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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 02.02.1999
Aktenzeichen: 2 BvM 1/98
Rechtsgebiete: BVerfGG


Vorschriften:

BVerfGG § 24
BVerfGG § 84
BVerfGG § 80 Abs. 2
BVerfGG § 80
StGB § 34
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

IM NAMEN DES VOLKES

- 2 BvM 1/98 -

In dem Verfahren

zur

verfassungsrechtlichen Prüfung der Frage,

ob

- die Politik der atomaren Abschreckung, - die Entwicklung und Produktion von Kernwaffen, - die Drohung mit und der Einsatz von Nuklearwaffen, - die Lagerung und Stationierung von Atomwaffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik, - die NATO-Strategie des nuklearen Ersteinsatzes, - die Mitwirkung der Bundesregierung beim Einsatz und der Einsatzplanung von Atomwaffen

mit den Regeln des Völkerrechts, insbesondere

a) dem Verbot, im Krieg unnötige Leiden zuzufügen,

b) dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit und dem Grundsatz der Proportionalität,

c) dem Gebot der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten und der notwendigen Differenzierung zwischen zivilen und militärischen Zielen,

d) dem Verbot des Völkermordes und von Verbrechen gegen die Menschlichkeit,

e) dem Verbot, der Umwelt dauernde und schwere Schäden zuzufügen,

f) dem Gebot, die Menschenrechte zu achten,

g) dem Verbot des Einsatzes von Gift und giftigen Waffen,

h) dem Verbot, unbeteiligte und neutrale Staaten bei einem Waffeneinsatz in Mitleidenschaft zu ziehen

zu vereinbaren sind.

- Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Amtsgerichts Stuttgart vom 5. Mai 1998 (B 8 Cs 5 Js 70009/97) -

hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter Präsidentin Limbach, Kirchhof, Winter, Sommer, Jentsch, Hassemer, Broß, Osterloh

am 2. Februar 1999 gemäß § 24 BVerfGG beschlossen:

Tenor:

Die Vorlage ist unzulässig.

Gründe:

A.

Die Vorlage betrifft die Frage, ob und inwieweit die Entwicklung und Produktion, Lagerung und Stationierung von Atomwaffen sowie die Drohung mit ihrem Einsatz mit geltendem Völkergewohnheitsrecht vereinbar sind.

I.

Der Vorlage liegt ein Strafverfahren wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs zugrunde. Der Angeklagte des Ausgangsverfahrens gelangte zusammen mit anderen Personen nach Durchtrennung der Umzäunung auf ein Militärgelände in Stuttgart-Vaihingen und sprühte dort an die Außenfassade des Hauptquartieres die Parolen 'Abolish Nukes + Nato' und 'We love your face, but not your base'. Das zuständige Gericht hat das Strafverfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die aus dem Rubrum ersichtlichen völkerrechtlichen Fragen zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1. Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, daß die völkerrechtliche Zulässigkeit der Stationierung und Drohung mit dem Einsatz von Nuklearwaffen für das Strafverfahren gegen den Angeklagten entscheidungserheblich sei. Seien diese Waffen völkerrechtswidrig, dann sei der politische Kampf des Angeklagten nicht nur gegen die Risiken der Nuklearwaffen und deren moralische Unvertretbarkeit gerichtet, sondern gleichzeitig gegen massive Verletzungen des Völkerrechts durch die politisch Verantwortlichen. In diesem Falle sei die Schuld des Angeklagten "kaum geeignet", die Notwendigkeit seiner Bestrafung zu begründen.

2. Die Beantwortung der völkerrechtlichen Fragen müsse in das Zentrum der Rechtswidrigkeitsprüfung gerückt werden. Es sei "nicht ausgeschlossen", daß das regelverletzende Verhalten des Angeklagten unter dem Gesichtspunkt des Notstandes, der notstandsähnlichen oder notstandsgleichen Situation oder aufgrund der Art. 4, 5 und 8 GG gerechtfertigt sei.

a) Die für einen rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB vorausgesetzte Gefahrenlage beurteile sich im Falle der völkerrechtlichen Unverträglichkeit der Politik der atomaren Abschreckung nicht nur nach dem besonders hohen Gefährdungspotential der Nuklearwaffen, sondern in erster Linie nach ihrer Übereinstimmung mit den allgemein anerkannten Prinzipien des humanitären Kriegsvölkerrechts. Die rechtliche Beurteilung der Gefahrenlage müsse die vom Angeklagten behauptete Völkerrechtswidrigkeit und ihre Folgen für das Zusammenleben der Völker und den Frieden in der Welt einbeziehen.

