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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 30.06.1999
Aktenzeichen: B 2 U 24/98 R
Rechtsgebiete: SGB X


Vorschriften:

SGB X § 45
SGB X § 45 Abs 4 Satz 1
SGB X § 45 Abs 2 Satz 3
SGB X § 45 Abs 3 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

in dem Rechtsstreit

Az: B 2 U 24/98 R

Kläger und Revisionsbeklagter,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft, M 5, 7, 68161 Mannheim,

Beklagte und Revisionsklägerin,

Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Fritz Keilbar, Prof.Dr. Hermann Plagemann, Ursula Mittelmann, Christel von der Decken, Martin Schafhausen und Götz Keilbar, Myliusstraße 15, 60323 Frankfurt.

Der 2. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 30. Juni 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Burchardt, die Richter Klüglein und Mütze sowie die ehrenamtlichen Richter Brüning und Lasar

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. Juli 1997 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten wegen der Anerkennung und Entschädigung des Verkehrsunfalls des Klägers vom 28. August 1991 als Arbeitsunfall.

Der Kläger war als Monteur im Außendienst beschäftigt; er wohnte und arbeitete in S. . Außerhalb seiner Arbeitszeit half er im Betrieb für Baumaschinenhandel und -verleih mit, den seine in einer Apotheke in S. beschäftigte Ehefrau am 1. August 1991 in H. bei L. eröffnet hatte. Am 28. August 1991 fuhr er im Auftrag seiner Ehefrau mit einem Unimog und einem mit einem Kleinbagger beladenen Anhänger von S. zum Firmensitz nach H. . Dabei erlitt er einen Verkehrsunfall, bei dem er erheblich verletzt wurde.

Auf eine entsprechende Anfrage hin teilte die Hauptverwaltung der Beklagten den Bevollmächtigten des Klägers mit dem "Im Auftrag" von einem Mitarbeiter unterzeichneten Schreiben vom 14. November 1991 ua mit:

"Hiermit bestätigen wir Ihnen, daß Herr H. -J. Z. als mithelfender Ehegatte in der Firma G. Z. zum Unfallzeitpunkt zum Kreis der kraft Gesetzes gegen die Folgen von Arbeitsunfällen versicherten Personen gehörte."

Nach weiteren Ermittlungen stellte die Beklagte durch Bescheid ihres Rentenausschusses vom 27. August 1992 fest, das Unfallereignis vom 28. August 1991 sei kein Arbeitsunfall iS der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Kläger sei nicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses für das Unternehmen seiner Ehefrau tätig geworden; auch nach den im Beitrittsgebiet weiter geltenden Vorschriften der DDR habe kein Unfallversicherungsschutz bestanden, weil der Kläger seine Tätigkeit mit Schwerpunkt in den alten Bundesländern ausgeübt habe. Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 1992). Bei dem Schreiben vom 14. November 1991 habe es sich um eine rechtlich unverbindliche Auskunft gehandelt. Außerdem wäre "die Berufsgenossenschaft" rechtlich nicht befugt gewesen, eine Zusicherung auf Erlaß eines späteren Feststellungsbescheides abzugeben, weil Rentenfeststellungen gemäß § 1569a der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm § 20a ihrer Satzung dem Rentenausschuß oblägen, dessen Entscheidungskompetenz nicht über eine vorherige Zusicherung umgangen werden dürfe.

Das Sozialgericht München (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen des Arbeitsunfalls vom 28. August 1991 die gesetzlichen Leistungen zu gewähren (Urteil vom 31. Mai 1996).

