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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 25.09.2000
Aktenzeichen: 1 BvR 1498/00
Rechtsgebiete: BVerfGG, HundeVO Bln, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93 d Abs. 2
BVerfGG § 32 Abs. 1
HundeVO Bln § 5 a
HundeVO Bln § 8 Abs. 2 Satz 2
HundeVO Bln § 5 a Abs. 2
HundeVO Bln § 5 a Abs. 1
HundeVO Bln § 5 a Abs. 3
GG Art. 14 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1498/00 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

1. der Frau B...,

2. des Herrn R...

gegen

§ 3, § 4 Abs. 1, § 5 a, § 8 Abs. 2 der Verordnung über das Halten von Hunden in Berlin (HundeVO Bln) einschließlich Abschnitt III, Tarifnummer 38047 und 38048 der Anlage zur Verordnung über die Erhebung von Gebühren im Gesundheits- und Sozialwesen

hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Steiner, die Richterin Hohmann-Dennhardt und den Richter Hoffmann-Riem gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93 d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993

(BGBl I S. 1473) am 25. September 2000 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.

Gründe:

Gegenstand des Verfahrens ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem begehrt wird, einzelne Bestimmungen der Ersten Verordnung zur Änderung der Verordnung über das Halten von Hunden in Berlin außer Vollzug zu setzen.

I.

Durch Erlass der Ersten Verordnung zur Änderung der Verordnung über das Halten von Hunden in Berlin vom 4. Juli 2000 (GVBl S. 365), in Kraft getreten am 6. Juli 2000, hat der Senat von Berlin mehrere das Halten, Abrichten und Züchten so genannter gefährlicher Hunde betreffende Änderungen der Verordnung über das Halten von Hunden in Berlin (HundeVO Bln) vom 5. November 1998 (GVBl S. 326) herbeigeführt und außerdem zwei Tarifstellen in das Gebührenverzeichnis der Verordnung über die Erhebung von Gebühren im Gesundheits- und Sozialwesen vom 28. Juni 1988 (GVBl S. 1087) eingefügt.

Die in Berlin wohnhaften Beschwerdeführer haben Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen einzelne Bestimmungen der geänderten HundeVO Bln (§ 3, § 4 Abs. 1, § 5 a und § 8 Abs. 2) sowie gegen die bezeichnete Änderung des Gebührenverzeichnisses der Verordnung über die Erhebung von Gebühren im Gesundheits- und Sozialwesen erhoben. Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass sie Eigentümerin und Halterin eines Hundes sei, den die geänderte HundeVO Bln ohne sachlich gerechtfertigten Grund als gefährlich einstufe. Infolge dieser Einstufung werde sie durch die HundeVO Bln verschiedenen Pflichten unterworfen, deren Erfüllung mit für sie unzumutbaren finanziellen Belastungen verbunden sei und die sie außerdem an einer artgerechten Haltung des Tieres hinderten. Hierdurch werde sie in ihren Grundrechten aus Art. 14 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Der Beschwerdeführer weist darauf hin, dass er den Hund der Beschwerdeführerin regelmäßig versorge und ausführe. Er macht geltend, dass er durch die Verordnung verpflichtet werde, den Hund beim Ausführen in einer Weise zu behandeln, die auf Dauer geeignet sei, dessen Gesundheit zu gefährden und bislang nicht zu verzeichnende Aggressionen zu wecken. Durch diese Vorgaben werde er in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.

Die Beschwerdeführer haben ferner einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, der darauf gerichtet ist, den Vollzug der von ihnen angegriffenen Vorschriften auszusetzen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Kann Letzteres nicht festgestellt werden, muss der Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens also als offen angesehen werden, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 91, 70 <74 f.>; 92, 126 <129 f.>; 93, 181 <186 f.>; 94, 334 <347>; stRspr). Dabei ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen, wenn - wie hier - eine gesetzliche Regelung außer Vollzug gesetzt werden soll (vgl. BVerfGE 93, 181 <186>; 94, 334 <347 f.>). Müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe schon im Regelfall so schwerwiegend sein, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabweisbar machen, so darf das Bundesverfassungsgericht in Sonderheit von seiner Befugnis, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen (vgl. BVerfGE 82, 310 <313>). Der Erlass einer solchen Anordnung kommt nur dann in Betracht, wenn sie zum gemeinen Wohl dringend geboten ist (vgl. BVerfGE 3, 34 <37>).

2. Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde zulässig und nicht offensichtlich unbegründet ist. Denn auch wenn dies anzunehmen sein sollte, bliebe das Eilrechtsschutzbegehren erfolglos, da die dann gebotene Folgenabwägung zu Ungunsten der Beschwerdeführer ausfiele.

a) Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich die Verfassungsbeschwerde jedoch später als zulässig und begründet, besteht die Gefahr, dass den Beschwerdeführern die Möglichkeit genommen wird, den Hund der Beschwerdeführerin in einer Weise zu behandeln, wie dies nach ihrer Einschätzung artgerecht wäre. Ferner besteht die Gefahr, dass die Beschwerdeführerin nicht in der Lage ist, die Kosten zu tragen, die sich aus den durch § 5 a HundeVO Bln begründeten Anzeige- und Nachweispflichten sowie aus einer mit Blick auf das Zuchtverbot nach § 8 Abs. 2 Satz 2 HundeVO Bln eventuell erforderlichen Sterilisation ihres Hundes ergeben; in diesem Falle wäre die Beschwerdeführerin möglicherweise gezwungen, sich von dem Tier zu trennen. Hierzu käme es auch dann, wenn es der Beschwerdeführerin aus sonstigen Gründen nicht gelingen sollte, die durch § 5 a Abs. 1 und 2 HundeVO Bln geforderten Nachweise zu erbringen (vgl. § 5 a Abs. 3 Satz 2 HundeVO Bln).

b) Ergeht die einstweilige Anordnung, werden die angegriffenen Bestimmungen also außer Vollzug gesetzt, so besteht die Gefahr, dass sich die vom Senat des Landes Berlin als aktuell gegeben angesehenen Risiken für Leib und Leben von Menschen und Tieren realisieren, die mit der Haltung und - mittelbar - der Zucht bestimmter Hunde verbunden sind. Würden nur die angegriffenen Bestimmungen des Gebührenverzeichnisses der Verordnung über die Erhebung von Gebühren im Gesundheits- und Sozialwesen außer Vollzug gesetzt, so hätte die Allgemeinheit die Kosten für die Erteilung der Bescheinigung über die Anzeige nach § 5 a Abs. 1 HundeVO Bln sowie diejenigen für die Erteilung der Plakette nach § 5 a Abs. 3 HundeVO Bln zu tragen.

c) Bei Anwendung des oben bezeichneten strengen Maßstabes führt die Folgenabwägung zu dem Ergebnis, dass die nachteiligen Folgen, die auf Seite der Allgemeinheit im Falle der Aussetzung der angegriffenen Vorschriften einträten, schwerer wiegen als die Nachteile, die von den Beschwerdeführern im Falle des Misserfolgs ihres Eilrechtsschutzbegehrens zu gewärtigen sind.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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