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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 04.12.1997
Aktenzeichen: 1 BvR 1859/97
Rechtsgebiete: GG, Nds.GVBl


Vorschriften:

GG Art. 12 Abs. 1
GG Art. 14 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
Nds.GVBl
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1859/97 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden

der Rechtsanwälte 1. B..., 2. Dr. S...

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Prof. Dr. Rüdiger Zuck und Partner, Robert-Koch-Straße 2, Stuttgart -

gegen das niedersächsische Gesetz zur Umgliederung des Landgerichtsbezirks Göttingen vom 19. Juni 1997 (Nds.GVBl S. 288)

hier: Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Kühling, die Richterin Jaeger und den Richter Steiner gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93 d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 4. Dezember 1997 einstimmig beschlossen:

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

G r ü n d e :

I.

Die Verfassungsbeschwerden und der zugleich gestellte Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung betreffen eine landesrechtliche Maßnahme der Gerichtsorganisation, die nach Überzeugung der beschwerdeführenden Rechtsanwälte zu erheblichen wirtschaftlichen Einbußen führen wird.

1. Die Verfassungsbeschwerden wenden sich gegen die Verkleinerung des Gerichtsbezirks des Oberlandesgerichts Celle, zu dessen Bezirk unter anderem das Landgericht Göttingen gehört (vgl. § 1 Abs. 2 Ziffer 2 des niedersächsischen Gesetzes über die Organisation der ordentlichen Gerichte i.d.F. vom 15. Dezember 1982 <Nds.GVBl S. 498>). Diese Zuweisung ist durch Gesetz zur Umgliederung des Landgerichtsbezirks Göttingen vom 19. Juni 1997 - im folgenden: Umgliederungsgesetz - (Nds.GVBl S. 288) geändert worden. Nunmehr wird der Bezirk des Landgerichts Göttingen mit Wirkung ab 1. Januar 1998 dem Bezirk des Oberlandesgerichts Braunschweig zugeordnet und aus dem Bezirk des Oberlandesgerichts Celle ausgegliedert.

Die Umgliederung soll nach den Gesetzgebungsmaterialien dem ungleichen Zuschnitt der drei Oberlandesgerichte in Niedersachsen entgegenwirken. Deren Größenverhältnisse seien sehr unausgewogen. Das Oberlandesgericht Braunschweig sei nur für etwa 950.000, das Oberlandesgericht Celle für etwa 4.500.000 und das Oberlandesgericht Oldenburg für etwa 2.400.000 Gerichtseingesessene zuständig. Dementsprechend seien beim Oberlandesgericht Braunschweig derzeit 20 Richterinnen und Richter in 13 Senaten tätig. Die Geschäftsverteilung weise lediglich einige Spezialisierungen der Senate auf, die mit jeder Maßnahme der Personaleinsparung geringer würden. Deshalb sei die Bestandsfähigkeit dieses Oberlandesgerichts gefährdet. Die Umgliederung werde dem Oberlandesgericht Braunschweig einen Zuwachs von voraussichtlich sieben oder acht Richterinnen und Richtern bringen. Die dadurch ausgelöste Verkleinerung des Oberlandesgerichts Celle werde dessen Bedeutung und bundesweites Ansehen nicht nennenswert beeinträchtigen. Außerdem rücke das Landgericht Göttingen näher an das zuständige Oberlandesgericht heran (vgl. LTDrucks 13/2726).

2. a) Die Beschwerdeführer sind Rechtsanwälte beim Oberlandesgericht Celle, die nach ihrem Vorbringen bisher räumliche Schwerpunkte auch in der Bearbeitung Göttinger Mandate hatten. Beide erwarten deshalb Umsatzausfälle als Folge der Umgliederung. Der 1982 zur Rechtsanwaltschaft und 1988 beim Oberlandesgericht Celle zugelassene, als Einzelanwalt tätige Beschwerdeführer zu 1) befürchtet Einkommenseinbußen von 20 % bis 25 %, weil er mit mindestens sechs erstinstanzlich tätigen Rechtsanwaltskanzleien im Landgerichtsbezirk Göttingen in Verbindung stehe, die ihm unter anderem Mandate eines großen Versicherungskonzerns vermittelten. Der 1983 zur Rechtsanwaltschaft und 1985 beim Oberlandesgericht Celle zugelassene, in einer Sozietät tätige Beschwerdeführer zu 2) befürchtet Umsatzeinbußen von 25 %, weil er aus Studienzeiten und wegen mehrjähriger Assistententätigkeit vielfache Kontakte in Göttingen unterhalte.

b) Mit ihren am 24. September 1997 eingegangenen, unmittelbar gegen das Umgliederungsgesetz gerichteten Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 1 GG.