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 22. Juli 1997). Die Beklagte sei bereits aufgrund des Schreibens ihrer Hauptverwaltung vom 14. November 1991 verpflichtet, dem Kläger wegen des Unfalls vom 28. August 1991 die gesetzlichen Leistungen zu gewähren. Dieses Schreiben enthalte die Anerkennung eines wesentlichen anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmals für § 548 RVO, nämlich die Feststellung, daß der Kläger im Unfallzeitpunkt unter Versicherungsschutz gestanden habe. Dies stelle nicht nur eine Zusicherung iS des § 34 Abs 1 des Zehnten Buches Sozialgersetzbuch (SGB X) dar, an welche die Beklagte mangels Änderung der Sach- und Rechtslage gemäß § 34 Abs 3 SGB X gebunden sei, sondern darüber hinaus eine selbständige abgrenzbare Entscheidung iS eines Verwaltungsaktes mit entsprechendem Regelungsinhalt. Folglich sei es der Beklagten versagt gewesen, mit dem Bescheid vom 27. August 1992 eine gegenteilige Entscheidung hinsichtlich des Versicherungsschutzes dem Grunde nach zu treffen.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Das LSG habe ihren Vortrag völlig außer acht gelassen, daß sie die "Zusicherung" mit dem angefochtenen Bescheid vom 27. August 1992 gemäß § 45 SGB X unter Einhaltung der Zweijahresfrist des § 45 Abs 3 Satz 1 SGB X zurückgenommen habe, ohne dabei durch irgendein Vertrauen iS des § 45 Abs 2 SGB X auf seiten des Klägers an der Rücknahme gehindert gewesen zu sein. Das LSG habe ihr rechtliches Gehör verletzt, weil es hierzu kein Wort verloren habe. Bei Gewährung des rechtlichen Gehörs und Berücksichtigung ihres diesbezüglichen Vortrags wäre das Berufungsgericht zu der eindeutigen Schlußfolgerung gekommen, daß das Schreiben vom 14. November 1991 jedenfalls wirksam zurückgenommen worden sei.

Dem angefochtenen Urteil liege außerdem ein Verstoß gegen § 34 SGB X zugrunde. Das Bundessozialgericht (BSG) habe entschieden, eine Berufsgenossenschaft (BG) sei auch dann nicht zur Entschädigung verpflichtet, wenn sie - irrtümlich - einer Krankenkasse gegenüber ihre Einstandspflicht schriftlich mitgeteilt habe (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 25). Wenn danach das "Anerkenntnis" in bezug auf einen bestimmten Unfall gegenüber der Krankenkasse dem Verletzten gegenüber keine Bindungswirkung habe, müsse gleiches gelten für ein Schreiben, welches von der unzuständigen Stelle der BG auf der Grundlage eines vorläufig ermittelten Sachverhalts verfaßt worden sei und nach seinem eindeutigen Wortlaut noch nicht einmal das Vorliegen eines Arbeitsunfalls bestätige. Zur Bescheiderteilung sei nämlich gemäß §§ 1583, 1569a RVO iVm § 36a Abs 1 Nr 2 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) sowie § 20a ihrer Satzung ausschließlich der Rentenausschuß ermächtigt. Folglich sei sie an das Schreiben vom 14. November 1991 auch nicht iS einer Zusage gebunden.

Darüber hinaus habe das LSG auch insoweit ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, als es nicht die - gegebene - Unwirksamkeit der Zusicherung iS des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB X erörtert habe. Ihre Hauptverwaltung, die das Schreiben vom 14. November 1991 verfaßt habe, sei nämlich zur Abgabe einer solchen abgrenzbaren Entscheidung in bezug auf die Leistungsgewährung unzuständig gewesen. "Zuständige Behörde" iS des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB X sei - ausschließlich - ihr Rentenausschuß, worauf sie schriftsätzlich hingewiesen habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. Juli 1997 sowie das Urteil des Sozialgerichts München vom 31. Mai 1995 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>).

II

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat Anspruch auf Entschädigung wegen der Folgen des Unfalls vom 28. August 1991 als Arbeitsunfall nach den Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung, wie SG und LSG rechtlich zutreffend entschieden haben.

Der Entschädigungsanspruch des Klägers richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO, da sich der von ihm als Arbeitsunfall geltend gemachte Unfall vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 ereignet hat (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz <UVEG>, § 212 SGB VII).

Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Nach den bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG erlitt der Kläger am 28. August 1991 einen Verkehrsunfall, bei dem er sich erhebliche Verletzungen zuzog. Es kann dahinstehen, ob er dabei materiell-rechtlich unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hat. Denn insoweit hat die Beklagte durch Verwaltungsakt eine rechtsverbindliche positive Feststellung getroffen, die sie daran hinderte, den ablehnenden Bescheid vom 27. August 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 1992 zu erteilen (§ 39 Abs 1 und 2 SGB X, § 77 SGG).

