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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 04.12.1998
Aktenzeichen: 2 BvR 2126/96
Rechtsgebiete: BVerfGG


Vorschriften:

BVerfGG § 90 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 2126/96 -

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

des Herrn L.

gegen

a) das Gesetz zur Neuregelung der Rechtsstellung der Abgeordneten vom 15. Dezember 1995 (BGBl I S. 1718), soweit danach im Abgeordnetengesetz eine unterschiedliche Behandlung ehemaliger Abgeordneter hinsichtlich ihrer Altersversorgung erfolgt,

b) das Unterlassen des Gesetzgebers, die Ungleichbehandlung ehemaliger Abgeordneter hinsichtlich ihrer Altersversorgung neu zu regeln

hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Winter, Hassemer gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 4. Dezember 1998 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Der Beschwerdeführer begehrt eine Verpflichtung des Bundesgesetzgebers, ihm als früherem Mitglied des Deutschen Bundestages einen gesetzlichen Anspruch auf Altersentschädigung einzuräumen.

I.

1. Der im Jahr 1923 geborene Beschwerdeführer war Mitglied des Deutschen Bundestages in der achten Wahlperiode, die von 1976 bis 1980 dauerte.

2. Der Bundestag regelte mit dem Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (Abgeordnetengesetz - AbgG -) vom 18. Februar 1977 (BGBl I S. 297) die Leistungen an ehemalige Mitglieder. Neben einem Übergangsgeld (§ 18) erhalten sie unter den Voraussetzungen des § 19 einen Anspruch auf Altersentschädigung nach dem Alimentationsprinzip. Der Anspruch setzte nach der ursprünglichen Gesetzesfassung eine sechsjährige Mitgliedschaft im Bundestag voraus. Gemäß § 21 werden auf Antrag die Zeiten der Mitgliedschaft in einem Landesparlament berücksichtigt. Für Mitglieder, die bei ihrem Ausscheiden weder eine Anwartschaft noch einen Anspruch auf Altersentschädigung erworben hatten, führte § 23 eine Versorgungsabfindung ein. Nach § 38 Abs. 2 gelten die Vorschriften über die Altersentschädigung auch für diejenigen Abgeordneten, die beim Inkrafttreten des Gesetzes bereits Mitglied des Bundestages geworden und noch nicht ausgeschieden waren; die früheren Zeiten der Mitgliedschaft sind dabei zu berücksichtigen.

Das Elfte Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S. 2210) änderte neben anderem § 19 mit der Folge, daß nunmehr der Anspruch auf Altersentschädigung eine achtjährige Mitgliedschaft im Bundestag voraussetzt. Für diejenigen ehemaligen Mitglieder, die Versorgungsansprüche oder -anwartschaften nach bisherigem Recht erlangt hatten, wurde mit der Neufassung von § 35 AbgG eine Übergangsregelung geschaffen.

Der Ältestenrat des Deutschen Bundestages beschloß in seiner Sitzung vom 25. Juni 1992 die Einsetzung einer Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Abgeordnetenrechts. Diese legte der Präsidentin des Deutschen Bundestages ihren Bericht und Empfehlungen unter anderem zur Abgeordnetenentschädigung und -versorgung vor. Sie empfahl, Versorgungsanwartschaften aus dem Mandat für jedes Mitgliedsjahr in gleicher Höhe zu begründen (BtDrucks 12/5020 vom 3. Juni 1993, S. 15, 25).

