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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 01.04.2008
Aktenzeichen: 2 BvR 1925/04
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 2
GG Art. 104 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES

- 2 BvR 1925/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 27. August 2004 - 13 W 62/04 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 16. Juli 2004 - 14 T 431/04 -,

c) den Beschluss des Amtsgerichts Oldenburg vom 6. April 2004 - 44 XIV 56/03 (I) -

hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Broß, die Richterin Lübbe-Wolff und den Richter Gerhardt am 1. April 2008 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Amtsgerichts Oldenburg vom 6. April 2004 - 44 XIV 56/03 (I) - verletzt den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes und aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 16. Juli 2004 - 14 T 431/04 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 27. August 2004 - 13 W 62/04 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.

Die Beschlüsse werden aufgehoben, soweit sie über die Kosten entscheiden. Die Sache wird zur Entscheidung über die Kosten an das Landgericht Oldenburg zurückverwiesen.

Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Richtervorbehalt bei geplanter Abschiebungshaft.

1. Der aus dem Kosovo stammende Beschwerdeführer reiste im November 1999 in das Bundesgebiet ein. Ein Asylantrag blieb erfolglos. Im Februar 2002 erklärte der Beschwerdeführer gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde, dass er freiwillig ausreisen werde; ihm wurde eine Ausreisefrist von einem Monat gewährt. Der Beschwerdeführer tauchte dann jedoch unter. Am 7. August 2003 sprach der Beschwerdeführer beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Außenstelle Oldenburg, vor und stellte einen Asylfolgeantrag. Noch am selben Tag teilte die zuständige Ausländerbehörde des Landkreises Stade per Fax der Bezirksregierung Weser-Ems mit, dass laut Auskunft des Bundesamtes ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt werde, und bat um Amtshilfe zum Zwecke der Abschiebung. Mit Schreiben vom 8. August 2003 bat die Bezirksregierung Weser-Ems die Polizeiinspektion Oldenburg, den Beschwerdeführer in Gewahrsam zu nehmen und ihn um 11.30 Uhr dem zuständigen Amtsrichter des Amtsgerichts Oldenburg vorzuführen. Der Beschwerdeführer wurde sodann in Oldenburg in der Zentralen Aufnahmestelle festgenommen. Die Bezirksregierung beantragte am selben Tag die Anordnung von Abschiebungshaft für die Dauer von drei Monaten. Im Haftantrag heißt es, der Anhörungstermin sei bereits abgestimmt worden und die Polizei werde für eine termingerechte Vorführung sorgen. Die zeitliche Abfolge von Festnahme und Haftantragstellung lässt sich den Gerichts- und Behördenakten nicht entnehmen. Das Amtsgericht ordnete antragsgemäß Abschiebungshaft an.

2. Am 30. März 2004 beantragte der Beschwerdeführer festzustellen, dass die Freiheitsentziehung in der Zeit von seiner Festnahme bis zum Erlass des Abschiebungshaftbeschlusses rechtswidrig gewesen sei. Die Ausländerbehörde sei nicht ermächtigt gewesen, den Beschwerdeführer aus eigener Machtvollkommenheit zur vorläufigen Sicherung der Abschiebung in Gewahrsam zu nehmen und dem Haftrichter vorzuführen. Es hätte einer vorherigen richterlichen Entscheidung - gegebenenfalls im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 11 FreihEntzG - auf Antrag der zuständigen Behörde bedurft, da ein Fall geplanter Haft vorgelegen habe.

Das Amtsgericht stellte daraufhin fest, dass die Freiheitsentziehung bis zum Erlass des Abschiebungshaftbefehls rechtmäßig gewesen sei. Es habe sich um einen Zeitraum von maximal zwei Stunden gehandelt, in dem sich der Beschwerdeführer in Gewahrsam befunden habe.

3. Das Landgericht wies die sofortige Beschwerde als unbegründet zurück, da der Aufgriff des Beschwerdeführers unvorhersehbar gewesen sei, so dass eine vorherige richterliche Entscheidung nicht habe eingeholt werden können. Die richterliche Entscheidung sei unverzüglich nachgeholt worden.

