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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 09.11.2001
Aktenzeichen: 2 BvR 436/01
Rechtsgebiete: BVerfGG, StPO


Vorschriften:

BVerfGG § 93b
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
StPO § 102
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 436/01 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Landgerichts Verden vom 29. Januar 2001 - 1 Qs 29/01 -,

b) den Beschluss des Amtsgerichts Verden vom 21. November 2000 - 4 Gs 1456, 1457, 1458/2000 -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Hassemer, Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 9. November 2001 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.

1. Dem Beschwerdeführer wird von der zuständigen Strafverfolgungsbehörde vorgeworfen, er habe als Inhaber einer Bauplanungsgesellschaft im Zusammenhang mit dem Ausbau der Bahnstrecke nach Berlin nicht erbrachte Leistungen bei der 14. Abschlagsrechnung abgerechnet und dadurch betrügerisch einen Schaden von rund zwei Millionen DM verursacht. Ferner habe er einen Baustellenprüfer bestochen. Im Rahmen von Gewinnabführungsverträgen habe er schließlich den Betrugsgewinn über weitere Firmen abgeführt und verschleiert, so dass auch Geldwäsche vorliege. Auf Grund dieses Verdachts beantragte die Staatsanwaltschaft beim Ermittlungsrichter die Gestattung der Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen des Beschwerdeführers und Räumen zweier Bau- bzw. Bauplanungsfirmen.

Das Amtsgericht erließ die beantragte Durchsuchungsanordnung, wobei der Tatverdacht wie folgt umschrieben wurde: "Aufgrund der bisherigen Ermittlungen besteht der Verdacht des Betruges und anderer Straftatbestände bei der Abrechnung von Bauleistungen im Rahmen des Ausbaus der Bahnstrecke nach Berlin". Als gesuchtes Beweismaterial bezeichnet wurden: "Geschäftsunterlagen wie Abrechnungen, Aufmasszettel, allgemeiner Schriftverkehr und Notizen sowie PC-Dateiinhalte".

Der Beschwerdeführer legte nach Vollziehung der Durchsuchung gegen diesen Beschluss Beschwerde ein. Hierauf erwiderte die Staatsanwaltschaft unter näherer Erläuterung von Inhalt und Beweisgrundlagen des Anfangsverdachts. Der Beschwerdeführer bemängelte daran, dass eine solche weitere Konkretisierung des Vorwurfs bereits im Verfahren vor dem Ermittlungsrichter erforderlich gewesen wäre.

Das Landgericht stellte fest, dass die Durchsuchung rechtmäßig gewesen sei. Zwar habe der ermittlungsrichterliche Beschluss unter inhaltlichen Mängeln gelitten. Doch könne das Beschwerdegericht die Frage der Durchsuchungsvoraussetzungen im Rahmen einer eigenen Sachentscheidung neu prüfen. Es stelle auf Grund der Aktenlage fest, dass die Durchsuchungsvoraussetzungen vorgelegen hätten und die Durchsuchung rechtmäßig gewesen sei.

2. Der Beschwerdeführer sieht sich in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1, 13 Abs. 1 und 2, 19 Abs. 4 GG verletzt. Der ermittlungsrichterliche Beschluss sei sowohl hinsichtlich der Durchsuchungsgestattung als auch hinsichtlich der Beschlagnahmeanordnung inhaltlich unzureichend gewesen, indem er noch hinter der Begründung des staatsanwaltschaftlichen Antrags zurückgeblieben sei. Damit seien die präventive Rechtsschutzfunktion des Richtervorbehalts unerfüllt geblieben und zugleich Bedeutung und Tragweite der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und 13 Abs. 1 und 2 GG verkannt worden, in die mit der Durchsuchung eingegriffen worden sei. Das Landgericht habe als Beschwerdegericht nach Vollziehung der Durchsuchungsanordnung keine eigene Sachentscheidung mehr zu treffen gehabt, sondern es sei auf eine nachträgliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit des angefochtenen ermittlungsrichterlichen Beschlusses beschränkt gewesen. Diese Kontrollaufgabe habe es verkannt, indem es zwar die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses anerkannt, diesen Fehler aber durch eine nachträgliche eigene Sachentscheidung behoben habe. Dadurch sei sein Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verletzt worden.

3. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, denn die angegriffenen Entscheidungen beruhen nicht auf einer Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers.

a) Der Beschluss des Amtsgerichts über die Durchsuchungsgestattung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss hat zwar zur rechtsstaatlichen Eingrenzung des Ermittlungszugriffs den Vorwurf sachangemessen zu konkretisieren und die gesuchten Beweismittel nach Möglichkeit wenigstens ihrer Gattung nach zu umschreiben. Ein auf § 102 StPO gestützter Durchsuchungsbefehl, der keinerlei tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthält und der zudem weder die Art noch den denkbaren Inhalt der Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt, erkennen lässt, würde den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht (vgl. BVerfGE 42, 212 <220 f.>; 44, 353 <371>).

