Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 29.07.2003
Aktenzeichen: 1 BvR 1964/00
Rechtsgebiete: BVerfGG, BGB, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93 a
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe a
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG § 93 b
BVerfGG § 93 d Abs. 1 Satz 3
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 1004
GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 5 Abs. 1 Satz 1
GG Art. 5 Abs. 1 Satz 2
GG Art. 6 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1964/00 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen a) das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 19. September 2000 - 7 U 16/00 -,

b) das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 7. Januar 2000 - 324 O 440/99 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, die Richterin Haas und den Richter Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 29. Juli 2003 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen des Persönlichkeitsschutzes eines Kindes gegenüber der Wortberichterstattung der Presse.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen Entscheidungen, durch die sie zum Unterlassen einer Veröffentlichung verurteilt worden ist, in der sie aus Anlass der Geburt der Klägerin des Ausgangsverfahrens, der Tochter der Prinzessin Caroline von Hannover, eine astrologische Prognose (ein so genanntes "Geburtshoroskop") über die Eigenschaften und zukünftige Entwicklung der Klägerin wiedergegeben hatte.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zu. Die von ihr aufgeworfenen grundsätzlichen Fragen zum Verhältnis von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 54, 148 <152 ff.>; 99, 185 <193 ff.>; 101, 361). Mangels Erfolgsaussichten ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde auch nicht nach § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt.

Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen nicht gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG. Dabei bedarf keiner Entscheidung, ob vorrangig das Grundrecht auf Meinungsfreiheit (vgl. zur Abgrenzung BVerfGE 85, 1 <12 f.>; 97, 391 <400>) oder das auf Pressefreiheit (so für die Bildberichterstattung BVerfGE 101, 361 <389>) heranzuziehen ist, da die verfassungsrechtliche Beurteilung im vorliegenden Fall nicht unterschiedlich ausfällt. Die Gerichte durften den in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Belangen der Klägerin Vorrang geben.

1. Die Veröffentlichung eines Horoskops einer Person ist vom Schutz der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst. Dieser Schutz gilt allerdings nicht unbeschränkt (Art. 5 Abs. 2 GG). Zu den Schranken gehören § 823 Abs. 1, § 1004 BGB, die auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG schützen (vgl. BVerfGE 34, 269 <282>).

Der Persönlichkeitsschutz eines Kindes verwirklicht sich nicht nur über das elterliche Erziehungsrecht des Art. 6 Abs. 1 GG. Er folgt auch aus dem eigenen Recht des Kindes auf ungehinderte Entfaltung seiner Persönlichkeit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 24, 119 <144>; 45, 400 <417>; 72, 122 <137>). Zum Persönlichkeitsrecht gehört die Möglichkeit, selbst zu entscheiden oder, soweit dies noch nicht möglich ist, durch die Erziehungsberechtigten entscheiden zu lassen, wie weit persönliche Angelegenheiten zum Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit gemacht werden. Der Schutzumfang ist vom Schutzzweck her unter Berücksichtigung der Entwicklungsphasen des Kindes zu bestimmen. Kinder erfahren hinsichtlich der Gefahren, die von dem Interesse der Medien und ihrer Nutzer an Darstellungen zu deren Leben ausgehen, einen auf ihre Entwicklung abgestimmten Schutz.

Die Persönlichkeitsentfaltung der Kinder kann durch eine auf sie bezogene Berichterstattung in den Medien empfindlicher gestört werden als diejenige von Erwachsenen. Deshalb sind Kinder in thematischer und räumlicher Hinsicht umfassender als erwachsene Personen in ihrem Recht geschützt, sich frei von öffentlicher Beobachtung fühlen und entfalten zu können (vgl. BVerfGE 101, 361 <385 f.>; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2000, S. 2191 f.). Eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts kann nicht nur dann vorliegen, wenn das Kind die persönlichkeitserheblichen Einwirkungen Dritter bemerkt, sondern schon dann, wenn Dritte persönlichkeitsbezogene Informationen verbreiten und dies dazu führen kann, dass dem Kind in Zukunft nicht unbefangen begegnet wird oder dass es sich speziellen Verhaltenserwartungen ausgesetzt sieht.

