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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 13.04.2000
Aktenzeichen: 1 BvR 589/95
Rechtsgebiete: BVerfGG, BGB, StGB


Vorschriften:

BVerfGG § 93 b
BVerfGG § 93 a
BVerfGG § 93 a Abs. 2
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe a
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG § 93 d Abs. 1 Satz 3
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 1004
StGB § 186
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 589/95 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

der Frau S...

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Reinhard Schön und Koll., Roonstraße 71, Köln -

gegen

a) das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 8. Februar 1995 - 27 U 405/94 -,

b) das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 15. April 1994 - 2 O 5180/93 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier und die Richter Steiner, Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 13. April 2000 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen zivilgerichtliche Urteile, durch die die Beschwerdeführerin zur Unterlassung von Äußerungen verurteilt worden ist, die sie als Interviewpartnerin im Zusammenhang mit einer Fernsehreportage über die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) getätigt hatte.

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Ihr kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) noch ist die Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

1. Das Grundrecht auf rechtliches Gehör im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG wird durch die angegriffenen Entscheidungen nicht verletzt. Insbesondere ist die von den Gerichten getroffene Feststellung der Unwahrheit der von der Beschwerdeführerin aufgestellten Behauptungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt sowohl für die Beweiswürdigung als auch für die im Einzelnen begründete Ablehnung von Beweisangeboten der Beschwerdeführerin. Die Nichtberücksichtigung von erheblichen Beweisangeboten verstößt nur dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. BVerfGE 50, 32 <36>; 65, 305 <307>; 69, 141 <144>). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben, wobei gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG insoweit von einer weiteren Begründung abgesehen wird.

2. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin auch nicht in ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

a) Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen - insoweit entgegen der Auffassung des Landgerichts in dem angegriffenen Urteil - nicht nur Werturteile, sondern auch Tatsachenbehauptungen, wenn sie meinungsbezogen sind. Außerhalb des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG liegen nur bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen und solche, deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht. Alle übrigen Tatsachenbehauptungen mit Meinungsbezug genießen den Grundrechtsschutz, auch wenn sie sich später als unwahr herausstellen (vgl. BVerfGE 99, 185 <197>).

Die Meinungsfreiheit ist aber nicht vorbehaltlos gewährleistet. Gemäß Art. 5 Abs. 2 GG findet sie ihre Schranken unter anderem in den allgemeinen Gesetzen und dem Recht der persönlichen Ehre. Dazu gehören auch die Vorschriften der §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB und § 186 StGB, auf die die Gerichte ihre Urteile gestützt haben. Diese Bestimmungen müssen jedoch ihrerseits im Lichte des eingeschränkten Grundrechts ausgelegt und angewandt werden, damit der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts auch auf der Rechtsanwendungsebene Rechnung getragen wird. Dies erfordert eine Abwägung zwischen der in dem Verbot liegenden Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit auf der einen und der Gefährdung des von § 823 Abs. 2 BGB und § 186 StGB geschützten Rechtsguts durch die Äußerung auf der anderen Seite (vgl. BVerfGE 94, 1 <8>). Geht es um Tatsachenbehauptungen, kommt bei der Abwägung dem Wahrheitsgehalt entscheidende Bedeutung zu. Grundsätzlich tritt die Meinungsfreiheit bei unwahren Tatsachenbehauptungen zurück, da unrichtige Informationen nichts zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung beitragen können. Allerdings kann auch eine unwahre Tatsachenbehauptung als im Äußerungszeitpunkt rechtmäßig angesehen werden, insbesondere wenn jemand eine herabsetzende Behauptung über Dritte aufstellt, die nicht seinem eigenen Erfahrungsbereich entstammt (vgl. BVerfGE 85, 1 <22>) und er die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten eingehalten hat. In diesem Fall kommen weder Bestrafung noch Widerruf oder Schadensersatz in Betracht (vgl. BVerfGE 85, 1 <22>; 99, 185 <198>), da ansonsten der öffentliche Kommunikationsprozess zu sehr eingeschränkt würde. Es gibt aber kein durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit gerechtfertigtes Interesse, nach Feststellung der Unwahrheit an der Behauptung festzuhalten. Besteht die Gefahr, dass die Äußerung dessen ungeachtet aufrechterhalten wird, kann der sich Äußernde zur Unterlassung verurteilt werden (vgl. BVerfGE 99, 185 <198>).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze wird die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt. Hierbei kann dahinstehen, ob die Äußerungen trotz ihrer Unwahrheit von dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfasst werden bzw. - bejahendenfalls - möglicherweise im Äußerungszeitpunkt rechtmäßig waren. Hiergegen bestehen allerdings Bedenken, weil die unwahren Tatsachenbehauptungen aus dem eigenen Erfahrungsbereich der Beschwerdeführerin stammten und ihre eigenen Überprüfungsmöglichkeiten nicht überstiegen; eine Verengung des gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses (vgl. BVerfGE 85, 1 <22>) wäre bei einer Sanktionierung derartiger Äußerungen nicht zu befürchten. Ungeachtet dessen muss die Meinungsfreiheit im Rahmen der Abwägung aber schon deshalb zurücktreten, weil der Beschwerdeführerin - lediglich - untersagt worden ist, die streitgegenständlichen Behauptungen in Zukunft zu wiederholen. Nach Feststellung der Unwahrheit hat sie hieran jedoch kein legitimes Interesse mehr. Die für jeden Unterlassungsanspruch erforderliche Begehungsgefahr folgt jedenfalls daraus, dass die Beschwerdeführerin sich sowohl in dem Verfahren vor dem Landgericht bzw. vor dem Oberlandesgericht als auch in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren berühmt hat, die streitgegenständlichen Äußerungen vornehmen zu dürfen. Ein solches Berühmen im Rahmen der Rechtsverteidigung in einem Prozess genügt für die Annahme der Erstbegehungsgefahr (vgl. BGH, GRUR 1992, S. 404 <405>; Prinz/Peters, Medienrecht, 1999, Rn. 332).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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