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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 17.03.2008
Aktenzeichen: 1 BvR 3069/06
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 12 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 3069/06 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Landgerichts Weiden in der Oberpfalz vom 15. November 2006 - 2 T 130/06 -,

b) das Zwischenurteil des Amtsgerichts Weiden in der Oberpfalz vom 5. September 2006 - 1 C 637/05 -

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Hohmann-Dennhardt und die Richter Gaier, Kirchhof gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 17. März 2008 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Dem Beschwerdeführer wird eine Missbrauchsgebühr in Höhe von 500 € (in Worten: fünfhundert Euro) auferlegt.

Gründe:

I.

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich ein Rechtsanwalt gegen seine Verpflichtung, in einem Zivilprozess als Zeuge auszusagen.

1. a) Der Beschwerdeführer war bis Ende 2005 bei einem anderen Rechtsanwalt angestellt. Er hatte 2004 den Beklagten des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagten) in zwei Strafverfahren verteidigt. Nachdem der Beklagte das ihm berechnete Honorar nicht zahlte, erhob der Beschwerdeführer Mitte 2005 im Namen seines Arbeitgebers Zahlungsklage beim Amtsgericht. In der Klageschrift und in der ebenfalls vom Beschwerdeführer unterschriebenen Replik wird der Beschwerdeführer als Zeuge für die streitige Beauftragung und die ordnungsgemäße Erbringung der abgerechneten anwaltlichen Leistungen benannt. Das Amtsgericht hat Mitte 2006 einen Beweisbeschluss erlassen, wonach der Beschwerdeführer hinsichtlich der streitgegenständlichen Rechnungen zum Umfang und zu der Art des Tätigwerdens für den Beklagten als Zeuge vernommen werden soll.

Der Beschwerdeführer bat daraufhin zunächst, das Amtsgericht möge die schriftliche Beantwortung der Beweisfragen anordnen oder seine Vernehmung durch einen ersuchten Richter durchführen lassen. Ihm sei ein Erscheinen vor dem Prozessgericht, das aufgrund seines zwischenzeitlichen Umzuges fast 500 km von seinem neuen Wohn- und Kanzleiort entfernt liege, zur Beantwortung der einfachen Beweisfrage nicht zumutbar. Nachdem es gleichwohl bei einem Termin zur Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht verblieb, erschien der Beschwerdeführer nicht, sondern berief sich nun auf ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO, weil ihn der Beklagte nicht von der Pflicht zur Verschwiegenheit entbunden habe.

b) Das Amtsgericht entschied durch Zwischenurteil, die Aussageverweigerung des Beschwerdeführers sei nicht rechtmäßig. Bei der Honorarklage eines Rechtsanwalts müsse das Geheimhaltungsinteresse des Mandanten hinter dem Vermögensinteresse des Anwalts zurücktreten, weil der substantiierungspflichtige Rechtsanwalt sonst rechtlos wäre. Gleiches gelte auch für seine Mitarbeiter und auch seine angestellten Rechtsanwälte.

Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wies das Landgericht zurück. Der Beschwerdeführer dürfe nicht nur aussagen, sondern er müsse es auch. Da die Voraussetzungen für eine Geheimnisoffenbarung nach dem Güter- und dem Interessenabwägungsprinzip gegeben seien, könne er sich nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen.

Anschließend bestimmte das Amtsgericht erneut einen Termin, zu dem der Beschwerdeführer als Zeuge geladen wurde. Nun bat der Beschwerdeführer um Terminsverlegung und machte "als Zeuge zur vorliegenden Sache ... schriftliche(n) Ausführungen" über die Umstände der Beauftragung und seine Tätigkeit in beiden Strafverteidigungen.

Wegen der drei Tage nach diesem Schriftsatz eingelegten Verfassungsbeschwerde hat das Amtsgericht bislang keinen neuen Termin zur Zeugenvernehmung angeordnet.

2. Mit seiner gegen das Zwischenurteil und die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts gerichtete Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG.

Das Zeugnisverweigerungsrecht für Rechtsanwälte bezwecke den von Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Die angegriffenen Entscheidungen würden die Verschwiegenheitspflicht zu einer prozessualen Aussagepflicht verkehren, obwohl nach § 385 Abs. 2 ZPO eine Pflicht zur Aussage nur bestehe, wenn der Geheimnisträger von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sei.