Das angegriffene Gesetz verletze sie in den gerügten Grundrechten, weil es für die Umgliederung an einer vernünftigen Erwägung des Gemeinwohls fehle. Der Gesetzgeber habe - unter lokalpolitischen Vorgaben - das Oberlandesgericht Braunschweig Schritt für Schritt so aufwerten wollen, daß dieses vor einer Schließung geschützt werde. Das sei jedoch kein gerichtsverfassungsrechtlich zulässiges Ziel, sondern allein eine wählerbezogene, parteitaktische Maßnahme. Darüber hinaus verstoße das Umgliederungsgesetz gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Es fehle bereits an der Eignung, weil die Zuordnung von weiteren sieben Richtern dem Oberlandesgericht Braunschweig keine Größe verleihe, die seinen Bestand über den derzeitigen Zustand hinaus sichern würde. Schon bisher arbeite das Oberlandesgericht Braunschweig effizient. Von der Verstärkung sei insoweit keine Verbesserung zu erwarten. Auch die Bürgernähe spreche im Hinblick auf die Göttinger Sachen mehr für die Zuordnung zum Oberlandesgericht Celle. Die Umgliederung sei den Betroffenen wegen des historischen Bezugs Göttingens zu Celle, wegen der Beschränkung der Leistungsfähigkeit des Oberlandesgerichts Celle sowie wegen der Nachteile für die berufliche Betätigungsfreiheit der Celler OLG-Anwaltschaft unzumutbar.

Das Umgliederungsgesetz sei in jedem Falle schon deshalb verfassungswidrig, weil es keine ausreichende Übergangsregelung enthalte. Der Regelung des § 227 a BRAO sei der allgemeine Rechtsgedanke zu entnehmen, daß die Interessen der von einer Umgliederung betroffenen Rechtsanwälte durch angemessene Übergangsregelungen gesichert werden müßten. Angemessen sei die dort festgesetzte Übergangszeit von 10 Jahren. Sie ergebe sich im übrigen auch aus Vertrauensschutzgesichtspunkten, wie bereits das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen habe. Daher sei es verfassungsrechtlich geboten, das Inkrafttreten des Neugliederungsgesetzes 10 Jahre hinauszuschieben.

c) Mit dem zugleich gestellten Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung begehren die Beschwerdeführer, das Inkrafttreten des Umgliederungsgesetzes bis zur Entscheidung in der Hauptsache aufzuschieben.

Würde die einstweilige Anordnung nicht ergehen, sich später die Verfassungsbeschwerde jedoch als begründet erweisen, so führe das zu sofortigen negativen Auswirkungen. Das Oberlandesgericht Braunschweig werde nicht gestärkt, das Oberlandesgericht Celle aber geschwächt. Die Celler OLG-Anwaltschaft verliere ihre "Göttinger Anteile". Es entstehe mehrfacher finanzieller Aufwand und im dienstlichen Bereich ein Hin und Her. Die Anwaltskanzleien müßten erneut umstrukturiert werden und die Konfusion der Rechtsuchenden sei unausweichlich.

Würde die einstweilige Anordnung ergehen, sich später die Verfassungsbeschwerde jedoch als unbegründet erweisen, so blieben Struktur und Funktionen des Oberlandesgerichts Braunschweig so erhalten, wie sie seit Jahrzehnten gewesen seien. Maßnahmen zu dessen Verstärkung würden bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde noch nicht greifen. Jedoch sei der Fortbestand des derzeitigen Zustands für das Gericht nicht existenzbedrohend. Auch werde die Leistungsfähigkeit des Oberlandesgerichts Braunschweig durch das Umgliederungsgesetz nicht verbessert.

An dieser Abwägung ändere sich auch nichts, wenn den Beschwerdeführern auf ihren Antrag nach §§ 227 a, 227 b BRAO eine weitere Zulassung für das Oberlandesgericht Braunschweig erteilt werde.

