, 24, 27; 112, 204, 210; jeweils m.w.Nachw.). Gleiches gilt für typische, über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus häufig verwendete Vertragsabreden (BGHZ 20, 385, 389; 87, 302, 306; 103, 275, 279) sowie für ein im Rahmen einer gewerblichen Arbeitsgemeinschaft erarbeitetes Vertragswerk mit allgemeinen Abreden zur Regelung einer Vielzahl von Einzelfällen und einem das gesamte Bundesgebiet erfassenden Anwendungsbereich, auch wenn dieses nur aufgrund der Unterzeichnung durch die Beteiligten zwischen ihnen Geltung hat (BGH, Urteil vom 12. Juni 1989 - II ZR 230/88, WM 1989, 1656, 1657).

Entscheidend für die unbeschränkte Revisionsfähigkeit der Auslegung der genannten Regelwerke und Verträge ist die über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinausgehende Bedeutung einer für zahlreiche einzelne Vertragsbeziehungen relevanten Regelung und das damit verbundene Bedürfnis nach einheitlicher Handhabung (BGHZ 112, 204, 210; BGH, Urteil vom 10. November 1976 - VIII ZR 84/75, WM 1977, 112). Dieses Bedürfnis besteht auch bei dem eine Vielzahl von Einzelfällen im gesamten Bundesgebiet regelnden Abkommen zum Überweisungsverkehr und rechtfertigt die unbeschränkte Überprüfung der Auslegung dieses Abkommens.

bb) Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 des Abkommens zum Überweisungsverkehr lautet:

"Bei Überweisungen ab Beträgen von 20.000 DM, die nicht im Rahmen des normalen Geschäftsverkehrs mit dem Zahlungsempfänger liegen oder gegen deren Ordnungsmäßigkeit im Einzelfall Bedenken bestehen, wird vom Kreditinstitut des Empfängers erwartet, daß es durch das erstbeauftragte Kreditinstitut bei dem Kontoinhaber zurückfragt."

Diese Bestimmung ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts eine bloße Sollvorschrift, die für die beteiligten Kreditinstitute keine Vertragspflicht begründet (OLG Düsseldorf WM 1999, 1363, 1364 mit zustimmender Anmerkung Hadding, WuB I D 1.-6.99; Hellner in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rdn. 6/154). Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung, der abweichend von der an anderen Stellen gewählten imperativen Formulierung nur von einer "Erwartung" an das Kreditinstitut des Empfängers spricht. Die Verwendung dieses Begriffs setzt die Regelung in Nr. 3 Abs. 1 von im selben Abkommen geregelten Verpflichtungen der Banken und Sparkassen deutlich ab. Nichts spricht dafür, daß bei einem von den Spitzenverbänden der Kreditinstitute unter Mitwirkung von Fachjuristen erarbeiteten Abkommen die damit objektiv zum Ausdruck gebrachte Unverbindlichkeit der Regelung nicht beabsichtigt gewesen wäre. Vielmehr wird diese Auslegung dadurch bestätigt, daß in den unter Nr. 5 des Abkommens formulierten Haftungsbestimmungen ein etwaiger Verstoß gegen die Erwartung nach einer Rückfrage nicht als haftungsauslösendes Ereignis erwähnt wird (OLG Düsseldorf aaO S. 1364).

Dem kann, anders als das Berufungsgericht gemeint hat, nicht entgegengehalten werden, eine sanktionslose Regelung liefe praktisch leer. Schon wegen des Eigeninteresses der im Überweisungsverfahren wechselnd als Überweisungs- und als Empfängerbank beteiligten Institute an einem Informationsaustausch wird der Appell überwiegend beachtet werden, auch wenn das Risiko von Fälschungen sowie irrtümlichen oder ungetreu veranlaßten Überweisungen wie bisher allein vom Überweisenden und seinem Kreditinstitut zu tragen ist (Hadding aaO). Der Verzicht auf eine rechtlich zwingende Regelung ist auch deshalb interessengerecht, weil die Beurteilung eines einzelnen Zahlungsvorganges als bedenklich bzw. als nicht im Rahmen des normalen Geschäftsverkehrs liegend Wertungen erfordert, die solange schwer nachprüfbar sind, wie dafür keine detaillierten Kriterien im Abkommen enthalten sind (Hellner aaO).

b) Da die Beklagte keine Vertragspflicht aus dem Abkommen zum Überweisungsverkehr verletzt hat, kommt es nicht auf die Frage an, ob die Klägerin, die nicht zu den Vertragsparteien dieses Abkommens gehört und auch in keinen Vertragsbeziehungen zur Beklagten steht, aus einem etwaigen Verstoß der Beklagten gegen das Abkommen überhaupt eigene Rechte herleiten könnte. Es braucht daher nicht entschieden zu werden, ob der Ansicht des Berufungsgerichts, das Überweisungsabkommen begründe für die Empfängerbank auch Schutzpflichten zugunsten des Überweisenden, trotz des Wortlauts der Nr. 6 des Abkommens und der beachtlichen Gegenargumente im Schrifttum (vgl. statt aller Schimansky in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 49 Rdn. 37-39 m.w.Nachw.) gefolgt werden kann und ob das Urteil des Bundesgerichtshofs zu entsprechenden Schutzpflichten im Lastschriftverkehr (BGHZ 69, 82), das das Berufungsgericht für seine Ansicht heranzieht, den Angriffen großer Teile des Schrifttums (vgl. statt aller van Gelder in Schimansky/Bunte/Lwowski aaO § 58 Rdn. 198 ff. m.w.Nachw.) stand hält. Wegen des Fehlens einer Vertragspflichtverletzung der Beklagten erübrigt sich auch eine Auseinandersetzung mit der Gegenrüge der Revisionserwiderung, das Berufungsgericht habe es versäumt, die Klägerin auf den rechtlichen Gesichtspunkt der Schadensliquidation im Drittinteresse und auf die Möglichkeit der Abtretung entsprechender Ansprüche der D. V.bank gegen die Beklagte an die Klägerin hinzuweisen.

III.

Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO). Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB ist nicht gegeben. Aus der Rückfrage der Beklagten bei der D. V.bank vom 13. November 1997 kann entgegen der Ansicht der Klägerin nicht geschlossen werden, der Beklagten sei bereits im Zeitpunkt der Gutschrift am 26. September 1997 aufgefallen, daß bei der - formal ordnungsmäßigen - Überweisung ein Fehler aufgetreten sein müsse.

IV.

Das Berufungsurteil war daher, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist, aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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