2. Diesen Maßstäben werden die angegriffenen Entscheidungen gerecht.

a) Die Veröffentlichung eines Horoskops mit Ausführungen zu den angeblichen gegenwärtigen und zukünftigen Eigenschaften und zur weiteren Entwicklung der Klägerin beeinträchtigt deren Recht auf kindgemäße Entwicklung. Die Beschwerdeführerin hat zwar keine aus der Privatsphäre stammenden Tatsacheninformationen veröffentlicht, wohl aber spekulative Informationen, die sich auf den privat-persönlichen Lebensbereich beziehen und die weitere Entwicklung der Klägerin beeinflussen können.

Diese Beeinträchtigung entfällt nicht dadurch, dass das Horoskop über keine auf die Kenntnis der Betroffenen gegründete tatsächliche Grundlage verfügt. Entscheidend ist, dass die Äußerung auf Grund ihrer Wirkung geeignet ist, Entfaltungsinteressen der Klägerin zu beeinträchtigen. Die Berichterstattung über das Horoskop gibt sich durch dessen Berufung auf unterstellte astrologische Gesetzlichkeiten den Anschein objektiver prognostischer Richtigkeit und kann damit rechnen, dass ein erheblicher Teil der Leserschaft ihr aufgeschlossen gegenübersteht und die Angaben als Grundlage zur Beurteilung der Person der Klägerin nimmt und entsprechende Erwartungen an sie richtet.

Das Persönlichkeitsrecht ist auch insoweit beeinträchtigt, als die Äußerungen über die im Zeitpunkt der Veröffentlichung im Babyalter befindliche Klägerin ihr zukünftiges Handeln in der Öffentlichkeit mitumfassen. Die Entscheidung, ob und wie weit die Klägerin sich in der Zukunft der Öffentlichkeit stellen wird, ist Gegenstand persönlicher Selbstbestimmung auch dann, wenn eine öffentliche Funktion zukünftig möglich ist. Die Klägerin wird zu gegebener Zeit selbst oder mit Hilfe ihrer Erziehungsberechtigten zu entscheiden haben, ob und wie weit sie ihre Persönlichkeit öffentlich zugänglich macht. Bisher ist das nicht geschehen. Die Klägerin ist in ihrem Recht geschützt, ungestört durch die Neugier der Öffentlichkeit aufzuwachsen. Dabei ist rechtlich unerheblich, ob die Berichterstattung als positiv oder als negativ bewertet wird (vgl. BVerfG, NJW 2000, S. 2191 zur Bildberichterstattung).

b) Gegenüber dem Interesse der Klägerin hat das Berichterstattungsinteresse der Beschwerdeführerin zurückzutreten.

Zwar entfällt der Grundrechtsschutz nicht schon deshalb, weil der Bericht ausschließlich unterhaltenden Charakter hat. Dieser Umstand ist aber bei der Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht zu berücksichtigen. Angesichts der Rolle der Medien in einer demokratischen Gesellschaft wird dabei bedeutsam, ob Fragen ausgebreitet werden, welche die Öffentlichkeit mit Rücksicht auf die für eine Demokratie wichtige öffentliche Meinungsbildung wesentlich angehen, oder - wie im vorliegenden Fall - lediglich private Angelegenheiten, die Medien veröffentlichen, um ausschließlich die Neugier zu befriedigen (vgl. BVerfGE 34, 269 <283>; 101, 361 <388 ff.>).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Gerichte ein das Persönlichkeitsrecht der Klägerin übersteigendes öffentliches Interesse an der Berichterstattung über die Persönlichkeit der Klägerin verneint haben. Es ist nicht erkennbar, welchen Beitrag zu der in einer demokratischen Gesellschaft wichtigen öffentlichen Auseinandersetzung die Veröffentlichung eines Horoskops über ein Baby haben kann. Verfehlt ist die Auffassung der Beschwerdeführerin, auch in Fällen solcher Berichterstattung gelte eine Vermutung für die Freiheit der Rede. Die Vermutungsformel gibt einen Anhaltspunkt bei der Abwägung zwischen dem Schutz vor Herabsetzungen der Persönlichkeit und der Freiheit zur Äußerung von Beiträgen zur öffentlichen Meinungsbildung, also solchen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage (vgl. BVerfGE 7, 198 <208, 212>; 61, 1 <11>; 93, 266 <294 f.>). In derartigen Fällen kann die Abwägung ergeben, dass der Persönlichkeitsschutz im Interesse demokratischer Transparenz und Kontrolle zurückzutreten hat. Eine solche Lage aber ist im hier zu entscheidenden Fall nicht gegeben.

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

Zurück