3. Zu der Verfassungsbeschwerde und zu dem Antrag auf Erlaß der einstweiligen Anordnung haben der Landtag und die Landesregierung von Niedersachsen, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein, die Rechtsanwaltskammern Celle und Braunschweig sowie der Advokatenverein Celle Stellung genommen.

a) Der Präsident des Niedersächsischen Landtages hat in Ausführung eines Landtagsbeschlusses dargelegt, daß die Umgliederung als Maßnahme im Interesse geordneter Rechtspflege sorgfältig vorbereitet und beraten worden sei und daß dabei die Belange der betroffenen Rechtsanwälte am Oberlandesgericht Celle angemessen berücksichtigt worden seien. Nach dem übereinstimmenden Willen aller drei Landtagsfraktionen sollten in Niedersachsen auch künftig drei Oberlandesgerichte fortbestehen; sie trügen zur historischen Prägung der städtischen Zentren des Landes wesentlich bei. Angesichts dessen sei es notwendig, den Bestand des Oberlandesgerichts Braunschweig, als des kleinsten der drei niedersächsischen Oberlandesgerichte durch Ausweitung des Gerichtsbezirks zu sichern. Soweit ein Eingriff in die Berufsfreiheit betroffener Rechtsanwälte gerügt werde, beruhe er auf Bundesrecht. Im übrigen sei die jetzt beschlossene Umgliederung bereits seit so langer Zeit diskutiert worden, daß alle betroffenen Rechtsanwälte hinreichend Zeit gehabt hätten, sich auf die nun eingetretene Zuständigkeitsänderung einzustellen.

b) Namens der Niedersächsischen Landesregierung hat die Niedersächsische Staatskanzlei zu dem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung Stellung genommen. Sie hält den Antrag für unzulässig und die Verfassungsbeschwerden für offensichtlich unbegründet. Das Umgliederungsgesetz greife nicht in den Schutzbereich der Berufsausübungsfreiheit ein, da es an einer objektiv berufsregelnden Tendenz fehle. Auch die Rüge der Verletzung von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sei offensichtlich unbegründet, weil dieses Grundrecht nicht Zukunftshoffnungen oder Verdienstmöglichkeiten schütze, wie sie hier allein betroffen seien. Jedenfalls falle die Folgenabwägung zu Lasten der Beschwerdeführer aus. Der Vollzug des Umgliederungsgesetzes schwäche das Oberlandesgericht Celle kaum. Den abzubauenden Richterstellen von sieben oder acht stünde gegenwärtig eine Zahl von 100 Richterinnen und Richtern am dortigen Oberlandesgericht Celle gegenüber. Der Umstand, daß die Beschwerdeführer künftig an der Annahme Göttinger Mandate gehindert seien, könne nicht berücksichtigt werden. Im allgemeinen begründeten wirtschaftliche Nachteile, die dem Einzelnen durch den Vollzug eines Gesetzes entstehen, nicht die Aussetzung des Normvollzuges.

c) Der Bundesrechtsanwaltskammer ist nicht ersichtlich, daß der niedersächsische Landesgesetzgeber mit der Umgliederungsentscheidung sein Organisationsermessen willkürlich oder in sachlich nicht mehr vertretbarer Weise ausgeübt habe. Dagegen spreche bereits die zahlenmäßige Verteilung der Gerichtseingesessenen der drei Oberlandesgerichtsbezirke. Deshalb sei es nachvollziehbar und im übrigen letztlich in der Organisationshoheit des Landesgesetzgebers eingeschlossen, wenn er sich in dieser Situation zu einer wesentlichen Vergrößerung des Oberlandesgerichtsbezirks von Braunschweig entschieden habe. Es bestehe aber ein Anspruch auf angemessene Übergangsregelungen. Dafür biete sich eine Analogie zu den §§ 227 a, 227 b BRAO an.

d) Für den Deutschen Anwaltverein e.V. hat sich sein Verfassungsrechtsausschuß geäußert. Ein Teil seiner Mitglieder ist der Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei unbegründet, weil dem Fehlen einer verfassungsrechtlich gebotenen Übergangsregelung durch Rückgriff auf die §§ 227 a, 227 b BRAO Rechnung getragen werden könne. Andere Mitglieder sind dagegen der Ansicht, das Fehlen einer verfassungsrechtlich gebotenen Übergangsregelung habe zwingend die Verfassungswidrigkeit des Umgliederungsgesetzes zur Folge. Hingegen sind sich alle Mitglieder einig, daß die Organisation der Landesgerichtsbarkeit Ländersache sei. Die von der Verfassungsbeschwerde gegen die Verfassungsmäßigkeit des Umgliederungsgesetzes geltend gemachten Gemeinwohlbelange seien nicht tragfähig. Die Größe eines Oberlandesgerichtsbezirks sei eine Frage der nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten ausgeübten Organisationshoheit des betreffenden Landes. Grundrechte der Beschwerdeführer würden hierdurch nicht verletzt.

