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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 11.09.2000
Aktenzeichen: 1 BvR 2107/98
Rechtsgebiete: BGB, BVerfGG, GG


Vorschriften:

BGB § 709
BGB § 710
BGB § 133
BVerfGG § 34 a Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2107/98 -

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

der Frau G...

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Heinz-Ulrich Schwarz und Koll., Zschopauer Straße 48, Chemnitz -

gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 15. Oktober 1998 - 7 U 1216/98 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier und die Richter Steiner, Hoffmann-Riem

am 11. September 2000 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das Urteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 15. Oktober 1998 - 7 U 1216/98 - verletzt Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Der Freistaat Sachsen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen des rechtlichen Gehörs in einem zivilgerichtlichen Verfahren.

1. Die Beschwerdeführerin war neben der Beklagten zu 1. des Ausgangsverfahrens bis zum 31. August 1997 einzige Gesellschafterin der R & G... GbR.

Die Beklagte zu 1. schloss für die Gesellschaft mit dem Kläger des Ausgangsverfahrens im Mai 1997 einen Werkvertrag ab, nach dem dieser bestimmte Bauarbeiten durchzuführen hatte. Im Rahmen von Nachtragsvereinbarungen wurde - so der Vortrag des Klägers, dem Landgericht und Oberlandesgericht gefolgt sind - eine Abschlagszahlung vereinbart, die der Kläger bei Erreichen eines bestimmten Bautenstandes erhalten sollte. Nachdem der Kläger im Juli 1997 von der R & G... GbR eine Abschlagszahlung in Höhe von 23.000,00 DM gefordert hatte, kündigte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 4. August 1997 die Gesellschaft zum 31. August 1997. Auf der Gesellschafterversammlung vom 14. August 1997 trafen die Beklagten folgende Vereinbarung:

"Mit der heutigen Gesellschafterversammlung wird dem Ausscheiden von Frl. G... als Gesellschafterin der R & G ... GbR zugestimmt.

Die Firma läuft ab dem 01.09.1997 als Einzelfirma, mit folgender Bezeichnung: R & G ... Inhaberin R...

Die Bezeichnung wird so beibehalten, um bestehende Verträge mit Kunden und Auftraggebern zu belassen."

Zugleich vereinbarten die Beklagte zu 1. und die Beschwerdeführerin, diese ab 1. September 1997 als Sekretärin des Unternehmens einzustellen.

Der Kläger erhob im Dezember 1997 Zahlungsklage gegen die Beklagte zu 1. und die Beschwerdeführerin als Gesamtschuldnerinnen vor dem Landgericht. Das Landgericht verurteilte die Beklagten als Gesamtschuldnerinnen zur Zahlung von 23.000,00 DM zuzüglich 4 % Zinsen ab 22. August 1997.

Gegen das landgerichtliche Urteil legte die Beschwerdeführerin - nicht jedoch die Beklagte zu 1. - Berufung ein. Zur Begründung trug sie vor, dass zwischen ihr und dem Kläger kein Vertrag geschlossen worden sei. Sie sei nach §§ 709, 710 BGB nicht wirksam von der Beklagten zu 1. vertreten worden, da Regelungen über die Geschäftsführung zwischen den Gesellschafterinnen nicht vereinbart worden seien. Von dem Vertrag mit dem Kläger habe sie selbst nichts gewusst.

Mit Beschluss vom 19. August 1998 wies das Oberlandesgericht den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren zurück. Die Berufung habe keine Aussicht auf Erfolg. Insbesondere hafte die Beschwerdeführerin als Gesamtschuldnerin. Die Beschwerdeführerin habe das alleinige Handeln der früheren Beklagten zu 1. für die Gesellschaft geduldet. Das lege nahe, dass die frühere Beklagte zu 1. und die Beschwerdeführerin wenigstens stillschweigend vereinbart hätten, um die Geschäfte der Gesellschaft solle sich die frühere Beklagte zu 1. kümmern, der dann durch konkludente gesellschafterliche Vereinbarung allein Vertretungsmacht für die R & G ... GbR eingeräumt worden sei. Die Frage nach der Regelung der Vertretungsmacht im Gesellschaftsvertrag bedürfe jedoch keiner abschließenden Entscheidung. Die Beschwerdeführerin hafte nämlich in jedem Fall auf Grund des im Protokoll der Gesellschafterversammlung vom 14. August 1997 festgehaltenen Beschlusses. Danach habe die Beschwerdeführerin nämlich der früheren Beklagten zu 1. gestattet, die Bezeichnung "R & G ... GbR" weiter zu verwenden, um bestehende Verträge mit Kunden und Auftraggebern zu belassen. Damit habe sie alle zuvor abgeschlossenen Verträge, soweit diese bisher von der von ihr eingeräumten Vertretungsmacht nicht gedeckt gewesen sein sollten, nachträglich genehmigt.