4. Der Beschwerdeführer erhob sofortige weitere Beschwerde: Die der Haftanordnung vorangegangene Freiheitsentziehung habe gegen Art. 104 Abs. 2 GG verstoßen. Die Bezirksregierung sei bereits am 7. August 2003 durch den Landkreis Stade um Festnahme des Beschwerdeführers gebeten worden, und die Festnahme sei dann - wie geplant - im Wohnheim der Zentralen Aufnahmestelle erfolgt. Es sei deshalb nicht ersichtlich, weshalb eine vorherige richterliche Entscheidung zum Zwecke der Festnahme nicht hätte eingeholt werden können.

Das Oberlandesgericht wies die sofortige weitere Beschwerde als unbegründet zurück. Die Freiheitsentziehung setze grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung voraus. Eine solche habe hier vorgelegen. Wie sich aus dem Antrag der Bezirksregierung an das Amtsgericht ergebe, sei die richterliche Anhörung des Beschwerdeführers bereits zuvor für den 8. August 2003, 11.30 Uhr, telefonisch abgestimmt worden. Zugleich sei mitgeteilt worden, dass die Polizei für eine termingerechte Vorführung des Beschwerdeführers sorgen werde. In dem Amtshilfeersuchen an die Polizei werde der Zeitpunkt für den Vorführungstermin genannt, weshalb davon auszugehen sei, dass vor Absenden des Amtshilfeersuchens und damit vor der Festnahme des Beschwerdeführers zum Zwecke der Vorführung der Anhörungstermin beim Amtsgericht schon vereinbart gewesen sei. Diesem Sachverhalt sei zu entnehmen, dass der Amtsrichter im Rahmen der Terminabsprache bereits mit dem Sachverhalt befasst gewesen sei und mit der Terminsvereinbarung die Festnahme des Beschwerdeführers gebilligt habe, da anderenfalls eine Vorführung nicht hätte erfolgen müssen. Damit habe materiell eine vorherige richterliche Entscheidung, wie sie Art. 104 Abs. 2 GG fordere, zwecks Vorführung vor das Amtsgericht vorgelegen. Eine schriftliche Fixierung dieser richterlichen Entscheidung sei nicht erfolgt. Mit Blick auf § 11 Abs. 2 FreihEntzG und auf § 6 Abs. 1 FreihEntzG dürfte hierfür zwar grundsätzlich eine schriftliche Beschlussentscheidung zu fordern sein, an der es hier fehle. Dies sei jedoch ausnahmsweise unschädlich, da ein Eilfall vorgelegen habe. Unmittelbar nach seiner Festnahme habe der Beschwerdeführer dem Richter vorgeführt werden sollen. Im Falle des Erlasses eines Sicherungshaftbefehls hätte er einen begründeten Beschluss erhalten, der in seinen Voraussetzungen mit den Festnahmevoraussetzungen identisch gewesen wäre. Eine Überprüfung der Festnahme auf Rechtmäßigkeit sei - auch wegen der nur mit ex-nunc-Wirkung greifenden Sicherungshaftanordnung - unverändert möglich gewesen. Eine wesentliche Verschlechterung der Rechtsposition des Beschwerdeführers sei demnach durch die fehlende schriftliche Fixierung nicht eingetreten. Für die Zukunft werde jedoch darauf zu achten sein, dass eine den Formerfordernissen entsprechende schriftliche Fixierung der richterlichen Entscheidung erfolge. Das Landgericht habe in seiner Entscheidung festgestellt, dass der Aufgriff des Beschwerdeführers für die Ausländerbehörde unvorhersehbar gewesen sei, so dass nach dessen Auffassung konsequenterweise ein Ausnahmefall für eine nachträgliche richterliche Entscheidung vorgelegen habe. Diese Feststellung des Landgerichts sei so nicht zutreffend gewesen, weil der Beschwerdeführer bereits am 7. August 2003 erschienen sei und einen Asylfolgeantrag gestellt habe. Der Senat sei an die Feststellung nicht gebunden, weil das Landgericht die seiner Folgerung zugrunde liegenden Tatsachen nicht mitgeteilt habe und damit eine Überprüfung des gezogenen Schlusses nicht eröffnet gewesen sei. Dem Senat sei damit der Blick in die Akten eröffnet gewesen, aus denen sich der insoweit unstreitige Sachverhalt ergeben habe.

