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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.05.2004
Aktenzeichen: XII ZB 25/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 234
ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4
ZPO § 574 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 520 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

XII ZB 25/04

vom 19. Mai 2004

in der Familiensache

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Mai 2004 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz und Dose beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluß des 20. Familiensenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 22. Januar 2004 aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Gerichtskosten, von deren Erhebung abgesehen wird (§ 8 GKG).

Beschwerdewert: 940 €

Gründe:

I.

Die Abänderungsklage, mit der der Kläger den Wegfall seiner Verpflichtung zur Zahlung von Kindesunterhalt ab August 2002 begehrte, wurde durch Urteil des Familiengerichts vom 4. Juli 2003, dem Kläger zugestellt am 10. Juli 2003, zurückgewiesen.

Mit am 8. August 2003 bei Gericht eingegangenen Schriftsätzen legte der Kläger hiergegen "Berufung" ein mit dem Zusatz, die Durchführung werde von der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe abhängig gemacht, beantragte Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren und legte einen mit der Unterschrift seines beim Berufungsgericht zugelassenen Prozeßbevollmächtigten versehenen Entwurf einer Berufungsbegründung vor.

Mit Beschluß vom 27. November 2003, dem Kläger zugegangen am 4. Dezember 2003, bewilligte das Berufungsgericht Prozeßkostenhilfe für eingeschränkte Berufungsanträge.

Daraufhin beantragte der Kläger mit einem als Berufung bezeichneten Schriftsatz, der am 19. Dezember 2003 (Freitag) per Fax bei Gericht einging, Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist und begründete die Berufung zugleich unter Beschränkung seiner Berufungsanträge nach Maßgabe der Prozeßkostenhilfebewilligung.

Auf einen dem Kläger am 2. Januar 2004 zugestellten Hinweis des Gerichts, die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO sei durch das am 19. Dezember 2003 eingegangene Wiedereinsetzungsgesuch nicht gewahrt, beantragte der Kläger mit am 15. Januar 2004 eingegangenem Schriftsatz vorsorglich Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist und machte durch eidesstattliche Versicherung seiner Büroangestellten glaubhaft, diese habe versäumt, die Weisung des Prozeßbevollmächtigten zu befolgen, das Wiedereinsetzungsgesuch vom 18. Dezember 2003 noch am gleichen Tage per Fax an das Berufungsgericht zu senden.

Das Berufungsgericht sah die am 8. August 2003 eingegangene Berufungsschrift als unbedingt eingelegt an und verwarf die Berufung mangels rechtzeitiger Begründung mit Beschluß vom 22. Januar 2004. Zugleich verweigerte es die vom Kläger beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

2. Sie ist auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Verwerfungsbeschlusses mit der Folge, daß das Berufungsverfahren fortzusetzen ist.

Der Kläger hat weder die Berufungsfrist noch die Berufungsbegründungsfrist versäumt, so daß es einer Wiedereinsetzung nicht bedarf.

a) Das Berufungsgericht hat den am 8. August 2003 eingegangenen Schriftsatz als unbedingt eingelegte Berufung ausgelegt. Diese Auslegung, die das Gericht der Rechtsbeschwerde uneingeschränkt nachprüfen kann, läßt Rechtsfehler nicht erkennen.

Der Berufungsschriftsatz ist innerhalb der Berufungsfrist eingegangen und wahrt die erforderlichen Förmlichkeiten. In ihm wird erklärt, daß gegen das näher bezeichnete Urteil des Amtsgerichts namens und in Vollmacht des Klägers Berufung eingelegt werde. Die Einlegung des Rechtsmittels ist zulässigerweise mit einem Prozeßkostenhilfegesuch verbunden worden. In einem solchen Fall muß der Rechtsmittelführer zwar alles vermeiden, was den Eindruck erweckt, er wolle eine (künftige) Prozeßhandlung nur ankündigen und sie von der Gewährung der Prozeßkostenhilfe abhängig machen (vgl. Senatsbeschluß vom 9. Juli 1986 - IVb ZB 55/86 - FamRZ 1986, 1987). Wenn aber - wie hier - die gesetzlichen Anforderungen an eine Berufungsschrift erfüllt sind, kommt die Deutung, daß der Schriftsatz nicht als unbedingte Berufung bestimmt war, nur in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (vgl. Senatsbeschluß vom 10. Januar 1990 - XII ZB 134/89 - FamRZ 1990, 995). Mit Rücksicht auf die schwerwiegenden Folgen einer bedingten und damit unzulässigen Berufungseinlegung ist für die Annahme einer derartigen Bedingung eine ausdrückliche zweifelsfreie Erklärung erforderlich, die beispielsweise darin gesehen werden kann, daß der Schriftsatz als "Entwurf einer Berufungsschrift" bezeichnet wird, oder von einer "beabsichtigten Berufung" die Rede ist oder angekündigt wird, daß "nach Gewährung der Prozeßkostenhilfe" Berufung eingelegt werde (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 1995 - VIII ZR 267/94 - BGHR ZPO § 518 Abs. 1 Einlegung 5).