b) Der Angeklagte habe in einer notstandsähnlichen oder notstandsgleichen Situation gehandelt. Die besondere Natur und die verheerenden Wirkungen der Nuklearwaffen auf alle Bereiche des menschlichen Lebens, der Zivilisation, der Natur und der Umwelt geböten es, eine Rechtfertigung des Angeklagten im Wege der notstandsähnlichen oder notstandsgleichen Situation anzuerkennen.

c) Schließlich sei die rechtliche Qualifikation der durch die Atomwaffen begründeten Gefahrenlage auch für die Strafzumessung bedeutsam.

3. In seinem Gutachten vom 8. Juli 1996 habe der Internationale Gerichtshof in Den Haag die Zweifel an der Völkerrechtsverträglichkeit der Nuklearwaffen und der Strategie der atomaren Abschreckung bestärkt (Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion of 8 July 1996, Reports of Judgments, Advisory Opinions and Orders, 1996, 226 ff.). Das Gutachten bestätige die Auffassung des Angeklagten, daß Entwicklung und Produktion, Einsatz und Einsatzplanung sowie Lagerung und Stationierung von Atomwaffen ebenso völkerrechtlich unzulässig seien wie die NATO-Strategie des nuklearen Ersteinsatzes. Die hierdurch aufgeworfenen Zweifel an der Tragweite der betreffenden allgemeinen Regeln des Völkerrechts begründeten für das entscheidende Gericht eine Pflicht zur Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 2 GG an das Bundesverfassungsgericht, da andernfalls das Gericht gegen den Verfassungsgrundsatz des gesetzlichen Richters verstoßen würde.

B.

Die Vorlage ist unzulässig.

I.

1. Nach Sinn und Zweck des in Art. 100 Abs. 2 GG geregelten Verfahrens sind Vorlagen nach dieser Vorschrift nur zulässig, wenn die Regel des Völkerrechts und die Frage, ob sie Bestandteil des Bundesrechts ist, für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich sind (vgl. BVerfGE 15, 25 <30>; 94, 315 <328>). Das Vorlageverfahren dient nicht dazu, abstrakte Rechtsfragen zu klären oder dem vorlegenden Gericht zusätzliche rechtliche Gesichtspunkte für seine Entscheidung an die Hand zu geben. Es ist nur dann statthaft, wenn der bei dem vorlegenden Gericht anhängige Rechtsstreit ohne die Beantwortung der Vorlagefrage nicht entschieden werden kann.

2. Ebenso wie im Vorlageverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG ist im Verfahren nach Art. 100 Abs. 2 GG für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgeblich, es sei denn, daß sich diese als offensichtlich unhaltbar erweist (vgl. BVerfGE 78, 1 <5>). Gemäß §§ 84 und 80 Abs. 2 BVerfGG muß die Vorlagebegründung auch im Verfahren nach Art. 100 Abs. 2 GG angeben, inwiefern von der Regel des Völkerrechts die Entscheidung des Gerichts abhängig ist. Das vorlegende Gericht muß sich mit den in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Rechtsansichten auseinandersetzen. Der bloße Hinweis auf einzelne Fundstellen vermag diese Auseinandersetzung nicht zu ersetzen (vgl. BVerfGE 65, 308 <316>).

II.

Diesen Anforderungen genügt die Vorlage des Amtsgerichts nicht.

1. Bereits die einleitenden Sätze über eine mögliche Rechtfertigung des Verhaltens des Angeklagten machen deutlich, daß sich das Gericht noch keine abschließende Meinung zu der Frage gebildet hat, ob im Falle einer Völkerrechtswidrigkeit der Stationierung von Nuklearwaffen das Verhalten des Angeklagten tatsächlich als gerechtfertigt angesehen werden muß. Nach dem Vorlagebeschluß ist eine Rechtfertigung des regelverletzenden Verhaltens des Angeklagten "nicht ausgeschlossen". Diese Formulierung läßt die Möglichkeit offen, daß das Gericht auch im Falle der Völkerrechtswidrigkeit von Nuklearwaffen zu dem Ergebnis kommt, daß das regelverletzende Verhalten des Angeklagten nicht gerechtfertigt werden kann. Für die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit reicht dies nicht aus. Entscheidungserheblich ist die Beantwortung der völkerrechtlichen Frage nur dann, wenn das Gericht begründet, daß und warum es im Falle der Völkerrechtswidrigkeit eine Rechtfertigung des Angeklagten annehmen würde, im Falle der Völkerrechtsmäßigkeit hingegen nicht.

