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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 13.01.1999
Aktenzeichen: 1 BvR 1957/95
Rechtsgebiete: BGB, BVerfGG, ZSEG


Vorschriften:

BGB § 1836 Abs. 2
BGB § 1836
BGB § 1835 Abs. 4
BVerfGG § 93 b
BVerfGG § 90 Abs. 1
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchst. b
BVerfGG § 93 c Abs. 1 Satz 1
BVerfGG § 34 a Abs. 2
ZSEG § 16
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
- 1 BvR 1909/95 - - 1 BvR 1918/95 - - 1 BvR 1957/95 - - 1 BvR 2136/95 - - 1 BvR 2138/95 - - 1 BvR 487/96 - - 1 BvR 993/96 - - 1 BvR 994/96 -

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

IM NAMEN DES VOLKES

In den Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerden

der Frau E...

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Heribert Maise und Kollege, Blumenstraße 10, Lippstadt

I. gegen a) den Beschluß des Oberlandesgerichts Hamm vom 3. August 1995 - 15 W 285/95 -,

b) den Beschluß des Landgerichts Paderborn vom 19. Juni 1995 - 5 T 147/95 -,

c) den Beschluß des Amtsgerichts Lippstadt vom 17. Januar 1995 - 14 XVII T 38 - 1 BvR 1909/95 -,

II. gegen a) den Beschluß des Landgerichts Paderborn vom 21. August 1995 - 5 T 466/95 -,

b) den Beschluß des Amtsgerichts Lippstadt vom 19. Juli 1995 - 13 XVII B 173 - 1 BvR 1918/95 -,

III. gegen a) den Beschluß des Oberlandesgerichts Hamm vom 3. August 1995 - 15 W 284/95 -,

b) den Beschluß des Landgerichts Paderborn vom 29. Juni 1995 - 5 T 161/95 -,

c) den Beschluß des Amtsgerichts Lippstadt vom 6. Januar 1995 - 14 XVII 0 11 - 1 BvR 1957/95 -,

IV. gegen a) den Beschluß des Oberlandesgerichts Hamm vom 20. September 1995 - 15 W 321/95 -,

b) den Beschluß des Landgerichts Paderborn vom 30. Juni 1995 - 5 T 146/95 -,

c) den Beschluß des Amtsgerichts Lippstadt vom 17. Januar 1995 - 14 XVII L 66 - 1 BvR 2136/95 -,

V. gegen a) den Beschluß des Oberlandesgerichts Hamm vom 20. September 1995 - 15 W 319/95 -,

b) den Beschluß des Landgerichts Paderborn vom 29. Juni 1995 - 5 T 151/95 -,

c) den Beschluß des Amtsgerichts Lippstadt vom 17. Januar 1995 - XVII K 211 - 1 BvR 2138/95 -,

VI. gegen 1. a) den Beschluß des Oberlandesgerichts Hamm vom 22. Januar 1996 - 15 W 351/95 -,

b) den Beschluß des Landgerichts Paderborn vom 16. August 1995 - 5 T 476/95 -,

c) den Beschluß des Amtsgerichts Lippstadt vom 2. März 1995 - XVII D 73 -,

2. a) den Beschluß des Oberlandesgerichts Hamm vom 22. Januar 1996 - 15 W 355/95 -,

b) den Beschluß des Landgerichts Paderborn vom 21. August 1995 - 5 T 451/95 -,

c) den Beschluß des Amtsgerichts Lippstadt vom 19. Juli 1995 - XVII H 186 - 1 BvR 487/96 -,

VII. gegen a) den Beschluß des Landgerichts Paderborn vom 10. April 1996 - 5 T 141/96 -,

b) den Beschluß des Amtsgerichts Lippstadt vom 3. August 1995 - 13 XVII K 153 - 1 BvR 993/96 -,

VIII. gegen a) den Beschluß des Landgerichts Paderborn vom 12. April 1996 - 5 T 132/96 -,

b) den Beschluß des Amtsgerichts Lippstadt vom 1. September 1995 - XVII K 228 - 1 BvR 994/96 hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Kühling, die Richterin Jaeger und den Richter Steiner

am 13. Januar 1999 einstimmig beschlossen:

