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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 17.06.2002
Aktenzeichen: 1 BvR 1594/99
Rechtsgebiete: BAföG, BVerfGG, GG


Vorschriften:

BAföG § 18 c
BAföG § 17 Abs. 1
BAföG § 17 Abs. 2
BAföG § 15 Abs. 3 a
BVerfGG § 93 b
BVerfGG § 93 a
BVerfGG § 93 a Abs. 2
BVerfGG § 93 d Abs. 1 Satz 3
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 12 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1594/99 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

1. unmittelbar gegen

a) den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 6. August 1999 - OVG 6 N 17.99 -,

b) den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Berlin vom 29. April 1999 - VG 6 A 146.97 -,

2. mittelbar gegen

§ 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und § 18 c BAföG i.d.F. des 18. BAföGÄndG vom 17. Juli 1996 (BGBl I S. 1006)

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier und die Richter Steiner, Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 17. Juni 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Gewährung von Ausbildungsförderung nach dem Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG) in Form eines Bankdarlehens.

I.

1. Die Gewährung von staatlicher Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus hat durch Art. 1 Nr. 13 Buchstabe c des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 22. Mai 1990 (BGBl I S. 936) eine Neuregelung erfahren. § 15 Abs. 3 a BAföG sah eine so genannte Studienabschlussförderung vor. Er hatte folgenden Wortlaut:

Auszubildenden an Hochschulen, die sich in einem in sich selbständigen Studiengang befinden, wird für höchstens zwölf Monate Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer oder die Förderungsdauer nach Absatz 3 Nr. 1, 3 oder 5 hinaus geleistet, wenn der Auszubildende innerhalb dieser Förderungszeiten zur Abschlußprüfung zugelassen worden ist und die Prüfungsstelle bescheinigt, daß er die Ausbildung innerhalb der verlängerten Förderungsdauer abschließen kann. Ist eine Abschlußprüfung nicht vorgesehen, gilt Satz 1 unter der Voraussetzung, daß der Auszubildende eine Bestätigung der Ausbildungsstätte darüber vorlegt, daß er die Ausbildung innerhalb der verlängerten Förderungsdauer abschließen kann.

Diese Vorschrift war zunächst bis zum 30. September 1993 befristet, wurde dann bis zum 30. September 1996 und schließlich durch Art. 1 Nr. 6 Buchstabe c des Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (18. BAföGÄndG) bis 30. September 1999 verlängert. Sie gilt heute in der Fassung des Gesetzes zur Reform und Verbesserung der Ausbildungsförderung - Ausbildungsförderungsreformgesetz (AföRG) vom 19. März 2001 (BGBl I S. 390).

§ 17 Abs. 1 und 2 BAföG in der hier maßgebenden Fassung des Art. 1 Nr. 10 18. BAföGÄndG bestimmte, dass Ausbildungsförderung grundsätzlich jeweils zur Hälfte als Zuschuss und als Darlehen gewährt wurde. Absatz 3 regelte, unter welchen Voraussetzungen Ausbildungsförderung in Form eines verzinslichen Bankdarlehens geleistet wurde. Unter anderem war diese Förderungsart für den Fall des Überschreitens der Förderungshöchstdauer nach § 15 Abs. 3 a BAföG vorgesehen (§ 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BAföG). § 18 c BAföG in der Fassung des 18. BAföGÄndG enthielt die Einzelheiten der Darlehensgewährung. Die Bestimmungen sind, soweit hier von Bedeutung, im Wesentlichen unverändert geltendes Recht.

Das Achtzehnte Änderungsgesetz hat weiter für die hier maßgeblichen Bestimmungen folgende Regelung über das In-Kraft-Treten getroffen:

Artikel 6

Inkrafttreten

(1) Dieses Gesetz tritt vorbehaltlich der Absätze 2 bis 5 am 1. August 1996 in Kraft.

(2) Artikel 1 Nr. 1, 2 Buchstabe b, Nr. 9, 10, 16 Buchstabe a, c und d, Nr. 17 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa und Buchstabe c Doppelbuchstabe aa, Nr. 19, 20 und 24 tritt mit der Maßgabe in Kraft, daß die darin bestimmten Änderungen nur bei Entscheidungen für die Bewilligungszeiträume zu berücksichtigen sind, die nach dem 31. Juli 1996 beginnen. Vom 1. Oktober 1996 an sind die in Artikel 1 Nr. 16 Buchstabe c, Nr. 17 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa, Buchstabe c Doppelbuchstabe aa und Nr. 19 bestimmten Änderungen ohne die einschränkende Maßgabe des Satzes 1 zu berücksichtigen.

(3) bis (5) ...