2. Die Vorlage macht auch nicht verständlich, warum im Falle der Völkerrechtswidrigkeit des Atomwaffenbesitzes die Meinungs- und Versammlungsfreiheit die Rechtswidrigkeit oder Schuld des Angeklagten ausschließen könnte. Das Amtsgericht hätte nicht nur das vom Angeklagten verfolgte Fernziel der nuklearen Abrüstung, welches von vielen gesellschaftlichen Kräften geteilt wird, in den Blick nehmen dürfen, sondern sich auch mit der Zulässigkeit der im politischen Meinungskampf eingesetzten Mittel auseinandersetzen müssen. Der Angeklagte drang in ein fremdes, umfriedetes Besitztum ein und beschädigte dort durch das Aufsprühen von Parolen die Außenfassade eines Gebäudes. Angesichts dieser Tatumstände hätte das Amtsgericht zumindest die Rechtsprechung erörtern müssen, wonach die Meinungs- und Versammlungsfreiheit derartige Rechtsgutverletzungen nicht schützt (vgl. etwa BGHZ 59, 30 <35 f.>; BayObLG NJW 1995, 269 <271>). Dabei hätte das Gericht auch ausführen müssen, warum eine Völkerrechtswidrigkeit der Atomwaffen angesichts des Gebots friedlicher Auseinandersetzung im politischen Meinungskampf das Verhalten des Angeklagten rechtfertigen oder seine Schuld ausschließen könnte.

Im Rahmen von § 34 StGB genügt das Gericht den Begründungsanforderungen nicht, wenn es im Vorlagebeschluß lediglich ausführt, daß bei Völkerrechtswidrigkeit der Atomwaffen sich das Merkmal der Gefahrenlage anders beurteile als bei ihrer Völkerrechtsgemäßheit. Hier fehlt es an der Prüfung, ob bei Völkerrechtswidrigkeit der Atomwaffen die Tatbestandsmerkmale des § 34 StGB erfüllt wären. Das Gericht hätte dazu darlegen und begründen müssen, daß und warum durch die Stationierung und die Drohung mit dem Einsatz von Nuklearwaffen eine Gefahrenlage im Sinne dieser Vorschrift begründet wird. Außerdem hätte es begründen müssen, daß und warum diese Gefahrenlage nicht anders als durch die dem Angeklagten vorgeworfenen Handlungen abgewendet werden konnte.

3. Auch die Ausführungen des Amtsgerichts zur Strafzumessung können die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen nicht begründen, solange eine Auseinandersetzung mit dem Gebot der Friedlichkeit fehlt und außerdem nicht dargelegt ist, warum der strafrechtliche Schutz von Hausfrieden und Sachgütern und die daraus sich ergebenden Rechtsfolgen durch die völkerrechtliche Qualifikation der von den Atomwaffen geschaffenen allgemeinen Gefahrenlage berührt werden könnten.

4. Der Vorlagebeschluß erfüllt im übrigen nicht die gemäß § 84 i.V.m. § 80 BVerfGG an die Auseinandersetzung mit der Literatur und Rechtsprechung zu stellenden Anforderungen. Das vorlegende Gericht hat gerade im Bereich der Rechtsfragen, die für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage maßgeblich sind (Rechtfertigung und Schuld des Angeklagten), Literatur und Rechtsprechung nur in geringem Umfang herangezogen und sich mit dieser nicht inhaltlich auseinandergesetzt (vgl. den verkürzten Hinweis auf Roxin, Strafrechtliche Bemerkungen zum zivilen Ungehorsam, in: Festschrift für Horst Schüler-Springorum zum 65. Geburtstag, Köln 1993, 441 ff.). Um den Begründungsanforderungen zu genügen, hätte es die bisherige Behandlung dieses Problemkreises fundiert würdigen und darstellen müssen, inwiefern sich seine Rechtsauffassung mit den in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Ansichten deckt oder von ihnen abweicht. Dabei wäre auch darzulegen gewesen, ob und welche völker- und strafrechtlichen Folgerungen, insbesondere für das Verhalten von Einzelpersonen, aus dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zu ziehen sind.



Ende der Entscheidung

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