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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 05.11.2001
Aktenzeichen: 2 BvR 1551/01
Rechtsgebiete: BVerfGG, StPO, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93a Abs. 2 Buchstabe b
StPO § 153a Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 4 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 2 BvR 1551/01 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Bescheid der Staatsanwaltschaft Münster vom 14. September 2001 - 48 Js 430/96 -,

b) den Bescheid der Staatsanwaltschaft Münster vom 6. August 2001 - 48 Js 430/96 -,

c) die Zustimmungserklärung des Amtsgerichts Münster vom 2. Juli 2001,

d) die Zustimmungserklärung des Amtsgerichts Münster vom 11. April 2001

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 4. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Jentsch, Di Fabio gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 5. November 2001 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Überprüfung von Einstellungsentscheidungen der Staatsanwaltschaften nach § 153a Abs. 1 StPO.

I.

1. Der Beschwerdeführer wurde wegen des Verdachts des Handels mit Betäubungsmitteln vorläufig festgenommen; da er sog. Kokain-Bubbles - mit Kokain gefüllte, fest verschweißte Plastikkügelchen - geschluckt hatte, wurde er in ein Krankenhaus verbracht, wo ein Polizeibeamter einen körperlichen Eingriff zur Sicherstellung der Kokain-Bubbles anordnete. Der behandelnde Arzt gelangte nach Durchführung einer Magenspiegelung zu der Auffassung, die Entfernung der Kokain-Bubbles mittels Gastroskopie sei für den Beschwerdeführer zu gefährlich, weil sie sich bereits zu einer Masse verklumpt hätten. Es wurde die operative Entfernung angeordnet. Bei der im Wege eines Bauchschnittes durchgeführten Operation wurden 14 Kokain-Bubbles sichergestellt.

2. Der Beschwerdeführer erstattete Strafanzeige gegen den Polizeibeamten und die an der Operation beteiligten Ärzte. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm im Klageerzwingungsverfahren gegen den Polizeibeamten hat das Bundesverfassungsgericht aufgehoben und an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 1998 - 2 BvR 1314/97 -, EuGRZ 1998, S. 466 ff.). Das Ermittlungsverfahren gegen die behandelnden Ärzte wurde hinsichtlich des Beschuldigten und eines weiteren Arztes gegen Zahlung einer Auflage von je 1.000 DM gem. § 153a Abs. 1 StPO eingestellt. Dabei ging die Staatsanwaltschaft davon aus, dass sich die Beschuldigten wegen eines vermeidbaren Irrtums über den Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung nur wegen einer fahrlässigen Körperverletzung strafbar gemacht haben konnten. Hinsichtlich der übrigen beschuldigten Ärzte erfolgte die Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO.

3. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Beschuldigten und die entsprechenden Zustimmungserklärungen des Amtsgerichts. Der Beschwerdeführer begehrt die Aufhebung der nach § 153a Abs. 1 StPO erfolgten Verfahrenseinstellung und eine Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen den Beschuldigten. Er macht geltend, das Ermittlungsverfahren sei nicht in rechtsstaatlich einwandfreier und in einer für ihn angreifbaren Weise beendet worden. Die unbegründeten Zustimmungserklärungen des Amtsgerichts seien nicht ordnungsgemäß, weil aus ihnen nicht hervorgehe, welche rechtlichen Gründe für die Entscheidung maßgebend gewesen seien. Sie gingen im Übrigen ins Leere, weil der Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 153a Abs. 1 StPO eine Rechtsbeugung des sachbearbeitenden Staatsanwalts zu Grunde liege. Nach einem im Ermittlungsverfahren eingeholten rechtsmedizinischen Gutachten habe sich der Beschuldigte eindeutig einer vorsätzlichen Körperverletzung strafbar gemacht; die Gründe der Einstellungsverfügung seien nicht nachvollziehbar.

Daneben begehrt der Beschwerdeführer, das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen im Wege einer einstweiligen Anordnung anzuweisen, das Ermittlungsverfahren einer anderen Staatsanwaltschaft zu übertragen und diese anzuhalten, die Unterbrechung der Verjährung der Straftaten bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde herbeizuführen.

