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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 14.02.2001
Aktenzeichen: XII ZB 192/99
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 133
ZPO § 519 b Abs. 2
ZPO § 547
ZPO § 234
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

XII ZB 192/99

vom

14. Februar 2001

in der Familiensache

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Februar 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und die Richter Dr. Hahne, Gerber, Sprick und Weber-Monecke

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde wird der Beschluß des 10. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Dresden vom 7. Oktober 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Stollberg vom 6. Mai 1999 als unzulässig verworfen worden ist.

2. Im übrigen wird die sofortige Beschwerde des Beklagten als unzulässig verworfen.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

4. Gerichtsgebühren für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben (§ 8 Abs. 1 Satz 1 GKG).

Gründe:

I.

Durch Urteil des Familiengerichts vom 6. Mai 1999 wurde der Beklagte verurteilt, an die Kläger - seine minderjährigen Kinder - Unterhalt zu zahlen. Das Urteil wurde ihm am 11. Mai 1999 zugestellt.

Mit Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 7. Juni 1999, bei Gericht eingegangen am 8. Juni 1999, beantragte der Beklagte, ihm "für die beabsichtigte Berufung" gegen das Urteil des Familiengerichts Prozeßkostenhilfe zu bewilligen. Die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Berufung ergebe sich aus dem anliegenden Entwurf der Berufungsschrift, auf den Bezug genommen werde. Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten nebst Anlagen war diesem Schriftsatz beigefügt. Die in Bezug genommene Berufungsschrift, die ebenfalls das Datum des 7. Juni 1999 trägt und ebenfalls am 8. Juni 1999 eingegangen ist, enthält ein volles Rubrum, die genaue Bezeichnung des angefochtenen Urteils, die Erklärung, daß der Beklagte gegen dieses Urteil Berufung einlege, den Berufungsantrag, eine etwa zwei Schreibmaschinenseiten umfassende Begründung und die Unterschrift des Prozeßbevollmächtigten. Entgegen der Bezeichnung in dem Prozeßkostenhilfeantrag ist die Berufungsschrift nicht ausdrücklich als Entwurf gekennzeichnet, sie ist vielmehr wie folgt überschrieben:

"Dieser Berufungsschriftsatz soll nur wirksam sein für den Fall, daß dem Beklagten und Berufungskläger für diese Berufung Prozeßkostenhilfe gewährt wird."

Der Vorsitzende des Berufungssenats hat mit Verfügung vom 15. Juni 1999 den Beklagten darauf hingewiesen, ihm könne Prozeßkostenhilfe nicht bewilligt werden, "da die Berufungsschrift unterschrieben ist und es sich folglich nicht lediglich um einen Entwurf handelt, die Berufung jedoch von einer Bedingung, nämlich der Gewährung von PKH abhängig gemacht wird." Darauf hat der Kläger mit Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 29. Juni 1999 geantwortet, es handele sich nicht um eine unbedingt eingelegte, jedoch von einer Bedingung abhängig gemachte Berufung, der Beklagte habe vielmehr zum Ausdruck bringen wollen, "daß dieser Schriftsatz zunächst nur einen Entwurf darstellen soll. Diese ausdrückliche Erklärung gilt weiter - trotz der vorhandenen Unterschrift des Unterzeichneten."

Durch den angefochtenen Beschluß hat das Berufungsgericht (unter anderem) die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen und den Antrag, ihm für das Berufungsverfahren Prozeßkostenhilfe zu bewilligen, zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluß richtet sich die sofortige Beschwerde des Beklagten.

II.

1. Die Ausführungen des Beklagten lassen nicht erkennen, daß er sein Rechtsmittel in irgendeiner Weise beschränken und nur einen Teil der angefochtenen Entscheidung angreifen will. Es ist deshalb davon auszugehen, daß sich die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des Berufungsgerichts insgesamt richtet.