2. Die Beschwerdeführerin studierte seit dem Sommersemester 1992 Sozialtherapie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie erhielt Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz je zur Hälfte als Zuschuss und als unverzinsliches Darlehen. Für den Bewilligungszeitraum von Oktober 1996 bis September 1997 wurde ihr Ausbildungsförderung als Studienabschlussförderung nach § 15 Abs. 3 a BAföG in Form eines verzinslichen Bankdarlehens gewährt. Im Verwaltungsrechtsweg hat die Beschwerdeführerin ohne Erfolg versucht, Ausbildungsförderung auch weiterhin je zur Hälfte als Zuschuss und als unverzinsliches Darlehen zu erhalten.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde greift die Beschwerdeführerin unmittelbar die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen, mittelbar § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und § 18 c BAföG in der Fassung des 18. BAföGÄndG an. Verletzt sei der Grundsatz des Vertrauensschutzes. Die Regelung zur Einführung des verzinslichen Darlehens als weitere Förderungsart würde eine unechte Rückwirkung entfalten. Diese sei zur Erreichung des Gesetzeszwecks aber nicht geeignet. Der Gesetzgeber habe primär bezweckt, Studierende zur geradlinigen und zielstrebigen Durchführung der Ausbildung zu bewegen. Angesichts des bereits erheblichen Studienfortgangs zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung sei dieser Zweck bei der Beschwerdeführerin ins Leere gegangen. Die Förderung durch verzinsliche Bankdarlehen würde viele Studierende in Nebenjobs drängen, was letztlich zu einer Verlängerung der Studienzeiten führe. Wegen des Verwaltungsmehraufwands sei kein Einsparungseffekt erkennbar. Die Darlehensbedingungen seien so belastend, dass die Gesamtregelung als nicht erforderlich einzustufen sei. Die Beschwerdeführerin habe darauf vertrauen dürfen, die Ausbildungsförderung würde eine Sozialleistung bleiben; die privatrechtlich ausgestaltete Ausreichung eines verzinslichen Bankdarlehens lasse sich hiermit schwerlich vereinbaren. Der Gesetzgeber hätte eine Übergangsregelung schaffen müssen. Wegen der unzumutbaren Darlehensbedingungen sei die Beschwerdeführerin auch in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen von § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beschwerdeführerin für den Zeitraum Oktober 1996 bis September 1997 Ausbildungsförderung ausschließlich als verzinsliches Bankdarlehen gewährt wurde.

1. Es kann offen bleiben, ob aus dem Grundgesetz und insbesondere aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) eine Pflicht des Gesetzgebers folgt, staatliche Leistungen zur individuellen Ausbildungsförderung vorzusehen. Denn es wäre mit einer solchen Pflicht vereinbar, wenn der Gesetzgeber ein bestehendes Förderkonzept zum Nachteil der Studierenden ändert und sich dabei auf gewichtige Gründe des Gemeinwohls berufen kann (vgl. BVerfGE 96, 330 <339>). Solche gewichtigen Gründe waren bei Erlass der hier angegriffenen Vorschrift des § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und des § 18 c BAföG in der Fassung des 18. BAföGÄndG gegeben.

a) Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah vor, das öffentlichrechtlich ausgestaltete, unverzinsliche staatliche Darlehen in allen Ausbildungsphasen grundsätzlich durch ein verzinsliches privatrechtliches Bankdarlehen zu ersetzen. Damit sollte finanzieller Spielraum für die Stärkung der Hochschulausbildung, insbesondere auch für eine Anhebung der BAföG-Leistungen, geschaffen werden (vgl. BTDrucks 13/4246, S. 1, 12). Im weiteren Gesetzgebungsverfahren ist dieses Konzept abgeschwächt worden (vgl. BRDrucks 886/95 vom 1. März 1996; BTDrucks 13/5116 vom 26. Juni 1996; vgl. auch Ramsauer/Stallbaum, NVwZ 1996, S. 1065 f.). Das Bankdarlehen wurde als außerordentliche Förderungsart nur bei bestimmten, im Gesetz abschließend genannten Förderungssondertatbeständen eingeführt. Der Gesetzgeber wollte mit der Neuregelung vor allem Verteilungsgerechtigkeit in der Studienfinanzierung bewirken (vgl. BTDrucks 13/5116, S. 13). Er beabsichtigte, die Ausbildungsförderung innerhalb der Förderungshöchstdauer zu Lasten der Unterstützung der Ausbildung über die Förderungshöchstdauer hinaus zu verbessern. Dies stellen hinreichend gewichtige Gründe des Gemeinwohls dar.

b) Es stellt die Eignung der angegriffenen Entscheidung des Gesetzgebers für eine solche "Umschichtung" von staatlichen Mitteln nicht in Frage, dass das zu erwartende Einsparungsvolumen auf Grund der im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens veränderten Förderkonzeption geringer ausfiel als von der Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf beabsichtigt. Der federführende Bundestagsausschuss für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ging davon aus, mit den Einsparungen könnten anstehende Probleme immerhin einer kurzfristigen Lösung bis zu einer Strukturreform des Ausbildungsförderungsrecht zugeführt werden (vgl. BTDrucks 13/5116, S. 2). Das genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Eignung der angegriffenen gesetzlichen Maßnahme. Die Beschwerdeführerin kann die Eignung des neuen Förderungskonzepts aber auch nicht mit der Behauptung in Frage stellen, die Einsparungen würde durch Verwaltungsmehraufwand aufgezehrt. Dazu hat sie nicht hinreichend substantiiert vorgetragen.

