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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 02.05.2007
Aktenzeichen: XII ZR 109/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 312 Abs. 1 Nr. 1
Zum Widerrufsrecht eines Angestellten, der an seinem Arbeitsplatz zum Abschluss eines Bürgschafts- oder Schuldmitübernahmevertrages für Verbindlichkeiten seines Arbeitgebers bestimmt worden ist.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

XII ZR 109/04

Verkündet am: 2. Mai 2007

in dem Rechtsstreit

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 2. Mai 2007 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter Fuchs und Dr. Ahlt, die Richterin Dr. Vézina und den Richter Dose

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 3. Juni 2004 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von dem Beklagten Miete aus einem Mietvertrag vom 14. November 2002 über einen Lkw.

Der Kläger, der gewerblich Fahrzeuge vermietet, ließ auf Bestellung seiner Kundin, der M. GmbH, durch seinen Mitarbeiter einen Lkw auf deren Betriebsgelände bringen. Auf Aufforderung des Mitarbeiters des Klägers unterzeichnete der Beklagte, der als Fahrer bei der inzwischen insolventen M. GmbH angestellt war, den Formularvertrag als "2. Mieter" neben einem Bevollmächtigten der als "Kunde" und "Mieter" bezeichneten M. GmbH.

Der Kläger ist der Ansicht, der Beklagte sei neben der M. GmbH Mieter geworden. Er behauptet, der Beklagte sei vor Vertragsabschluss ausdrücklich auf seine Haftung aus dem Mietvertrag hingewiesen worden.

Der Beklagte behauptet, er habe mit seiner Unterschrift lediglich die Entgegennahme des Lkw quittieren wollen, der ausschließlich von seiner Arbeitgeberin, der M. GmbH, gemietet worden sei. Der Mitarbeiter des Klägers habe ihn nicht darauf hingewiesen, dass er selbst Mieter des Lkw werden solle.

Hilfsweise hat der Beklagte den Vertrag wegen arglistiger Täuschung und Irrtums angefochten.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:

Der Beklagte sei zwar Mieter geworden. Denn die Beantwortung der von ihm als "2. Mieter" im Formularmietvertrag erfragten Angaben zu seiner Person (Wohnort, Personalausweisnummer, Führerscheinnummer) setzten voraus, dass der Beklagte die Fragen gelesen und verstanden habe. Gegen seine Stellung als Mieter spreche auch nicht, dass mehrere im Vertrag getroffene Vereinbarungen nur von der M. GmbH, nicht aber von dem Beklagten unterschrieben worden seien. Denn daraus folge lediglich, dass diese Vereinbarungen nur zwischen der M. GmbH und dem Kläger Geltung hätten.

Es könne dahingestellt bleiben, ob der Vertrag infolge der Anfechtung des Beklagten nichtig sei. Denn der Vertrag sei jedenfalls in Bezug auf die Einbeziehung des Beklagten sittenwidrig im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB.

Die Situation des Beklagten bei Vertragsschluss sei mit der eines Arbeitnehmers vergleichbar, der sich für Schulden seines Arbeitgebers verbürge. Die Bürgschaftsübernahme eines Arbeitnehmers für einen Geschäftskredit seines Arbeitgebers sei gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn der Arbeitnehmer zu der Bürgschaftserklärung durch den Hauptschuldner unter Ausnutzung seiner geschäftlichen Unerfahrenheit und aus Sorge um den Bestand seines Arbeitsplatzes veranlasst worden sei und ein besonders grobes Missverhältnis zwischen dem Verpflichtungsumfang und der Leistungsfähigkeit des Bürgen bestehe. Hier werde der Beklagte zwar wirtschaftlich durch die Forderung des Klägers nicht auf unabsehbare Zeit völlig überfordert. Es reiche aber für die Anwendbarkeit von § 138 BGB aus, dass die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend seien, wenn es sich um eine typisierbare Fallgestaltung handele, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen lasse.

