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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 09.08.2000
Aktenzeichen: 1 BvR 647/98
Rechtsgebiete: BNotO, DONot, RLNot, BVerfGG, GG


Vorschriften:

BNotO § 1
BNotO § 14 Abs. 1 Satz 2
BNotO § 10
BNotO § 78 Nr. 5
BNotO § 10 Abs. 2 Satz 1
BNotO § 10 Abs. 4
BNotO § 67 Abs. 2 Nr. 9
BNotO § 1
BNotO § 11
BNotO § 14 Abs. 1 Satz 2
BNotO § 10 Abs. 2 Satz 2
BNotO § 28
DONot § 5 Abs. 2
RLNot § 7 Satz 1
BVerfGG § 90 Abs. 1
BVerfGG § 93 c Abs. 1 Satz 1
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe a
BVerfGG § 34 a Abs. 2
GG Art. 12 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 12 Abs. 1
GG Art. 14 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 103 Abs. 1
GG Art. 12 Abs. 1 Satz 2
GG Art. 19 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 647/98 -

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

des Rechtsanwalts und Notars R...

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 23. Februar 1998 - Not 43/97 -,

b) die Beschwerdeentscheidung des Niedersächsischen Ministeriums der Justiz und für Europaangelegenheiten vom 16. Oktober 1997 - 1437 E 10 - 202.63/96 -,

c) die Disziplinarverfügung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 15. März 1996 - I R 196 - SH 1 -

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Kühling, die Richterin Jaeger und den Richter Hömig

am 9. August 2000 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 23. Februar 1998 - Not 43/97 -, die Beschwerdeentscheidung des Niedersächsischen Ministeriums der Justiz und für Europaangelegenheiten vom 16. Oktober 1997 - 1437 E 10 - 202.63/96 - und die Disziplinarverfügung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 15. März 1996 - I R 196 - SH 1 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Celle wird aufgehoben. Das Verfahren wird an das Oberlandesgericht Celle zurückverwiesen.

Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Disziplinarverfügung zu Lasten eines Notars, der vor der Änderung der Bundesnotarordnung (BNotO) durch das Dritte Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze vom 31. August 1998 (BGBl I S. 2585, berichtigt BGBl 1999 I S. 194; im Folgenden: 3. BNotO-ÄndG) innerhalb seines Amtsbereichs Beurkundungen außerhalb seiner Geschäftsstelle vorgenommen hatte.

1. Der beschwerdeführende Rechtsanwaltsnotar hat in der Zeit zwischen Februar 1991 und August 1994 insgesamt 656 Urkundsgeschäfte beurkundet, davon 49 außerhalb seiner Geschäftsräume innerhalb seines Amtsbereichs. Zu den Auswärtsbeurkundungen ist es nach seinem Vorbringen jeweils auf Ersuchen der Beteiligten gekommen. Von den 49 Beurkundungen entfielen 35 auf solche Beurkundungen, an denen entweder nur eine Person oder mehrere Personen mit der gleichen Anschrift beteiligt waren; dabei handelte es sich um Vollmachtserklärungen, Grundschuldbestellungen, Erbscheinsanträge oder letztwillige Verfügungen.

Der Präsident des Oberlandesgerichts hat gegen den Beschwerdeführer wegen der Auswärtsbeurkundungen mit Disziplinarverfügung vom 15. März 1996 ein Bußgeld in Höhe von 10.000 DM verhängt. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Niedersächsische Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten zurückgewiesen. Ihm nachfolgend hat das Oberlandesgericht die Geldbuße in Höhe von 10.000 DM bestätigt. Zur Begründung führt das Oberlandesgericht im Wesentlichen aus:

Ein Notar sei grundsätzlich verpflichtet, keine Beurkundungen außerhalb der Notargeschäftsstelle vorzunehmen. Dies ergebe sich aus dem Regelungszusammenhang der §§ 1, 10 und 14 Abs. 1 Satz 2 BNotO vor In-Kraft-Treten des 3. BNotO-ÄndG (BNotO a.F.). Dem Notar werde von der Landesjustizverwaltung ein bestimmter Ort als Amtssitz zugewiesen, an dem er die Geschäftsstelle zu halten habe. Ohne Genehmigung sei er zu auswärtigen Sprechtagen und zur Unterhaltung mehrerer Geschäftsstellen nicht befugt. Die in § 10 BNotO a.F. enthaltenen Regelungen entsprächen der gesetzlich garantierten Unabhängigkeit des Notars (§ 1 BNotO), seiner Pflicht zur Unparteilichkeit (§ 14 Abs. 1 Satz 2 BNotO a.F.) sowie dem Erfordernis einer gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen Notariaten (§ 4 BNotO).

