Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 13.08.2007
Aktenzeichen: 1 BvR 2075/07
Rechtsgebiete: BVerfGG, StGB


Vorschriften:

BVerfGG § 32 Abs. 1
BVerfGG § 93 d Abs. 2
StGB § 130 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2075/07 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. August 2007 - 24 CS 07.1784 -

b) den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 12. Juli 2007 - B 1 S 07.610 -

c) den Verbotsbescheid des Landratsamts Wunsiedel vom 26. Juni 2007 - 3/30 - 1341 -

hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Hohmann-Dennhardt und die Richter Hoffmann-Riem Gaier gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93 d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 13. August 2007 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe:

Der mit einer Verfassungsbeschwerde verbundene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft den versammlungsbehördlich angeordneten Sofortvollzug eines Bescheids, mit dem eine für den 18. August 2007 in Wunsiedel angemeldete Versammlung unter dem Thema "Gedenken an Rudolf Heß" verboten worden ist. Das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des vom Beschwerdeführer eingelegten Widerspruchs abgelehnt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen.

Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn eine Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 111, 147 <152 f.>; stRspr).

1. Die Unzulässigkeit oder offensichtliche Unbegründetheit der eingelegten Verfassungsbeschwerde lässt sich im Zuge der dem Bundesverfassungsgericht in dem Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung nicht feststellen.

Der Ausgangskonflikt und die dem versammlungsbehördlichen Verbot zugrunde liegende Strafrechtsnorm werfen eine Reihe schwieriger verfassungsrechtlicher Fragen auf, die hinreichend nur in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden können. Die 1. Kammer des Ersten Senats hat in ihrem Beschluss vom 16. August 2005 - 1 BvQ 25/05 - zu der im Jahr 2005 geplanten Demonstration einige der insoweit klärungsbedürftigen Fragen zu einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Auslegung und Anwendung des § 130 Abs. 4 StGB auf eine Versammlung des vorliegend zu beurteilenden Zuschnitts aufgeführt. Zwischenzeitlich hat das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 9. Mai 2006 - B 1 K 05.768 - im Hauptsacheverfahren über die Rechtmäßigkeit des für das Jahr 2005 ausgesprochenen Versammlungsverbots entschieden und die Klage des hiesigen Antragstellers abgewiesen. Mit Urteil vom 26. März 2007 - 24 B 06.1894 - hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Hiergegen hat der Antragsteller eine von dem Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision eingelegt, über die das Bundesverwaltungsgericht bislang noch nicht entschieden hat.

Zwischenzeitlich ist die Diskussion in der rechtswissenschaftlichen Literatur über die Verfassungsmäßigkeit und die Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 130 Abs. 4 StGB fortgegangen; der Meinungsstand ist kontrovers (vgl. zur verfassungsrechtlichen und versammlungsrechtlichen Beurteilung: Enders/Lange JZ 2006, S. 105 <108 ff.>; Leist BayVBl 2005, 234 <235>; Kniesel/Poscher, in: Lisken/Denninger <Hrsg.>, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, Kap. J Rn. 165 f.; Scheidler BayVBl 2005, S. 453 <456 f.>; zum strafrechtlichen Diskussionsstand vgl. Fischer, in: Tröndle, StGB, 54. Aufl. 2007, § 130 Rn. 33 ff.; Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2006, § 130 StGB Rn. 8b; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2007, § 130 StGB Rn. 22a ff.).

Angesichts dieser Lage lässt sich die Eilrechtsentscheidung nicht auf gesicherte Annahmen über die Geltung und Reichweite des § 130 Abs. 4 StGB stützen. Insbesondere hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs noch keine Klärung erbracht, die es erlauben würde, eine Verfassungsbeschwerde als offensichtlich unbegründet anzusehen.

