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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 04.07.2001
Aktenzeichen: 1 BvR 730/01
Rechtsgebiete: BVerfGG, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93 a Abs. 2
GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 730/01 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 21. März 2001 - 6 U 80/00 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier und die Richter Steiner, Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 4. Juli 2001 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ausschließung von der Ausübung des Richteramtes nach § 41 Nr. 6 ZPO.

I.

1. Der Beschwerdeführer ist Gewerbetreibender. Er wurde vom Kläger des Ausgangsverfahrens, einem rechtsfähigen Verein zur Förderung gewerblicher Interessen, auf Unterlassung einer Werbeanzeige in Anspruch genommen.

Auf Antrag des Klägers erließ die 7. Zivilkammer des Landgerichts Mannheim am 9. Juni 1999 - 7 O 184/99 - im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes antragsgemäß eine Unterlassungsverfügung. An der Entscheidung wirkte der Richter Dr. L. mit, seinerzeit Vorsitzender Richter am Landgericht. Im Hauptsacheverfahren über den Unterlassungsanspruch erließ die 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Mannheim am 27. März 2000 - 24 O 137/99 - ein Urteil, mit dem ein voraufgegangenes Versäumnisurteil auf Unterlassung der beanstandeten Werbung bestätigt wurde. Mit dieser Sache war der Richter Dr. L. nicht befasst.

Die vom Beschwerdeführer gegen das Urteil eingelegte Berufung wurde vom 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe mit Urteil vom 21. März 2001 - 6 U 80/00 - zurückgewiesen. An der Entscheidung wirkte der Richter Dr. L. mit, der zwischenzeitlich zum Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ernannt worden war. Gegen seine Mitwirkung hatte der Beschwerdeführer auf § 41 Nr. 6 ZPO gestützte Einwände erhoben.

2. Mit der fristgerecht eingelegten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Er vertritt die Ansicht, der Richter Dr. L. habe wegen Vorbefassung an dem Berufungsurteil nicht mitwirken dürfen.

II.

Annahmegründe im Sinne des § 93 a Abs. 2 BVerfGG sind nicht gegeben. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, weil das Bundesverfassungsgericht die wesentlichen Fragen im Zusammenhang mit der hier einschlägigen Regelung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bereits entschieden hat (vgl. BVerfGE 21, 139 <145 f.>; 22, 254 <258>; 30, 149 <154>; 40, 268 <271>). Eine Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung des als verletzt gerügten Rechts erforderlich. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Denn der gerügte Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt nicht vor.

1. Aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgt der Grundsatz, dass sich der für den Einzelfall zuständige Richter möglichst eindeutig aus einer allgemeinen Norm ergeben muss (vgl. BVerfGE 22, 254 <258>). Darüber hinaus gewährleistet Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG das Recht auf einen unparteilichen Richter (BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NVwZ 1996, S. 885). Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, Vorsorge dafür zu treffen, dass ein Richter, der nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet, von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen ist oder abgelehnt werden kann (vgl. BVerfGE 21, 139 <145 f.>). § 41 Nr. 6 ZPO zählt mithin zu den Regelungen, mit denen die Ziele des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Verfahrensrecht umgesetzt werden.

2. In der Rechtsprechung der Fachgerichte wird die Frage, ob die Vorbefassung eines Richters mit dem streitigen Anspruch durch Erlass einer einstweiligen Verfügung die Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO nach sich zieht, kontrovers beurteilt. Das Oberlandesgericht München (NJW 1969, S. 754) hat die Ansicht vertreten, ein Richter, der am Erlass einer einstweiligen Verfügung mitgewirkt habe, sei in der Berufung gegen das auf Widerspruch in der Sache ergangene Urteil ausgeschlossen, auch wenn er mit diesem nicht befasst war. Dem ist der vorliegende Fall sehr ähnlich, weil auch hier der betreffende Richter zwar bei der angefochtenen Entscheidung nicht mitgewirkt hat, er aber mit dem streitigen Anspruch bereits befasst war und bei Erlass der einstweiligen Verfügung seine Einschätzung des Falles in einer richterlichen Entscheidung zum Ausdruck gebracht hat. Das Oberlandesgericht Rostock (NJW-RR 1999, S. 1444) hat demgegenüber die Ansicht des Oberlandesgerichts München ausdrücklich abgelehnt.

Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts obliegen indes den Fachgerichten. Deren Entscheidungen werden im Rahmen der Verfassungsbeschwerde auch dann nur auf Willkür überprüft, wenn unterschiedliche Fachgerichte zu unterschiedlichen Auffassungen kommen. Eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch die angegriffene Entscheidung ist mithin nur dann festzustellen, wenn diese bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 19, 38 <43>; 29, 198 <207>; BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, NJW 1988, S. 1456). Davon kann vorliegend keine Rede sein.

Die Verneinung eines gesetzlichen Ausschlusses der Tätigkeit des Richters Dr. L. beruht auf einer vertretbaren, nicht von sachfremden Erwägungen beeinflussten Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO. Das Oberlandesgericht hat sein Vorgehen am Wortlaut der Norm ausgerichtet. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gebietet keine verfassungskonforme Auslegung dahin, dass darüber hinaus in Fällen, in denen der Richter ohne Beteiligung an der angefochtenen Entscheidung mit der Sache bereits befasst war, von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen ist (vgl. 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 26. April 1990 - 1 BvR 988/88 -, Juris-Nr. KVRE208879001). Das geltende Verfahrensrecht ist von dem Gedanken geprägt, dass ein Richter grundsätzlich auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantritt, wenn er sich schon früher über denselben Sachverhalt ein Urteil gebildet hat (vgl. BVerfGE 30, 149 <153 f.>). Bei der näheren Ausgestaltung denkbarer Konfliktfälle steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu. Er kann dem verfassungsrechtlichen Gebot, Neutralität und Distanz des Richters abzusichern, dadurch Rechnung tragen, dass er entweder den gesetzlichen Ausschluss anordnet oder das Ablehnungsverfahren eröffnet (vgl. BVerfGE 30, 149 <154>). Der Ausschluss kraft Gesetzes nach § 41 Nr. 6 ZPO ist geeignet, für bestimmte Fallgruppen aus sich heraus Klarheit zu schaffen. Daneben ermöglicht das Ablehnungsverfahren nach §§ 42 ff. ZPO die Berücksichtigung von besonderen Umständen des Einzelfalls. Auf dieser Grundlage kann bei gegebenem Anlass den Belangen der Prozessparteien auch dann Rechnung getragen werden, wenn § 41 Nr. 6 ZPO nicht eingreift. Damit ist den verfassungsrechtlichen Vorgaben Genüge getan.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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