II.

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor.

1. Die Sache hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG, denn die entscheidungserheblichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Dies gilt insbesondere für die Gewährung eines durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 31, 33 <39 f.>; 83, 182 <194>; 96, 100 <114 f.>; 101, 106 <122 f.>).

2. Eine Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt, denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

a) Die Rüge einer Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ist unbegründet.

Zwar handelt es sich bei der Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft nach § 153a Abs. 1 StPO um einen Akt der öffentlichen Gewalt im Sinne von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Die Staatsanwaltschaften gehören trotz ihrer organischen Eingliederung in die Justiz (BVerfGE 9, 223 <228>) zur Exekutive (Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00 -, NJW 2001, S. 1121 <1123>). Einstellungsverfügungen sind judizielle Entscheidungen der Staatsanwaltschaft als Rechtspflegeorgan der Justiz; sie sind - mit Ausnahme von § 153a Abs. 2 Satz 4 StPO - nicht der materiellen Rechtskraft fähig, sodass es sich dabei nicht um rechtsprechende Gewalt im Sinne von Art. 92 GG handelt (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., vor § 141 GVG Rn. 5 f.). Demgegenüber handelt es sich bei der Zustimmungserklärung des für die Hauptverhandlung zuständigen Gerichts nach § 153a Abs. 1 StPO um einen hoheitlichen Akt der Rechtsprechung, der die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht aktiviert. Diese Verfassungsnorm gewährt Schutz durch den Richter, nicht gegen den Richter (BVerfGE 76, 93 <98>; stRspr).

Der Beschwerdeführer hat jedoch nicht geltend gemacht, durch die staatsanwaltschaftliche Einstellungsverfügung in seinen Rechten verletzt zu sein. Ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG setzt eine im Interesse des Einzelnen gewährte Rechtsposition voraus; nur zum Schutz derartiger Rechtspositionen ist der Rechtsweg verfassungsrechtlich garantiert (BVerfGE 83, 182 <194>; 27, 297 <305>). Solche Rechtspositionen können sich aus einem Grundrecht oder einer grundrechtsgleichen Gewährleistung ergeben, aber auch durch einfaches Gesetz begründet sein, wobei der Gesetzgeber bestimmt, unter welchen Voraussetzungen dem Bürger ein Recht zusteht und welchen Inhalt es hat (BVerfGE 96, 100 <114 f.>). Die Verletzung bloßer Interessen genügt nicht; entscheidend ist, ob die einschlägige Norm dem Schutz des Betroffenen zu dienen bestimmt ist, d.h. ob sie einen derartigen Schutz bezweckt und nicht lediglich zur Folge hat (BVerfGE 31, 33 <39 f.>).

Eine solche Rechtsposition des Beschwerdeführers, deren Verletzung er gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG im Rechtsweg geltend machen könnte, ist nicht gegeben. § 153a Abs. 1 Satz 1 StPO bezweckt nicht den Schutz des durch eine Straftat Verletzten. Hauptregelungszweck ist die Kompensation des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch die Erfüllung von Auflagen und Weisungen. Eine Verletzung von Rechten des durch eine Straftat Verletzten scheidet grundsätzlich aus, wenn es um die Beurteilung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft geht (vgl. BVerfGE 51, 176 <187>). Daneben schützt § 153a Abs. 1 StPO und das ihm nachfolgende eingeschränkte Verfolgungshindernis (vgl. Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 14. August 1989 - 1 Ws 145/89 -, Die Justiz 1990, S. 28) auch denjenigen Beschuldigten, der die ihm erteilten Auflagen und Weisungen erfüllt; dieser muss nicht mehr damit rechnen, hinsichtlich derselben Tat nochmals wegen eines Vergehens strafrechtlich verfolgt zu werden. Zwar zeigt die Möglichkeit der Klageerzwingung nach § 172 StPO, dass durchaus auch Interessen des Verletzten bei der Einstellung von strafrechtlichen Ermittlungen Berücksichtigung finden können. Diese finden auch über das Kriterium der Schwere der Schuld bei der Einstellungsentscheidung nach § 153a Abs. 1 StPO eine gewisse Anerkennung. Es ist jedoch verfassungsrechtlich unbedenklich, dass der Gesetzgeber ein solches Interesse bei Verfahrenseinstellungen nach § 153a Abs. 1 StPO nicht mit einer das Klageerzwingungsverfahren eröffnenden Wirkung gewichtet hat, § 172 Abs. 2 Satz 3 StPO. § 153a StPO dient - auch im Interesse der Entlastung und damit der Funktion der Strafrechtspflege - der Zurückdrängung des Strafens im Bereich der kleineren und mittleren Kriminalität; in diesem Bereich wiegen die Interessen des durch eine Straftat Geschädigten in der Regel nicht besonders schwer. Es wäre darüber hinaus mit der Annahme eines Verfolgungshindernisses unvereinbar, wenn der Verletzte seine Interessen in den Fällen des § 153a Abs. 1 StPO im Rechtsweg geltend machen könnte. Einer willkürlichen Handhabung dieser Vorschrift durch die Staatsanwaltschaften wird auch dadurch entgegen gewirkt, dass die Verfahrenseinstellung nach § 153a Abs. 1 StPO nur mit Zustimmung des für das Hauptverfahren zuständigen Gerichts erfolgen darf. Im Übrigen gewährleistet auch die Verfassung keinen Anspruch auf Strafverfolgung eines anderen durch den Staat (BVerfGE 51, 176 <187>).

