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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 30.10.2002
Aktenzeichen: 2 BvR 1837/00
Rechtsgebiete: BNotO, BRAO


Vorschriften:

BNotO § 39 Abs. 2 Satz 1
BNotO § 39 Abs. 3 Satz 2
BRAO § 43 a Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1837/00 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 14. Juli 2000 - 3 StR 53/00 -,

b) das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 22. Mai 1998 - V.gr. 1/96 KLs 182 Js 30467/93 -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 30. Oktober 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat.

1. Der Einwand des Beschwerdeführers, die 5. Große Strafkammer des Landgerichts sei nicht der ihm nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zustehende gesetzliche Richter gewesen, ist unbegründet, weil die Neuregelung der Kammerzuständigkeit für Strafverfahren gegen Rechtsanwälte und Notare im Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts für das Jahr 1996 mit Wirkung auch für das vorliegende, bereits anhängige, Verfahren von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist.

a) Mit der Garantie des gesetzlichen Richters will Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG der Gefahr vorbeugen, dass die Justiz durch eine Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird. Es soll vermieden werden, dass durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter das Ergebnis der Entscheidung - gleichgültig von welcher Seite - beeinflusst werden kann (vgl. BVerfGE 17, 294 <299>; 48, 246 <254>; 82, 286 <296>; 95, 322 <327>). Damit sollen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (vgl. BVerfGE 4, 412 <416, 418>; 95, 322 <327>).

Aus diesem Zweck des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgt, dass die Regelungen, die der Bestimmung des gesetzlichen Richters dienen, im Voraus so eindeutig wie möglich festlegen müssen, welches Gericht, welcher Spruchkörper und welche Richter zur Entscheidung des Einzelfalls berufen sind. Auch die die gesetzlichen Bestimmungen ergänzenden Regelungen über die Geschäftsverteilung in den jährlich aufzustellenden Geschäftsverteilungsplänen der Gerichte, die die Zuständigkeit der jeweiligen Spruchkörper festlegen und diesen die erforderlichen Richter zuweisen (vgl. BVerfGE 17, 294 <299>; 18, 344 <349>; 95, 322 <328>), müssen die wesentlichen Merkmale gesetzlicher Vorschriften aufweisen. Sie müssen also zum einen der Schriftform genügen und zum anderen im Voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruchkörper und die Zuweisung der einzelnen Richter regeln, damit die einzelne Sache "blindlings" aufgrund allgemeiner, vorab festgelegter Merkmale an den entscheidenden Richter gelangt und so der Verdacht einer Manipulation der rechtsprechenden Gewalt ausgeschlossen wird (vgl. BVerfGE 4, 412 <416>; 82, 286 <298>; 95, 322 <329>).

Das aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgende Gebot, den gesetzlichen Richter so eindeutig und genau wie möglich im Voraus zu bestimmen, schließt Neuregelungen, die das bisherige Recht über den gesetzlichen Richter ändern, nicht aus (vgl. BVerfGE 24, 33 <54>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 1988 - 1 BvR 155/85 u.a. -, NJW 1989, S. 382 f.). Die Rechtsprechungstätigkeit der Gerichte und ihrer Spruchkörper wird regelmäßig auch mit konkret nicht vorhersehbaren Tatsachen und Ereignissen wie Überlastung, ungenügende Auslastung, Wechsel oder Verhinderung einzelner Richter konfrontiert. Derartigen Umständen kann in den Regelungen zur Bestimmung des gesetzlichen Richters ebenso Rechnung getragen werden (vgl. BVerfGE 17, 294 <300>; 18, 344 <349>; 95, 322 <332, 333>) wie Anforderungen an die Effektivität der Tätigkeit der Rechtsprechungsorgane (vgl. BVerfGE 95, 322 <332 oben>). Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG steht daher einer Änderung der Zuständigkeit auch für bereits anhängige Verfahren nicht entgegen, wenn die Neuregelung generell gilt, also außer anhängigen Verfahren auch eine unbestimmte Vielzahl künftiger, gleichartiger Fälle erfasst und nicht aus sachwidrigen Gründen geschieht (vgl. BVerfGE 24, 33 <54>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 1988 - 1 BvR 155/85 u.a. -, NJW 1989, S. 382 <383>; Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Band V, Art. 101 Rn. 24; Degenhardt, in: Sachs, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 101 Rn. 12; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Kommentar zum Grundgesetz, Band III, Art. 101 Rn. 18; Wassermann, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, 3. Auflage, Art. 101 Rn. 16; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, 6. Auflage, Art. 101 Rn. 4).

