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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 11.05.2005
Aktenzeichen: 1 BvR 933/02
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 14 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 933/02 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

1. unmittelbar gegen

a) das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 8. Februar 2002 - 10 U 216/97 -,

b) das Urteil des Landgerichts Limburg vom 18. November 1997 - 4 O 320/97 -,

2. mittelbar gegen

§ 2303 Abs. 1, § 2314 und § 2333 BGB

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier und die Richter Steiner, Gaier gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 11. Mai 2005 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen des Pflichtteilsrechts.

I.

1. Der Erblasser errichtete gemeinsam mit seiner Ehefrau im Jahre 1982 ein Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben des Erstversterbenden einsetzten. Dem Überlebenden sollte es überlassen bleiben, weitere letztwillige Verfügungen zu treffen. Nach dem Tode seiner Ehefrau im Jahre 1993 entzog der Erblasser seinem jüngsten Sohn - dem Beklagten des Ausgangsverfahrens - den Pflichtteil mit der Begründung, dieser habe sich nicht mehr um seine Eltern gekümmert und die Beziehung zu ihnen abgebrochen. Seine Enkelin - die Beschwerdeführerin - setzte er zur Alleinerbin ein.

2. Der Erblasser erhob Klage auf Feststellung, dass er zum Pflichtteilsentzug berechtigt sei. Er vertrat die Auffassung, dass er durch die Regelung des § 2333 BGB in seiner Testierfreiheit in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt werde, weil diese Regelung dem Fehlen familiärer Bindungen nicht Rechnung trage. Die Klage blieb ohne Erfolg. Die Gerichte vertraten die Auffassung, dass das Pflichtteilsrecht der Erblasserkinder in einem gewissen Umfang auch unter dem Schutz von Art. 14 Abs. 1 beziehungsweise des Art. 6 Abs. 1 GG stehe.

Der Erblasser verstarb während des Verfahrens. Die Beschwerdeführerin setzte dieses fort.

3. Mit der fristgerecht eingereichten Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die gerichtlichen Entscheidungen und mittelbar gegen die § 2303 Abs. 1 und § 2333 BGB. Sie rügt eine Verletzung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Pflichtteilsrecht und das Pflichtteilsentziehungsrecht schränke in der heutigen Form die Testierfreiheit des Erblassers insbesondere dann unverhältnismäßig ein, wenn zwischen ihm und einem Kind eine Entfremdung eingetreten sei.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) nicht zu. Die mit dem Pflichtteilsrecht der Kinder des Erblassers zusammenhängenden verfassungsrechtlichen Fragen hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 19. April 2005 - 1 BvR 1644/00, 1 BvR 188/03 - geklärt.

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der von der Beschwerdeführerin als verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Sie ist unbegründet.

Die Gerichte sind in zutreffender Weise davon ausgegangen, dass auch das Pflichtteilsrecht der Erblasserkinder verfassungsrechtlichen Schutz genießt. Die grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder des Erblassers an dessen Nachlass wird durch die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet. Das Pflichtteilsrecht der Kinder des Erblassers genügt in der konkreten Ausprägung, die es in § 2303 Abs. 1 BGB erfahren hat, den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Die Regelung des § 2303 Abs. 1 BGB sichert einerseits den Kindern des Erblassers eine grundsätzlich unentziehbare und angemessene Nachlassteilhabe in Form eines gegen den Nachlass gerichteten Geldanspruchs. Der den Kindern gewährte Anteil am Nachlass lässt andererseits dem Erblasser einen hinreichend großen vermögensmäßigen Freiheitsraum, um seine Vorstellungen über die Verteilung seines Vermögens nach dem Tode umzusetzen. Damit hält sich diese Norm innerhalb des dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsspielraums.

Gerade bei einer Entfremdung zwischen dem Erblasser und seinem Kind, wie sie auch der Pflichtteilsentziehung im Ausgangsverfahren offensichtlich zu Grunde lag, setzt das Pflichtteilsrecht der Testierfreiheit des Erblassers und der damit für ihn eröffneten Möglichkeit, ein Kind durch Enterbung zu "bestrafen", in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise Grenzen (vgl. Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. April 2005 - 1 BvR 1644/00; 1 BvR 188/03 -; Umdruck S. 25, 33-38).

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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