5. Der Beschwerdeführer erhob Gegenvorstellung, in der er das Oberlandesgericht darauf hinwies, dem Senat sei schon aus einem anderen Verfahren bekannt, dass der zuständige Richter des Amtsgerichts noch im März 2004 - und damit nach der angegriffenen Entscheidung desselben Richters - die Auffassung vertreten habe, eine vorherige richterliche Anordnung zur Ingewahrsamnahme sei unsinnig. Das Oberlandesgericht wies die Gegenvorstellung zurück. Der zuständige Amtsrichter sei nach dem festgestellten Sachverhalt mit der Sache befasst gewesen, weil er den Vorführungstermin konkret festgelegt habe. Werde zwischen Richter und Beteiligten ein Termin festgelegt, werde in der Regel bereits über den Vorgang vorab gesprochen, um zu erörtern, ob eine Vorführung erforderlich sei. Würden die Voraussetzungen nicht vorliegen, würde der Richter es zum Ausdruck bringen und eine Vorführung unterbleiben. Da ein Termin jedoch vereinbart worden sei, folge hieraus zur Überzeugung des Senats, dass der Amtsrichter mit der Sache befasst gewesen sei und inzidenter der beabsichtigten Festnahme zugestimmt habe.

6. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG durch die mit dem Feststellungsbegehren befassten Gerichte, da über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden und ein Eilfall nicht vorgelegen habe. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts habe auch keine richterliche Festnahmeanordnung vorgelegen. Aus der Tatsache, dass zwischen Ausländerbehörde und Gericht ein Anhörungstermin abgesprochen worden sei, könne nicht geschlossen werden, dass das Gericht die Festnahme angeordnet habe, zumal völlig ungeklärt sei, wann und zwischen wem ein entsprechendes Gespräch mit welchem genauen Inhalt geführt worden sei. Die hohe Bedeutung des Freiheitsgrundrechts verlange es, dass Beschlüsse, die einen Eingriff in dieses Grundrecht erlaubten, hinreichend präzisiert und auch nachvollziehbar seien. Beides sei vorliegend nicht gegeben.

Weiterhin sei Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt, da ein die Ingewahrsamnahme anordnender Beschluss gemäß § 6 FreihEntzG mit Gründen zu versehen sei und dem Betroffenen bekanntgegeben werden müsse. Dies gelte auch für Beschlüsse im Rahmen einer einstweiligen Anordnung nach § 11 FreihEntzG. Daran fehle es hier. Weiterhin sei Art. 20 Abs. 3 GG verletzt, da es an einer umfassenden Prüfung der Voraussetzungen für die Anordnung von Abschiebungshaft in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht gefehlt habe. Nichts anderes könne für eine vorangehende Ingewahrsamnahme gelten. Das Amtsgericht habe sich mit der Frage, ob die Festnahme richterlich angeordnet worden sei, nicht auseinandergesetzt. Das Landgericht habe sich darauf bezogen, dass ein Eilfall vorgelegen habe, der die Einholung einer vorherigen richterlichen Haftanordnung nicht ermöglicht habe. Das Oberlandesgericht sei von einer richterlichen Festnahmeanordnung ausgegangen und habe dies aus einem Vorgespräch in Bezug auf die Absprache des Anhörungstermins gefolgert, für seine These allerdings keine Belege benannt. Die Vorgehensweise des Oberlandesgerichts verletzte Art. 19 Abs. 4 GG.

7. Das Niedersächsische Justizministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zum Richtervorbehalt bei freiheitsentziehenden Maßnahmen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG, der Beschluss des Amtsgerichts darüber hinaus auch in dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG. In diesem Grundrecht wird der Beschwerdeführer auch durch den Beschluss des Landgerichts verletzt.

1. Die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) ist ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf (vgl. BVerfGE 10, 302 <322>; 29, 312 <316>). Geschützt wird die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor Eingriffen wie Verhaftung, Festnahme und ähnlichen Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs (vgl. BVerfGE 22, 21 <26>; 94, 166 <198>; 96, 10 <21>). Nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darf die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Die formellen Gewährleistungen des Art. 104 GG stehen mit der materiellen Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in unlösbarem Zusammenhang (vgl. BVerfGE 10, 302 <322>; 58, 208 <220>). Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen, indem er neben der Forderung nach einem förmlichen Gesetz die Pflicht, die sich aus diesem Gesetz ergebenden freiheitsschützenden Formvorschriften zu beachten, zum Verfassungsgebot erhebt (vgl. BVerfGE 10, 302 <323>; 29, 183 <195 f.>; 58, 208 <220>).