Das grundsätzliche Verbot der Auswärtsbeurkundung sei mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, da es durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt sei. Diese bestünden in der gleichmäßigen Versorgung der rechtsuchenden Bevölkerung mit leistungsfähigen Notariaten und in der Verhinderung eines unerwünschten Wettbewerbs zwischen den Notaren. Die Klarheit der Amtsführung, die Vermeidung des Anscheins einer Gefährdung der Stellung des Notars als unparteiischer Betreuer der Beteiligten (§ 14 Abs. 1 Satz 2 BNotO a.F.) sowie die Notwendigkeit des Zugriffs auf die in der Geschäftsstelle befindlichen allgemeinen Hilfsmittel zur Erfüllung der Informations- und Beratungspflichten und das Verbot der berufswidrigen Werbung seien weitere Gründe, die die Beschränkung der Beurkundungstätigkeit rechtfertigten.

Ausnahmsweise könne von dem Verbot der Beurkundung außerhalb der Geschäftsräume abgesehen werden, insbesondere bei Krankheit oder Behinderung eines Urkundsbeteiligten; auch bei einer großen Anzahl von Beteiligten und nicht ausreichenden Räumlichkeiten in der Geschäftsstelle komme eine Ausnahme in Betracht. Bloße Zweckmäßigkeitserwägungen oder das Ersuchen des oder der Beteiligten um eine Auswärtsbeurkundung allein genügten dagegen nicht.

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Disziplinarverfügung des Präsidenten des Oberlandesgerichts, die Beschwerdeentscheidung des Niedersächsischen Justizministeriums und den Beschluss des Oberlandesgerichts rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 sowie Art. 103 Abs. 1 GG.

Das Oberlandesgericht habe nicht hinreichend beachtet, dass die im Zusammenhang mit Auswärtsbeurkundungen außerhalb des Amtsbereichs maßgebliche Erwägung der gleichmäßigen Versorgung der rechtsuchenden Bevölkerung mit leistungsfähigen Notariaten bei Beurkundungen innerhalb des Amtsbereichs nicht einschlägig sei. Der Beschwerdeführer habe weder seinen Tätigkeitsbereich erweitert, noch sei es zu einem Wettbewerb der in verschiedenen Amtsbereichen tätigen Notare gekommen. Sein Verhalten stelle auch keine berufswidrige Werbung dar, da er die Rechtsuchenden auf deren Ersuchen mit vollständig und maschinenschriftlich vorbereiteten Urkundsentwürfen aus Gefälligkeit aufgesucht habe. Da die Urkundsentwürfe stets sorgfältig vorbereitet gewesen seien, sei auch kein weiterer Zugriff auf Hilfsmittel erforderlich gewesen. Das Verbot von Auswärtsbeurkundungen innerhalb des Amtsbereichs sei nicht mehr zeitgemäß, da sich auch der Notar als Dienstleister zu verstehen habe.

3. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Niedersächsische Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten, die Bundesnotarkammer und der Deutsche Notarverein Stellung genommen.

a) Das Ministerium hält die angegriffenen Entscheidungen ohne jede Einschränkung für verfassungsgemäß.

b) Die Bundesnotarkammer zweifelt, ob es eine den formellen Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG genügende gesetzliche Grundlage für das angegriffene Verbot gab. § 5 Abs. 2 der Dienstordnung für Notare - DONot - genüge als Verwaltungsvorschrift nicht den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG. Es sei auch zweifelhaft, ob sich aus § 78 Nr. 5 BNotO a.F. die erforderliche Normsetzungsermächtigung für § 7 Satz 1 der Allgemeinen Richtlinien für die Berufsausübung der Notare - RLNot - als Rechtsgrundlage ergebe. Diesen fehle überdies möglicherweise die Normqualität. Vor dem Hintergrund der Entwicklung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Gesetzesvorbehalt (vgl. BVerfGE 98, 49) bestünden auch nicht unerhebliche Zweifel, ob das Verbot aus einer Gesamtschau abgeleitet werden könne.

