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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 31.08.2004
Aktenzeichen: 1 BvR 1776/97
Rechtsgebiete: BVerfGG, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93 a
BVerfGG § 93 a Abs. 2
BVerfGG § 93 b
BVerfGG § 93 d Abs. 1 Satz 3
GG Art. 2
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 3
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 12
GG Art. 12 Abs. 1
GG Art. 14
GG Art. 14 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1776/97 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen das Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. April 1997 - 12 RK 20/96 -

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, den Richter Steiner und die Richterin Hohmann-Dennhardt gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 31. August 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Verhältnis von gesetzlicher Rentenversicherung und berufsständischer Versorgung.

I.

1. Die Beschwerdeführerin nahm im Mai 1990 eine Beschäftigung als angestellte Rechtsanwältin in einer Anwaltssozietät auf und wurde am 1. Juni 1990 Pflichtmitglied des Versorgungswerks der rheinland-pfälzischen Rechtsanwaltskammer. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (im Folgenden: Bundesversicherungsanstalt) befreite sie daraufhin mit Wirkung vom 1. Juni 1990 antragsgemäß von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Seit Februar 1993 ist die Beschwerdeführerin bei einem privaten Versicherungsunternehmen beschäftigt. Sie verzichtete ab Mai 1993 auf ihre Rechte aus der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und schied aus der Rechtsanwaltskammer aus. Ihre damit endende Pflichtmitgliedschaft beim Versorgungswerk setzte sie als freiwilliges Mitglied fort.

Die Bundesversicherungsanstalt hob die Befreiung mit Wirkung zum 30. November 1993 auf, weil die Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer beendet sei. Dagegen wendet sich die Beschwerdeführerin. Sie möchte mit Rücksicht auf ihre freiwillige Mitgliedschaft im Versorgungswerk weiterhin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit bleiben. Ihre Klage vor den Sozialgerichten blieb ohne Erfolg. Das Bundessozialgericht führte in dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteil im Wesentlichen aus, ein gegen Art. 14 GG verstoßender Eingriff in die von der Beschwerdeführerin beim Versorgungswerk erworbene Anwartschaft liege nicht vor. Diese bleibe von der nunmehr eingetretenen Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unberührt. Zwar entstünden durch die Beendigung der Befreiung Nachteile beim Erwerb eines Invaliditätsschutzes in der gesetzlichen Rentenversicherung; im Versorgungswerk sei die entsprechende Wartezeit noch nicht erfüllt. Derartige Nachteile könnten aber durch Fortzahlung freiwilliger Beiträge zum Versorgungswerk gemindert werden. Sie seien zudem bei Zulassung verschiedener Vorsorgesysteme unvermeidbar. Auch sei Art. 12 Abs. 1 GG nicht verletzt, da die Vorschriften, durch die eine Doppelpflichtversicherung vermieden werde, weder einen engen Zusammenhang mit der Wahl oder Ausübung eines Berufs aufwiesen noch eine deutliche berufsregelnde Tendenz erkennen ließen.

2. Mit ihrer gegen das Urteil des Bundessozialgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, es verletze sie in ihren Grundrechten aus Art. 2, 3, 12 und 14 GG. Der erzwungene Wechsel in die gesetzliche Rentenversicherung entwerte die Beiträge, die sie bis dahin zum Versorgungswerk entrichtet hätte. Da sie noch nicht fünf Jahre Mitglied des Versorgungswerks gewesen sei, habe sie dort noch keinen Rentenanspruch erworben. Ihre Arbeitsplatzmobilität sei im Verhältnis zu anderen Juristen eingeschränkt.