Der Bundestag beschloß das Gesetz zur Neuregelung der Rechtsstellung der Abgeordneten vom 15. Dezember 1995 (BGBl I S. 1718), in dessen Artikel 2 sich das Neunzehnte Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes findet. Das Gesetz trat am 22. Dezember 1995 in Kraft. Darin wird der Wortlaut unter anderem der §§ 19, 35, 38 AbgG nicht geändert. Die Änderungen betreffen neben anderem § 20 AbgG (Höhe der Altersentschädigung) und § 21. Nach § 21 Abs. 3 AbgG neuer Fassung gelten bestimmte Zeiten der Mitgliedschaft in der Volkskammer der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik auf fristgebundenen Antrag hin als Mitgliedszeit im Bundestag. Mit § 35a AbgG werden Übergangsregelungen zum Neunzehnten Änderungsgesetz eingeführt. Sie lauten:

(1) Für Mitglieder, die am 22. Dezember 1995 dem Bundestag angehören, ehemalige Mitglieder des Bundestages und ihre Hinterbliebenen gelten die Regelungen des Fünften und des Neunten Abschnitts in der bis zum 22. Dezember 1995 geltenden Fassung fort.

(2) Statt der Abgeordnetenentschädigung nach § 11 gilt in den Fällen des Absatzes 1 ein fiktiver Bemessungsbetrag. Für das Übergangsgeld wird der Bemessungsbetrag mit Wirkung vom 1. Oktober 1995 auf 10.366 Deutsche Mark festgesetzt. Der fiktive Bemessungsbetrag für die Altersentschädigung wird mit Wirkung vom 1. Oktober 1995 auf 10.825 Deutsche Mark, vom 1. Juli 1996 auf 11.100 Deutsche Mark, vom 1. April 1997 auf 11.375 Deutsche Mark und vom 1. Januar 1998 auf 11.625 Deutsche Mark festgesetzt. Für spätere Anpassungen gilt das in § 30 geregelte Verfahren.

(3) Bei der Anwendung des § 29 auf Versorgungsansprüche nach diesem Gesetz wird in den Fällen des Absatzes 1 statt der Abgeordnetenentschädigung nach § 11 ebenfalls der fiktive Bemessungsbetrag für die Altersentschädigung nach Absatz 2 zugrunde gelegt.

(4) Mitglieder des 13. Deutschen Bundestages, auf die Absatz 1 Anwendung findet, können sich bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag für eine Anwendung der Regelungen des Fünften Abschnitts in der Fassung des Neunzehnten Änderungsgesetzes entscheiden. Die Entscheidung ist bindend. Verstirbt das Mitglied vor Ausübung des Wahlrechts, findet die jeweils günstigere Fassung Anwendung.

Das Abgeordnetengesetz ist in seiner Neufassung am 21. Februar 1996 bekanntgemacht (BGBl I S. 326) und weiter geändert worden (BGBl I 1996 S. 718, 843 und BGBl I 1997 S. 2998 <3034>).

II.

Der Beschwerdeführer greift mit seiner am 25. Oktober 1996 eingelegten Verfassungsbeschwerde das Gesetz zur Neuregelung der Rechtsstellung der Abgeordneten an. Er meint, daß er mit seiner Verfassungsbeschwerde die gesetzliche Jahresfrist einhalte und durch das Gesetz selbst, unmittelbar und gegenwärtig betroffen sei. Der Bundesgesetzgeber habe es bei seinem Beschluß unterlassen, für jedes Jahr der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag unabhängig von einer Mindestzeit eine gleich hoch bemessene Versorgungszusage zu schaffen. Damit habe er die Vorschläge der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Abgeordnetenrechts ebenso wie die vom Bundesverfassungsgericht formulierten Grundsätze zum Status des Abgeordneten außer acht gelassen. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Diäten-Urteil das Gebot formaler Gleichbehandlung für alle Abgeordneten ausgesprochen. Darauf habe die Unabhängige Kommission hingewiesen und ihren Vorschlag gestützt. Dessenungeachtet habe es der Gesetzgeber bei der gleichheitswidrigen Ausgestaltung des Abgeordnetengesetzes belassen. Die Versorgungsabfindung für diejenigen ehemaligen Mitglieder des Bundestages, die weder eine Anwartschaft noch einen Anspruch auf Altersentschädigung hätten, brächte einen erheblich geringeren finanziellen Ertrag als die Altersentschädigung, was der Beschwerdeführer auch unter Bezugnahme auf die Berechnungen der Unabhängigen Kommission im einzelnen ausführt.