1. Die Beschlüsse des Landgerichts Paderborn vom 19. Juni 1995 - 5 T 147/95 - und des Amtsgerichts Lippstadt vom 17. Januar 1995 - 14 XVII T 38 -, des Landgerichts Paderborn vom 21. August 1995 - 5 T 466/95 - und des Amtsgerichts Lippstadt vom 19. Juli 1995 - 13 XVII B 173 -, des Landgerichts Paderborn vom 29. Juni 1995 - 5 T 161/95 - und des Amtsgerichts Lippstadt vom 6. Januar 1995 - 14 XVII O 11 -, des Landgerichts Paderborn vom 30. Juni 1995 - 5 T 146/95 - und des Amtsgerichts Lippstadt vom 17. Januar 1995 - 14 XVII L 66 -, des Landgerichts Paderborn vom 29. Juni 1995 - 5 T 151/95 - und des Amtsgerichts Lippstadt vom 17. Januar 1995 - XVII K 211 -, des Landgerichts Paderborn vom 10. April 1996 - 5 T 141/96 - und des Amtsgerichts Lippstadt vom 3. August 1995 - 13 XVII K 153 - sowie des Landgerichts Paderborn vom 12. April 1996 - 5 T 132/96 - und des Amtsgerichts Lippstadt vom 1. September 1995 - XVII K 228 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit sie ihr eine Betreuervergütung versagen. Sie werden insoweit aufgehoben. Die Sachen werden an das Landgericht Paderborn zurückverwiesen.

2. Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Hamm vom 22. Januar 1996 - 15 W 351/95 -, des Landgerichts Paderborn vom 16. August 1995 - 5 T 476/95 und des Amtsgerichts Lippstadt vom 2. März 1995 - XVII D 73, des Oberlandesgerichts Hamm vom 22. Januar 1996 - 15 W 355/95 -, des Landgerichts Paderborn vom 21. August 1995 - 5 T 451/95 - und des Amtsgerichts Lippstadt vom 19. Juli 1995 - XVII H 186 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit sie ihr eine Betreuervergütung versagen. Sie werden insoweit aufgehoben. Die Sachen werden an das Landgericht Paderborn zurückverwiesen.

3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

G r ü n d e :

I.

Die Beschwerdeführerin greift mit ihren Verfassungsbeschwerden zivilgerichtliche Entscheidungen an, durch die ihr eine Vergütung als Berufsbetreuerin versagt wird.

1. Die Beschwerdeführerin ist als Justizangestellte in der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Warstein - Abteilung für Vormundschaften - vollzeitbeschäftigt. Aufgrund dieser Tätigkeit ist sie seit 1980 mit Vormundschafts- und Pflegschaftssachen sowie den heutigen Betreuungssachen vertraut. Als genehmigte Nebentätigkeit führt sie seit 1994 mehr als 10 Betreuungen. Den mit der Führung von 13 Betreuungen verbundenen Zeitaufwand gab sie 1995 mit acht bis zehn Stunden pro Woche an. Die Vergütung für neun dieser Betreuungen ist hier Streitgegenstand.

Das Amtsgericht versagte die Gewährung einer Vergütung mit der Begründung, die Beschwerdeführerin sei nicht Berufsbetreuerin, daher stehe ihr eine Vergütung nicht zu. Sinn des § 1836 Abs. 2 BGB sei es, demjenigen, der nicht allein seine Freizeit, sondern darüber hinausgehend ganz oder teilweise seine Arbeitskraft für die Führung der ihm übertragenen Vormundschaften verwenden müsse, für die Aufwendung dieser Arbeitskraft eine angemessene Vergütung zu gewährleisten. Dies betreffe zweifelsfrei denjenigen, der die Vormundschaft im Rahmen einer selbständigen Berufstätigkeit führe. Es werde im Grundsatz auch denjenigen betreffen, der lediglich eine Anstellung als Teilzeitkraft innehabe und den verbleibenden, nicht ganz geringfügigen Teil seiner Arbeitskraft auf die Führung von Vormundschaften verwende. Die Beschwerdeführerin sei aber voll berufstätige Justizangestellte und verwende nur Freizeit für die Führung der Betreuungen.

