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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 27.09.2002
Aktenzeichen: 2 BvR 1843/00
Rechtsgebiete: BVerfGG


Vorschriften:

BVerfGG § 23 Abs. 1 Satz 2
BVerfGG § 92
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1843/00 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. Juli 2000 - 3 StR 454/99 -,

b) das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 22. Mai 1998 - V.gr. 1/96 KLs 182 Js 30467/93 -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 27. September 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat.

1. Sie genügt, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs und seiner Berufsfreiheit durch das Landgericht rügt, nicht den Begründungsanforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG. Denn der Beschwerdeführer hat es versäumt, das landgerichtliche Urteil in Kopie vorzulegen (der Verfassungsbeschwerde beigefügt sind lediglich das Deckblatt und das Rubrum) oder in einer Weise inhaltlich mitzuteilen, die dem Bundesverfassungsgericht eine Überprüfung ermöglichte. Ohne Kenntnis der Urteilsgründe kann weder festgestellt werden, ob das Landgericht das gegen den Beschwerdeführer verhängte Berufsverbot auf verfassungsrechtlich tragfähige Erwägungen gestützt, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen hat, noch, ob es seiner Entscheidung in dem zeitweise abgetrennten Verfahren gegen B. erhobene Beweise zugrunde gelegt hat, zu denen sich der Beschwerdeführer nicht hatte äußern können.

2. Der Einwand des Beschwerdeführers, die 5. Große Strafkammer des Landgerichts sei nicht der ihm nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zustehende gesetzliche Richter gewesen, ist unbegründet, weil die Neuregelung der Kammerzuständigkeit für Strafverfahren gegen Rechtsanwälte und Notare im Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts für das Jahr 1996 mit Wirkung auch für das vorliegende, bereits anhängige Verfahren von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist.

a) Mit der Garantie des gesetzlichen Richters will Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG der Gefahr vorbeugen, dass die Justiz durch eine Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird. Es soll vermieden werden, dass durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter das Ergebnis der Entscheidung - gleichgültig von welcher Seite - beeinflusst werden kann (vgl. BVerfGE 17, 294 <299>; 48, 246 <254>; 82, 286 <296>; 95, 322 <327>). Damit sollen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (vgl. BVerfGE 4, 412 <416, 418>; 95, 322 <327>).

Aus diesem Zweck des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgt, dass die Regelungen, die der Bestimmung des gesetzlichen Richters dienen, im Voraus so eindeutig wie möglich festlegen müssen, welches Gericht, welcher Spruchkörper und welche Richter zur Entscheidung des Einzelfalls berufen sind. Auch die die gesetzlichen Bestimmungen ergänzenden Regelungen über die Geschäftsverteilung in den jährlich aufzustellenden Geschäftsverteilungsplänen der Gerichte, die die Zuständigkeit der jeweiligen Spruchkörper festlegen und diesen die erforderlichen Richter zuweisen (vgl. BVerfGE 17, 294 <299>; 18, 344 <349>; 95, 322 <328>), müssen die wesentlichen Merkmale gesetzlicher Vorschriften aufweisen. Sie müssen also zum einen der Schriftform genügen und zum anderen im Voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruchkörper und die Zuweisung der einzelnen Richter regeln, damit die einzelne Sache "blindlings" aufgrund allgemeiner, vorab festgelegter Merkmale an den entscheidenden Richter gelangt und so der Verdacht einer Manipulation der rechtsprechenden Gewalt ausgeschlossen wird (vgl. BVerfGE 4, 412 <416>; 82, 286 <298>; 95, 322 <329>).

Das aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgende Gebot, den gesetzlichen Richter so eindeutig und genau wie möglich im Voraus zu bestimmen, schließt Neuregelungen, die das bisherige Recht über den gesetzlichen Richter ändern, nicht aus (vgl. BVerfGE 24, 33 <54>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 1988 - 1 BvR 155/85 u.a. -, NJW 1989, S. 382 f.). Die Rechtsprechungstätigkeit der Gerichte und ihrer Spruchkörper wird regelmäßig auch mit konkret nicht vorhersehbaren Tatsachen und Ereignissen wie Überlastung, ungenügende Auslastung, Wechsel oder Verhinderung einzelner Richter konfrontiert. Derartigen Umständen kann in den Regelungen zur Bestimmung des gesetzlichen Richters ebenso Rechnung getragen werden (vgl. BVerfGE 17, 294 <300>; 18, 344 <349>; 95, 322 <332/333>) wie Anforderungen an die Effektivität der Tätigkeit der Rechtsprechungsorgane (vgl. BVerfGE 95, 322 <332 oben>). Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG steht daher einer Änderung der Zuständigkeit auch für bereits anhängige Verfahren nicht entgegen, wenn die Neuregelung generell gilt, also außer anhängigen Verfahren auch eine unbestimmte Vielzahl künftiger, gleichartiger Fälle erfasst und nicht aus sachwidrigen Gründen geschieht (vgl. BVerfGE 24, 33 <54>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 1988 - 1 BvR 155/85 u.a. -, NJW 1989, S. 382 <383>; Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Band V, Art. 101 Rn. 24; Degenhart, in: Sachs, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 101 Rn. 12; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Kommentar zum Grundgesetz, Band III, Art. 101 Rn. 18; Wassermann, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, 3. Auflage, Art. 101 Rn. 16; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, 6. Auflage, Art. 101 Rn. 4).

b) Diesen Anforderungen genügt die im Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts für das Jahr 1996 mit Wirkung auch für das gegen den Beschwerdeführer bereits im Jahr 1995 anhängig gewesene Strafverfahren enthaltene Zuständigkeitsneuregelung für "Anwalts- und Notarsachen". Die maßgebliche Bestimmung ist schriftlich abgefasst und weist die Zuständigkeit für sämtliche "Anwalts- und Notarstrafsachen" - sowohl die künftig eingehenden als auch die bereits anhängigen - der 5. Großen Strafkammer des Landgerichts zu. Diese Zuweisung erfolgt nach allgemeinen Merkmalen (abstrakt) und in Bezug auf eine unbestimmte Vielzahl künftiger gleichartiger Fälle (generell). Sie ist auch nicht aus sachfremden Gründen vorgenommen worden, sondern zur dringend erforderlichen Entlastung einer Zivilkammer und um eine sinnvolle Konzentration der Wirtschaftsstrafsachen einerseits, der "Anwalts- und Notarstrafsachen" andererseits, zu gewährleisten.

Für die weitere Behauptung des Beschwerdeführers, die Geschäftsverteilungsplanänderung sei nur abstrakt-generell formuliert, in Wahrheit aber - nach "Verfahrensverweigerung" durch die 1. Große Strafkammer des Landgerichts - vom Präsidium zielgerichtet vorgenommen worden, fehlt es an konkreten Anhaltspunkten.

Von einer weiter gehenden Begründung der Entscheidung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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