Das Haftungsrisiko sei für den Beklagten nicht überschaubar gewesen. Er habe nämlich neben der Haftung für Miete und Ansprüche aus verspäteter Rückgabe des Lkw sämtliche weiteren Ansprüche des Klägers, die sich aus einer etwaigen Beschädigung oder dem Untergang der gemieteten Sache ergeben könnten, übernommen, ohne dass er im Verhältnis zur M. GmbH auf den Zeitpunkt der Rückgabe oder die Verwendung des Lkw habe Einfluss nehmen können. Das sei auch für den Mitarbeiter des Klägers, dessen Kenntnis der Kläger sich gemäß § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen müsse, ohne weiteres erkennbar gewesen. Es habe mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auf der Hand gelegen, dass der den Wagen übernehmende Fahrer ausschließlich im Auftrag und Interesse seines Arbeitgebers tätig geworden sei und intern keine Verfügungsbefugnis über das Fahrzeug gehabt habe. Die untergeordnete Stellung des Beklagten sei nicht zuletzt daraus erkennbar gewesen, dass er allein nicht berechtigt gewesen sei, Mietverträge im Namen der M. GmbH abzuschließen.

Bedeutung und Ausmaß des übernommenen Risikos habe der Beklagte als angestellter Fahrer nicht abschätzen können. Es sei für einen Angestellten auch ungewöhnlich belastend, für sämtliche Ansprüche zu haften, die sich aus einem Mietvertrag über einen Lkw ergeben, dessen Einsatz ausschließlich seinem (früheren) Arbeitgeber zugute kommen solle. Des Weiteren sei zu beachten, dass die Inanspruchnahme des Beklagten als Angestellten regelmäßig erst dann für den Kläger wirtschaftlich interessant sei, wenn die M. GmbH insolvent geworden sei, das Angestelltenverhältnis also nicht mehr fortbestehe.

Bei so ausgeprägter Unterlegenheit eines Vertragspartners komme es entscheidend darauf an, auf welche Weise der Vertrag zustande gekommen sei und wie sich insbesondere der überlegene Vertragspartner verhalten habe.

Im vorliegenden Fall hätte der Kläger das Fahrzeug unstreitig nicht ausgehändigt, wenn der Beklagte den Mietvertrag nicht unterschrieben hätte. Ob der Beklagte bei dieser Gelegenheit auch ausdrücklich über seine mietvertraglichen Verpflichtungen belehrt worden sei, könne dahinstehen. Auch wenn dies geschehen sei, ändere es nichts daran, dass der geschäftlich ungewandte Beklagte habe annehmen müssen, die ihm von seinem damaligen Arbeitgeber übertragene Aufgabe zur Entgegennahme des Lkw nur erfüllen zu können, wenn er das Dokument unterzeichne. Dieser Konflikt sei für den Abschlussvertreter des Klägers auch deutlich gewesen.

II.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Prüfung zwar nicht in der Begründung, aber im Ergebnis stand.

1. Es bestehen durchgreifende Bedenken gegen die - nicht auf tatrichterlicher Feststellung, sondern auf einer Würdigung des Vertrages beruhende - Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte sei neben der M. GmbH Mieter des Lkw geworden. Das Berufungsgericht hat bei der Auslegung der Willenserklärung des Beklagten gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze, insbesondere gegen das Gebot der nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung verstoßen (BGHZ 131, 136, 138; BGH Urteil vom 7. November 2001 - VIII ZR 213/00 - NJW 2002, 506).

Es ist davon ausgegangen, dass der Beklagte allein deshalb Mieter geworden sei, weil er den Vertrag über der Zeile "2. Mieter" unterschrieben habe und die ihm gestellten Fragen nach Wohnort, Personalausweisnummer, Führerscheinnummer nur habe beantworten können, wenn er sie zuvor gelesen und verstanden habe.