Dem stimmte im Beschwerdeverfahren das Landgericht in neun, weitgehend gleichlautenden Beschlüssen zu: Die Beschwerdeführerin könne unabhängig von der Anzahl der von ihr geführten Betreuungen und unabhängig von dem damit verbundenen Zeit- und Arbeitsaufwand deswegen nicht als Berufsbetreuerin angesehen werden, weil sie ihr Amt als Betreuerin nicht im Rahmen "ihrer" Berufsausübung führe. Wesentlich sei, daß die Ausübung des Amtes als Berufsbetreuer stets innerhalb der Berufsausübung erfolgen müsse und nicht eine Nebentätigkeit zur eigentlichen Berufsausübung darstellen dürfe. Nur für einen solchen Betreuer, der die Betreuung nicht als Nebentätigkeit ausübe, sei entsprechend den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts die Ausübung des Betreueramtes Teil seiner durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsausübung. Es sei nichts dafür ersichtlich, daß der Gesetzgeber Nebentätigkeiten, die nicht zu Einbußen im Berufseinkommen führten, als Berufsbetreuung habe ansehen und entsprechend vergüten wollen.

Auch die weiteren Beschwerden zum Oberlandesgericht hatten keinen Erfolg.

2. Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen und trägt zur Begründung vor:

Sie sei Berufsbetreuerin im Sinn von § 1836 Abs. 2 BGB. Sie habe sich durch Vermittlung der Betreuungsstelle als Berufsbetreuerin angeboten. Es habe sich um eine entgeltliche Nebentätigkeit handeln sollen. Auch diese falle unter den Schutz von Art. 12 Abs. 1 GG. Ihr werde das Recht genommen, sich einen, wenn auch nur zweiten Beruf selbst zu wählen. Für die Frage, ob jemand Berufsbetreuer sei, sei allein entscheidend, wann ihm in einem solchen Umfang Betreuung übertragen worden sei, daß er sie nur im Rahmen einer Berufsausübung führen könne. Auch nur diese Unterscheidung habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1980 treffen wollen. Nach der Erfahrung im alten Pflegschaftsrecht habe gerade die Vergütungsregelung des § 1836 BGB dazu führen sollen, daß alle Betreuer Vergütungen erhielten, die nicht nur gelegentlich die eine oder die andere Betreuung übernähmen. Der Begriff der Berufsausübung sei daher geknüpft an die Anzahl der geführten Betreuungen - vormals Vormundschaften - an die berufliche Qualifikation, an den Zeitaufwand, an die zu tragende Verantwortung, an die Persönlichkeit des Betroffenen sowie an das persönliche Engagement. Nach diesen Kriterien sei die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall Berufsbetreuerin und daher berechtigt, Vergütung zu verlangen.

3. Zu den Verfahren hat sich lediglich der Vormundschaftsgerichtstag geäußert. Er hält die Verfassungsbeschwerde für begründet.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung an (§ 93 b BVerfGG), weil es zur Durchsetzung des in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

1. Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig.