b) Anhaltspunkte für eine willkürliche oder rechtsmissbräuchliche Einstellung des Verfahrens bezüglich des Beschuldigten sind nicht ersichtlich.

Gegen den Gleichheitssatz wird nicht bereits dann verstoßen, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren fehlerhaft sind. Hinzukommen muss vielmehr, dass Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (BVerfGE 80, 48 <51>).

Diesen Anforderungen wird die Verfahrenseinstellung nach § 153a Abs. 1 StPO gerecht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass den Staatsanwaltschaften bei der Anwendung des Opportunitätsprinzips und der Beurteilung besonderer Wertungskriterien für die Nichtverfolgung einer Straftat - wie der geringen Schuld des Beschuldigten oder dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung - ein besonders weiter Beurteilungsspielraum zukommt. Sowohl die rechtliche Bewertung der Tat als Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung wie auch die Annahme, die Schwere der Schuld stehe einer Einstellung nach § 153a Abs. 1 StPO nicht entgegen, sind rechtlich vertretbar. Sie beruhen auf der Annahme, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die beschuldigten Ärzte nicht sicher waren, ob die zahlreichen im Magen des Beschwerdeführers festgestellten Kokain-Bubbles keine Lebensgefahr darstellten. Zwar ist die Staatsanwaltschaft und ihr folgend das Amtsgericht nicht der Bewertung des Gutachtens gefolgt, wonach davon auszugehen sei, dass der Beschuldigte das Nichtvorliegen einer Notfallsituation im Sinne einer akuten Drogenvergiftung des Beschwerdeführers erkannt hatte. Die Staatsanwaltschaft hat dabei jedoch zu Gunsten der Beschuldigten - vorsatzausschließend und schuldmindernd - berücksichtigt, dass zum Tatzeitpunkt konkrete Anweisungen, Standards oder Absprachen über die Behandlung von Patienten, die Kokain-Bubbles geschluckt hatten, nicht vorlagen und es bereits schon einmal zu einem lebensgefährlichen Vorfall mit einem solchen Patienten gekommen war. Hiergegen ist von Verfassungs wegen nichts zu erinnern. Eine Begründung der Zustimmungsentscheidung des Amtsgerichts war weder nach den Vorschriften der Strafprozessordnung (§ 34 StPO) noch verfassungsrechtlich geboten. Es gibt grundsätzlich keine verfassungsrechtliche Begründungspflicht für mit ordentlichen Rechtsbehelfen nicht mehr angreifbare gerichtliche Entscheidungen (BVerfGE 81, 97 <106>; 50, 287 <289 f.>).

c) Im Übrigen fehlt es an einer den Begründungsanforderungen von § 92, § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG genügenden hinreichend substantiierten Darlegung der Verletzung in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten.

3. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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