Dabei berücksichtigt das Berufungsgericht nicht hinreichend, dass der objektive Erklärungswert der Willenserklärung des Beklagten sich danach bestimmt, wie seine Erklärung zur Zeit ihres Wirksamwerdens nach Treu und Glauben von dem Kläger verstanden werden musste (BGH Urteil vom 18. Februar 1993 - IX ZR 108/92 - NJW-RR 1993, 945, 946 m.w.N.). Dafür kann nicht allein die Wortwahl "2. Mieter" herangezogen werden, vielmehr ist der gesamte Vertragsinhalt maßgeblich. Darüber hinaus sind Begleitumstände zu berücksichtigen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der abgegebenen Erklärung zulassen (BGH Urteil vom 16. Oktober 1997 - IX ZR 164/96 - NJW-RR 1998, 259).

Schon der Vertragsinhalt spricht gegen den Willen des Beklagten zum Abschluss eines Mietvertrages. Denn die wesentlichen vertraglichen Vereinbarungen, wie Haftungsreduzierung, Abschluss einer Insassenunfallversicherung, Verbot der Nutzung des Lkw im Ausland, Einbeziehung und Kenntnisnahme der AGB, sind auf den im Formularvertrag gesondert vorgesehenen Unterschriftsfeldern nur von dem Bevollmächtigten der M. GmbH als Mieter, nicht aber von dem Beklagten unterschrieben worden. Angesichts der hierfür gesondert vorgesehenen Unterschriftsfelder ist davon auszugehen, dass der Abschluss dieser Vereinbarungen deren Unterzeichnung voraussetzt. Da es sich bei den durch die Unterzeichnung besonders hervorgehobenen Vereinbarungen um wichtige Bestandteile des Mietvertrages handelt, ist davon auszugehen, dass sie von dem Mieter unterzeichnet werden sollten. Eine Unterzeichnung durch den Beklagten ist jedoch nicht erfolgt.

Auch die Begleitumstände der Vertragsunterzeichnung weisen darauf hin, dass der Beklagte keinen Mietvertrag abschließen wollte.

Der Beklagte hat an seinem Arbeitsplatz den von seiner Arbeitgeberin bei dem Kläger zur Miete bestellten Lkw entgegengenommen. Daraus ergab sich für den Vertreter des Klägers erkennbar, dass der Beklagte weder ein sachliches noch ein persönliches Interesse an der Miete des Lkw hatte und ihm neben seiner Arbeitgeberin kein eigenes Verfügungsrecht über den Lkw zustand. Angesichts der daraus folgenden Interessenlage des Beklagten durfte der Kläger die Unterschrift des Beklagten auf dem Formularvertrag nicht dahin verstehen, dass der Beklagte selbst Mieter mit allen Rechten und Pflichten werden wollte. Auch aus den persönlichen Angaben des Beklagten ergibt sich nichts anderes. Das gilt selbst dann, wenn der Vertreter des Klägers den Beklagten auf seine Haftung aus dem Mietvertrag hingewiesen haben sollte. Daraus könnte allenfalls auf den Abschluss einer Schuldmitübernahme oder einer Bürgschaft geschlossen werden.

2. Es kann dahingestellt bleiben, ob zwischen den Parteien ein Schuldmitübernahmevertrag oder ein Bürgschaftsvertrag abgeschlossen worden ist, der gegebenenfalls wegen ungewöhnlicher Belastung und struktureller Unterlegenheit des Beklagten gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig wäre. Denn der Beklagte hat jedenfalls seine auf einen etwaigen Vertragsabschluss gerichtete Willenserklärung wirksam gemäß §§ 312, 355 BGB widerrufen.

Nach §§ 312 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1, 355 Abs. 1 Satz 2 BGB kann ein Verbraucher einen Vertrag mit einem Unternehmer, der eine entgeltliche Leistung zum Gegenstand hat, binnen einer Frist von zwei Wochen widerrufen, wenn er durch mündliche Verhandlung an seinem Arbeitsplatz zum Abschluss des Vertrages bestimmt worden ist und die mündliche Verhandlung nicht auf seine Bestellung hin an seinem Arbeitsplatz geführt worden ist.