Dieser feststellende Verwaltungsakt ist in dem an die Bevollmächtigten des Klägers gerichteten Schreiben der Beklagten vom 14. November 1991 enthalten. Zwar handelt es sich dabei nicht um eine Zusicherung iS des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB X. Eine solche ist nur dann anzunehmen, wenn die zuständige Behörde einem Betroffenen zusagt, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen. Die Zusicherung hat die Aufgabe, als verbindliche Zusage über das zukünftige Verhalten der Verwaltungsbehörde bei Erlaß eines Verwaltungsaktes dem Adressaten, der seinerseits erst noch die Voraussetzungen für den Erlaß des ihn begünstigenden Verwaltungsaktes herbeiführen muß, die Gewißheit zu verschaffen, daß seine Aufwendungen auch zu dem von ihm beabsichtigten Erfolg führen (BSGE 56, 249, 251 = SozR 5750 Art 2 § 9a Nr 13). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Insbesondere war ein weiteres Handeln des Klägers für den Erwerb eines Entschädigungsanspruchs nicht erforderlich, da die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung nach Eintritt eines Arbeitsunfalls von Amts wegen zu erbringen sind (§ 547 RVO).

Bei dem Schreiben vom 14. November 1991 handelt es sich vielmehr sowohl nach seinem objektiven Erklärungsinhalt als auch den Umständen nach, unter denen diese Erklärung erging (vgl BSGE 44, 114, 118 f = SozR 2200 § 886 Nr 1), um eine selbständig abgrenzbare Feststellung mit der Rechtsqualität eines Verwaltungsaktes iS des § 31 Satz 1 SGB X. Danach ist Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Das Schreiben vom 14. November 1991, dessen Auslegung der Senat ohne Bindung an dessen Würdigung durch das Tatsachengericht nachprüfen kann (vgl dazu BSGE 77, 219, 223 = SozR 3-2500 § 124 Nr 3 mwN), enthält die Erklärung der Beklagten, sie werde als verbindlich davon ausgehen, daß der Kläger "zum Unfallzeitpunkt zum Kreis der kraft Gesetzes gegen die Folgen von Arbeitsunfällen versicherten Personen gehörte". Zwar wird damit das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nicht wörtlich anerkannt. Die gewählte Bezeichnung der bestehenden Absicherung des Klägers, er sei "zum Unfallzeitpunkt" versichert gewesen, und zwar "gegen die Folgen von Arbeitsunfällen", läßt jedoch im Hinblick auf die gesamten Umstände aus der Sicht eines verständigen Empfängers dieser Erklärung allein deren Deutung als Anerkennung eines Arbeitsunfalls zu. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, ist insbesondere auch aus der in dem Schreiben verwandten Formulierung "Hiermit bestätigen wir" ein ausdrücklicher Erklärungs- und Verpflichtungswille der Beklagten zu entnehmen, das Unfallereignis vom 28. August 1991 mit unmittelbarer rechtlicher Wirkung dem Grunde nach als Arbeitsunfall anzuerkennen. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat sie damit nicht lediglich eine rechtlich unverbindliche Auskunft erteilt. Selbst wenn sie eine solche bloße Information beabsichtigt haben sollte, wäre dies rechtlich unbeachtlich. Denn Maßstab der Auslegung eines Verwaltungsaktes ist der im Ausspruch geäußerte Erklärungswille und Erklärungswert, wie er sich einem verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, darstellt (vgl BSGE 62, 32, 37 = SozR 4100 § 71 Nr 2; BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2; BSG SozR 3-1300 § 34 Nr 2 mwN), nicht jedoch eine Absicht der Behörde, die von diesem "Empfängerhorizont" aus nicht erkennbar ist.

Der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes vom 14. November 1991 steht nicht entgegen, daß die Feststellung nicht förmlich iS der §§ 1569a, 1583 RVO iVm § 36a Abs 1 Nr 2 SGB IV sowie nicht gemäß § 20a Abs 1 der Satzung der Beklagten durch deren Rentenausschuß erfolgt ist.

