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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 16.02.1999
Aktenzeichen: 2 BvR 1034/98
Rechtsgebiete: BVerfGG, StGB, StPO


Vorschriften:

BVerfGG § 93 c
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG § 93 b Satz 1
BVerfGG § 93 c Abs. 1 Satz 1
BVerfGG § 34 a
StGB § 125
StPO § 102
StPO § 105 Abs. 1
StPO § 98 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1034/98 -

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

des Herrn F...

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Konrad Hoffmann, Sterngasse 1/III, Augsburg -

gegen den Beschluß des Landgerichts Augsburg vom 29. April 1998 - Jug Qs 227/98 -

hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Winter, Hassemer gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Absatz 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 16. Februar 1999 einstimmig beschlossen:

Der Beschluß des Landgerichts Augsburg vom 29. April 1998 - Jug Qs 227/98 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 in Verbindung mit Artikel 13 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Augsburg zurückverwiesen.

Das Land Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine erledigte Durchsuchung.

1. a) Der Beschwerdeführer wurde am Nachmittag des 16. August 1997 in München wegen Verdachts des Landfriedensbruchs (§ 125 StGB) festgenommen. Er befand sich in einer Gruppe, aus der heraus Bierflaschen auf Teilnehmer einer "Antifaschistischen Aktion" geworfen worden sein sollen. In der folgenden Nacht zwischen 0.45 Uhr und 1.15 Uhr wurde das Zimmer des Beschwerdeführers in der Wohnung seines Vaters ohne richterliche Anordnung durchsucht, um Beweismittel insbesondere über die politische Gesinnung des Beschwerdeführers im rechtsextremistischen Bereich aufzufinden. Die dabei beschlagnahmten Gegenstände wurden ihm nach seinem rechtskräftigen Freispruch wieder ausgehändigt.

b) Den Antrag des Beschwerdeführers, die Rechtswidrigkeit der Wohnungsdurchsuchung festzustellen, wies das Amtsgericht mit der Begründung zurück, das erforderliche rechtliche Interesse an dieser Feststellung liege mangels fortwirkender Beeinträchtigung oder Wiederholungsgefahr nicht vor. Die dagegen eingelegte Beschwerde verwarf das Landgericht "aus den im angefochtenen Beschluß angeführten ... Gründen".

2. Mit seiner fristgerechten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer u. a. eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 13 und Art. 2 Abs. 1 GG. Die Durchsuchung, noch dazu zur Nachtzeit, stelle entgegen der Ansicht der Gerichte eine schwere Grundrechtsverletzung dar und begründe ein Rechtsschutzinteresse an einer Sachentscheidung.

3. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung von Grundrechten des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG). Die Kammer ist zur Sachentscheidung berufen, weil das Bundesverfassungsgericht die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden hat und die Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet ist (§§ 93b Satz 1, 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

1. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluß vom 30. April 1997 (2 BvR 817/90 u. a. - BVerfGE 96, 27) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden, daß das Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) dem Betroffenen das Recht gibt, in Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe auch dann die Berechtigung des Eingriffs gerichtlich klären zu lassen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozeßordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Die Wohnungsdurchsuchung, deren Anordnung das Grundgesetz nach Art. 13 Abs. 2 GG grundsätzlich dem Richter vorbehalten hat, stellt einen solchen tiefgreifenden Grundrechtseingriff dar. Der Rechtsbehelf gegen eine vollzogene Durchsuchung darf deshalb nicht wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses als unzulässig verworfen werden.

2. Die angegriffene Rechtsmittelentscheidung des Landgerichts wird diesem verfassungsrechtlichen Maßstab nicht gerecht.

a) Der Beschluß des Amtsgerichts, mit dem der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung mangels rechtlichen Interesses "zurückgewiesen", also als unzulässig verworfen wurde, verletzt den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art. 19 Abs. 4 GG i. V. m. Art. 13 GG.

b) Durch die Verwerfung der Beschwerde unter Bezugnahme auf die Gründe der amtsgerichtlichen Entscheidung hat das Landgericht diesen Grundrechtsverstoß perpetuiert. Dem Hinweis, die Durchsuchung und Sicherstellung von Beweismitteln sei gemäß §§ 102, 105 Abs. 1, 98 Abs. 1 StPO zulässig gewesen, kann nicht entnommen werden, daß sich das Landgericht inhaltlich mit der Sache befaßt hat, zumal es anschließend feststellt, der - allein auf fehlendes Rechtsschutzinteresse gestützte - amtsgerichtliche Beschluß entspreche der Sach- und Rechtslage.

Der Beschluß des Landgerichts ist daher aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.

III.

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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