Für den schwersten Eingriff in das Recht der Freiheit der Person, die Freiheitsentziehung, fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des (förmlichen) Gesetzes den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht (vgl. BVerfGE 10, 302 <323>). Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG.

Die Freiheitsentziehung erfordert nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung, deren Zulässigkeit in Ausnahmefällen Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG voraussetzt, genügt nur, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste (vgl. BVerfGE 22, 311 <317>).

Mit Blick auf die hohe Bedeutung des Richtervorbehalts sind alle an der freiheitsentziehenden Maßnahme beteiligten staatlichen Organe verpflichtet, ihr Vorgehen so zu gestalten, dass dieser als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird (vgl. BVerfGE 105, 239 <248>; BVerfGK 7, 87 <98>).

Aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der Beachtung der sich aus dem förmlichen, die Freiheitsbeschränkung regelnden Gesetz ergebenden freiheitsschützenden Formvorschriften folgt, dass § 6 Abs. 1 FreihEntzG in Verbindung mit § 11 Abs. 2 Satz 1 FreihEntzG eine der Verfahrensgarantien enthält, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG fordert und mit verfassungsrechtlichem Schutz versieht. Diese Normen fordern auch für den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Freiheitsentziehungsverfahren einen mit Gründen versehenen Beschluss, also eine einzelfallbezogene Begründung, aus der sich die tatsächlichen Feststellungen sowie die den Beschluss tragenden rechtlichen Erwägungen des Gerichts ergeben (vgl. Marschner, in: Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Aufl. 2001, § 6 FreihEntzG Rn. 1).

Auch § 11 Abs. 1 Satz 1 FreihEntZG enthält eine Verfahrensgarantie, die nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG von Verfassungs wegen zu beachten ist. Die Regelung setzt für die einstweilige Anordnung einer Freiheitsentziehung unter anderem voraus, dass ein ordnungsgemäßer Antrag auf Erlass einer - endgültigen - Haftanordnung durch die zuständige Verwaltungsbehörde gestellt worden ist (vgl. Marschner, in: Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Aufl. 2001, § 11 FreihEntzG Rn. 2). Nach dieser Regelung dürfen vorläufige Entscheidungen über die Freiheitsentziehung nur getroffen werden, wenn das Gericht bereits mit dem Verfahren in der Hauptsache befasst ist, so dass ihm auch für die Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung die notwendigen Unterlagen vorliegen. Nur so wird es dem Gericht auch ermöglicht, seine Entscheidung über die Dauer der einstweiligen Freiheitsentziehung an die Umstände anzupassen, die dazu führen, dass zunächst eine einstweilige Anordnung notwendig wird und die endgültige Haftentscheidung noch nicht getroffen werden kann.

2. Den sich aus diesen Maßstäben ergebenden Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht.

a) In keinem der angegriffenen Beschlüsse wird die Rechtsgrundlage für die Inhaftierung des Beschwerdeführers bis zur Haftanordnung durch das Amtsgericht ausdrücklich benannt. Landgericht und Oberlandesgericht gehen allerdings von der Anwendbarkeit des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FreihEntzG) aus und haben damit inzident die Frage verneint, ob die Freiheitsentziehung bis zur Haftanordnung durch das Amtsgericht auf § 18 Abs. 1 Nr. 2, § 19 des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes (NGefAG) gestützt werden konnte. Diese Einschätzung ist der verfassungsrechtlichen Überprüfung zugrunde zu legen.

b) Das Amtsgericht verkennt Tragweite und Bedeutung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG, indem es die verfassungsrechtlich erheblichen Formvorschriften aus § 11 Abs. 1 Satz 1 FreihEntzG, § 11 Abs. 2 Satz 1 FreihEntzG, § 6 Abs. 1 FreihEntzG bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Freiheitsentziehung unbeachtet lässt.

Aus den Gerichtsakten ergibt sich, wie vom Oberlandesgericht festgestellt, dass vor der Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers entgegen der Anforderung aus § 6 Abs. 1 FreihEntzG in Verbindung mit § 11 Abs. 2 Satz 1 FreihEntzG kein begründeter Gerichtsbeschluss ergangen ist. Auch § 11 Abs. 1 FreihEntzG ist verletzt worden, wonach eine einstweilige Anordnung nur in Betracht kommt, wenn ein Antrag auf Freiheitsentziehung gestellt ist. Die seitens des Oberlandesgerichts postulierte mündlich ausgesprochene Entscheidung muss vor Eingang des Haftantrags und damit unter Verstoß gegen § 11 Abs. 1 FreihEntzG beim Amtsgericht ergangen sein, da auf das Telefongespräch im schriftlichen Haftantrag bereits Bezug genommen worden ist.