Soweit sich die sofortige Beschwerde gegen die Verwerfung der Berufung des Beklagten wendet, ist sie nach §§ 519 b Abs. 2, 547 ZPO statthaft und auch sonst zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Das Berufungsgericht geht davon aus, daß es sich bei der von dem Beklagten gleichzeitig mit seinem Prozeßkostenhilfegesuch eingereichten Berufungsschrift nicht um einen Entwurf handelt, sondern schon um die Einlegung der Berufung, allerdings unter einer Bedingung. Die Berufung sei deshalb unzulässig. Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, die bedingte Einlegung eines Rechtsmittels sei unzulässig (st.Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. Oktober 1973 - IV ZR 68/73 - VersR 1974, 194 m.N.). Dem Berufungsgericht ist auch einzuräumen, daß die von dem Beklagten eingereichte Berufungsschrift isoliert betrachtet dahin verstanden werden könnte, der Beklagte wolle bereits Berufung einlegen, allerdings unter der Bedingung der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe. Es ist jedoch nicht zulässig, die Berufungsschrift in dieser Weise isoliert auszulegen, ohne den Gesamtzusammenhang zu berücksichtigen.

Ob ein Schriftsatz bereits die Einlegung eines - eventuell bedingten - Rechtsmittels enthält oder ob er lediglich als Entwurf einer Rechtsmittelschrift zu verstehen ist, wie er üblicherweise einem Prozeßkostenhilfegesuch beigefügt wird, ist eine Frage der Auslegung. Da es sich um die Auslegung prozessualer Erklärungen handelt, hat der Senat die Auslegung des Berufungsgerichts uneingeschränkt nachzuprüfen und die erforderliche Auslegung gegebenenfalls selbst vorzunehmen (st.Rspr., vgl. z.B. BGH, Urteil vom 31. Mai 1995 - VIII ZR 267/94 - BGHR ZPO § 518 Abs. 1 Einlegung 5 m.N.).

Die für die Auslegung von Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts entwickelten Grundsätze sind auf die Auslegung von Prozeßerklärungen entsprechend anwendbar. Es ist daher analog § 133 BGB nicht an dem buchstäblichen Sinn des in der Parteierklärung gewählten Ausdrucks zu haften, sondern es ist der in der Erklärung verkörperte Wille anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln (BGH aaO VersR 1974 m.N.). Der Beklagte hat das Prozeßkostenhilfegesuch und die Berufungsschrift gleichzeitig eingereicht und in dem Prozeßkostenhilfegesuch ausdrücklich zur Begründung auf die Berufungsschrift verwiesen. Umgekehrt hat er in der Berufungsschrift Bezug genommen auf die beantragte Prozeßkostenhilfe. In einem solchen Falle muß bei der Auslegung der Berufungsschrift der Inhalt des gleichzeitig eingereichten Prozeßkostenhilfegesuchs mit berücksichtigt werden (so auch - in anderem Zusammenhang - Senatsbeschluß vom 16. Dezember 1987 - IVb ZB 161/87 - ZPO § 518 Abs. 1 Einlegung, unbedingte 2).

In dem Prozeßkostenhilfegesuch hat der Beklagte den gleichzeitig eingereichten Schriftsatz mehrfach als "Entwurf" bezeichnet. Außerdem hat er in diesem Schriftsatz mitgeteilt, es sei "beabsichtigt", Berufung einzulegen, nachdem ihm Prozeßkostenhilfe bewilligt worden sei. Diese Formulierungen lassen keinen Zweifel, daß es sich bei dem gleichzeitig eingereichten Schriftsatz lediglich um den Entwurf einer Berufungsschrift handeln sollte. Daß der Beklagte sich die Entscheidung, ob die Berufung durchgeführt werden sollte oder nicht, bis nach der Entscheidung über sein Prozeßkostenhilfegesuch vorbehalten wollte, ergibt sich auch aus der der Berufungsschrift vorangestellten Überschrift. Daß der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten in dieser Überschrift nicht den Ausdruck "Entwurf" gewählt hat, wie in dem Prozeßkostenhilfegesuch, sondern davon gesprochen hat, der Berufungsschriftsatz solle "nur wirksam sein", wenn Prozeßkostenhilfe gewährt werde, beruht erkennbar lediglich auf einem Vergreifen im Ausdruck.

