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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 15.10.2003
Aktenzeichen: XII ZB 103/02
Rechtsgebiete: ZPO, EGZPO


Vorschriften:

ZPO a.F. § 516 2. Halbsatz
ZPO a.F. § 516
ZPO a.F. § 519 Abs. 2 Satz 2
ZPO a.F. § 519 Abs. 3 Nr. 1
ZPO a.F. § 551 Nr. 7
ZPO n.F. § 517
ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4
ZPO § 238 Abs. 2
ZPO § 574 Abs. 2 Nr. 1
ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 1
EGZPO § 26 Nr. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

XII ZB 103/02

vom 15. Oktober 2003

in der Familiensache

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Oktober 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz und Dr. Ahlt

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluß des 1. Familiensenats des Thüringer Oberlandesgerichts vom 30. Mai 2002 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gerichtskosten werden für das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht erhoben (§ 8 GKG).

Beschwerdewert: 1.838 €

Gründe:

I.

Das Amtsgericht (Familiengericht) hat durch Verbundurteil die Ehe der Parteien geschieden, das Verfahren über den Versorgungsausgleich abgetrennt und den Beklagten zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt verurteilt. Das Urteil wurde in dem zunächst auf den 2. April 2001 anberaumten und sodann auf den 23. April 2001 verlegten Verkündungstermin, von dem der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten Kenntnis hatte, durch Bezugnahme auf das dem Verkündungsprotokoll anliegende Urteil verkündet, dem Beklagten aber zunächst nicht zugestellt.

Nachdem der Beklagte mit Schriftsatz vom 16. Juli 2001 vergeblich um Übersendung des Verkündungsprotokolls gebeten hatte, legte er am Montag, dem 24. September 2001 Berufung ein. In der Berufungsschrift führte er aus, ein - möglicherweise - am 23. April 2001 verkündetes Urteil sei ihm bislang, ebenso wie ein Verkündungsprotokoll, weder zugestellt noch sonstwie bekanntgegeben worden. Das Vorgehen des Amtsgerichts sei in keiner Weise nachvollziehbar; die Einlegung der Berufung sei daher zur Vermeidung einer Versäumung der Frist des § 516 2. Halbsatz ZPO (a.F.) erforderlich. Er lege daher Berufung ein, "soweit der Antragsgegner und Berufungsführer durch Urteil zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt verurteilt worden ist". Anträge und Begründung würden fristgemäß nach Vorlage der Entscheidung folgen.

Das Urteil wurde dem Beklagten am 6. Dezember 2001 zugestellt. Mit am Montag, dem 7. Januar 2002 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz beantragte er, die Frist zur Begründung um einen Monat zu verlängern, ferner hilfsweise, ihm Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Die Verlängerung wurde gewährt. Mit weiterem, am 7. Februar 2002 eingegangenem Schriftsatz beantragte er, das angefochtene Urteil zu Ziffer 3 (Unterhalt) aufzuheben und die Klage auf Zahlung von nachehelichem Unterhalt abzuweisen.

Das Berufungsgericht verwarf die Berufung durch Beschluß als unzulässig, da die Berufung - mangels wirksamer Verlängerung der bereits abgelaufenen Berufungsbegründungsfrist - nicht rechtzeitig begründet worden sei, und wies den Antrag auf Wiedereinsetzung zurück. Dagegen richtet sich die - vom Berufungsgericht nicht zugelassene - Rechtsbeschwerde des Beklagten, mit der er in erster Linie seine im Berufungsverfahren zuletzt gestellten Anträge weiterverfolgt.

II.

1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zulässig. Die in der Rechtsprechung noch nicht hinreichend geklärte Frage, welche Anforderungen an die Begründung einer zur Wahrung der Fünfmonatsfrist des § 516 ZPO a.F. = § 517 ZPO n.F. eingelegten Berufung zu stellen sind, hat rechtsgrundsätzliche Bedeutung.

2. Die Rechtsbeschwerde hat auch Erfolg.

Zutreffend ist zwar der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß sich die Begründung einer Berufung gegen ein bis zum Ablauf der Fünfmonatsfrist noch nicht zugestelltes Urteil darauf beschränken darf, eben dies als prozeßordnungswidrig zu rügen (vgl. auch BAG BAGE 84, 140 ff. = NJW 1996, 1431). Dies ergibt sich schon daraus, daß dem Rechtsmittelführer weitergehende Ausführungen vor Kenntnis des anzufechtenden Urteils gar nicht möglich sind.

Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde aber, daß das Berufungsgericht das Vorliegen einer diesen Anforderungen genügenden Berufungsbegründung vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist des § 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. i.V. mit § 26 Nr. 5 EGZPO verneint hat, ohne zu prüfen, ob nicht auch schon die am 24. September 2001 eingereichte Berufungsschrift zugleich die Erfordernisse einer Berufungsbegründung erfüllt.

Das ist hier der Fall, so daß sich die Frage der Wiedereinsetzung in eine versäumte Berufungsbegründungsschrift nicht stellt.

Grundsätzlich muß eine Berufungsbegründung zwar nach § 519 Abs. 3 Nr. 1 ZPO die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden. Dies kann indes nicht verlangt werden, wenn das anzufechtende Urteil dem Rechtsmittelführer aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen noch gar nicht bekannt ist. Auch erstrebt § 519 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F. keine durch die Sache nicht gerechtfertigte Formalisierung und verlangt deshalb nicht einmal unbedingt einen förmlichen Antrag. Es genügt, wenn die innerhalb der Begründungsfrist eingereichten Schriftsätze des Berufungsklägers ihrem gesamten Inhalt nach eindeutig ergeben, in welchem Umfang und mit welchem Ziel das Urteil angefochten werden soll (vgl. Senatsurteil vom 4. Juni 1986 - IVb ZR 51/85 - FamRZ 1987, 58, 59).

Insoweit ist zunächst zu beachten, daß die hier eingereichte Berufungsschrift von der sonst üblichen Einlegung eines Rechtsmittels abweicht, als sie über die bloße Erklärung, Berufung gegen das näher bezeichnete Urteil einzulegen, hinausgehende Erklärungen enthält, insbesondere die, gegen das Urteil werde Berufung eingelegt, soweit es ihn zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt verurteile. Diese Erklärung kann das Rechtsbeschwerdegericht selbst auslegen. Die Auslegung ergibt, daß die Berufungsschrift zugleich eine Begründung dafür enthält und enthalten sollte, aus welchen Gründen und mit welchem Ziel die Berufung eingelegt wird.

Der Hinweis des Beklagten, das anzufechtende Urteil sei noch nicht zugestellt und die Einlegung der Berufung sei erforderlich, um die Fünfmonatsfrist des § 516 ZPO a.F. zu wahren, läßt hinreichend deutlich erkennen, daß das Urteil, welchen Inhalt es auch immer haben möge, in dem Umfang angefochten wird, in dem es ihn durch Verurteilung zu Unterhaltszahlungen beschwert, um es insoweit nicht in Rechtskraft erwachsen zu lassen.

Dem steht auch nicht entgegen, daß der Beklagte in der Berufungsschrift zugleich angekündigt hat, "Anträge und Begründung" würden fristgemäß nach Vorlage der Entscheidung folgen. Dies kann auch bedeuten, daß er sich lediglich vorbehalten wollte, die Anfechtung des Urteils nach dessen Kenntnis zu beschränken und/oder - wie auch später geschehen - sich in diesem Umfang mit den Entscheidungsgründen auseinanderzusetzen.

Da die Berufung somit zu Unrecht als unzulässig verworfen worden ist, kann der Beschluß des Berufungsgerichts keinen Bestand haben.

3. Eine eigene Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, nämlich die Zurückweisung an das Amtsgericht, etwa weil das Berufungsgericht bei richtiger Entscheidung die Sache seinerseits wegen eines Verfahrensmangels an das Gericht erster Instanz hätte zurückverweisen müssen (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 1994 - XII ZR 167/92 - NJW-RR 1994, 379), kommt hier nicht in Betracht, da das erstinstanzliche Verfahren nicht an einem Mangel leidet, der zur Aufhebung seiner Entscheidung zwingt. Soweit die verspätete Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung prozeßordnungswidrig war, beruht die Entscheidung nicht darauf. Auch lag die Entscheidung ausweislich des Verkündungsprotokolls im Zeitpunkt ihrer Verkündung bereits in vollständiger Form vor, so daß sie nicht im Sinne des § 551 Nr. 7 ZPO a.F. als "nicht mit Gründen versehen" anzusehen ist (vgl. auch Senatsurteil vom 24. Oktober 1990 - XII ZR 101/89 - FamRZ 1991, 43); der Beschluß des Gemeinsamen Senats der oberen Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 (NJW 1993, 2603) ist insoweit nicht einschlägig, weil er nur Entscheidungen betrifft, die bei Verkündung noch nicht vollständig abgefaßt waren.

4. Der Beschluß ist daher aufzuheben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es über die Berufung in der Sache entscheiden kann.



Ende der Entscheidung

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