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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 19.06.2002
Aktenzeichen: 1 BvR 792/02
Rechtsgebiete: BVerfGG, BayPresseG


Vorschriften:

BVerfGG § 93 a Abs. 2
BayPresseG Art. 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 792/02 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen das Endurteil des Oberlandesgerichts München vom 15. März 2002 - 21 U 1914/02 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier und die Richter Steiner, Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 19. Juni 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin verlegt das Nachrichtenmagazin FOCUS. In der Ausgabe Nr. 41/2001 vom 8. Oktober 2001 veröffentlichte sie einen Artikel über die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) e.V. - den Verfügungskläger des Ausgangsrechtsstreits. Der Artikel hatte die Überschrift: "Milli Görüs. Mitglieder sollen Kalaschnikow kaufen" und lautete wörtlich unter anderem wie folgt:

Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) hat ihre Gefolgsleute in Deutschland aufgefordert, Waffen zu kaufen. Vorzugsweise sei der Kauf einer AK 47 (Kalaschnikow) zu empfehlen, hieß es auf einer Website, auf der die Organisation zur Unterstützung der tschetschenischen Bevölkerung aufgerufen hatte. Der baden-württembergische Verfassungsschutz, der Milli Görüs als demokratiefeindlich einstuft, zitierte in seinem Jahresbericht 2000 aus diesem Aufruf.

Um den Umgang mit Waffen legal und unauffällig zu erlernen, sollen Mitglieder, "wenn möglich, einem Schützenverein beitreten", hieß es. Fortgeschrittenen wird geraten, Vereinen beizutreten, "die den Umgang mit Waffen, zum Beispiel Schwert und Messer, vermitteln".

Das Oberlandesgericht verurteilte die Beschwerdeführerin, eine Gegendarstellung des Verfügungsklägers hinsichtlich der folgenden drei Punkte abzudrucken:

1 Wir haben zu keinem Zeitpunkt aufgefordert, Waffen zu kaufen.

2 Die islamische Gemeinschaft Milli Görüs hat weder auf einer Website noch sonst wo den Kauf einer AK 47 empfohlen.

3 Die islamische Gemeinschaft Milli Görüs hat niemals dazu aufgerufen, den Umgang mit Waffen zu erlernen oder einem Schützenverein beizutreten.

Die Beschwerdeführerin sieht sich hierdurch in ihren Grundrechten auf Meinungs- und Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG verletzt.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist die Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt. Zwar betrifft die angegriffene Entscheidung jedenfalls das Grundrecht der Pressefreiheit der Beschwerdeführerin, da die Verpflichtung zum Abdruck einer Gegendarstellung in die Gestaltungsfreiheit eines Presseunternehmens eingreift (vgl. BVerfGE 97, 125 <144 f.>). Dieser Eingriff ist jedoch durch Art. 10 BayPresseG, auf den das Oberlandesgericht die angegriffene Entscheidung gestützt hat, gerechtfertigt.

Verfassungsrechtlich tragfähig ist insbesondere die vom Oberlandesgericht vorgenommene Deutung der Erstmitteilung. Wegen der Abhängigkeit des Gegendarstellungsanspruchs von der Erstmitteilung muss deren Deutung den Anforderungen von Art. 5 Abs. 1 GG gerecht werden (vgl. BVerfGE 97, 125 <150>). Das Oberlandesgericht hat den Artikel unter Berücksichtigung von Inhalt und Kontext in nachvollziehbarer Weise dahingehend gedeutet, dass es sich um eine eigene Stellungnahme von FOCUS zu der in Rede stehenden Problematik handele. Das Oberlandesgericht durfte dabei darauf abstellen, dass in dem Artikel - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - nicht lediglich Zitate aus dem Verfassungsschutzbericht des baden-württembergischen Verfassungsschutzes wiedergegeben werden. Der Bericht beginnt vielmehr mit zwei Sätzen, die keinerlei Bezug zum Bericht des Verfassungsschutzes haben. Erst danach wird erwähnt, dass der Verfassungsschutz im Jahresbericht aus diesem Aufruf zitiert habe. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Oberlandesgericht aus dieser Darstellung folgert, ein Durchschnittsleser müsse davon ausgehen, dass FOCUS eine entsprechende Behauptung als eigene aufstellen wollte und sich zum Beleg für diese Behauptung auch auf den Bericht des baden-württembergischen Verfassungsschutzes beruft. In dem Artikel wird jedenfalls an keiner Stelle verdeutlicht, dass die Äußerung des Verfassungsschutzes die einzige Grundlage der Berichterstattung von FOCUS ist und dass lediglich referierend etwas wiedergegeben werden soll, das der Verfassungsschutz ausgeführt hat.

Ist aber die von dem Oberlandesgericht vorgenommene Deutung zu Grunde zu legen, könnte der Gegendarstellungsanspruchs nach der insoweit nicht zu beanstandenden Auffassung des Oberlandesgerichts mangels Rechtsschutzinteresses nur dann ausscheiden, wenn die Behauptungen, der Verfügungskläger habe zum Kauf von Waffen etc. aufgerufen, offensichtlich der Wahrheit entsprechen würden und die Gegendarstellung damit offensichtlich unwahr wäre. Dies hat das Oberlandesgericht jedoch in verfassungsrechtlich tragfähiger Weise verneint.

Soweit die Beschwerdeführerin die Anwendung des Bayerischen Presserechts durch das Oberlandesgericht angreift, gilt die Beschwerde Fragen des einfachen Rechts, nicht jedoch des Verfassungsrechts.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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