Demgegenüber ist der hier zu beurteilenden Berufungsschrift eine solche eindeutige, jeden vernünftigen Zweifel ausschließende Bedingung nicht zu entnehmen. Er ist mit "Berufung" überschrieben und enthält zunächst die ausdrückliche und einschränkungslose Erklärung, es werde Berufung eingelegt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß die Einlegung der Berufung, der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe und die darin in Bezug genommene, als "Entwurf der Berufungsbegründungsschrift" bezeichnete Begründung jeweils in gesonderten Schriftsätzen eingereicht wurden und die Begründungsschrift mit der Überschrift "Entwurf" versehen wurde, die Berufungsschrift im Gegensatz dazu aber nicht.

Wenn sodann in der Berufungsschrift nach der Erklärung, daß Berufung eingelegt werde, der Absatz folgt

"Die Durchführung des Berufungsverfahrens wird von der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe abhängig gemacht",

so ist dies nicht eindeutig, da diese Erklärung auch dahin verstanden werden kann, daß nur die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang die (weitere) Durchführung des Rechtsmittelverfahrens - die die Einlegung des Rechtsmittels voraussetzt - von der Bewilligung der Prozeßkostenhilfe abhängig gemacht wird, nicht aber die Einlegung selbst, und daß der Kläger sich für den Fall vollständiger Versagung der Prozeßkostenhilfe die Zurücknahme der Berufung vorbehält (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 1995 aaO.).

b) Zu Unrecht hat aber das Berufungsgericht den dem Berufungsschriftsatz beigefügten Entwurf einer Berufungsbegründungsschrift nicht als solche genügen lassen.

Entgegen der im angefochtenen Beschluß vertretenen Auffassung kann auch die - hier: in der Berufungsschrift ausdrücklich erklärte - Bezugnahme auf ein eingereichtes Prozeßkostenhilfegesuch zugleich als Berufungsbegründung ausreichen. Dies gilt erst recht, wenn sich die Bezugnahme - wie hier - auf einen zugleich beigefügten gesonderten Entwurf einer Berufungsbegründung erstreckt, der von dem beim Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalt unterschrieben ist und auch sonst allen Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO entspricht. Da nämlich im allgemeinen keine Partei die mit der Versäumung einer Rechtsmittelfrist verbundenen Nachteile in Kauf nehmen will, muß im Zweifel angenommen werden, daß ein inhaltlich den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO entsprechendes, von dem beim Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnetes Prozeßkostenhilfegesuch auch als Berufungsbegründung dienen soll, sofern nicht ein anderer Wille des Rechtsmittelführers erkennbar ist (st. Rspr., vgl. Senatsbeschluß vom 16. August 2000 - XII ZB 65/00 - NJW-RR 2001, 789 m.N.).

So liegt der Fall auch hier, zumal dem Umstand, daß der gesondert beigefügte "Entwurf" im Prozeßkostenhilfegesuch als "Entwurf der Berufungsbegründungsschrift" bezeichnet wird, zu entnehmen ist, daß er nicht nur der Begründung des Prozeßkostenhilfegesuchs, sondern zugleich auch der Begründung der bereits eingelegten Berufung dienen soll.

Der Bezeichnung als "Entwurf" ist jedenfalls nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, daß dieser Schriftsatz nicht schon als Berufungsbegründung dienen, sondern diese erst ankündigen soll. Dagegen spricht bereits die Unterzeichnung des Schriftsatzes, die, wenn der Entwurf nur der Begründung des Prozeßkostenhilfegesuchs dienen soll, nicht erforderlich ist und üblicherweise unterbleibt. Die Bezeichnung als "Entwurf" kann auch bedeuten, daß im Falle einer noch innerhalb der Begründungsfrist ergehenden, die Prozeßkostenhilfe nur teilweise bewilligenden Entscheidung eine Modifizierung der Berufungsanträge und/oder eine weitere Auseinandersetzung mit der Begründung der teilweise ablehnenden Prozeßkostenhilfeentscheidung vorbehalten bleiben soll.

Dem steht auch nicht entgegen, daß der Kläger hier nach der Bewilligung der Prozeßkostenhilfe Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt hat. Dieser Antrag ist als nur vorsorglich gestellt anzusehen, da in ihm zugleich ausgeführt wird, daß die Berufung (fristgerecht) am 6. August 2003 eingelegt und ihr "gleichzeitig eine Begründungsschrift beigefügt" worden sei.



Ende der Entscheidung

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