Für diese Auslegung spricht auch der wirtschaftliche Sinn, den der Beklagte mit den beiden gleichzeitig eingereichten Schriftsätzen verfolgte. Der Beklagte wollte erkennbar das Kostenrisiko eines erfolglosen Berufungsverfahrens vermeiden und deshalb die Durchführung der Berufung davon abhängig machen, ob ihm Prozeßkostenhilfe gewährt würde. Dieses Ziel hätte er nicht erreichen können, wenn er gleichzeitig mit dem Prozeßkostenhilfegesuch bereits (bedingt oder nicht bedingt) Berufung eingelegt hätte. Das Ziel, das eine Partei mit der Abgabe einer Prozeßerklärung erreichen will, darf bei der Auslegung dieser Erklärung nicht unberücksichtigt bleiben.

Das Berufungsgericht geht deshalb zu Unrecht davon aus, daß bereits eine Berufung des Beklagten eingelegt worden ist.

3. Der Beklagte hat mit Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 29. Juni 1999 - vor Erlaß des angefochtenen Beschlusses - auf einen richterlichen Hinweis hin ausdrücklich klargestellt, daß er den zusammen mit dem Prozeßkostenhilfegesuch eingereichten Schriftsatz lediglich als den Entwurf einer Berufungsschrift ansehe. Damit hat er zugleich zum Ausdruck gebracht, daß er Berufung - nach Bewilligung der Prozeßkostenhilfe und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist - erst noch einlegen wolle. Zwar können nach Ablauf der Berufungsfrist eingehende klarstellende Erklärungen der Partei für die Auslegung, ob ein zuvor eingegangener Schriftsatz bereits als Einlegung der Berufung zu verstehen ist, nicht berücksichtigt werden. Entscheidend ist allein der objektive Erklärungswert, wie er dem Berufungsgericht innerhalb der Berufungsfrist erkennbar war (BGH, Beschluß vom 24. Mai 2000 - III ZB 8/00 -, BGHR ZPO § 518 Abs. 1 Einlegung 6 m.N.). Würde man mit dem Berufungsgericht davon ausgehen, der Beklagte habe zunächst eine bedingte und damit unzulässige Berufung eingelegt, so wäre dem Schriftsatz des Beklagten vom 29. Juni 1999 jedoch eine Zurücknahme dieser unzulässigen Berufung zu entnehmen. Diese Zurücknahme hätte den Beklagten nicht gehindert, nach Bewilligung der Prozeßkostenhilfe und einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist erneut und in zulässiger Weise Berufung einzulegen (vgl. Zöller/Gummer, ZPO 22. Aufl. § 518 Rdn. 3). Selbst wenn man der Auslegung des Berufungsgerichts folgt, war deshalb zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses nicht mehr über eine beim Berufungsgericht anhängige Berufung zu entscheiden.

Soweit das Berufungsgericht über eine nicht eingelegte, zumindest über eine nicht mehr anhängige Berufung entschieden hat, war der angefochtene Beschluß verfahrensfehlerhaft und deshalb aufzuheben.

4. Soweit der Beklagte mit seinem Rechtsmittel den Beschluß des Berufungsgerichts im übrigen angreift, - insbesondere wegen der Verweigerung der Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren - ist die sofortige Beschwerde unzulässig. Gegen solche Entscheidungen der Oberlandesgerichte ist kein Rechtsmittel zum Bundesgerichtshof statthaft (§ 567 Abs. 4 ZPO). Daran ändert es nichts, daß das Berufungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen ist, der Beklagte habe bereits eine bedingte und damit unzulässige Berufung eingelegt und daß es den die Prozeßkostenhilfe verweigernden Beschluß in erster Linie auf diesen Gesichtspunkt gestützt hat.

Im übrigen hat das Berufungsgericht in dem angefochtenen Beschluß hilfsweise ausgeführt, Prozeßkostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens könne auch deshalb nicht bewilligt werden, weil die Berufung in der Sache keine Aussicht auf Erfolg habe.

5. Dem Beklagten kann im vorliegenden Falle wegen der Versäumung der Berufungsfrist auch nicht von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden (§ 236 Abs. 2 ZPO; vgl. Senatsbeschluß vom 8. November 2000 - XII ZB 132/00 -, nicht veröffentlicht). Die Voraussetzungen liegen nicht vor, weil der Beklagte nach der nicht mehr mit einem Rechtsmittel angreifbaren Verweigerung der Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren die versäumte Prozeßhandlung - die Einlegung der Berufung - nicht innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO nachgeholt hat.

Ende der Entscheidung

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