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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 15.03.2004
Aktenzeichen: 2 BvR 669/03
Rechtsgebiete: BVerfGG, StVollzG, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93b
BVerfGG § 93a i
BVerfGG § 93a Abs. 2
BVerfGG § 93d Abs. 1 Satz 3
StVollzG § 69 Abs. 2
StVollzG § 70 Abs. 3
StVollzG § 70 Abs. 2 Nr. 2
GG Art. 5 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 669/03 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 24. März 2003 - 3 Ws 236/03 (StVollz) -,

b) den Beschluss des Landgerichts Marburg vom 17. Januar 2003 - 7a StVK 427/02 -

hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Jentsch, Broß und die Richterin Lübbe-Wolff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 15. März 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Unterbindung von Videotextempfang in der Strafhaft durch Widerruf der Besitzerlaubnis für einen zum Empfang erforderlichen Gegenstand.

1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers angezeigt, denn sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

Die angegriffenen Entscheidungen haben es für rechtmäßig gehalten, dass die Justizvollzugsanstalt die seit langem bestehende Besitzerlaubnis des Beschwerdeführers für die Fernbedienung seines Fernsehgeräts widerrufen hat, um ihn - aus Sicherheitsgründen - am Empfang von Videotext zu hindern. Nach den geltenden Maßstäben für die Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>) ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juli 2002 - 2 BvR 835/02 -).

2. a) Freiheitsrechte von Gefangenen können nur durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes eingeschränkt werden (vgl. BVerfGE 33, 1 <11>; 89, 315 <322>). Die Auslegung und Anwendung grundrechtseinschränkender oder zu Einschränkungen ermächtigender Regelungen ist ihrerseits durch die berührten Grundrechtspositionen gebunden und begrenzt (vgl. BVerfGE 89, 315 <322>).

b) Das Strafvollzugsgesetz regelt die Voraussetzungen, unter denen Gefangenen der Besitz eigener Hörfunk- und Fernsehgeräte zu gestatten ist. Nach §§ 69 Abs. 2, 70 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 StVollzG kann die Justizvollzugsanstalt die Erlaubnis zum Besitz eines solchen Gerätes unter anderem dann ganz oder teilweise widerrufen, wenn dessen Besitz, Überlassung oder Benutzung die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden würde.

Widerruft die Justizvollzugsanstalt nach diesen Vorschriften die Erlaubnis zum Besitz eines Zubehörteils, auf das der Gefangene für den Empfang von Videotext angewiesen ist, so muss die Anstalt dabei dessen von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützter Informationsfreiheit Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 27, 71 <88> m.w.N.; 34, 384 <401 f.>). Denn ein solcher Widerruf greift in das von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Grundrecht des Gefangenen ein, sich aus allgemein zugänglichen Quellen, zu denen Videotextseiten gehören, ungehindert zu unterrichten (vgl. BVerfGE 15, 288 <295>; 27, 71 <83>; 33, 52 <65>; 103, 44 <60>). Der Schutzbereich der Informationsfreiheit erstreckt sich auch auf die Beschaffung und Nutzung technischer Einrichtungen, die eine an die Allgemeinheit gerichtete Information erst individuell erschließen (vgl. BVerfGE 90, 27 <32>).

