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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 25.07.2003
Aktenzeichen: 1 BvR 234/01
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 14 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 234/01 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 6. Dezember 2000 - 19 W 3/94 AktE - in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 12. Februar 2001 - 19 W 3/94 AktE -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, die Richterin Haas und den Richter Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 25. Juli 2003 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

1. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die gerichtliche Nachprüfung des in einem Verschmelzungsvertrag bestimmten Aktienumtauschverhältnisses.

Die Beschwerdeführer sind Aktionäre der H. AG (im Folgenden: H. AG). Die H. AG wurde aufgrund eines Verschmelzungsvertrags vom 9. Mai 1989 mit der D. AG verschmolzen. Zuvor hatte die H. AG sich im Jahr 1971 durch einen Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag der D. AG unterstellt. Der Vertrag aus dem Jahr 1971 wurde im Jahr 1979 durch einen neuen Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag ersetzt, der bis zur Verschmelzung gültig war. Die Ausgleichs- und Abfindungsregelung des Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrags von 1979 war Gegenstand eines rechtskräftig abgeschlossenen Spruchstellenverfahrens, in dem der Antrag auf Festsetzung eines anderweitigen angemessenen Ausgleichs zurückgewiesen wurde.

Der Verschmelzungsvertrag vom Mai 1989 sah zum festgelegten Stichtag, dem 1. Januar 1989, ein Umtauschverhältnis von 1 H.-Aktie in 1,85 Aktien der D. AG vor. Die Beschwerdeführer stellten einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung zur Bestimmung einer baren Zuzahlung zu dem Umtauschverhältnis.

Das Landgericht wies die Anträge auf Zahlung eines Ausgleichs zurück. Das Oberlandesgericht hat den Beschluss des Landgerichts abgeändert und eine bare Zuzahlung gemäß § 352 c Abs. 1 Satz 2 AktG a.F. angeordnet. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, das Umtauschverhältnis solle zu einer wirtschaftlichen Identität zwischen der Anteilsinhaberschaft bei der übertragenden und der übernehmenden Gesellschaft führen. Für die Bestimmung des Umtauschverhältnisses sei daher die Bewertung beider Unternehmen erforderlich. Dabei sei für die Bewertung der H. AG auf den 31. Dezember 1988 als Stichtag abzustellen. Die Auffassung der Beschwerdeführer, vorliegend sei als Stichtag auf den 16. Juni 1971 abzustellen, dem Wirksamwerden des ersten Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrags, sei mit dem Wortlaut des § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG nicht zu vereinbaren, verstoße gegen die gesetzliche Systematik und führe zu einer mit den aktienrechtlichen Wertungen nicht übereinstimmenden Bevorzugung der außenstehenden Aktionäre. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer könnten dem Liquidationswert auch nicht die Vermögenswerte hinzugerechnet werden, die vor dem Stichtag als stille Reserven aufgelöst worden seien. Eine derartige Abweichung von dem Stichtagsprinzip könne nur ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs in Betracht kommen. Hier habe die D. AG jedoch nicht rechtsmissbräuchlich gehandelt. Die Auflösung stiller Reserven im Rahmen eines Gewinnabführungsvertrages sei zulässig. Etwas anderes ergebe sich auch nicht deshalb, weil der Senat in seiner Entscheidung zu dem Unternehmensvertrag aus dem Jahre 1979 an dem Ertragswertverfahren festgehalten habe und daher die stillen Reserven ohne Ausgleich aufgelöst worden seien. Dabei könne offen bleiben, ob die konkrete Anwendung des Ertragswertverfahrens im damaligen Verfahren den verfassungsrechtlichen Anforderungen nach heutiger Erkenntnis gerecht geworden sei. Denn einer Berücksichtigung dieses Umstandes stehe die materielle Rechtskraft der früheren Entscheidung des Senats entgegen. Die Wirkung der Rechtskraft würde unterlaufen, wenn im jetzigen Verfahren der Liquidationswert der H. AG unter Berücksichtigung der Gewinne aus der Realisierung der stillen Reserven neu bestimmt werden würde.

2. Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG durch den Beschluss des Oberlandesgerichts. Die Auffassung des Oberlandesgerichts, für die Bewertung der H. AG sei nur das am Stichtag verbliebene Restvermögen zu berücksichtigen, sei verfassungswidrig. Aus Art. 14 Abs. 1 GG folge, dass bei der gerichtlichen Überprüfung des Umtauschverhältnisses nach § 352 c Abs. 1 Satz 2 AktG a.F. die Auflösung stiller Reserven der übertragenden Gesellschaft während der Dauer eines vorhergehenden Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrags korrigierend berücksichtigt werden müsse.

II.

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor.

Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die von ihr aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen betreffen den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG im Zusammenhang mit dem Aktieneigentum von Minderheitsaktionären und sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (vgl. BVerfGE 14, 263; 100, 289). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <26>). Der angegriffene Beschluss verletzt die Beschwerdeführer nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG.

Art. 14 Abs. 1 GG schützt das Eigentum. Dazu gehört auch das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum, das im Rahmen seiner gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltung durch Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis gekennzeichnet ist (vgl. BVerfGE 14, 263 <276 f.>; 25, 371 <407>; 50, 290 <339>; 100, 289 <301>). Der Schutz erstreckt sich auf die mitgliedschaftliche Stellung in einer Aktiengesellschaft, die das Aktieneigentum vermittelt. Aus der mitgliedschaftlichen Stellung erwachsen dem Aktionär im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Gesellschaftssatzung sowohl Leitungsbefugnisse als auch vermögensrechtliche Ansprüche (vgl. BVerfGE 14, 263 <276>; 100, 289 <301 f.>). Art. 14 Abs. 1 GG steht der Eingliederung einer Aktiengesellschaft in einen Konzern gegen den Willen einer Aktionärsminderheit nicht entgegen, solange die berechtigten Interessen der Minderheitsaktionäre gewahrt bleiben (vgl. BVerfGE 14, 263; 100, 289 <302 ff.>). Der Schutz der Minderheitsaktionäre erfordert insbesondere, dass sie für den Verlust ihrer Rechtsposition und die Beeinträchtigung ihrer vermögensrechtlichen Stellung wirtschaftlich voll entschädigt werden (vgl. BVerfGE 100, 289 <304>). Daher muss die Entschädigung den "wirklichen" oder "wahren" Wert des Anteilseigentums widerspiegeln (vgl. BVerfGE 100, 289 <306>).

Die Regelungen der §§ 339 ff. AktG a.F. hinsichtlich der gerichtlichen Nachprüfung des Umtauschverhältnisses bei einer Verschmelzung, auf die das Oberlandesgericht seinen Beschluss gestützt hat, entsprechen als Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen. Insbesondere § 352 c Abs. 1 Satz 2 AktG a.F., wonach das im Verschmelzungsvertrag bestimmte Umtauschverhältnis durch die gerichtliche Anordnung barer Zuzahlungen korrigiert werden kann, gewährleistet eine angemessene Entschädigung der Minderheitsaktionäre der übertragenden Gesellschaft (vgl. BVerfGE 100, 289 <304> zum Spruchstellenverfahren gem. §§ 306, 320 b AktG).

Auch die Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften durch das Oberlandesgericht sind mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar.

Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich zulässiger Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums im Aktienrecht sind Sache der Zivilgerichte. Diese müssen dabei dem durch die zivilrechtlichen Normen ausgestalteten oder eingeschränkten Grundrecht Rechnung tragen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt. Bei der Nachprüfung des Umtauschverhältnisses gemäß § 352 c Abs. 1 Satz 2 AktG a.F. verlangt Art. 14 Abs. 1 GG vor allem, dass der vollständige Ausgleich für die Beeinträchtigung der vermögensrechtlichen Stellung der Aktionäre nicht verfehlt wird.