Nach § 1569a Abs 1 Nr 1 RVO ist eine förmliche Feststellung erforderlich, wenn es sich um die Gewährung von Renten handelt, die nicht nur für die Vergangenheit gewährt werden. Im Schreiben der Beklagten vom 14. November 1991 ist zwar nicht ausdrücklich aufgeführt, ob dem Kläger Entschädigungsleistungen (und damit uU eine Verletztenrente, § 547 RVO) zustehen. Dadurch ist indes das Erfordernis einer förmlichen Feststellung nach § 1569a RVO nicht entfallen. Denn eine solche Feststellung ist auch dann notwendig, wenn sich ein Verwaltungsakt - wie das Schreiben der Beklagten vom 14. November 1991 - auf die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall beschränkt, da er dann eine wesentliche Voraussetzung für eine spätere Rentengewährung betrifft. Wäre sie ohne förmliche Feststellung zulässig, würde in den vielen Fällen, in denen die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung einer Verletztenrente - Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit und Höhe des Jahresarbeitsverdienstes - nicht zweifelhaft sind, über die Gewährung von Rente tatsächlich bereits vor der förmlichen Feststellung durch eine hierfür eigentlich unzuständige Stelle entschieden. Es würde jedoch Sinn und Zweck des § 1569a RVO widersprechen, die gleichermaßen für den Verletzten und den Träger der Unfallversicherung weitreichende Entscheidung über die Gewährung von Rente in einer förmlichen Feststellung durch einen eigens dafür eingerichteten Ausschuß zu treffen, wenn über das Vorliegen einer wesentlichen Voraussetzung einer solchen Entschädigungsleistung bereits ohne förmliche Feststellung entschieden werden könnte (vgl BSGE 24, 162, 166 = SozR Nr 108 zu § 54 SGG = SozR Nr 1 zu § 1569a RVO; BSG, Urteil vom 2. Februar 1999 - B 2 U 7/98 R -).

Die somit nach § 1569a Abs 1 RVO gebotene förmliche Feststellung hatte hier zwar durch den gemäß § 36a Abs 1 Nr 2 SGB IV iVm § 20a Abs 1 der Satzung der Beklagten bestellten Rentenausschuß zu erfolgen. Sie wurde jedoch durch einen Mitarbeiter im Auftrag des Geschäftsführers, der als vertretungsberechtigtes Organ die Eigenschaft einer Behörde hat (vgl § 31 Abs 3, § 36 Abs 1 SGB IV), erteilt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist ein Verwaltungsakt indes nicht allein deshalb unwirksam, weil er nicht von dem hierzu berufenen Rentenausschuß, sondern vom Geschäftsführer der BG erlassen worden ist. Dabei handelt es sich um einen schwerwiegenden Mangel, der zwar zur Aufhebbarkeit des Verwaltungsaktes, nicht aber notwendig zu dessen Nichtigkeit führt. Diese Folge tritt vielmehr nur dann ein, wenn dieser schwerwiegende Mangel auch offenkundig ist, wie es inzwischen § 40 Abs 1 SGB X allgemein voraussetzt (vgl BSGE 24, 162, 165 ff = SozR aaO; BSGE 58, 63, 65 = SozR 1300 § 45 Nr 16; BSG, Urteil vom 18. Dezember 1969 - 2 RU 238/66 - = Breith 1970, 580; BSG, Urteil vom 25. August 1971 - 2 RU 235/68 - = SGb 1971, 393; BSG, Urteil vom 30. Mai 1988 - 2 RU 72/87 - = HV-Info 1988, 1601).