c) Beim Widerruf einer Besitzerlaubnis gemäß § 70 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 StVollzG hat die Justizvollzugsanstalt den Grundsatz des Vertrauensschutzes als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips zu beachten (vgl. BVerfGE 59, 128 <164 f.> m.w.N.; 72, 200 <257>). Dieser Grundsatz gebietet es, im Einzelfall zu prüfen, ob die Belange des Allgemeinwohls oder das Interesse des Gefangenen am Fortbestand einer Rechtslage, auf die er sich eingerichtet hat und auf die er vertraut, den Vorrang verdienen (vgl. Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 1993 - 2 BvR 672/93 -, NStZ 1994, S. 100 f., vom 10. Februar 1994 - 2 BvR 2687/93 -, StV 1994, S. 432 f., vom 28. September 1995 - 2 BvR 902/95 -, StV 1996, S. 48 f.). Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Widerruf einer Besitzerlaubnis nur auf Sicherheitsgründe gestützt werden dürfte, die speziell in der Person des betroffenen Gefangenen liegen. Das Strafvollzugsgesetz ermächtigt zum Widerruf einer Besitzerlaubnis unter anderem für den Fall, dass der Besitz, die Überlassung oder die Benutzung des Gegenstands die Sicherheit oder Ordnung in der Anstalt gefährden würde. Eine solche Gefährdung kann ohne Verfassungsverstoß allein aufgrund der grundsätzlich gegebenen Eignung eines Gegenstands für sicherheits- oder ordnungsgefährdende Verwendungen bejaht werden, sofern konkrete derartige Verwendungen nicht oder nur mit einem von der Anstalt nicht erwartbaren Aufwand durch Kontrollmaßnahmen ausgeschlossen werden könnten (vgl. Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 1994 - 2 BvR 2731/93 -, NStZ 1994, S. 453, vom 24. März 1996 - 2 BvR 222/96 -, NStZ-RR 1996, S. 252, vom 12. Juni 2002 - 2 BvR 697/02 - sowie vom 31. März 2003 - 2 BvR 1848/02 -, NJW 2003, S. 2447).

3. Die angegriffenen Entscheidungen haben diese verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht verfehlt.

a) Nach der fachgerichtlich nicht beanstandeten Feststellung der Justizvollzugsanstalt ist es Gefangenen mit Hilfe der Videotextfunktion ihrer Fernsehgeräte möglich, auf dem Weg über sogenannte "Chatrooms" verschiedener Fernsehsender unmittelbar auf dem Fernsehbildschirm "SMS"-Textnachrichten zu empfangen und zu lesen, die Außenstehende von Mobiltelefonen jederzeit und anonym direkt dorthin versenden können. Landgericht und Oberlandesgericht sind der Justizvollzugsanstalt in der Einschätzung gefolgt, der damit eröffnete Informationsfluss gefährde die Sicherheit der Anstalt, weil dadurch unkontrolliert beliebige Nachrichten, beispielsweise auch Informationen über Fluchtmöglichkeiten oder Sicherheitseinrichtungen der Anstalt, übermittelt werden könnten.

Diese Einschätzung lässt Anhaltspunkte für Willkür (vgl. BVerfGE 18, 95 <92 f.>; 34, 369 <397>; 70, 93 <98>) nicht erkennen (vgl. auch OLG Celle, NStZ 2002, S. 111 <112>). Der Einwand des Beschwerdeführers, er könne statt über Videotext ebensogut auf anderen Wegen wie etwa über Zeitungen heimlich Nachrichten in die Anstalt übermitteln lassen, übergeht die von Anstalt und Landgericht hervorgehobene Besonderheit, dass die Nachrichtenübermittlung per Videotext, anders als die über Zeitungen, der Kontrolle der Anstalt praktisch vollständig entzogen ist. Aus diesem Grund lässt sich der Nachrichtenverkehr über Videotext durch die Justizvollzugsanstalt auch nicht durch mildere Mittel als durch eine völlige Unterbindung des Videotextempfangs wirksam verhindern. Dass ein sicherheitsgefährdender Informationsaustausch im Prinzip auch über andere Medien möglich und durch Kontrolle nicht völlig ausschließbar sein mag, zwingt nicht zur Hinnahme zusätzlicher Sicherheitsgefährdungen durch Informationsvermittlung über Videotext.

b) Auch dass die angegriffenen Entscheidungen in der Abwägung zwischen dem Vertrauensschutzinteresse des Beschwerdeführers am Fortbestand der Erlaubnis einerseits und der Sicherheit der Anstalt andererseits letzterer den Vorrang eingeräumt haben, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere lässt die Erwägung, ein Vertrauen des Beschwerdeführers auf den Fortbestand der Besitzerlaubnis für seine Fernbedienung sei von vornherein nur eingeschränkt schutzwürdig gewesen, da er nicht damit habe rechnen können, dass diese Erlaubnis auch angesichts neuer technischer Nutzungsmöglichkeiten erhalten bleiben werde (vgl. auch OLG Celle, NStZ 2002, S. 111 <112>), verfassungsrechtliche Fehler nicht erkennen.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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