Die Frage, ob in Verfahren der Vergütungsfestsetzung gemäß § 1835 Abs. 4 BGB, § 16 ZSEG eine weitere Beschwerde statthaft war, war im hier maßgeblichen Zeitpunkt noch ungeklärt. Der Bundesgerichtshof hat erst durch zwei Beschlüsse vom Oktober 1996 Klarheit geschaffen (BGHZ 133, 337 ff.; Beschluß vom 23. Oktober 1996 - XII ZB 114/96 -). Wegen der bis dahin herrschenden Rechtsunsicherheit kann es der Beschwerdeführerin nicht zum Nachteil gereichen, daß sie in einigen Fällen (1 BvR 1909/95, 1 BvR 1957/95, 1 BvR 2136/95 und 1 BvR 2138/95) weitere Beschwerden eingelegt hat, die jeweils vom Oberlandesgericht als unzulässig verworfen wurden, in den anderen Fällen aber wegen der restriktiven Rechtsprechung davon abgesehen hat. Läßt sich die Zulässigkeit eines Rechtsmittels nicht mit hinreichender Sicherheit erkennen, so steht der Betroffene vor dem Dilemma, daß er einerseits mit seiner Verfassungsbeschwerde wegen mangelnder Erschöpfung des Rechtsweges scheitern kann, wenn er von der Einlegung absieht, weil er es irrtümlich für unzulässig hält, daß er andererseits aber die Beschwerdefrist durch die Einlegung eines Rechtsmittels versäumen kann, das er zu Unrecht als zulässig ansieht. In einer solchen Lage muß das Bundesverfassungsgericht, das die einschlägigen prozessualen Fragen nicht selbst klären kann, dem Beschwerdeführer die Rechtsunsi-cherheit zugutehalten, solange dessen Verhalten sich wie hier im Rahmen vertretbarer Rechtsauffassungen hält.

2. Die zulässigen Verfassungsbeschwerden führen zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen. Sie verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.

a) Den Verfassungsbeschwerden kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Die mit ihnen aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen sind hinreichend geklärt, sie lassen sich mit Hilfe der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Maßstäbe ohne weiteres entscheiden.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli 1980 (BVerfGE 54, 251), auf das die gesetzliche Vergütungsregelung des berufsmäßig beanspruchten Vormundes oder Betreuers in § 1836 Abs. 2 BGB zurückgeht, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Ausgestaltung der Vormundschaft als grundsätzlich unentgeltliches Ehrenamt. Bei berufsmäßiger Beanspruchung des Vormundes wird jedoch eine Vergütung gefordert. Nach den tatsächlichen Feststellungen in dieser Entscheidung gab es seinerzeit noch keinen eigenständigen Beruf des Anwaltsvormundes. Doch bestand damals wie heute kein Zweifel daran, daß das Führen von Pflegschaften und Vormundschaften, und damit auch das Führen der heutigen Betreuungen in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG fallen kann, wenn es berufsmäßig ausgeübt wird. Seit der Einführung des Rechtsinstituts der Betreuung im Jahre 1992 entwickelt sich das Führen von Betreuungen, bisher ohne rechtliche Fixierung des Berufsbildes, mehr und mehr zu einem eigenständigen Beruf.

b) Die angegriffenen Beschlüsse verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Auslegung und Anwendung des Gesetzesrechts sind Aufgabe der Fachgerichte und können vom Bundesverfassungsgericht - abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot - nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Norm die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 85, 248 <257 f.>; stRspr). So ist es hier.

Art. 12 Abs. 1 GG gebietet, daß der Staat, wenn er für Aufgaben, deren ordentliche Wahrnehmung im öffentlichen Interesse liegt, Staatsbürger beruflich in Anspruch nimmt, den derart Belasteten angemessen entschädigt (vgl. BVerfGE 54, 251 <271>). Dieser Entscheidung hat die Regelung des § 1836 Abs. 2 Satz 1 BGB Rechnung getragen (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige, BTDrucks 11/4528 vom 11. Mai 1989, S. 110 f.). Für den Gesetzgeber war damit Abgrenzungsmaßstab zum Ehrenamt die berufliche Inanspruchnahme, die von unterschiedlichem Umfang sein kann. Nach den Motiven sollte also das vergütungspflichtige Führen von Betreuungen weder bestimmten Berufsgruppen noch ausschließlich Selbständigen vorbehalten werden. Die Norm selbst genügt danach den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 1. Juli 1980 (BVerfGE 54, 251) aufgestellt hat.