Weiter verkennt das Amtsgericht Art. 104 Abs. 2 GG, indem es die Rechtswidrigkeit der polizeilichen Freiheitsentziehung unter Berufung auf deren kurze Dauer verneint. Es scheint damit - ohne dies auch nur ansatzweise zu begründen - aus der Kürze der Freiheitsentziehung die Unerheblichkeit des Grundrechtseingriffs ableiten zu wollen und begrenzt den Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 GG in einer Weise, die sich weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus ihrem Sinn und Zweck begründen lässt. Im Gegenteil steht nach ganz allgemeiner Auffassung in Literatur und Rechtsprechung fest, dass jede Freiheitsentziehung dem Richtervorbehalt unterfällt und ohne richterliche Anordnung grundsätzlich rechtswidrig ist (vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Band 3, 1. Aufl. 2000, Art. 104 Rn. 33 m.w.N.).

c) Das Landgericht hat die Abweichung von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Notwendigkeit der vorherigen richterlichen Anordnung der Freiheitsentziehung mit dem Vorliegen eines Eilfalles gerechtfertigt, der ausweislich der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten der Ausländerbehörde offensichtlich nicht gegeben war, und damit Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt. Schon aus den dem Antrag des Prozessbevollmächtigten auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Freiheitsentziehung beigefügten Schreiben des Landkreises Stade und der Bezirksregierung Weser-Ems vom 7. und 8. August 2003 ergibt sich, dass die Inhaftierung des Beschwerdeführers zum Zwecke der Vorführung vor den Richter und der Beantragung von Abschiebungshaft seitens der beteiligten Ausländerbehörden am Tag vor dessen Festnahme geplant war. Die Ausländerbehörde hätte daher rechtzeitig einen Haftantrag stellen können, und das Amtsgericht wäre unschwer in der Lage gewesen, die vorgetragenen Haftgründe, wie geboten (vgl. BVerfGE 70, 297 <308>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. März 1998 - 2 BvR 2270/96 -, NJW 1998, S. 1774 f.), selbstständig und unter Beiziehung der Akten der Ausländerbehörde (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Dezember 2007 - 2 BvR 1033/06 -, NVwZ 2008, S. 304 <305>) zu prüfen und gegebenenfalls Haft auf der Grundlage des § 11 FreihEntzG vorläufig anzuordnen, wenn zu befürchten stand, dass der Beschwerdeführer eine Ladung zur Anhörung zum Anlass nehmen würde, unterzutauchen.

d) Das Oberlandesgericht verkennt Tragweite und Bedeutung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG, indem es die Inhaftierung des Beschwerdeführers unter Verkennung sowohl des Gebots eines schriftlichen und begründeten Beschlusses als auch des Vorliegens eines Haftantrags als Voraussetzung der Anordnung einstweiliger Freiheitsentziehung für rechtmäßig erachtet. Seine Ausführungen zur ausnahmsweisen Unschädlichkeit der Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften stehen nicht im Einklang mit der den Regelungen in § 6 Abs. 1 FreihEntzG und § 11 Abs. 1 FreihEntzG über Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG zukommenden verfassungsrechtlichen Bedeutung. Der Verstoß gegen diese Vorschriften kann insbesondere nicht mit der Argumentation für unbeachtlich erklärt werden, es habe ein Eilfall vorgelegen und im Falle der Beachtung der Vorschriften hätte der Beschwerdeführer einen Beschluss erhalten, der in seinen Voraussetzungen mit den Festnahmevoraussetzungen identisch gewesen wäre, so dass die fehlende schriftliche Fixierung keine wesentliche Verschlechterung der Rechtsposition des Beschwerdeführers bewirkt habe. Diese Betrachtungsweise widerspricht dem Gesetzesvorbehalt des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG und findet in den vom Oberlandesgericht herangezogenen Vorschriften keinen Anhalt.

III.

1. Einer Aufhebung der angegriffenen Beschlüsse bedarf es angesichts des hier festgestellten Verfassungsverstoßes nur hinsichtlich der getroffenen Kostenentscheidung (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Insoweit wird die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Auf die weiteren Grundrechtsrügen kommt es nicht an.

2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Ende der Entscheidung

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