Offenkundig in diesem Sinne ist ein schwerwiegender Mangel dann, wenn er einem aufmerksamen und verständigen Staatsbürger ohne weiteres, also ohne besondere Sachkenntnis und ohne Heranziehung irgendwelcher Aufklärungsmittel, erkennbar ist (BSGE 24, 162, 168 = SozR aaO; BSGE 58, 63, 65 = SozR 1300 § 45 Nr 16; Schroeder-Printzen, SGB X, 3. Aufl, § 40 RdNr 9 mwN). Dies ist hier nicht der Fall. Auch ein aufmerksamer und verständiger Bürger konnte nicht ohne weiteres erkennen, daß der Geschäftsführer der Beklagten durch einen in seinem Auftrag handelnden rangniederen Mitarbeiter (vgl dazu BSG, Urteil vom 18. Dezember 1969 - 2 RU 238/66 - = Breith 1970, 580, 582) mit dem Verwaltungsakt vom 14. November 1991 seine Befugnisse erheblich überschritten hatte. Zunächst einmal wird der Anschein der verwaltungsmäßigen Korrektheit durch die Angabe "Hauptverwaltung" im Briefkopf erhöht. Einem mit der inneren Organisationsstruktur der Beklagten nicht vertrauten Außenstehenden mußte gerade dieses Erscheinungsbild den Eindruck besonders großer Autorität des Schreibens verschaffen. Daß es jedenfalls keine Zweifel an der Zuständigkeit begründen mußte, gilt insbesondere auch im Hinblick darauf, daß erst durch Auslegung der einschlägigen Rechtsvorschriften zu ermitteln war, ob die darin getroffene Feststellung in einem förmlichen Verfahren durch den Rentenausschuß zu ergehen hatte. Der Geschäftsführer der Beklagten ist nämlich nicht von jeder Feststellung einer Entschädigung an Versicherte ausgeschlossen, sondern in bestimmten Fällen (vgl § 1569a Abs 1 Nr 1 Halbs 2 RVO) berechtigt, Entschädigungen und damit auch deren Voraussetzungen festzustellen. Dies gilt zB für Renten, die nur für die Vergangenheit zu gewähren sind, für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls als Voraussetzung (nur) für eine solche Leistung oder eine Erkrankung als Folge eines Arbeitsunfalls (vgl BSGE aaO; s auch Ricke, BG 1968, 482, 485; ders in KassKomm, § 1569a RVO, RdNr 4; GesamtKomm-Schroeter, § 1569a RVO, Anm 2 und 3). Der Geschäftsführer hat zudem gerade gegenüber Außenstehenden eine umfassend erscheinende Vertretungsfunktion. Er führt hauptamtlich die laufenden Verwaltungsgeschäfte, soweit das Gesetz oder sonstiges für den Versicherungsträger maßgebendes Recht nichts abweichendes bestimmen, und vertritt den Versicherungsträger insoweit gerichtlich und außergerichtlich (§ 36 Abs 1 SGB IV). Die daneben bestehende Zuständigkeit der Rentenausschüsse nach § 36a Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB IV tritt demgegenüber nach außen kaum in Erscheinung.

Der mithin rechtswirksam erlassene, allerdings fehlerhafte Verwaltungsakt vom 14. November 1991 ist mit seinem Zugang an die Bevollmächtigten des Klägers für die Beklagte bindend geworden (§ 77 SGG). Diese Bindungswirkung ist nicht nachträglich entfallen. Es kann dahingestellt bleiben, ob bzw wann die Beklagte dem Kläger gegenüber hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht hat, den Verwaltungsakt vom 14. November 1991 nicht bestehen lassen zu wollen. Denn eine solche Erklärung konnte jedenfalls keine Rechtswirkung hervorrufen.

Selbst wenn man in dem Bescheid vom 27. August 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 1992 - wie die Revision meint - auch einen aufhebenden Verwaltungsakt iS von § 45 SGB X sieht, so ist dieser rechtswidrig und zugleich insoweit aufzuheben. Es kann daher offenbleiben, ob die Beklagte zu Recht eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs durch das Berufungsgericht rügt, weil dieses ihren entsprechenden Vortrag nicht zur Kenntnis genommen habe.

Die Rechtswidrigkeit ergibt sich schon daraus, daß die Beklagte weder das Vertrauen des Klägers auf den Bestand der ihn begünstigenden Feststellung erkennbar geprüft noch eine Ermessensentscheidung vorgenommen hat, wie den Feststellungen des LSG zu entnehmen ist. Da - dies unterstellt - im angefochtenen Bescheid die Anerkennung des Unfallereignisses vom 28. August 1991 als Arbeitsunfall für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, beurteilt sich die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung nach § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X. Danach wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von Abs 2 Satz 3 und Abs 3 Satz 2 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Ein Fall des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X läge etwa vor, wenn der Kläger eine möglicherweise gegebene Rechtswidrigkeit der Anerkennung gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt hätte. Hierzu ergibt sich aus den Feststellungen des LSG kein Anhalt. Ob diese gesetzlichen Ermessensvoraussetzungen vorliegen, kann indes offenbleiben, da der Ablauf der Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X die Aufhebung des Rücknahmebescheides allein wegen der fehlenden Ermessensausübung erlaubt (vgl hierzu BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 5 mwN).