c) Der Deutsche Notarverein meint, dass sich aus dem Regelungszusammenhang von § 10 Abs. 2 Satz 1 und § 10 Abs. 4 BNotO a.F. in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ergebe, dass Auswärtsbeurkundungen außerhalb der Geschäftsstelle nicht unumschränkt zulässig waren. Die Beeinträchtigung der zu schützenden Gemeinwohlbelange hänge aber vom jeweiligen Gegenstand der Beurkundung ab.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an (§ 93 b BVerfGG), weil es zur Durchsetzung des in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung gemäß § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zu. Sie lässt die Klärung einer Frage grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung nicht mehr erwarten, weil der Gesetzgeber inzwischen den rechtlichen Rahmen für Beurkundungen außerhalb der Geschäftsstelle durch das 3. BNotO-ÄndG neu gestaltet hat. Zugleich ist in § 67 Abs. 2 Nr. 9 BNotO den Notarkammern die Richtlinienkompetenz für die Grundsätze verliehen worden, die bei der Beurteilung von Beurkundungen außerhalb der Geschäftsstelle zu beachten sind.

2. Die Disziplinarverfügung des Präsidenten des Oberlandesgerichts, die Beschwerdeentscheidung des Niedersächsischen Justizministeriums und die Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG.

Auslegung und Anwendung des Gesetzesrechts können vom Bundesverfassungsgericht - abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot - nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Normen die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>; 85, 248 <257 f.>; 87, 287 <323>).

So liegt es hier. Der Disziplinarverfügung des Präsidenten des Oberlandesgerichts, der Beschwerdeentscheidung des Niedersächsischen Justizministeriums und der Entscheidung des Oberlandesgerichts liegen Annahmen zugrunde, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Berufsfreiheit der Notare beruhen; dabei sind die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Gesetze, auf die Einschränkungen der Berufsfreiheit der Notare gestützt werden können, nicht beachtet worden.

a) Die Beurkundung von Rechtsvorgängen ist Teil der Berufsausübung des Notars. Die Beurkundung von Rechtsvorgängen ist diesem als unabhängigem Träger eines öffentlichen Amtes als Hauptaufgabe gemäß § 1 BNotO zugewiesen. Die diesbezüglichen Berufsausübungsregelungen finden sich in den §§ 10, 10 a und § 11 BNotO. Sie stützen die angegriffenen Entscheidungen nicht. Sie enthalten kein Verbot von Auswärtsbeurkundungen innerhalb des dem Notar zugewiesenen Amtsbereichs.

b) Für das Verbot einer Beurkundung außerhalb der Geschäftsstelle, aber innerhalb des Amtsbereichs fehlte es zum Zeitpunkt des dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Verhaltens an einer gesetzlichen Grundlage, die den formellen Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG genügt. Daran hat sich durch das 3. BNotO-ÄndG auch nichts geändert.

aa) Das streitgegenständliche Verbot ließ sich nicht aus dem Regelungszusammenhang der §§ 1, 4, 10 und § 14 Abs. 1 Satz 2 BNotO a.F. gewinnen.

Seit den Entscheidungen zu den anwaltlichen Standesrichtlinien (vgl. BVerfGE 76, 171 <184>; 76, 196 ff.) hat das Bundesverfassungsgericht zunehmend die gesetzgeberische Verantwortung für empfindliche Einschränkungen der Berufsfreiheit eingefordert. Je stärker in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen wird, desto deutlicher muss das gesetzgeberische Wollen zum Ausdruck kommen (vgl. BVerfGE 87, 287 <317>; 98, 49 <60>). Da es dem Gesetzgeber obliegt, die Gefährdung von Rechtsgütern einzuschätzen, ihre Schutzwürdigkeit zu bewerten und die Mittel zu ihrem Schutz zu bestimmen, legt Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG dem Richter besondere Zurückhaltung auf, wenn dieser vornehmlich aus bloßen gesetzlichen Zielsetzungen die Wahl des geeigneten und erforderlichen Mittels abzuleiten sucht (vgl. BVerfGE 98, 49 <60 f.>). Dabei können Veränderungen der sozialen Verhältnisse, gewandelte gesellschaftspolitische Anschauungen und neue rechtliche Rahmenbedingungen einer bisherigen Gesetzesinterpretation die Grundlage entziehen (vgl. BVerfGE 98, 49 <59 f.>).

Nach diesen Vorgaben konnten die genannten Vorschriften der Bundesnotarordnung nicht mehr als Grundlage eines Verbots der Auswärtsbeurkundung innerhalb des Amtsbereichs angesehen werden. In keiner der vom Oberlandesgericht herangezogenen Vorschriften ist ein so weit reichender Eingriff hinreichend deutlich angelegt. Die Vorschriften enthielten noch ganz erhebliche Gestaltungsspielräume, die durch Richterrecht nicht grundrechtsbeschränkend ausgefüllt werden können.

