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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 09.03.2006
Aktenzeichen: 2 BvR 1983/05
Rechtsgebiete: BVerfGG, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 32
BVerfGG § 32 Abs. 1
BVerfGG § 93d Abs. 2
GG Art. 19 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1983/05 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 1. November 2005 - 1 Ws 392/05 (StrVollz) -,

b) den Beschluss des Landgerichts Lüneburg vom 26. August 2005 - 17 StVK 236/05 -

hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Broß, die Richterin Lübbe-Wolff und den Richter Gerhardt gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 9. März 2006 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe:

1. Soweit der Antrag sich gegen die Zuweisung von Obliegenheiten richtet, die mit der Suche nach einem Therapieplatz zusammenhängen, fehlt es an der nach § 32 BVerfGG notwendigen Dringlichkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung.

Für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG ist generell ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 93, 181 <186>). Dies gilt nicht nur im Hinblick darauf, dass einstweilige Anordnungen des Bundesverfassungsgerichts weittragende Folgen haben können (vgl. BVerfGE 3, 41 <44>; stRspr), sondern auch im Hinblick auf die besondere Funktion und Organisation des Bundesverfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht ist nach den ihm durch Verfassung und Gesetz zugewiesenen Aufgaben und nach seiner gesamten Organisation weder dazu berufen noch in der Lage, vorläufigen Rechtsschutz unter ähnlichen Voraussetzungen zu gewährleisten wie die Fachgerichtsbarkeit. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 32 BVerfGG ist - anders als der von Art. 19 Abs. 4 GG geprägte vorläufige Rechtsschutz im fachgerichtlichen Verfahren - nicht darauf angelegt, möglichst lückenlosen vorläufigen Rechtsschutz zu bieten (vgl. BVerfGE 94, 166 <212 ff.>; Bescchluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. November 1999 - 2 BvR 2039/99 -, NJW 2000, S. 1399 <1400>).

Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergibt sich nicht, dass nach dem anzulegenden strengen Maßstab die einstweilige Anordnung, soweit sie Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Suche nach einem Therapieplatz betrifft, zur Abwehr schwerer Nachteile geeignet und dringend geboten ist.

2. Im Übrigen ist der Antrag des Beschwerdeführers der Sache nach darauf gerichtet, dass die Justizvollzugsanstalt, in der er untergebracht ist, verpflichtet werde, ihm die in seinem Vollzugsplan vorgesehene sozialtherapeutische Behandlung oder einen gleichwertigen Behandlungsersatz unabhängig davon zu verschaffen, ob in den vorhandenen sozialtherapeutischen Einrichtungen die erforderlichen Behandlungskapazitäten vorhanden sind und die nach § 9 Abs. 2 Satz 2 StVollzG für die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung notwendige Zustimmung des Leiters dieser Einrichtung vorliegt.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung dieses Inhalts liegen ebenfalls nicht vor.

Sinn der einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG ist es, die Wirksamkeit des Rechtsschutzes in der Hauptsache zu sichern (vgl. BVerfGE 91, 70 <76 f.>; 105, 235 <238>). Eine einstweilige Anordnung kann daher nur zur vorläufigen Sicherung des in der Hauptsache verfolgten Begehrens ergehen und kommt nicht in Betracht, wenn der in der Hauptsache gestellte Antrag unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist. Bei insoweit offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens kommt es auf eine Abwägung der Folgen an, die im Falle des Erlasses oder der Ablehnung der einstweiligen Anordnung einträten (vgl. BVerfGE 91, 140 <145>; stRspr).

Es kann offenbleiben, ob der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde in zulässiger Weise und zumindest nicht offensichtlich ohne Erfolgsaussicht das Ziel verfolgt, dessen vorläufige Sicherung er mit dem vorliegenden Antrag erstrebt. Denn auch wenn dies der Fall sein sollte, kann eine einstweilige Anordnung des Inhalts, dass dem Beschwerdeführer eine Behandlung ohne Rücksicht auf vorhandene Kapazitäten zu verschaffen ist, nach § 32 BVerfGG nicht ergehen. Zwar ist zugunsten des Beschwerdeführers ein besonders gewichtiger Belang, nämlich sein verfassungsrechtlich geschütztes Resozialisierungsinteresse (BVerfGE 35, 202 <235 ff.>; 64, 261 <276>; 98, 169 <200 f.>), in die Abwägung einzustellen. Andererseits liegt auf der Hand, dass auch Verlegungs- und sonstige behandlungsbezogene Entscheidungen, die keine Rücksicht auf die Kapazitäten der jeweiligen Einrichtungen nehmen, mit erheblichen, gleichermaßen grundrechtsrelevanten Problemen und Risiken verbunden sind, weil neben Sicherheitsaspekten die Resozialisierungschancen aller Insassen der betreffenden Einrichtungen davon ungünstig betroffen sein können. Soweit der Pflicht des Staates, für das verfassungsrechtlich vorgegebene Vollzugsziel im Rahmen des Zumutbaren die erforderlichen personellen und finanziellen Mittel bereitzustellen (vgl. BVerfGE 40, 276 <284>), einklagbare grundrechtliche Ansprüche der Gefangenen entsprechen, können diese, was die ausreichende Bereitstellung sozialtherapeutischer Behandlung angeht, grundsätzlich nicht im Wege einstweiliger Anordnungen realisiert werden.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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