III.

Die Verfassungsbeschwerde, die gemäß § 93a Abs. 1 BVerfGG der Annahme zur Entscheidung bedarf, ist nicht anzunehmen, weil keiner der Annahmegründe gegeben ist.

Die Annahme ist nicht gemäß § 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG geboten, weil sie nicht zur Durchsetzung des in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechts aus Art. 38 GG (in Verbindung mit Art. 48 Abs. 3 Sätze 1, 3 GG) oder aus einem sonst benannten Recht angezeigt ist. Dieser Annahmegrund ist ausgeschlossen, wenn die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (BVerfGE 90, 22 <25 f.>; daran anschließend BVerfGE 96, 245 <248>). So ist es hier. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des für die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage maßgeblichen Gesetzes erhoben worden ist, wie es § 93 Abs. 3 BVerfGG verlangt (dazu unten 1.).

Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht gemäß § 93a Abs. 2 lit. a BVerfGG zur Entscheidung anzunehmen, weil ihr keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt. Es ist in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bereits geklärt worden, daß eine Verfassungsbeschwerde, die von dem gänzlich untätig gebliebenen Gesetzgeber den Erlaß eines Gesetzes verlangt, gemäß § 93 Abs. 3 BVerfGG - anders als etwa der Organstreit nach § 64 Abs. 3 BVerfGG - nicht an die Einhaltung einer Frist gebunden ist (BVerfGE 56, 54 <70-72>). Ist der Gesetzgeber hingegen tätig geworden und enthält das Gesetz eine - sei es auch ablehnende - Regelung, dann hat er eine Entscheidung nicht "unterlassen" (BVerfGE 56, 54 <71 m.w.N.>). Der vorliegende Fall bietet auch keine Gelegenheit zur weiteren Klärung der mitunter schwierigen Frage, ob das Unterlassen einer Regelung im Zusammenhang mit einer bestimmten Gesetzgebung steht oder nicht (vgl. dazu Christian Mayer, Die Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers, Baden-Baden 1996, S. 166-168, 199). Denn der Gesetzgeber hat hier ausdrücklich Vorschriften für die Altfälle vorgesehen.

Des weiteren ist verfassungsgerichtlich geklärt, daß die Bekanntmachung der Neufassung des Abgeordnetengesetzes mit seinen unveränderten Vorschriften zu den Altfällen die Jahresfrist nicht neu in Gang setzt (vgl. BVerfGE 17, 364 <368 f.>; 43, 108 <115 f.>; Erster Senat, 1. Kammer, Beschluß vom 21. Januar 1994 - 1 BvR 7/94 -, NJW 1994, S. 1525 f.).

Schließlich ist nicht der Ausnahmefall gegeben, in dem die im Grundsatz verfassungsgemäße Jahresfrist verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen könnte. Solche könnten aufkommen (offen gelassen von BVerfG, Erster Senat, 1. Kammer, Beschluß vom 21. November 1996 - 1 BvR 1862/96 -, NJW 1997, S. 650), wenn die Ausschlußfrist dazu führen würde, daß ein Betroffener bei einer erst nach dem Ablauf der Frist eingetretenen Beschwer keine Möglichkeit mehr hätte, die Verfassungswidrigkeit der Norm im Rechtsweg oder mit der Verfassungsbeschwerde geltend zu machen. Diese Bedenken bestehen hier nicht, denn der Beschwerdeführer war durch die seinen Altfall ausdrücklich regelnde Übergangsvorschrift selbst, unmittelbar und gegenwärtig betroffen und hätte sie unter Wahrung der Jahresfrist angreifen können.