Die Widerrufsfrist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem dem Verbraucher eine Belehrung über sein Widerrufsrecht in Textform mitgeteilt worden ist (§ 355 Abs. 2, 3 Satz 3 BGB). Für die Belehrung ist der Unternehmer darlegungs- und beweispflichtig.

Im vorliegenden Fall wurde der Lkw unstreitig von der Arbeitgeberin des Beklagten, der M. GmbH, telefonisch bestellt und von einem Mitarbeiter des Klägers auf deren Betriebsgelände gebracht, auf dem der bei der M. GmbH angestellte Beklagte seinen Arbeitsplatz hatte. Dort ist der streitige Vertrag von dem Beklagten, der den Lkw für seine Arbeitgeberin entgegennehmen sollte, mit unterzeichnet worden.

Der hier in Betracht kommende Schuldmitübernahme- oder Bürgschaftsvertrag, der weder einer gewerblichen noch einer selbständigen beruflichen Tätigkeit des Beklagten zugerechnet werden kann, ist ein Vertrag über eine entgeltliche Leistung (vgl. BGHZ 165, 363, 367 f.; 139, 21, 23 f.; BGH Urteil vom 9. März 1993 - XI ZR 179/92 - NJW 1993, 1594, 1595; EuGH NJW 1998,1295, 1296 zur Auslegung der Richtlinie). Für das Widerrufsrecht des Beklagten kommt es auch allein darauf an, dass er Verbraucher ist und den Vertrag in einer Haustürsituation abgeschlossen hat. Dass diese Voraussetzungen für die Hauptschuldnerin, die M. GmbH, nicht vorliegen, ist unerheblich (BGHZ 165, 363, 367 f.). Denn § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB dient dem Schutz des Verbrauchers vor der Gefahr, bei der Anbahnung eines Vertrages in einer ungewöhnlichen räumlichen Situation überrumpelt und zu einem unüberlegten Geschäftsabschluss veranlasst zu werden. Dieser Gefahr ist der Schuldübernehmer oder Bürge, der sich in einer Haustürsituation befindet, unabhängig davon ausgesetzt, ob sich der Hauptschuldner ebenfalls in dieser Situation befindet (BGHZ 165, 363, 367 f.).

Der Kläger hat weder dargelegt noch unter Beweis gestellt, dass der Beklagte ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist. Auch eine entsprechende Verfahrensrüge wurde - nach rechtlichem Hinweis in der Revisionsinstanz - nicht erhoben. Der Beklagte war somit zum Widerruf berechtigt. Er hat seine Willenserklärung auch widerrufen. Durch seine Anfechtungserklärung wegen arglistiger Täuschung und Irrtums im Schriftsatz vom 26. August 2003 hat er hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er einen etwaigen Vertrag nicht gelten lassen will. Die Verwendung des Wortes "Widerruf" ist hierfür nicht erforderlich (BGH Urteile vom 21. Oktober 1992 - VIII ZR 143/91 - NJW 1993, 128, 129; vom 25. April 1996 - X ZR 139/94 - NJW 1996, 1964, 1965).

Durch die Widerrufserklärung des Beklagten hat sich ein etwaiger Bürgschafts- oder Schuldmitübernahmevertrag in ein Rückabwicklungsverhältnis umgewandelt. Aus diesem ergibt sich aber kein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Ersatz von Nutzungen gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 oder § 346 Abs. 1 BGB. Der Lkw ist nicht dem Beklagten, sondern der M. GmbH als alleiniger Mieterin zum Gebrauch überlassen und von dieser auch genutzt worden.

Da sich das Urteil des Berufungsgerichts somit im Ergebnis als richtig erweist, war die Revision zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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