e) Die Rechtsanwaltskammer Celle sieht in der Umgliederung eine Beeinträchtigung des Prinzips der Singularzulassung, weil sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der materiellen Basis der singulartätigen Rechtsanwälte am Oberlandesgericht Celle führe. In gleicher Weise werde die materielle Basis der Rechtsanwaltskammer tangiert, da die Göttinger Rechtsanwälte etwa 250.000 DM des Kammerhaushaltes tragen würden. Überzeugende Gründe für die Umgliederung gebe es aus Sicht der Kammer nicht. Jedenfalls sei eine Übergangsfrist von 10 Jahren erforderlich. Eine Übergangsregelung in der Form einer Doppelzulassung scheitere am eindeutigen Gesetzeswortlaut.

f) Die Rechtsanwaltskammer Braunschweig hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Art. 14 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, weil nicht in die Substanz der betroffenen Anwaltssozietäten eingegriffen werde. Auch Art. 12 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, weil das Umgliederungsgesetz eine geeignete, erforderliche und verhältnismäßige Berufsausübungsregelung darstelle. Schließlich beruhe die Umgliederung auf einem zureichenden Gemeinwohlbezug.

g) Der Advokatenverein Celle hat auf Anfrage mitgeteilt, daß von den 90 beim Oberlandesgericht Celle zugelassenen Rechtsanwälten 79 erklärt hätten, sie würden eine überörtliche Sozietät nicht anstreben. Demgegenüber habe nur ein Einzelanwalt die Absicht mitgeteilt, eine überörtliche Sozietät einzugehen.

4. Mit Verfügung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 2. Dezember 1997 sind die Beschwerdeführer auf ihre Anträge vom 17. Oktober 1997 mit Wirkung vom 1. Januar 1998 gleichzeitig auch beim Oberlandesgericht Braunschweig als weiterem Oberlandesgericht zugelassen worden. Die Verfügung beruht - in entsprechender Anwendung der §§ 227 a, 227 b BRAO - auf der allgemeinen Feststellung des Niedersächsischen Ministeriums der Justiz und für Europaangelegenheiten, daß dies unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse zur Vermeidung von Härten geboten sei. Die Zulassung enthält die Einschränkung, daß Mandate nur übernommen werden dürfen, soweit der für die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Braunschweig maßgebende Gerichtsstand im Landgerichtsbezirk Göttingen begründet ist.

II.

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang muß das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre. Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen, wenn eine gesetzliche Regelung außer Kraft gesetzt werden soll (BVerfGE 91, 328 <332>; stRspr).

2. Die Verfassungsbeschwerde war zulässig und nicht offensichtlich unbegründet, soweit die Beschwerdeführer eine fehlende Übergangsregelung gerügt haben. Hinsichtlich der Neugliederung ist die Verfassungsbeschwerde jedoch offensichtlich unbegründet. Die Schutzbereiche von Art. 12 und Art. 14 GG sind nicht berührt. Das Neugliederungsgesetz dient dem strukturellen Ausgleich zwischen den unterschiedlich großen Oberlandesgerichten im Land Niedersachsen, soll den Senaten beim Oberlandesgericht Braunschweig die Spezialisierung erleichtern und eine größere Nähe zwischen dem Landgericht und dem zuständigen Oberlandesgericht herstellen. Danach hat das Gesetz, obwohl es sich auf den Umfang der Berufsausübung der Beschwerdeführer auswirken wird, in bezug auf die Anwaltschaft objektiv keine berufsregelnde Tendenz (vgl. BVerfGE 13, 181 <186>; 70, 191 <214>; 95, 267 <302>). Die hiermit verbundenen Einkommenseinbußen betreffen das Vermögen als Ganzes; sie sind nicht an Art. 14 GG zu messen (BVerfGE 4, 7 <17>; 95, 267 <300>; stRspr). Der Verlust von Erwerbschancen stellt noch keinen Eingriff in ein (etwaiges) Recht am eingerichteten Gewerbebetrieb dar, so daß offenbleiben kann, ob sich der Schutz des Art. 14 GG darauf erstreckt (vgl. BVerfGE 84, 212 <232>). Wenn mit den Verfassungsbeschwerden insoweit - ungeachtet der Frage des Vertrauensschutzes - zugleich ein Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit gerügt sein sollte, ist der Eingriff jedenfalls angesichts der vom Landesgesetzgeber genannten Gemeinwohlbelange nicht unverhältnismäßig.