(1) Auf ein herkömmliches Verständnis durften sich der Präsident des Oberlandesgerichts in der Disziplinarverfügung, das Niedersächsische Justizministerium in seiner Beschwerdeentscheidung und das Oberlandesgericht im angegriffenen Beschluss schon deshalb nicht mehr stützen, weil inzwischen § 10 a BNotO durch das Gesetz vom 29. Januar 1991 (BGBl I S. 150) in die Bundesnotarordnung eingefügt worden war. Bereits für die davor liegende Zeit war die Beschränkung notarieller Beurkundungstätigkeit auf den Amtsgerichtsbezirk, von dem die angegriffenen Entscheidungen stillschweigend ausgehen, einfachrechtlich zweifelhaft, wie das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit ausführlichen Nachweisen dargelegt hat (vgl. AnwBl 1994, S. 300 ff.). Das galt erst recht für die hier streitige noch engere Beschränkung auf den Amtssitz und die Geschäftsstelle innerhalb des Amtsgerichtsbezirks. Wegen der zweifelhaften Rechtslage wurde § 10 a BNotO mit der erstmaligen Regelung eines Verbots für Auswärtsbeurkundungen vom Gesetzgeber eingeführt (vgl. BTDrucks 11/8307, S. 18). Diese Norm beschränkt die Freiheit der Berufsausübung, indem sie den Notar hinsichtlich seiner Urkundstätigkeit grundsätzlich auf den Bezirk des Amtsgerichts, in dem er seinen Amtssitz hat, verweist. Innerhalb des so definierten Amtsbereichs sieht sie aber keine weiteren Einschränkungen vor. Solche können auch nicht aus der Norm abgeleitet werden, weil diese einem vom Gesetzgeber genau bezeichneten Gemeinwohlzweck dient. Der Gesetzgeber hielt sie für unentbehrlich, um die einzelnen Notarstellen lebensfähig und möglichst gleichbleibend leistungsfähig zu erhalten und das Notariat insgesamt bedarfsgerecht und flächendeckend zu organisieren (BTDrucks a.a.O.). Diese Gründe vermögen weitere Einschränkungen innerhalb des dem Notar zugewiesenen Amtsbereichs nicht zu tragen.

Der Umstand, dass der Gesetzgeber im Jahr 1991 in Kenntnis der bis dahin unzureichenden gesetzlichen Grundlage für Berufsausübungsregelungen und in Kenntnis der heutigen Kommunikations- und Verkehrsmittel, die eine Auswärtsbeurkundung erleichtern, lediglich den Amtsbereich als Grenze eingeführt hat, lässt sich nur damit erklären, dass eine weitere Beschränkung innerhalb des Amtsbereichs nicht gewollt war.

(2) Die aus den §§ 1, 4, 10 und § 14 Abs. 1 Satz 2 BNotO a.F. vom Oberlandesgericht abgeleiteten Gemeinwohlbelange erlauben auch deshalb keinen Schluss auf ein grundsätzliches Verbot der Auswärtsbeurkundung innerhalb des Amtsbereichs, weil es zu ihrem Schutz nicht geeignet oder jedenfalls nicht erforderlich ist.

Zur flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen Notariaten (§ 4 BNotO) ist das schon im Zusammenhang mit § 10 a BNotO unter (1) ausgeführt.

Gelegentliche Auswärtsbeurkundungen innerhalb des Amtsbereichs stehen aufgrund des derzeitigen Standes der Verkehrs- und Kommunikationsmittel auch einer Verfügbarkeit notarieller Leistungen regelmäßig nicht entgegen. Im Hinblick auf diese tatsächlichen Veränderungen hat der Gesetzgeber durch das 3. BNotO-ÄndG in § 10 Abs. 2 Satz 2 BNotO auch die Pflicht des Notars, seinen Wohnsitz an seinem Amtssitz zu nehmen, gelockert (vgl. BTDrucks 13/4184, S. 43; BTDrucks 13/10589, S. 37; BTDrucks 13/11034, S. 38). Die angegriffenen Entscheidungen legen auch im Hinblick auf die einzelnen Vorkommnisse konkrete Beeinträchtigungen der Verfügbarkeit nicht dar. Ohnedies dürfen bei Anwaltsnotaren insoweit keine zu strengen Anforderungen gestellt werden, da vornehmlich ihr Hauptberuf als Rechtsanwalt einer kontinuierlichen Anwesenheit am Amtssitz entgegensteht.