Die Beschwerdeführerin wird aber durch die angegriffenen Entscheidungen in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt, weil die Gerichte die Norm in einer den Anforderungen der Verfassung nicht genügenden Weise ausgelegt haben, indem sie die umfängliche nebenberufliche Betreuungstätigkeit nicht als Berufsbetreuung im Nebenberuf qualifiziert haben.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schützt Art. 12 Abs. 1 GG auch das Recht, mehrere Berufe zu wählen und nebeneinander auszuüben (vgl. BVerfGE 21, 173 <179>; 87, 287). Jeder Staatsbürger darf in Ausübung seiner Berufsfreiheit neben einer beruflichen Tätigkeit jede Tätigkeit, für die er sich als geeignet erachtet, als Beruf ergreifen und ausüben. Die Freiheit, einen Beruf auszuüben, ist untrennbar verbunden mit der Freiheit, eine angemessene Vergütung zu fordern. Gesetzliche Vergütungsregelungen, auch die die Anspruchsgrundlagen selbst betreffen, sind daher am Maßstab des Art. 12 GG zu messen (BVerfGE 54, 251 <271>; 68, 193 <216>; 83, 1 <13>). Die angegriffenen Entscheidungen greifen in die Freiheit der Berufsausübung der Beschwerdeführerin ein, indem sie ihr allein aufgrund ihrer Vollzeitbeschäftigung als Justizangestellte jede Vergütung für die Führung der Betreuungen versagen. Für diesen Eingriff sind keine vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls ersichtlich. Der Gefahr, daß die Beschwerdeführerin ihre Arbeit als Justizangestellte vernachlässigt, kann bei der Entscheidung über die Nebentätigkeitsgenehmigung Rechnung getragen werden. Dasselbe gilt auch für eine theoretisch denkbare Inkompatibilität zwischen der Tätigkeit als Justizangestellte in Vormundschaftssachen und dem Führen von Betreuungen. Die Versagung der Vergütung wäre insoweit auch ein ungeeignetes Mittel.

Ob eine Differenzierung in der Höhe der Vergütung darauf gestützt werden könnte, daß der Zweitberuf nicht die Existenzgrundlage darstellt und aus seinen Erträgen vielleicht keine Altersversorgung bestritten werden muß (vgl. Beschluß der 2. Kammer des Ersten Senats vom 18. Februar 1993 - 1 BvR 1594/92 -), braucht hier nicht entschieden zu werden. Jedenfalls rechtfertigen diese Gesichtspunkte nicht die gänzliche Versagung der Vergütung.

c) Darüber hinaus verletzen die angegriffenen Entscheidungen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt eine Grundrechtsverletzung nicht nur dann vor, wenn der Gesetzgeber mehrere Personen ohne sachlichen Grund verschieden behandelt, sondern ebenfalls dann, wenn die Gerichte im Wege der Auslegung gesetzlicher Vorschriften zu einer derartigen, dem Gesetzgeber verwehrten Differenzierung gelangen (vgl. BVerfGE 58, 369 <374>). Mit diesen Grundsätzen ist die in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene ungleiche Behandlung von selbständig Erwerbstätigen, die Betreuungen führen, und abhängig Erwerbstätigen, die nebenberuflich Betreuungen führen, nicht vereinbar. Da ein Selbständiger, etwa ein Rechtsanwalt, den zeitlichen Umfang seiner beruflichen Tätigkeit selbst bestimmt, würde er nach den in den angegriffenen Entscheidungen entwickelten Grundsätzen im Rahmen seiner Berufsausübung handeln, auch wenn seine Arbeitswoche infolge der Betreuungen mehr als die Normalarbeitszeit umfaßt. Demgegenüber könnte eine abhängig Beschäftigte keine entgeltliche Tätigkeit als Betreuerin ausüben, auch wenn die nach Dienstschluß eingesetzte Arbeitszeit und -kraft erheblich ist. Für diese unterschiedliche Behandlung Selbständiger und abhängig Beschäftigter bei der Wahrnehmung von Betreuungen in nicht unerheblichem Umfang sind sachliche Gründe nicht ersichtlich.

3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34 a Abs. 2 BVerfGG.

Ende der Entscheidung

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