Die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 45 SGB X ist eine Ermessensentscheidung. Das ist aus dem Wortlaut des § 45 Abs 1 SGB X abzuleiten, wonach ein solcher Verwaltungsakt unter den Einschränkungen der Abs 2 bis 4 zurückgenommen werden "darf" (BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 5 mwN). Der Leistungsträger hat das ihm zustehende Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 39 Abs 1 Satz 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch <SGB I>). Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Rechtsanspruch (§ 39 Abs 1 Satz 2 SGB I).

Bei der Frage, ob die Beklagte eine rechtmäßige Ermessensentscheidung vorgenommen hat, kommt es auf den Inhalt, insbesondere die Begründung des Rücknahmebescheides an. Diese muß zunächst deutlich machen, daß die Beklagte überhaupt eine Ermessensentscheidung treffen wollte und getroffen hat. Darüber hinaus muß die Begründung die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist (§ 35 Abs 1 Satz 3 SGB X; s dazu BSG, Beschluß vom 25. August 1994 - 2 BU 93/94 - = HVBG-Info 1995, 65 mwN). Die notwendige Begründung kann nur bis zum Abschluß des Vorverfahrens oder, falls ein solches nicht stattfindet, bis zur Erhebung der Klage nachgeholt werden (§ 41 Abs 1 Nr 2, Abs 2 SGB X). Fehlt die Ermessensentscheidung als solche, gilt für deren Nachholung nichts anderes (BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 10).

Im Bescheid vom 27. August 1992 finden sich lediglich materiell-rechtliche Ausführungen über den nach Auffassung der Beklagten fehlenden Unfallversicherungsschutz des Klägers. Im Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 1992 wird dargelegt, bei dem Schreiben vom 14. November 1991 habe es sich lediglich um eine rechtlich unverbindliche Auskunft gehandelt. Ausführungen über einen nicht bestehenden Vertrauensschutz beim Kläger finden sich in beiden Bescheiden nicht. Diese gehören aber zu den Voraussetzungen, die vorliegen müssen, um zu einer Ermessensentscheidung zu gelangen (BSGE 59, 157, 170 = SozR 1300 § 45 Nr 19; BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 5). Dementsprechend hat die Beklagte ihrer eigenen Rechtsansicht folgend auch kein Ermessen ausgeübt und folgerichtig die Ausübung von Ermessen nicht begründet.

Die Ermessensausübung erübrigte sich hier nicht etwa deshalb, weil eine Reduzierung des Ermessens auf Null vorgelegen hätte. Von einer derartigen Ermessensreduzierung kann nur dann ausgegangen werden, wenn jede andere Entscheidung rechtswidrig wäre (BSG SozR 3-1300 § 45 Nrn 5 und 10). Daß hier keine Umstände vorlägen, die eine anderweitige Ausübung des Ermessens rechtsfehlerfrei zuließen, hat die Beklagte nicht vorgetragen; aus dem festgestellten Sachverhalt sind auch keine entsprechenden Anhaltspunkte zu entnehmen.

Das Fehlen der Ausübung von Ermessen hat die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Bescheide zur Folge. Die fehlende Ermessensentscheidung kann von der Beklagten wegen Ablaufs der Einjahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X auch nicht mehr nachgeholt werden. Die für den Fristbeginn erforderliche Kenntnis bezieht sich nicht darauf, daß die Aufhebung der Anerkennung des Unfallereignisses vom 28. August 1991 als Arbeitsunfall die Ausübung von Ermessen voraussetzt, sondern auf die Kenntnis der Tatsachen, welche die Aufhebung für die Vergangenheit rechtfertigen und für eine Vertrauensabwägung erforderlich sind (vgl BSG Beschluß vom 25. August 1994 - 2 BU 93/94 - = HVBG-Info 1995, 65 mwN). Diese Tatsachen sind der Beklagten selbst im Falle der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 14. November 1991 spätestens im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 27. August 1992 bekannt gewesen. Gleichwohl hat sie nicht diesen Umständen entsprechend gehandelt und von dem ihr eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht.

Die Revision der Beklagten war mithin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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