So liegt der vorliegende Fall aber nicht. Der Vorwurf des Abrechnungsbetruges beim Ausbau der Bahnstrecke nach Berlin im Rahmen der Tätigkeit der Firmen "D." und "P." ist in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ausreichend umgrenzt. Für Durchsuchungszwecke reichte dieser Hinweis aus. Mag eine größere Sorgfalt bei der Formulierung des Tatvorwurfs im Durchsuchungsbeschluss auch wünschenswert erscheinen (vgl. BVerfGE 20, 162 <227>), so waren im Ausgangsverfahren mehr Detailangaben von Verfassungs wegen aber nicht erforderlich, um den mit der Vollziehung der Anordnung betrauten Beamten aufzuzeigen, worauf sie ihr Augenmerk richten sollten. Diese Zielrichtung der Maßnahme wurde zudem dadurch gekennzeichnet, dass "Abrechnungen, Aufmaßzettel" und anderes Informationsmaterial im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Abrechnungsbetruges beim Ausbau der Bahnstrecke nach Berlin als Beweismittel in Betracht komme. Eine weitere rechtliche Konkretisierung der mutmaßlichen Straftat nach bestimmten selbständigen Handlungen (§§ 263, 53 StGB) kann und muss im Stadium des Beginns eines Ermittlungsverfahrens auf Grund eines Anfangsverdachts nicht geleistet werden. Die Eingrenzungsfunktion des Durchsuchungsbeschlusses für Zwecke der durch die richterliche Entscheidung begrenzten Vollziehung der Maßnahme (vgl. BVerfGE 42, 212 <221>) ist bereits durch knappe, aber aussagekräftige Tatsachenangaben gewahrt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass einzelne Umgrenzungsmerkmale des Tatvorwurfs, wie Tatzeit, Tatort oder Handlungsabläufe, von Fall zu Fall unterschiedliches Gewicht haben (vgl. für den auf breiterer Beweisgrundlage zu formulierenden Anklagevorwurf BGHSt 44, 153 <155>). Ist der Vorwurf durch die Benennung eines möglichen Betrugsgeschehens im Zusammenhang mit der Abrechnung von Leistungen beim Ausbau einer Eisenbahnstrecke durch bestimmte Bau- und Bauplanungsfirmen gekennzeichnet, so fehlt es jedenfalls nicht an der rechtsstaatlich gebotenen Mitteilung des Anfangsverdachts in der richterlichen Entscheidung nach § 102 StPO. Die Art der gesuchten Beweismittel, nämlich Unterlagen über Abrechnungsmodalitäten im Zusammenhang mit dem Ausbau der Bahnstrecke nach Berlin, waren in der Entscheidung ausreichend umrissen.

Dass die ermittlungsrichterliche Entscheidung bei der Kennzeichnung der in Betracht kommenden Straftaten hinter dem staatsanwaltschaftlichen Antrag zurückblieb, begründet hier keine selbständige Beschwer.

Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme bedurfte bei der von der Staatsanwaltschaft in ihrem Antrag an den Ermittlungsrichter hervorgehobenen Summe des Betrugsschadens von rund zwei Millionen DM und der Erfüllung mehrerer Straftatbestände im Zusammenhang mit dem gleichen Tatkomplex keiner weiteren Erläuterung.

b) Die allgemein gehaltene Beschlagnahmeanordnung des Amtsgerichts hatte nur die Bedeutung einer Richtlinie für die Durchsuchung (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 105, Rn. 7). Sie war noch keine wirksame Beschlagnahmeanordnung. Der darauf gerichtete Verfassungsbeschwerde-Angriff geht fehl, denn insoweit ist der Rechtsweg noch nicht erschöpft; darauf hat das Landgericht zutreffend hingewiesen.

c) Das Landgericht hat bei der Nachprüfung der Durchsuchungsanordnung zwar einen falschen Prüfungsmaßstab angelegt, indem es eine eigene Entscheidung über die Durchsuchungsanordnung getroffen hat, welche die zuvor erledigte Vollziehung der Maßnahme nicht mehr beeinflussen konnte. Darauf beruht der angegriffene Beschluss aber nicht, da die vom Landgericht aus seiner Sicht noch nachgebesserte ermittlungsrichterliche Durchsuchungsgestattung bereits den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen genügte.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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