b) Diesen Anforderungen genügt die im Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts für das Jahr 1996 mit Wirkung auch für das gegen den Beschwerdeführer bereits im Jahr 1995 anhängig gewesene Strafverfahren enthaltene Zuständigkeitsneuregelung für "Anwalts- und Notarsachen". Die maßgebliche Bestimmung ist schriftlich abgefasst und weist die Zuständigkeit für sämtliche "Anwalts- und Notarstrafsachen" - sowohl die künftig eingehenden als auch die bereits anhängigen - der 5. Großen Strafkammer des Landgerichts zu. Diese Zuweisung erfolgt nach allgemeinen Merkmalen (abstrakt) und in Bezug auf eine unbestimmte Vielzahl künftiger gleichartiger Fälle (generell). Sie ist auch nicht aus sachfremden Gründen vorgenommen worden, sondern zur dringend erforderlichen Entlastung einer Zivilkammer und um eine sinnvolle Konzentration der Wirtschaftsstrafsachen einerseits, der "Anwalts- und Notarstrafsachen" andererseits, zu gewährleisten.

Für die weitere Behauptung des Beschwerdeführers, die Geschäftsverteilungsplanänderung sei nur abstrakt-generell formuliert, in Wahrheit aber - nach "Verfahrensverweigerung" durch die 1. Große Strafkammer des Landgerichts - vom Präsidium zielgerichtet vorgenommen worden, fehlt es an konkreten Anhaltspunkten.

2. Auch der Einwand des Beschwerdeführers, das vom Landgericht gegen ihn verhängte dreijährige Berufsverbot verstoße gegen Art. 12 Abs. 1 GG, ist unbegründet.

a) Soweit der Beschwerdeführer seiner Argumentation die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu lebenslang wirkenden Berufsverboten zu Grunde legt (vgl. BVerfGE 66, 337 <359 f.>), ist schon seine Prämisse unzutreffend. Gegen den Beschwerdeführer wurde kein lebenslanges, sondern ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Berufsverbot verhängt, das angesichts fehlender Altersgrenzen für Rechtsanwälte auch unter Berücksichtigung seines Lebensalters (von derzeit 51 Jahren) und der Inhaftierungszeit (§ 70 Abs. 4 Satz 3 StGB) einem lebenslänglich wirkenden Berufsverbot nicht gleichkommt.

b) Das Landgericht hat das die Berufswahlfreiheit des Beschwerdeführers einschränkende (BVerfGE 25, 88 <101>; 66, 337 <353>) dreijährige Berufsverbot auf § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB gestützt, der die Rechte aus Art. 12 Abs. 1 GG in verfassungsmäßiger Weise zum Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsguts einschränkt (vgl. BVerfGE 25, 88 <101>; BVerfGE 66, 337 <353>). Die gemäß § 70 Abs. 1 StGB ins Ermessen des Gerichts gestellte Sicherungsmaßregel "Berufsverbot" soll die Allgemeinheit vor den Gefahren schützen, die von der Ausübung eines Berufs durch hierfür nicht hinreichend zuverlässige Personen ausgehen (vgl. Hanack, in: Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, 11. Aufl., § 70 Rn. 1 mit Rn. 18). Sie kann u.a. gegen denjenigen angeordnet werden, der wegen einer rechtswidrigen Tat verurteilt wurde, die er unter Missbrauch seines Berufs oder unter grober Verletzung der damit verbundenen Pflichten begangen hat, wenn eine Gesamtwürdigung des Täters und der Tat die Gefahr erkennen lässt, dass er bei weiterer Ausübung dieses Berufs vergleichbare Straftaten begehen werde. Entsprechend dem Gefahrenabwehrzweck des § 70 Abs. 1 StGB muss der Missbrauch oder die Pflichtverletzung in einem inneren Zusammenhang mit der Berufsausübung oder deren regelmäßiger Gestaltung stehen und so symptomatisch die Unzuverlässigkeit des Täters in seinem Beruf erkennen lassen (vgl. Hanack, in: Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, 11. Aufl., § 70 Rn. 18; Stree, in: Schöncke-Schröder, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 26. Aufl., § 70 Rn. 6 f.; Tröndle/Fischer, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 50. Aufl., § 70 Rn. 3).

