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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 09.09.2005
Aktenzeichen: 2 BvR 911/02
Rechtsgebiete: BVerfGG, StGB


Vorschriften:

BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
BVerfGG § 93b
StGB § 234a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 911/02 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 16. Mai 2002 - 3 StR 36/02 -,

b) das Urteil des Landgerichts Berlin vom 17. Oktober 2001 - (502) 30 Js 53/99 KLs (18/00) -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 9. September 2005 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.

Die Anwendung der Strafbestimmung des § 234a StGB durch die Fachgerichte begründet hier keine Grundrechtsverletzung.

§ 234a ist durch das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit vom 15. Juli 1951 in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Anlass waren Verschleppungen in den kommunistischen Machtbereich und Fälle von politischer Verdächtigung, die zu rechtsstaatswidriger Verfolgung in diesem Bereich geführt hatten (vgl. BGHSt 30, 1 <2>; Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl., Stand: 1. März 1999, vor § 234a; Wagner, MDR 1967, S. 629). Seiner Natur nach ist dieser Straftatbestand auf Begehungsorte außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes zugeschnitten; dortige Handlungen sind nach § 234a StGB strafbar, wenn das Opfer ein Deutscher ist. Für diesen Fall hat der Gesetzgeber in § 5 Nr. 6 StGB in Konkretisierung des völkerrechtlichen Schutzprinzips eine spezielle Regelung getroffen, welche im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der DDR jedenfalls entsprechend anzuwenden war (vgl. BGHSt 30, 1, <3>; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., 2001, Vorbemerkung zu §§ 3-7, Rn. 67 f. m.w.N.). Danach ist das deutsche Strafrecht jedenfalls dann anwendbar, wenn sich die Tat, wie hier, gegen einen Deutschen richtet, der im Inland seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat (vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, a.a.O., § 5 Rn. 12).

Der Abschluss des Transitabkommens zwischen der Bundesrepublik und der DDR am 17. Dezember 1971 hat die Anwendbarkeit des § 234a StGB nicht eingeschränkt. Die Auslegung dieser Vorschrift hat infolge des Transitabkommens weder durch den Gesetzgeber noch durch die Rechtsprechung eine Änderung erfahren. Mit dem Transitabkommen hat die Bundesrepublik die strafrechtliche Praxis der DDR nicht umfassend anerkannt. Dies gilt auch, soweit Art. 16 Abs. 1 Ziffer 1b des Transitabkommens auch die Aufnahme von Personen auf der Transitstrecke als Missbrauchsfall nennt. Die Strafnorm des § 234a StGB weist einen über derartige Sachverhalte hinaus gehenden Anwendungsbereich auf, weil das Tatbestandsmerkmal der "Gefahr, aus politischen Gründen verfolgt zu werden und hierbei im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen durch Gewalt- oder Willkürmaßnahmen Schaden zu erleiden" nicht nur das "Ob" der Strafverfolgung, sondern gerade auch das "Wie" entsprechender Maßnahmen erfasst. Hierzu zählen auch menschenrechtswidrige Verfolgungsmethoden und die durch Verhängung von unmenschlichen oder grob ungerechten Strafen eintretende Freiheitsberaubung (vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, a.a.O., § 234 a Rn. 11).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 16 Abs. 3 des Transitabkommens, der Organen der DDR ein Festnahmerecht "im angemessenen Verhältnis zur Schwere der Missbrauchshandlung entsprechend den allgemein üblichen Vorschriften der DDR bezüglich der öffentlichen Ordnung" zubilligte. Die hierin statuierte Voraussetzung verhältnismäßigen Handelns zeigt, dass die Bundesrepublik bei Abschluss des Transitabkommens nicht bereit war, im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen stehende Maßnahmen durch Behörden der DDR hinzunehmen. Die Bestimmung räumt zudem nur ein Festnahmerecht ein; die Anerkennung einer nachfolgenden, rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechenden Strafverfolgung, insbesondere durch Auferlegung grob unangemessener Freiheitsstrafen, ist damit nicht verbunden. Gleiches gilt, soweit das Abkommen auch aus Sicht der Bundesregierung die Transitreisenden zur Beachtung der Strafvorschriften der DDR verpflichtete.

Schließlich belegt auch die Erklärung der Bundesregierung vom 11. Dezember 1971, dass dieses Abkommen nicht mit der Preisgabe eigener Rechtspositionen einherging, sondern allein als erster Schritt zu einer Verbesserung des Transitverkehrs gedacht war. Hinweise darauf, dass die Bundesregierung die Strafverfolgungspraxis der DDR gegenüber Fluchthelfern, insbesondere auch die drakonische Höhe der verhängten Strafen, akzeptieren wollte, sind auch den vom Beschwerdeführer angeführten Einzelzitaten nicht zu entnehmen. Die Strafbarkeit nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland war dementsprechend zum Tatzeitpunkt voraussehbar.

Ebenso hat das Landgericht in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Beschwerdeführer über die Strafbarkeit seines Handelns nach bundesdeutschem Recht im Bilde war.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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