2. Der Gesetzgeber hat auch nicht Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt, indem er schutzwürdiges Vertrauen des Personenkreises, zu dem die Beschwerdeführerin gehörte, enttäuscht hat. Die Regelungen, die das privatrechtliche Bankdarlehen als Förderungsart einführen, haben zwar wegen der Erstreckung auf bereits begonnene Ausbildungen (vgl. Art. 6 Abs. 2 des 18. BAföGÄndG) unechte Rückwirkung entfaltet (vgl. BVerfGE 96, 330 <340>). Sie erfüllen jedoch die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen, unter denen eine unechte Rückwirkung in Fällen zulässig ist, in denen auf den noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt des Studiums und seiner Finanzierung durch eine staatliche Leistung für die Zukunft zum Nachteil des Betroffenen eingewirkt wird (vgl. BVerfGE 96, 330 <340 f.>).

a) Die Einbeziehung aller Auszubildenden, die über die Förderungshöchstdauer hinaus im Rahmen des Ausbildungsförderungsrechts staatlich unterstützt werden, in das Konzept einer Förderung durch Bewilligung eines Bankdarlehens war geeignet, eine Umverteilung dieser Mittel zu Gunsten der Ausbildungsförderung innerhalb der Förderungshöchstdauer zu erreichen. Sie war auch erforderlich, um sofort zur kurzfristigen Lösung anstehender Probleme (vgl. BTDrucks 13/5116, S. 2) Mittel freisetzen zu können; andernfalls hätte die Umstellung auf die Förderungsart des privatrechtlichen Bankdarlehens erst nach längerer Zeit zu Einsparungen geführt.

b) Das Interesse der Beschwerdeführerin an einer Beibehaltung der bisherigen Form der Ausbildungsförderung je zur Hälfte durch Zuschuss und unverzinsliches staatliches Darlehen über den Ablauf der Förderungshöchstdauer hinaus ist nicht höher zu bewerten als es die Gründe sind, die den Gesetzgeber bei seiner Entscheidung für einen sofortigen Wechsel der Förderungsart bewogen haben. Ausbildungsförderung nach Ablauf der Förderungshöchstdauer wird als eine Art "Zusatzleistung" angesehen (vgl. Rothe/Blanke, Bundesausbildungsförderungsgesetz, § 18 a Rn. 2 <Stand: Juli 1998>). Sie ist deshalb von vornherein in stärkerem Maß der Gefahr gesetzlicher Einschränkungen ausgesetzt als die Förderung innerhalb der Förderungshöchstdauer. Zudem war die Gewährung einer Studienabschlussförderung nach § 15 Abs. 3 a BAföG vor Erlass des Achtzehnten Änderungsgesetzes bis 30. September 1996 befristet. Deshalb musste die Beschwerdeführerin sogar damit rechnen, keinerlei Studienabschlussförderung mehr zu erhalten. Um so weniger konnte sie auf die Beibehaltung einer bestimmten Förderungsart vertrauen. Ungeachtet dessen kann allenfalls ein Vertrauen darauf schutzwürdig sein, dass der Beschwerdeführerin eine Ausbildungsförderung erhalten blieb, die eine Beendigung des Studiums ohne wesentliche Verringerung des monatlich verfügbaren Geldbetrags ermöglichen würde (vgl. BVerfGE 96, 330 <341>). Insoweit hat die gesetzliche Neuregelung keine Verschlechterung gebracht. Sie hat zwar zu erhöhten und in kürzerer Zeit eintretenden Rückzahlungsverpflichtungen geführt, das Förderungsniveau aber nicht gesenkt. Ein darüber hinausgehendes Vertrauen auf eine bestimmte Förderungsart oder eine bestimmte rechtliche Ausgestaltung dieser Förderungsart genießt keinen verfassungsrechtlichen Schutz.

3. Die Benachteiligung der Personen, die Studienabschlussförderung nach § 15 Abs. 3 a BAföG erhalten, gegenüber den Leistungsempfängern, die eine Regelförderung erhalten und nicht auf die Förderung durch Bankdarlehen verwiesen werden, verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Art. 3 Abs. 1 GG ist dann verletzt, wenn der Gesetzgeber eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 55, 72 <88>; 71, 146 <154 f.>). Solche hinreichenden Unterschiede bestehen. Die Studienabschlussförderung nach § 15 Abs. 3 a BAföG stellt - ähnlich anderen Fällen der ausnahmsweisen Studienförderung (vgl. Ramsauer/Stallbaum, a.a.O., S. 1066) - eine Leistung außerhalb des gesetzgeberischen Grundkonzepts dar, wonach Ausbildungsförderung grundsätzlich nur für die Förderungshöchstdauer gewährt wird. Dies rechtfertigt es, die Art der Förderung abweichend und wirtschaftlich weniger attraktiv zu gestalten als die Regelförderung.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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