Ob die Unabhängigkeit des Notars und seine Verpflichtung zur Unparteilichkeit durch Beurkundungen außerhalb der Geschäftsstelle gefährdet werden könnten, ist eine Frage des Einzelfalls. Ein generelles Verbot als erforderliche Vorkehrung gegen diese Gefahr könnte allenfalls der Gesetzgeber statuieren, sofern für seine entsprechende Einschätzung hinlängliche Gründe gegeben sind. Als zwingende Folge der §§ 1 und 14 BNotO kann das Verbot jedoch nicht angesehen werden. Das wird zum einen inzwischen durch § 28 BNotO bestätigt, der die Wahrung dieser Belange dem Notar in eigener Verantwortung anvertraut. Zum anderen belegt dies die Gesetzgebungsgeschichte zur Änderung von § 10 Abs. 4 BNotO im Jahr 1998. Der ursprünglich geplante Satz 1: "Der Notar soll die Amtsgeschäfte in der Regel in seiner Geschäftsstelle vornehmen." wurde nicht Gesetz, weil dem Notar keine übersteigerten Begründungspflichten auferlegt werden sollten, wenn er Beurkundungen außerhalb der Geschäftsstelle vornehmen möchte (vgl. BTDrucks 13/10589, S. 7 und S. 37). Ersichtlich ging der Gesetzgeber nicht davon aus, dass diese Regelung ohnedies galt (vgl. auch Eylmann, ZNotP 1999, S. 397 <398>).

Sofern im Einzelfall aufgrund einer Auswärtsbeurkundung innerhalb des Amtsbereichs die Klarheit der Amtsführung leiden und die Gefahr des Anscheins einer Parteilichkeit des Notars entstehen könnte, hat der Notar von der Auswärtsbeurkundung Abstand zu nehmen. Berufswidriges Verhalten kann insoweit geahndet werden. Dasselbe gilt, soweit er im Einzelfall die Notwendigkeit sieht, auf die in der Geschäftsstelle befindlichen Hilfsmittel zuzugreifen. Das ist nicht der Regelfall, worauf der Deutsche Notarverein hingewiesen hat.

bb) Mit der Bundesnotarkammer ist davon auszugehen, dass weder § 5 Abs. 2 DONot als Verwaltungsvorschrift noch § 7 Satz 1 RLNot, der auf einer nicht hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage beruht, den Anforderungen an den Gesetzesvorbehalt genügen. Hierauf sind die angegriffenen Entscheidungen zu Recht nicht gestützt worden.

cc) Schließlich ist das Verbot auch nicht damit zu rechtfertigen, dass ein unerwünschter Wettbewerb zwischen den Notaren ausgeschlossen werden soll. Hiermit werden keine verfassungsrechtlich erheblichen Gemeinwohlbelange benannt.

Innerhalb ihres Amtsbereichs stehen Notare im Hinblick auf ihre beruflichen Leistungen im Wettbewerb. Dieser erstreckt sich nicht nur auf die Qualität der Beratung selbst, sondern im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben auch auf die Art und Weise der Dienstleistung. Von Bedeutung sind hier die Lage der Geschäftsstelle, ihre Ausstattung und ihre Erreichbarkeit, die Öffnungszeiten des Notariats, Freundlichkeit und Kompetenz des Personals sowie eine effektive Terminplanung und eben auch eine gewisse Flexibilität, wenn das Zeitbudget der Mandanten knapp ist. In welchem Rahmen und in welchem Umfang der Notar Auswärtsbeurkundungen mit seinem Amt vereinbaren kann, ist in erster Linie ihm zu überlassen, solange er den Anschein von Abhängigkeit oder Parteilichkeit vermeidet, den Schutzzweck des Beurkundungserfordernisses nicht gefährdet und jede amtswidrige Werbung unterlässt. Verstöße können insoweit individuell geahndet werden. Dies ist das mildere Mittel im Verhältnis zum regelmäßigen Verbot der Auswärtsbeurkundung, die als solche die ordnungsgemäße Erledigung der Amtsgeschäfte nicht in Frage stellt.

c) Da die angegriffene Disziplinarverfügung, die Beschwerdeentscheidung des Niedersächsischen Justizministeriums und der Beschluss des Oberlandesgerichts bereits gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstoßen, bedarf es keiner Entscheidung mehr dazu, ob die angegriffenen Entscheidungen auch Art. 3 Abs. 1 oder Art. 14 Abs. 1 GG verletzten und ob das Oberlandesgericht gegen Art. 19 Abs. 4 oder Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen haben könnte.

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.

Ende der Entscheidung

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