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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 08.11.2004
Aktenzeichen: 1 BvR 2095/04
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES

- 1 BvR 2095/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 23. August 2004 - 5 W 1596/04 -

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Hömig, Bryde, Gaier am 8. November 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 23. August 2004 - 5 W 1596/04 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

2. Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und für das Verfahren betreffend den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zurückweisung eines Prozesskostenhilfeantrages für eine Klage, gerichtet auf Rückübertragung von vier Lebensversicherungsverträgen.

1. Die Beschwerdeführerin war Vorstand und Anteilseignerin einer Aktiengesellschaft. Sowohl die Gesellschaft als auch die Beschwerdeführerin unterhielten Konten bei der im Ausgangsverfahren beklagten Bank. Von dieser erhielt die Beschwerdeführerin ein persönliches Darlehen über 250.000 DM, das nach dem Kreditvertrag unter anderem der Ablösung von Darlehen an die Gesellschaft, insbesondere zur Beseitigung von deren Kreditbeanspruchung bei der Antragsgegnerin, dienen sollte. Die Sicherung des persönlichen Darlehens erfolgte durch Abtretung der Ansprüche von vier auf die Beschwerdeführerin lautenden Lebensversicherungsverträgen über insgesamt 339.377 DM (173.520,70 €).

Nachdem die Beschwerdeführerin die Zahlungen auf das Darlehen eingestellt hatte, drohte die Antragsgegnerin, die Versicherungsverträge zu kündigen und die Rückkaufswerte einzuziehen.

Mit ihrer Klage vor dem Landgericht begehrte die Beschwerdeführerin die Rückübertragung der Forderungen aus den Lebensversicherungsverträgen. Dieser Anspruch sei aus § 812 Abs. 1 BGB begründet. Der Kreditvertrag sei nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, weil er nur dazu gedient habe, der Antragsgegnerin auf Kosten der übrigen Gläubiger der Gesellschaft eine bessere Absicherung zu ermöglichen.

Das Landgericht lehnte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Für die Begebung der Sicherheiten liege ein Rechtsgrund vor, da selbst dann, wenn der Darlehensvertrag nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig wäre, hiervon der Sicherungsvertrag nicht berührt wäre. Die Nichtigkeit des Sicherungsvertrages selbst werde nicht behauptet. Auf die Frage, ob die Kondiktion wegen § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen sei, komme es daher nicht an.

Das Oberlandesgericht wies die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin wegen mangelnder Erfolgsaussicht zurück. Fraglich sei bereits, ob die Ausreichung des Kredits an die Beschwerdeführerin sittenwidrig sei. Bei der vorliegenden Sachlage sei bereits fraglich, ob es sich um ein die Insolvenzanfechtungsvorschriften umgehendes Geschäft der Antragsgegnerin handele, das unter Umständen zur Sittenwidrigkeit führen könnte. Für diesen Fall wäre weiter sehr fraglich, ob tatsächlich nur das Verpflichtungsgeschäft oder nicht auch die Sicherungsübereignung der genannten Lebensversicherungen von der Sittenwidrigkeit umfasst würde. Darauf komme es jedoch letztlich nicht an, da für den Fall, dass von einer Sittenwidrigkeit insgesamt auszugehen wäre, was nach Auffassung des Gerichts eher nicht der Fall sei, die Vorschrift des § 817 Satz 2 BGB zum Tragen käme. Es sei davon auszugehen, dass beide Parteien das Geschäft gewollt und in Kenntnis sämtlicher Umstände abgeschlossen hätten. Aus diesem Grunde könne die Beschwerdeführerin hinsichtlich einer etwaigen Sittenwidrigkeit nicht besser gestellt werden als die Antragsgegnerin.

2. Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde unter anderem die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG durch den Beschluss des Oberlandesgerichts.

Das Oberlandesgericht habe die Klage der Beschwerdeführerin nicht auf ihre Erfolgsaussicht geprüft, sondern nur vage rechtliche Betrachtungen angestellt. Auf die Ausführungen der Beschwerdeführerin zum Problem des § 817 Satz 2 BGB sei das Gericht überhaupt nicht eingegangen. Die rechtliche Begründung sei floskelhaft; das Aufwerfen von Problemen mit der Formulierung, es sei "fraglich", stelle keine rechtliche Begründung der den Prozesskostenhilfeantrag abweisenden Entscheidung dar.

3. Die Bayerische Staatsregierung und die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93 c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt.

1. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c BVerfGG).

Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Auslegung der Vorschriften über die Prozesskostenhilfe bezüglich der Anforderungen an die Erfolgsaussicht einer Klage sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (vgl. BVerfGE 81, 347 <356 ff.>).

2. Der Beschluss des Oberlandesgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

a) Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und weniger Bemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 81, 347 <356>). Es ist zwar verfassungsrechtlich unbedenklich, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen (BVerfGE 81, 347 <357>).

Die Auslegung und Anwendung des § 114 ZPO obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Das Bundesverfassungsgericht kann hier nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen (vgl. BVerfGE 56, 139 <144> m.w.N.). Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht verfassungsrechtlich zukommt, erst dann, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer weniger bemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird. Das ist namentlich dann der Fall, wenn das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung überspannt. Ein Fachgericht, das § 114 ZPO dahin auslegt, dass auch schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren "durchentschieden" werden können, verkennt damit die Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit (vgl. BVerfGE 81, 347 <357 ff.>).

b) Unter Anlegung dieses Maßstabs verstößt die Entscheidung des Oberlandesgerichts gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Denn das Gericht hat die Anforderungen an die Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe überspannt, indem es eine schwierige Rechtsfrage bereits im summarischen Verfahren "durchentschieden" hat.

Das Oberlandesgericht ist mit seinem Beschluss in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der höchstrichterlichen Rechtsprechung und herrschenden Meinung in der Literatur abgewichen; ein solches Vorgehen muss aber - selbst wenn es unter Heranziehung schlüssiger Argumente gut begründet wäre - im Hinblick auf die im summarischen Verfahren nicht in ausreichender Weise gegebene Möglichkeit zur Vertiefung und Verdeutlichung des eigenen Rechtsstandpunktes der Parteien - zum Beispiel in einer mündlichen Verhandlung - dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Den tragenden Rechtsgrund für die prognostizierte Erfolglosigkeit der Klage sah das Oberlandesgericht in der Anwendung von § 817 Satz 2 BGB, der den auf § 812 Abs. 1 BGB gestützten Anspruch der Beschwerdeführerin auf Rückgewähr der sicherungshalber abgetretenen Ansprüche unabhängig vom Ergebnis der zuvor erörterten Voraussetzungen zu Fall bringen sollte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich die Literatur, wenn auch mit unterschiedlichen Begründungen, so doch jedenfalls im Ergebnis ganz einhellig, angeschlossen hat, werden durch § 817 Satz 2 BGB aber nur solche Leistungen erfasst, die endgültig in das Vermögen des Empfängers übergehen sollen. Für Leistungen, die nur sicherungshalber bewirkt werden und bestimmungsgemäß zurückzugeben sind, wenn der Sicherungszweck entfällt, treffe diese Voraussetzung nicht zu (BGHZ 19, 205 ff. = NJW 1956, S. 177 f. m.w.N. zur Rechtsprechung des Reichsgerichts; im Ergebnis ebenso Lieb, in: Münchener Kommentar zum BGB, Band 5, 4. Aufl., 2004, § 817 Rn. 25 unter Darstellung der unterschiedlichen Begründungsansätze; Westermann, in: Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, Band 2, 11. Aufl., 2004, § 817 Rn. 14; Sprau, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 63. Aufl., 2004, § 817 Rn. 17).

c) Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem dargelegten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Gericht bei Beachtung der sich aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Anforderungen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

Insbesondere lassen sich dem angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts keine hilfsweisen Gründe entnehmen, auf die die Entscheidung bei Wegfall der Hauptbegründung hätte gestützt werden können. Denn das Gericht bleibt bei der Untersuchung der Tatbestandsvoraussetzungen der Anspruchsnorm bei bloßen rechtlichen Erwägungen stehen, ohne sich auf ein Ergebnis festzulegen. Die Prüfung, ob bei Wegfall der Einwendung aus § 817 Satz 2 BGB der Anspruch bereits am Fehlen der Sittenwidrigkeit des Vertrages oder an der Eigenständigkeit der abgeschlossenen Sicherungsverträge scheitern würde, ist aber Aufgabe der Instanzgerichte; erst wenn sie über die offenen Fragen eine Entscheidung getroffen haben, ist diese der verfassungsrechtlichen Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht zugänglich.

3. Die Kammer hebt deshalb nach § 93 c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG den Beschluss des Oberlandesgerichts auf und verweist die Sache an dieses zurück.

III.

Mit dieser Entscheidung erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

IV.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 und 3 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).



Ende der Entscheidung

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