1. Das Neunzehnte Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes hat ebensowenig wie die nachfolgende Bekanntmachung der Neufassung und die weiteren Änderungen die dem Beschwerdeführer ungünstige Rechtslage bewirkt oder vertieft. Der Gesetzgeber hat vielmehr mit den Übergangsregelungen zum Neunzehnten Änderungsgesetz (§ 35a AbgG) verdeutlicht, daß er Altfälle wie den des Beschwerdeführers nicht mehr anrühren will. Er hat dies auch tatsächlich nicht getan. Insbesondere eröffnet die Einführung von § 21 Abs. 3 AbgG durch das Neunzehnte Änderungsgesetz nicht aufs neue die Frage einer Altersentschädigung für alle Altfälle (zu dieser Möglichkeit BVerfG, Erster Senat, Beschluß vom 8. April 1998 - 1 BvL 16/90 -, Beschlußabdruck S. 15 f.). Wie § 35a Abs. 1, 4 AbgG zeigt, besteht die Möglichkeit zur Einbeziehung von Zeiten in der Volkskammer der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik nur für diejenigen, die am 22. Dezember 1995 dem Bundestag angehörten. Mithin wird kein Fall einer bereits abgeschlossenen Mitgliedschaft neu geregelt, der die Frage nach der Gleichbehandlung mit anderen abgeschlossenen Fällen aufwerfen könnte (dazu BVerfG, Erster Senat, Beschluß vom 8. April 1998 - 1 BvL 16/90 -, Beschlußabdruck S. 15 f.; vgl. auch BVerfGE 32, 157 <167 ff.>). Die Anpassung der Höhe der Altersentschädigung durch dieses wie durch frühere Änderungsgesetze läßt die Frage der Anspruchsberechtigung unberührt.

Der Gesetzgeber hat eine den Beschwerdeführer betreffende Regelung auch nicht gänzlich unterlassen. Vielmehr regeln §§ 19, 21, 23, 38 Abs. 2 AbgG in der Fassung vom 18. Februar 1977 den Fall des Beschwerdeführers zu seinem Nachteil. Gegenüber diesen Bestimmungen kommt die Verfassungsbeschwerde zu spät. Die folgenden Änderungen des Abgeordnetengesetzes beziehen die bereits aus der Altersversorgung ausgeschiedenen Fälle nicht mehr nachträglich ein. Insbesondere berührte die mit dem Elften Änderungsgesetz vom 18. Dezember 1989 eingeführte Erhöhung der Mindestzeit von sechs auf acht Jahre Mitgliedschaft im Bundestag nicht mehr den Fall des Beschwerdeführers. Das gilt schon deshalb, weil die dem Gesetz beigefügte Übergangsregelung § 35 AbgG lediglich den Besitzstand der bisher Berechtigten garantiert.

2. Die Verfassungsbeschwerde wäre aber auch unbegründet. Das vom Beschwerdeführer angeführte Gebot formaler Gleichbehandlung, das das Verhältnis von Abgeordneten untereinander bestimmt, läßt bei Vorliegen besonderer Gründe Differenzierungen zu (BVerfGE 93, 195 <204>; 94, 351 <369>). Der Senat hat mit Beschluß vom 21. Oktober 1971 (BVerfGE 32, 157 <167 ff.>) als zulässige Differenzierung anerkannt, daß ein Parlament (damals der Hessische Landtag) in einer Wahlperiode einen Anspruch auf Ruhegeld einführt, von dem alle Abgeordneten ausgeschlossen sind, die spätestens mit Ablauf der vorherigen Wahlperiode ausgeschieden waren. Das entspricht der auch vom Ersten Senat (Beschluß vom 8. April 1998 - 1 BvL 16/90 -, Beschlußabdruck S. 15 f.) geteilten Auffassung, daß die Gesetzgeber bei der Einführung von Neuregelungen, insbesondere von kostenträchtigen Neuregelungen, nicht gehalten sind, abgeschlossene Fälle einzubeziehen.

Die Hoffnung, die der Beschwerdeführer an die Empfehlungen der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Abgeordnetenrechts knüpfte, konnte nach alldem nur in rechtspolitischer Hinsicht tragen. Verfassungsrechtlich ist ihre Erfüllung nicht (mehr) geboten.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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