Der Beschwerdeführer hat in der Begründung seiner Verfassungsbeschwerde weder sein ursprüngliches Bestreben, die Beweisfragen schriftlich beantworten zu dürfen oder hilfsweise durch einen ersuchten Richter vernommen zu werden, noch seine schriftlichen Angaben zur Sache erwähnt.

3. Gelegenheit zur Stellungnahme haben die Bayerische Staatsregierung, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein, der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein sowie die Parteien des Ausgangsverfahrens erhalten.

II.

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor.

1. Es kann offen bleiben, ob der lückenhafte Vortrag in der Verfassungsbeschwerde den Begründungsanforderungen der §§ 23, 92 BVerfGG an einen schlüssigen und vollständigen Vortrag, der das Bundesverfassungsgericht in die Lage versetzen soll, ohne weitere Ermittlungen die Entscheidung über die Annahme der Verfassungsbeschwerde zu treffen, genügt.

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist bereits deshalb nicht angezeigt, weil der Beschwerdeführer vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde von sich aus seine Kenntnisse über die beiden Strafverteidigungen zu den Akten des Amtsgerichts offenbarte. Da der Beschwerdeführer hiernach von dem beanspruchten Recht zur Verschwiegenheit selbst nur eingeschränkt und nicht mit dem Ziel des Schutzes des Vertrauensverhältnisses zum Mandanten Gebrauch macht, betreffen ihn die angegriffenen Entscheidungen nicht existenziell (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Ebenso wenig kommt der von ihm behaupteten Grundrechtsverletzung besonderes Gewicht zu; insbesondere lassen die angegriffenen Entscheidungen keinen leichtfertigen Umgang mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit erkennen (vgl. BVerfG, a.a.O.).

2. Die Auferlegung einer Missbrauchsgebühr in Höhe von 500 € beruht auf § 34 Abs. 2 BVerfGG. Die Verfassungsbeschwerde ist missbräuchlich erhoben.

Das Bundesverfassungsgericht muss nicht hinnehmen, dass es in der Erfüllung seiner Aufgabe, grundsätzliche Verfassungsfragen zu entscheiden, die für das Staatsleben und die Allgemeinheit wichtig sind, und - wenn nötig - die Grundrechte des Einzelnen durchzusetzen, behindert wird. Missbräuchlich ist eine Verfassungsbeschwerde dann eingelegt, wenn sie offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist und ihre Einlegung von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss. Auch der Versuch, dem Bundesverfassungsgericht die Kenntnis eines offensichtlich bedeutsamen Teils des vorangegangenen Verfahrens vorzuenthalten, ist jedenfalls dann missbräuchlich, wenn dies Ermittlungen des Gerichts auslöst (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. August 1994 - 2 BvR 983/94 und 2 BvR 1258/94 -, NJW 1995, S. 385; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. September 2001 - 1 BvR 305/01 -, NJW 2002, S. 955).

So liegt es hier. Erst durch die Beiziehung und Auswertung der Akte des Ausgangsverfahrens ist die vom Beschwerdeführer gegenüber dem Amtsgericht erklärte Bereitschaft zur schriftlichen Beantwortung der Beweisfragen und sein erfolgloses Bestreben, durch einen ersuchten Richter am Ort seiner Kanzlei vernommen zu werden, bekannt geworden. Der Beschwerdeführer hat auch verschwiegen, dass er wenige Tage vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde von sich aus die wesentlichen Umstände der beiden Strafverteidigungen schriftlich offenbart hat. Diese Tatsache ist für die Beurteilung, ob die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt ist, von erheblicher Bedeutung. Die Vorenthaltung dieser bedeutsamen Teile des Ausgangsverfahrens zeigt, dass das Ziel des Beschwerdeführers nicht die verfassungsgemäße Sicherung seiner Berufsfreiheit, sondern die auf Bequemlichkeit beruhende Vermeidung der Unannehmlichkeiten einer Zeugenvernehmung vor einem 480 Kilometer entfernten Prozessgericht war. Wegen des lückenhaften Vortrags hat das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung über die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht auf der Grundlage der Beschwerdeschrift getroffen, sondern nach §§ 27a, 94 BVerfGG Stellungnahmen eingeholt und die Akte des Ausgangsverfahrens beigezogen und ausgewertet. Angesichts dieses Aufwands, der bei vollständiger Sachverhaltsschilderung hätte vermieden werden können, erscheint eine Missbrauchsgebühr von 500 € als angemessen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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