Landgericht und Bundesgerichtshof haben angenommen, dass der Beschwerdeführer durch die Auszahlung auf einem Notaranderkonto eingegangener Darlehensbeträge Beihilfe zur betrügerischen Schädigung der jeweils kreditgewährenden Bank geleistet und hierbei sowohl seinen Anwaltsberuf missbraucht als auch seine anwaltlichen Pflichten grob verletzt habe. Den spezifischen Berufsbezug der Betrugsbeihilfe hat der Bundesgerichtshof zum einen damit begründet, dass der Beschwerdeführer gemäß § 39 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 BNotO als Rechtsanwalt zum Vertreter des mitangeklagten Notars M. bestellt worden und somit bei Begehung der Taten gerade kraft seiner Anwaltsstellung in einem funktionell erweiterten Aufgaben- und Pflichtenkreis tätig geworden sei. Zum anderen stehe sein strafbares Verhalten in innerem Zusammenhang mit der regelmäßigen Gestaltung auch des Anwaltsberufs, da die sorgfältige Verwahrung von Geld gemäß § 43 a Abs. 5 BRAO zu den Aufgaben eines Rechtsanwalts gehöre und die Bevölkerung dem Rechtsanwalt insoweit dasselbe Vertrauen entgegenbringe wie einem Notar (also in gleicher Weise auf seine Zuverlässigkeit angewiesen sei).

Diese an Wortlaut und Gefahrenabwehrzweck des § 70 Abs. 1 StGB orientierte Argumentation beruht auf sachlichen, einen Willkürvorwurf ausschließenden, Erwägungen. Sie lässt auch nicht befürchten, dass der Bundesgerichtshof Bedeutung und Tragweite des Berufsgrundrechts, insbesondere die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, verkannt haben könnte. Der Beschwerdeführer wendet insoweit ein, er habe die abgeurteilten Straftaten bei Erfüllung funktionell notarieller Aufgaben begangen. Damit macht er in der Sache geltend, es sei - anstelle des aus seiner Sicht nicht erforderlichen vollständigen Berufsverbots - ausreichend gewesen, ihm die Fortführung oder Übernahme von Notarvertretungen zeitweise zu untersagen. Dabei übersieht er jedoch, dass die von den Gerichten des Ausgangsverfahrens auf Grund seiner Straftaten angenommene Gefahr, er könne auch zukünftig im Zusammenhang mit der Verwahrung von Geldern an Betrugstaten mitwirken, nicht nur in Fällen der Weiterführung oder Neuübernahme einer Notarvertretung besteht, sondern auch bei der Verwahrung von Vermögenswerten im Rahmen seiner weiteren Rechtsanwaltstätigkeit. Die dieser Gefahrenprognose zu Grunde liegende Erwägung, dass eine im notariellen Aufgaben- und Pflichtenkreis begangene Straftat auch die Zuverlässigkeit des Täters bei Ausführung vergleichbarer anwaltlicher Tätigkeiten in Frage stellt, entspricht der gesetzgeberischen Wertung in § 97 Abs. 5 BNotO und ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

Das auf drei Jahre befristete Verbot, den Rechtsanwaltsberuf auszuüben, ist - wie von den Gerichten des Ausgangsverfahrens im Einzelnen ausgeführt - angesichts der Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten auch unter Berücksichtigung seines Alters nicht unverhältnismäßig im engeren Sinne. Insbesondere wurde dem langen Zurückliegen der Taten bei der Bemessung der Dauer des Verbots hinreichend Rechnung getragen.

c) Die weitere Rüge des Beschwerdeführers, das Berufsverbot habe nicht verhängt werden dürfen, weil das ihm vorgeworfene Verhalten nach neuerer Lehre mangels Zurechenbarkeit keine strafbare Beihilfe darstelle, betrifft die Anwendung einfachen, vom Bundesverfassungsgericht nicht zu überprüfenden (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>) Rechts.

3. Der Einwand des Beschwerdeführers, das Landgericht habe sein rechtliches Gehör verletzt, indem es möglicherweise im abgetrennten Verfahren gegen den Mitangeklagten B. erhobene Beweise zu seinen Lasten verwertet habe, ist mangels Rechtswegerschöpfung unzulässig.

Denn er hat es versäumt, diesen Einwand im Revisionsverfahren durch Erhebung einer sogenannten "Nicht-Inbegriffs-Rüge" (Verstoß gegen § 261 StPO, vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17. Januar 1984 - 5 StR 970/83 -, StV 1984, S. 186; Urteil vom 26. Juni 1984 - 1 StR 188/84 -, JR 1985, S. 125; Gollwitzer, in: Löwe-Rosenberg, Kommentar zur Strafprozessordnung, 25. Aufl., § 261 Rn. 171 mit Rn. 17; Engelhardt, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 4. Aufl., § 261 Rn. 52) geltend zu machen (vgl. BVerfGE 95, 96 <127>).

Von einer weiter gehenden Begründung der Entscheidung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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