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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 15.08.2006
Aktenzeichen: 2 BvR 822/06
Rechtsgebiete: BVerfGG, HGB, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
BVerfGG § 93b
HGB § 331 Nr. 1
HGB § 334
GG Art. 103 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 822/06 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 9. März 2006 - 5 StR 430/05 -,

b) das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Februar 2005 - (526) 2 StB 26/01 KLs (16/03) -

hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richter Di Fabio und Landau gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 15. August 2006 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. § 331 Nr. 1 HGB verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG.

Art. 103 Abs. 2 GG gebietet es dem Gesetzgeber, die Voraussetzungen strafbaren Handelns so konkret zu umschreiben, dass der Adressat der Strafvorschrift anhand des Gesetzeswortlauts - gegebenenfalls unter Zuhilfenahme der gängigen juristischen Auslegungsmethoden (vgl. BVerfGE 55, 144 <152>) - erkennen kann, welches Verhalten unter Strafe steht (vgl. BVerfGE 96, 68 <97>; stRspr). Demnach genügt ein Strafgesetz dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot, wenn es seinen Normbefehl für den Betroffenen deutlich werden lässt (vgl. BVerfGE 105, 135 <153>).

Vor diesen Maßstäben ist § 331 Nr. 1 HGB in der Variante der unrichtigen Darstellung bzw. Verschleierung von Verhältnissen einer Kapitalgesellschaft hinreichend bestimmt. Zwar sind die Begriffe des "Verhältnisses", der "unrichtigen Darstellung" und der "Verschleierung" weit gefasst. Daraus folgt - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - aber nicht, dass sie auch unbestimmt sind. Unbestimmt ist das Tatbestandsmerkmal einer Strafnorm erst dann, wenn sich seine Bedeutung auch im Wege der Auslegung nicht ermitteln lässt. So verhält es sich bei den von § 331 Nr. 1 HGB genannten Strafbarkeitsvoraussetzungen jedoch nicht.

Was die "Verhältnisse einer Kapitalgesellschaft" sind, erschließt sich einer am Wortsinn des Begriffes orientierten Interpretation. Es sind dies die im Schrifttum zu § 331 Nr. 1 HGB genannten wirtschaftlichen, sozialen, politischen oder sonstigen Umstände, die für die gegenwärtige Situation der Gesellschaft oder ihre künftige Entwicklung von Bedeutung sind oder von Bedeutung sein können (vgl. Schaal, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand: 159. Ergänzungslieferung, München 2006, § 331 HGB Rn. 12 m.w.N.). Dem Beschwerdeführer ist darin Recht zu geben, dass diese Definition zu einem weiten Anwendungsbereich der Strafvorschrift führt. Nur ist dies kein Problem der Normbestimmtheit, sondern der Normintention. Es mag diskussionswürdig sein, ob es angemessen ist, Falschangaben über sämtliche Verhältnisse einer Kapitalgesellschaft unter Strafe zu stellen, oder ob nicht der Bereich strafbaren Verhaltens - wie vorgeschlagen (Hoyos/Huber, in: Beck'scher Bilanzkommentar, 6. Aufl. München 2006, § 331 Rn. 17) - auf die unrichtige Darstellung oder Verschleierung der wirtschaftlichen Verhältnisse beschränkt werden sollte. Art. 103 Abs. 2 GG schützt den Normbetroffenen nicht vor dem Inhalt oder dem Regelungsgehalt eines Strafgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach betont, dass selbst sachlich missglückte Strafbestimmungen, gemessen an Art. 103 Abs. 2 GG, verfassungsgemäß sind, wenn sie die Voraussetzungen strafbaren Tuns oder Unterlassens hinreichend deutlich umschreiben (vgl. BVerfGE 47, 109 <123 f.>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. März 2006 - 2 BvR 954/02 -, Absatz 18, http://www.bverfg.de/).

Dementsprechend greifen auch die Bedenken des Beschwerdeführers gegen die Bestimmtheit der Tatbestandsmerkmale der "unrichtigen Darstellung" und des "Verschleierns" nicht Platz. Wenn der Beschwerdeführer meint, eine am Wortsinn dieser Begrifflichkeiten orientierte Auslegung würde zu dem - aus seiner Sicht - widersinnigen Ergebnis führen, dass damit sämtliche Verstöße gegen Bilanzierungspflichten unter Strafe gestellt würden, die sich zudem nicht sinnvoll von Ordnungswidrigkeiten nach § 334 HGB abgrenzen ließen, wendet er sich gegen einen durch Auslegung ermittelbaren Norminhalt des § 331 Nr. 1 HGB. Er trägt jedoch keine Argumente für eine nicht hinreichend konkrete Fassung des Gesetzes vor.

Als problematisch mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG stellt sich auch nicht dar, dass das Landgericht - in Übereinstimmung mit dem überwiegenden Schrifttum (vgl. Schulze-Osterloh/Servatius, in: Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 18. Aufl. München 2006, Anhang nach § 82 <§ 331 HGB> Rn. 6; Schaal, a.a.O. Rn. 19) - in seiner angegriffenen Entscheidung den Anwendungsbereich des § 331 Nr. 1 HGB einschränkend dahin interpretiert hat, dass diese Strafvorschrift nur "erhebliche" bzw. "wesentliche" Verstöße gegen Bilanzierungspflichten erfassen soll. Norminterpretation als richterlicher Gestaltungsakt gerät mit Art. 103 Abs. 2 GG - in Gestalt des Analogieverbots - nur dann in Konflikt, wenn der Auslegungsvorgang unter Überschreitung des Wortsinns des Gesetzes den Bereich strafbaren Verhaltens zu Lasten des Normadressaten erweitert. Unbeachtlich mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG ist demgegenüber die den vom Gesetzgeber definierten Anwendungsbereich einer Strafvorschrift einschränkende Auslegung. Dies liegt darin begründet, dass sie den Norm-adressaten nicht beschwert (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. März 2006 - 2 BvR 954/02 -, a.a.O., Absatz 20).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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