Indessen bedürfen die verfassungsrechtlichen Fragen zum Vertrauensschutz, die sich aus dem Fehlen von Übergangsvorschriften ergeben (Art. 2 Abs. 1 GG), der Prüfung im Hauptsacheverfahren.

3. Die Entscheidung, ob eine einstweilige Anordnung zu erlassen ist oder nicht, hängt unter diesen Umständen von einer Gewichtung der Folgen ab, die in dem einen oder dem anderen Fall eintreten würden. Dabei sind zum einen die Folgen zu berücksichtigen, die die Entscheidung für die vom Gesetzgeber verfolgten organisatorischen Belange hat, deren Vorbereitung wenige Wochen vor dem geplanten Inkrafttreten des Gesetzes weit fortgeschritten ist. Zum anderen sind die Folgen der Entscheidung für den Geschäftsumfang der Kanzlei der Beschwerdeführer zu berücksichtigen.

a) Ergeht die einstweilige Anordnung, hat die Verfassungsbeschwerde aber später keinen Erfolg, so können die Beschwerdeführer ihre berufliche Tätigkeit in der Zwischenzeit in bisherigem Umfang fortsetzen. Ihre Belange sind infolgedessen in diesem Zeitraum nicht beeinträchtigt. Die vom Landesgesetzgeber verfolgten Belange könnten aber nicht verwirklicht werden. Darüber hinaus würde die schon begonnene Umorganisation der beiden Oberlandesgerichte - sowohl hinsichtlich des richterlichen Dienstes als auch der hiervon betroffenen Teile der Gerichtsverwaltung - aufgehalten. Der Aufschub wirkte auch zugunsten sämtlicher in Celle ansässigen Rechtsanwälte, selbst wenn mit Blick auf die in der Vergangenheit wahrgenommenen Mandate für sie Vertrauensschutz nicht in Betracht käme. Nicht einmal nach der Entscheidung in der Hauptsache könnte der - dann als verfassungsmäßig erkannte Rechtszustand - sofort hergestellt werden, weil sämtlichen Beteiligten Zeit für die dann erforderlich werdende Umorganisation bleiben müßte.

b) Ergeht nunmehr keine einstweilige Anordnung, hat die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg, sind öffentliche Belange derzeit nicht berührt. Dem Individualinteresse der beschwerdeführenden Rechtsanwälte ist nach Erteilung der Doppelzulassung weitgehend Rechnung getragen. Sofern die mit der Umgliederung verbundenen Härten hierdurch noch nicht hinlänglich gemildert sein sollten, was die Beschwerdeführer in ihrem Schriftsatz vom 23. September 1997 vortragen, können diese jedenfalls nicht mehr als schwerwiegend beurteilt werden; denn verfassungsrechtlich ist es nicht geboten, daß Übergangsvorschriften die Beschwerdeführer für einige Jahre von sämtlichen Einbußen freistellen. Darüber hinaus bewirkte der Aufschub des Gesetzes keinen härtevermeidenden Übergang. Bis zum Inkrafttreten müßten die Kapazitäten in Celle sowohl beim Oberlandesgericht wie bei der Anwaltschaft vorgehalten werden; eine vorbereitende Kapazitätsausweitung beim Oberlandesgericht Braunschweig oder der dort zugelassenen Anwaltschaft käme schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht in Betracht. Ebensowenig ist ersichtlich, inwiefern die Göttinger Rechtsanwälte Veranlassung hätten, vor der Rechtsänderung in Berufungsverfahren Kontakte mit Braunschweiger Anwälten anstelle mit Celler Anwälten anzubahnen. Das anwaltliche Berufsrecht und die Gerichtsorganisation erlauben demnach bei zeitlichem Aufschub keinen härtemildernden schonenden Übergang für die individuell betroffenen Rechtsanwälte und ihre Mandanten.

c) Die Abwägung ergibt, daß dem Interesse der Beschwerdeführer daran, das Umgliederungsgesetz einstweilen nicht in Kraft treten zu lassen, kein Vorrang einzuräumen ist. Die nachteiligen Folgen, die für die vom Landesgesetzgeber verfolgten Gemeinwohlbelange mit dem Erlaß der einstweiligen Anordnung verbunden wären, wiegen schwerer als die nach der Doppelzulassung verbliebenen Nachteile, die auf seiten der Beschwerdeführer drohen, wenn der Erlaß der einstweiligen Anordnung abgelehnt wird.

Kühling Jaeger Steiner Steiner

Ende der Entscheidung

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