So bedarf weiterer Klärung, ob eine Billigung oder Verherrlichung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft mit den vom Verwaltungsgerichtshof angestellten Erwägungen ohne Verfassungsverstoß schon darin gesehen werden kann, dass einzelne Verantwortungsträger auf einer Versammlung als Symbolfiguren hervorgehoben werden. Klärungsbedürftig ist auch, ob der Verwaltungsgerichtshof sich auf die Feststellung beschränken durfte, dass die Strafnorm des § 130 Abs. 4 StGB abstrakt gesehen mit grundrechtlichen Anforderungen im Einklang stehe, ohne die fallbezogene Auslegung und Anwendung durch die Versammlungsbehörde nochmals am Maßstab des Grundrechts zu messen. Klärungsbedürftig ist weiter, ob es mit grundrechtlichen Anforderungen im Einklang stünde, der Ehrung eines herausgehobenen Repräsentanten des nationalsozialistischen Unrechtsregimes in der Regel eine Verletzung der Würde der Opfer zu entnehmen. Weiterer Überprüfung bedarf auch die Erwägung des Verwaltungsgerichtshofs, der von der Strafnorm des § 130 Abs. 4 StGB tatbestandlich vorausgesetzte Erfolg einer Störung des öffentlichen Friedens lasse sich - wie der Verwaltungsgerichtshof dies unter Berufung auf die Zuordnung dieser Strafnorm zu einem dem Straftaten gegen die öffentliche Ordnung gewidmeten Abschnitt des Strafgesetzbuchs annimmt - daraus herleiten, dass das Auftreten der Versammlungsteilnehmer auf der zuletzt im Jahre 2004 durchgeführten Versammlung im Sinne derjenigen Voraussetzungen provokativ gewesen sei, die nach polizei- und versammlungsrechtlichen Grundsätzen eine Störung der öffentlichen Ordnung bewirken können. Auch diese Ausfüllung des Merkmals der Störung des öffentlichen Friedens durch Inhalte, wie sie mit dem polizeirechtlichen Begriff der öffentlichen Ordnung verbunden sind, erfordert weitere Klärung anhand der verfassungsrechtlichen Anforderungen.

2. Daher sind gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 96, 120 <128 f.>; stRspr).

Bliebe die sofortige Vollziehbarkeit des Verbots der Kundgebung bestehen, hätte die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg, so könnte der Beschwerdeführer die geplante Versammlung nicht durchführen und würde dadurch um die Möglichkeit gebracht, von dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in der gewünschten Weise Gebrauch zu machen. Könnte die Versammlung wie geplant stattfinden, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet, so wäre die Versammlung durchgeführt worden, obwohl die Voraussetzungen für ein Verbot vorliegen. In diesem Fall hätte die Versammlung stattgefunden, obwohl die Gefahr eines Verstoßes gegen § 130 Abs. 4 StGB unmittelbar bestanden hat, also die einer Störung des öffentlichen Friedens in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch, dass die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht oder gerechtfertigt wird.

In den vergangenen beiden Jahren hat die Kammer den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung insbesondere unter Verweis auf die in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebrachte Einschätzung des Gesetzgebers zur Gewichtung des Schutzguts von § 130 Abs. 4 StGB abgelehnt. In ihre Abwägung hat die Kammer dabei eingestellt, dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz sich auf eine in jährlichen Abständen immer wieder am Todestag von Rudolf Heß geplante Veranstaltung bezieht; der Nachteil für den Beschwerdeführer sei insoweit geringer, als wenn es um eine Demonstration aus einem besonderen aktuellen und insofern unwiederbringlichen Anlass ginge. Im Falle eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren bleibe es dem Beschwerdeführer unbenommen, zukünftig wieder derartige Gedenkveranstaltungen zu planen und gegebenenfalls unter Beachtung des Versammlungsgesetzes durchzuführen. Wird der Erlass einer einstweiligen Anordnung auch in diesem Jahr abgelehnt, ist der Antragsteller allerdings für drei aufeinander folgende Jahre an der Durchführung der Versammlung gehindert. Der ihn treffende Nachteil gewinnt bei mehrmaliger Verweigerung einer einstweiligen Anordnung zunehmend an Gewicht.

Allerdings liegt mittlerweile eine Rechtsmittelentscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vor, was dem Antragsteller durch Zulassung der Revision die Möglichkeit zu einer umfassenden Klärung der Rechtslage durch eine Entscheidung des Revisionsgerichts eröffnet hat. Dem Beschwerdeführer kann zugemutet werden, die anstehende umfassende fachgerichtliche Klärung durch das Revisionsgericht abzuwarten.

In Anbetracht dieser Umstände führt eine Folgenabwägung vorliegend zum Ergebnis, dass eine einstweilige Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile für den Antragsteller geboten ist.

Ende der Entscheidung

Zurück