Mit ihrer Beschwerde gegen diesen Beschluss machte die Beschwerdeführerin geltend, das Gericht habe den Inhalt des Gesellschafterbeschlusses vom 14. August 1997 fehlgedeutet. Sie selbst und die frühere Beklagte zu 1. hätten übereinstimmend bei Abfassung der Erklärung die Absicht verfolgt, jegliche Haftung der Beschwerdeführerin - soweit irgend möglich - für die Vergangenheit und die Zukunft auszuschließen. Für die Tatsache, dass auch die frühere Beklagte zu 1. diese Trennungsvereinbarung nicht als Genehmigung früherer Verträge angesehen habe, benannte die Beschwerdeführerin jene als Zeugin. Mit Beschluss vom 15. September 1998 wies das Oberlandesgericht die als Gegenvorstellung gewertete Beschwerde zurück. Die Passage im Protokoll - so das Oberlandesgericht in dem Beschluss - mache nur Sinn, wenn die Beklagte die Verträge genehmigen wollte. Sofern aus diesen nur die Beklagte zu 1. verpflichtet gewesen sei und es weiterhin sein sollte, wäre diese Passage überflüssig. Für die Interpretation der Beschwerdeführerin, ihre Haftung sei auf Grund der Trennungsvereinbarung für Vergangenheit und Zukunft auszuschließen, sei aus dem Text des Protokolls nichts ersichtlich.

In der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 1998 beantragte der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin erneut, die frühere Beklagte zu 1. als Zeugin darüber zu vernehmen, wie sie die protokollierte Gesellschaftererklärung der Beschwerdeführerin verstanden habe. Ohne über diesen Beweisantrag förmlich entschieden zu haben, wies das Oberlandesgericht die Berufung mit Urteil vom 15. Oktober 1998 allein unter Hinweis auf die Ausführungen des landgerichtlichen Urteils sowie der Senatsbeschlüsse vom 19. August 1998 und 15. September 1998 zurück. Das Urteil wurde dem Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin am 22. Oktober 1998 zugestellt.

2. Am 18. November 1998 hat die Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt die Verletzung ihres Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG. Das Oberlandesgericht habe das verfassungsrechtlich gebotene rechtliche Gehör verweigert, da es seine Entscheidung maßgeblich auf die Erklärung im Protokoll der Gesellschafterversammlung vom 14. August 1997 gestützt habe, ohne - wie von der Beschwerdeführerin beantragt - die frühere Beklagte zu 1. als Zeugin vernommen zu haben. Diese hätte bestätigen können, dass die protokollierte Erklärung nicht die ihr vom Oberlandesgericht zugeschriebene Bedeutung einer Genehmigung sämtlicher im Namen der Gesellschaft abgeschlossenen Verträge durch die Beschwerdeführerin gehabt habe. Es sei nicht ausgeschlossen, dass nach Vernehmung der Zeugin die Klage abgewiesen worden wäre.

3. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz und dem Gegner des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 60, 247 <249>; 60, 250 <252>; 69, 145 <148>). Danach ist die zulässige Verfassungsbeschwerde auch begründet.

Nach Art. 103 Abs. 1 GG haben die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, sich vor Erlass der Entscheidung zu dem zu Grunde liegenden Sachverhalt zu äußern. Diesem Recht entspricht die Pflicht des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Prozessbeteiligten sind insbesondere befugt, Anträge zu stellen (vgl. BVerfGE 69, 145 <148> m.w.N.). Erhebliche Beweisanträge müssen vom Gericht berücksichtigt werden (vgl. BVerfGE 60, 247 <249>; 60, 250 <252>; 69, 145 <148>).

Das Oberlandesgericht hat die Frage, ob die frühere Beklagte zu 1. zumindest mit entsprechender Duldungs- oder Anscheinsvollmacht der Beschwerdeführerin gehandelt hat, ausdrücklich offen gelassen und seine Entscheidung ausschließlich auf die Erklärung der Gesellschafterinnen vom 14. August 1997 gestützt. Das Gericht ist davon ausgegangen, dass diese Erklärung von Seiten der Beschwerdeführerin nur als nachträgliche Genehmigung der zuvor im Namen der Gesellschaft von der früheren Beklagten zu 1. abgeschlossenen Verträge verstanden werden könne. Da es sich jedoch um eine empfangsbedürftige Willenserklärung der Beschwerdeführerin gegenüber ihrer Mitgesellschafterin handelt, wäre es rechtlich geboten gewesen zu ermitteln, welchen Sinngehalt diese der Erklärung beigemessen hat. Nach § 133 BGB, der auch bei der Auslegung von Willenserklärungen im Verhältnis zweier Mitgesellschafter Anwendung findet, ist der übereinstimmende Wille von Erklärendem und Adressaten rechtlich auch dann allein maßgeblich, wenn er im Inhalt der Erklärung keinen oder nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden hat (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 1956 - II ZR 207/54 -, BGHZ 20, 109 <110>; Urteil vom 26. April 1978 - VIII ZR 236/76 -, BGHZ 71, 243 <247>). Daher wäre es erforderlich gewesen, die frühere Beklagte zu 1. als Zeugin zu vernehmen.

Die angegriffene Entscheidung beruht auch auf dem Gehörsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass sie anders ausgefallen wäre, wenn das Oberlandesgericht die von der Beschwerdeführerin benannte Zeugin vernommen hätte (vgl. BVerfGE 62, 249 <255 f.>). Das Gericht wäre dann möglicherweise zu dem Ergebnis gelangt, dass die Mitgesellschafterin die Erklärung der Beschwerdeführerin entsprechend deren Vortrag gerade nicht als Genehmigung der früheren Verträge verstanden hat.

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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