Diesen Anforderungen entspricht der angegriffene Beschluss, soweit das Oberlandesgericht für die Bewertung der übertragenden Gesellschaft auf den Zeitpunkt der Verschmelzung abgestellt und dabei die Auflösung stiller Reserven während der Dauer der vorhergehenden Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge nicht korrigierend berücksichtigt hat. Der durch Art. 14 Abs. 1 GG gebotene Ausgleich zugunsten der Minderheitsaktionäre nach § 352 c Abs. 1 Satz 2 AktG a.F. soll die Auswirkungen gerade der Verschmelzung kompensieren (vgl. BVerfGE 100, 289 <304>). Gewährleistet werden soll, dass die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft durch die Verschmelzung keine Beeinträchtigung ihrer vermögensrechtlichen Stellung erleiden, also den Gegenwert ihrer Beteiligung an der übertragenden Gesellschaft in Form von Aktien der übernehmenden Gesellschaft zuzüglich des Ausgleichs erhalten. Die vor Abschluss des Verschmelzungsvertrags erfolgte Auflösung stiller Reserven stellt jedoch keine auf dem Verschmelzungsvertrag beruhende Beeinträchtigung der vermögensrechtlichen Position der Minderheitsaktionäre dar. Es handelt sich vielmehr um eine Auswirkung der früheren Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge. Der Ausgleich nach § 352 c Abs. 1 Satz 2 AktG a.F. stellt gemäß seiner verfassungsrechtlichen Zielsetzung aber keine nachträgliche Entschädigung für in der Vergangenheit auf Grundlage anderer Gesellschaftsverträge eingetretener Nachteile dar. Dieses begehren jedoch der Sache nach die Beschwerdeführer: Ihnen geht es darum, anlässlich der gerichtlichen Nachprüfung des in dem Verschmelzungsvertrag vorgesehenen Umtauschverhältnisses die Auswirkungen der Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge von 1971 und 1979 zu korrigieren. Beeinträchtigungen der Rechtspositionen von Minderheitsaktionären, die mit der Durchführung von Gesellschaftsverträgen verbunden sind, werden jedoch bereits durch die in den jeweiligen Gesellschaftsverträgen enthaltenen Abfindungs- und Ausgleichsregelungen kompensiert; diese Regelung begegnet auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfGE 100, 289 <302 ff.>).

Für die Bestimmung des Ausgleichs nach § 352 c Abs. 1 Satz 2 AktG a.F. ist es aus verfassungsrechtlicher Sicht auch unerheblich, ob die rechtskräftige gerichtliche Überprüfung einer früheren Ausgleichsregelung den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt hat. Die Minderheitsaktionäre haben dann zwar für die auf dem früheren Unternehmensvertrag beruhende Beeinträchtigung ihrer vermögensrechtlichen Stellung möglicherweise keinen angemessenen Ausgleich erhalten; dies steht aber in keinem Zusammenhang mit der Frage, welche Beeinträchtigung ihrer eigentumsrechtlichen Stellung gerade durch den Verschmelzungsvertrag eintritt und kompensiert werden muss.

Zudem folgt aus der von Art. 14 Abs. 1 GG geforderten verfahrensrechtlichen Absicherung der Aktionärsstellung zwar, dass eine Abfindungs- und Ausgleichsregelung gerichtlich überprüfbar sein muss (vgl. BVerfGE 14, 263 <283>; 100, 289 <304>). Nach rechtskräftiger Durchführung des Spruchstellenverfahrens tritt jedoch die materiell-rechtliche Position des Eigentümers hinter das Interesse an Rechtssicherheit zurück (zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der materiellen Rechtskraft vgl. BVerfGE 35, 41 <47>; 60, 253 <268 f.>).

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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