3. Das Versorgungswerk hat im März 2003 mitgeteilt, die Beschwerdeführerin habe mittlerweile die Wartezeit sowohl für die Gewährung einer Altersrente als auch für die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente erfüllt.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen von § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Art. 14 Abs. 1 GG wird durch die Aufhebung der Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht berührt. Das Grundrecht vermittelt keinen Anspruch darauf, als abhängig Beschäftigte nicht der Versicherungspflicht zu unterliegen.

a) Die durch Verwaltungsakt ausgesprochene Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als solche kann nicht Gegenstand des Eigentumsschutzes sein. Öffentlich-rechtliche Rechtspositionen sind zwar in den Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG einbezogen, wenn der Einzelne dabei eine Rechtsstellung erlangt, die der des Eigentümers entspricht. Eine derartige eigentumsähnliche Verfestigung ist dann gegeben, wenn nach der gesamten Ausgestaltung des subjektiv-öffentlichen Rechts und nach dem rechtsstaatlichen Gehalt des Grundgesetzes es ausgeschlossen erscheint, dass der Staat dieses Recht ersatzlos entziehen kann (vgl. BVerfGE 45, 142 <170> m.w.N.). Daran fehlt es aber hier, weil die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nicht auf eigener Leistung, sondern auf staatlicher Gewährung beruht (vgl. BVerfGE 29, 283 <302>; 45, 142 <170>).

b) Das Eigentumsgrundrecht ist aber auch unter anderen Gesichtspunkten nicht beeinträchtigt. Die im Versorgungswerk erworbene Anwartschaft auf Leistungen, der grundsätzlich Eigentumsschutz zukommt, bleibt von der Aufhebung der Befreiung unberührt. Es kann offen bleiben, ob es Art. 14 Abs. 1 GG verletzt, wenn ein Betroffener möglicherweise nach Aufhebung der Befreiung wegen nicht erfüllter und nicht erfüllbarer Wartezeiten rechtlich gehindert ist, sie zum Vollrecht erstarken zu lassen. Denn die hier maßgebliche Satzung des Versorgungswerks hat eine Fortsetzung der freiwilligen Mitgliedschaft auch nach Aufhebung der Befreiung nicht ausgeschlossen.

2. Durch die Aufhebung der Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung wird die Beschwerdeführerin nicht in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.

a) Es ist unter keinem grundrechtlichen Gesichtspunkt geboten, der Beschwerdeführerin die aus ihrer Sicht optimale Altersversorgung zukommen zu lassen. Ihr steht von Verfassungs wegen kein Wahlrecht zu, das ihr ermöglichen würde, im Laufe eines Berufslebens die jeweils günstigste Versorgungsmöglichkeit zu wählen oder an ihr festzuhalten und die Anwendung aller anderen Versicherungspflichttatbestände auszuschließen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 25. September 1990, NJW 1991, S. 746 <747>). Ebenso wenig können Personen, die das Altersversorgungssystem wechseln, unter Berufung auf Grundrechte verlangen, von jeglichem rechtlichen Nachteil verschont zu bleiben.

b) Die Pflichtmitgliedschaft und die damit einher gehende Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verletzen grundsätzlich auch bei Höherverdienenden, die anderweitig für ihre Alterssicherung Sorge tragen können, nicht Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 29, 221 <235 ff.>). Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Versicherungspflicht nicht an die individuelle soziale Schutzbedürftigkeit eines Versicherungspflichtigen, sondern lediglich an den Tatbestand der Beschäftigung anknüpft. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass diejenigen Personen, die ihre Arbeitskraft in den Dienst anderer stellen, im Allgemeinen auf diese Beschäftigung zur Erlangung ihres Lebensunterhalts angewiesen und daher sozial auch unter dem Gesichtspunkt der Alterssicherung schutzbedürftig sind (vgl. BVerfGE 18, 257 <270 f.>).

c) Es kann dahinstehen, ob es Fälle gibt, in denen das geltende Recht, wenn es bei einem Wechsel des Versorgungssystems dem Einzelnen Nachteile zumutet, unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes in Art. 12 Abs. 1 GG verfassungswidrig ist. Für die Beschwerdeführerin kann dies jedenfalls nicht festgestellt werden. Sie konnte die Wartezeiten des Versorgungswerks erfüllen und hat dies offenbar mit zumutbaren Aufwendungen getan.

3. Es stellt keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG dar, wenn andere dem beruflichen Stand der Beschwerdeführerin vergleichbare Personen, insbesondere angestellte Rechtsanwälte, die von der Rentenversicherungspflicht befreit werden können, nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Sie sind im Anwaltsberuf tätig und als solche im Versorgungswerk dieses Berufsstandes pflichtversichert. Dies ist bei der Beschwerdeführerin nicht der Fall.

4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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